In der Egon-Bar hängt schon seit Monaten sein Postkartenbild
mit der Unterschrift "Zechpreller des Monats". Leider hat Dean
Martin nie wirklich dort gesoffen, obschon seine Stimme dort
manchmal zu hören ist. Ein bißchen weiter südlich prangt er ab
Freitag auf größerem Format. Das Werksattkino in der
Fraunhoferstraße, geschmackssicher wie eh und je, widmet der alten
Schnapsnase die längst verdiente Retrospektive. Neben den
Buddy-Movies mit Frank Sinatra und Samy Davis jr. "Frankie und seine
Spießgesellen" und "Sieben gegen Chicago", und einer Agentenklamotte
mit unser aller Senta Berger sei hier besonders auf Vincente
Minnellis "Verdammt sind sie alle" verwiesen. Auch darin leert Dino
im Verbund mit Frankie-Boy so manches Glaserl, doch geht's dabei
mitunter recht tragisch zu. Zelebrales Picheln hat Dean Martin auch
ansonsten zu Schauspielerruhm verholfen, sein Delirium tremens aus
"Rio Bravo" gehört zu den schönsten Zitterpartien der Filmgeschichte
und ist der beste Grund, Martin als Darsteller gehörig ernst zu
nehmen, selbst, wenn das Werk einmal gar zu klamottig werden sollte.
Wenn sich da der Geist des jeweiligen Plots zum Reihern oder
Ausnüchtern zurückzieht, dann rettet sich Dino ja manchmal mit
seinen Gesängen, an denen es ja hoffentlich nichts zu mäkeln gibt.
Falls aber doch, seien für die reicheren unter uns an dieser Stelle
eindringlich und halbwegs ausführlich die jüngst erschienenen
CD-Schachteln von Bear-Family empfohlen.
Man kann sich gar nicht vorstellen, daß der Mann jemals
Gesangs-Unterricht nehmen oder Stimmübungen machen mußte, womöglich
gar gurgelte oder Schals trug, um sein Schmalzinstrument zu
pflegen. Stets wirkte Dean Martin, als wäre er vor und nach der
Show ausschließlich beim Saufen. Im Grunde ist das ja das einzig
Lässige an einem Mann, der begleitet von Gefiedel und Geflöte
rabiate Sentimentalitäten zum Besten gibt. So mancher Verszeile hat
er dabei durch gewagte Zungenbewungen einen anzüglichen Schlenzer
mitgegeben, was vielen der minderwertigeren Songs wenigstens einen
sündigen Touch verpaßte. Junge Mädchen jeden Jahrgangs und
Geschlechts können sich jetzt vom sonoren Schmelz des alten
Schleimis ausgiebig anfeuchten lassen: Bei Bear-Family-Records
gibt’s seit Anfang des Jahres zwei Dean-Martin-Boxes, wodurch Dinos
Kunst des vokalen Cunnilingus einen vorläufigen Revival-Höhepunkt
erreicht haben dürfte.
Die erste Box „Memories are made of this“ enthält
Schlagerstandards wie „All of me“ oder „That lucky old sun“, sowie
den Superhit „That’s Amore“, aber auch zutiefst bedauerliches
Songmaterial. Die achte und siebte CD bietet Dinos Duette mit Jerry
Lewis aus deren frühen Filmen, vom Erstling „My Friend Irma“ bis
zum abgefahrenen „Artists and Models“. Die späteren
Partneraufnahmen sind in der zweiten Box versteckt. Daß dabei einer
der Songs ausgerechnet „Pardners“ heißt, ist vertrackt, denn zum
Zeitpunkt der Aufnahme waren die beiden längst keine Freunde mehr,
noch nicht mal gute Kollegen. Der Titel der zweiten Compilation,
welche die Jahre von ‘56 bis 61 umfasst, lautet „Return to me“,
doch keiner der beiden sollte je zum anderen zurückkehren. Deans
Sängerkarriere litt keineswegs darunter, die Sammlung enthält viele
seiner besten und verkaufsträchtigsten Nummern. Wenn sich Martin da
durch Rumbas, Tangos und Country-Songs schnurrt, durch
Barber-Shop-Klassiker wie „Nevertheless“, deutsche Operetten-Lieder
wie „Glühwürmchen“ oder italienische Pseudofolklore, dann scheint
es, als ob die Fifties wirklich so künstlich und zugleich
unverhohlen lüstern waren, wie es uns die Pin-Up-Kalender
weismachen wollen.
Alle Aufnahmen auf Box Nr.2 entstanden für Capitol, einer Firma,
die auch die besten Arbeiten von Frank Sinatra produzierte. Die
Geigen schluchzten für Dean meist ein bißchen trivialer und die
Chöre süßelten ein bißchen doofer als beim Kumpel Frank, dessen
Stimme Dino mit seinem Schäker-Timbre nie an Reichweite, aber
leicht, was Charme und Stil betraf, einholen konnte. Gus Levene war
Martins häufigster Orchesterleiter, für ein anspruchsvolleres Album
wie das chorfreie „This time I’m swinging“ mußte erst der
Big-Band-Meister Nelson Riddle her. Einmal griff sogar Sinatra
persönlich zum Taktstock, nämlich für die Wiegenlieder-Platte
„Sleep Warm“, die ebenso komplett in der Box zu finden ist wie „A
Winter romance“, im weitesten Sinne ein Wintersportalbum, oder
Deans letztes Capitol-Werk „Cha Cha D’Amour“. Verschiedenste
Glanznummern gibt es in der Schachtel zu entdecken, etwa, wenn bei
Cole Porters „True Love“ die bekanntere Bing-Crosby-Version ganz
beiläufig niedergeswingt wird, oder sich vorsichtige R’n’B-Anklänge
finden, wie bei „Just kiss me“. Die Duette mit der schrecklichen
Judy Holiday aus „Bells are ringing“ sind ziemlich grenzwertig,
deren Soli wären extrem entbehrlich gewesen. Erfreulich aber, daß
die „Rio Bravo“-Songs endlich mal vollständig veröffenlicht sind,
einschließlich „Cindy Cindy“ und vier Versionen von „My rifle, my
pony and me“, einmal mit der Ansage von John Wayne und dreimal mit
dem Gesangsintro. Die letzte CD bringt Mitschnitte aus den
TV-Shows, wie sonst auch zartschmeichelnde Balladen oder - noch
besser - swingende Cocktailschwenkermusik zum Fußwippen und smart
Mitgrinsen.
Die edlen Hardcover-Bücher, die mit in den Schachteln stecken,
bieten zur besseren Dino-Nachahmung reichlich Fotos, sowie einen
Begleittext, durch den z. B. zu erfahren ist, daß Martin die
Melodie von „Napoli“ selbst nie richtig kapiert hat. Die
ausführliche Discography hat zugunsten der optischen Gestaltung
zwar an praktischem Wert eingebüßt, aber als Trost wird eine
appetitanregende Lobpreisung verabreicht von DJ, Sänger, und
Musikfreak Billy Vera.
Jeder, der Dean Martin nicht mehr nachträgt, daß er einst an
regnerischen Fernsehnachmittagen die Blödeleien von Jerry Lewis
allzu oft von Gesängen unterbrochen wurden, und der sich
mittlerweile mit fadenscheinigen Schlagern wie „You’d be surprised“
angefreundet hat, erwirbt mit diesen CD-Boxen die ideale
Begleitmusik für abendliche Ausgehvorbereitungen: Man swingt dazu
lässig durch’s Badezimmer, zwirbelt die Zahnbürste kunstvoll herum,
schmiert sich die Pomade ins Haar, rückt die Fliege zurecht oder
entfernt die letzten Fussel vom Abendkleid und entschwindet dezent
aufgegeilt in die Nacht, voller Vorfreude auf obszöne
Zungenbewegungen. „Ain’t that a kick in your head?“
Dean Martin „Memories are made of these“ und „Return to
me“ je 8 CDs Bear-Family-Records
Dino-Retrospektivo Werkstatt-Kino ab Freitag 16.10.98
Richard
Oehmann
|