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Die packendste und dauerhafteste Serie überhaupt ist ja die
Kinogeschichte selber. Wer da mit der selben Aufmerksamkeit am Ball
bleibt wie der Fußballfan bei der samstäglichen Ligabetrachtung,
kann schon aus dem allwöchentlichen Wechsel des städtischen
Kinoprogramms enormen Reiz gewinnen. Die fiebrige Erwartung mit der
einem Erstaufführungsfestival wie den Hofer Filmtagen begegnet
wird, belegt dies jedes Jahr auf’s Neue, schließlich zeichnet sich
dort alljährlich ab, wer demnächst beim Kartenverkauf das Rennen
machen oder abkacken könnte. Freilich treten die Beiträge hier,
auch wenn es nicht um goße Preise geht, in perfide Konkurrenz
zueinander. Wenn etwa gleich nach James Bogles „In the Winter
Dark“, einem trägeren Beispiel der neuen australischen Düsternis,
der luftige John Waters-Film „Pecker“ gezeigt wird, dann muß der
erstere verblassen, während letzterer heller strahlen kann, als er
dies bei einem normalen Kinobesuch je täte. Bei den 32. Filmtagen
hatten jene Regisseure, die sich in ihren frischgedrehten Beiträgen
mit dem Thema Gewalt auseinandersetzten, diesmal einen besonders
perfiden Kontrast zu fürchten, denn die Werkschau war dem
englischen Filmemacher Alan Clarke gewidmet, der mit seinen
nüchternen Fernseharbeiten bereits vor etlichen Jahren ziemlich
viele Nägel auf die Köpfe getroffen hatte.
Ein Beispiel: Der Erstling des Schauspielers Kiefer Sutherland
„Truth or Consequences“ kommt als dreckiger, kleiner Gangsterfilm
daher. Ein Rudel Banditen entführt auf der Flucht einen Mann und
dessen Freundin, wobei im weiteren Verlauf des Entführten
Faszination für gewalttätige Handlungen deutlich wird. Das Drehbuch
von Brad Mirman beschäftigt sich mit der Trennungslinie zwischen
Normalbürgern und Kriminellen, sowie indirekt mit der Haltung des
Künstlers der Gewalt gegenüber. Sutherland hat diese Themen aber
nicht mitgekriegt und so inszeniert, wie er bisweilen schauspielt,
nämlich schmierig und mit Lust zur Übertreibung. Unnötige Sadismen
und Bluspritzereien diskreditieren dabei alle Intentionen des
Autors. Dagegen stellt Alan Clarkes im Anschluß gezeigter
Fernsehfilm „The Firm“ aus dem Jahre ‘89, in dem englische Männer
aus der Mittelklasse ihre Aggressionen als Hooligans ausleben, nie
das Spektakel höher als den Inhalt. Er zeigt die Brutalitäten zwar
hart und ungefiltert, doch nie als Teil einer Show. So ist Clarkes
ungeschminkter Realismus nicht nur Sutherlands Teilzeitsplatter
überlegen, sondern auch dem vermeintlichen Sozialkritiker Larry
Clark, der in Hof bei seiner lässig bis arroganten Ansage des
anderen Gangster-Roadmovies „Another Day in Paradise“ klarstellen
wollte, daß er sich in dem Metier auskannte („Es geht um
Ex-Junkies, ich bin ein Ex-Junkie, es geht um Ex-Sträflinge, ich
bin ein Ex-Sträfling...“). Er wollte, so verkündete er tollkühn,
„zeigen, wie das Leben funktioniert“. Die Wirrnis und
Unausgegorenheit seines Films wurde dieser Vorgabe noch gerecht,
doch outete sich Larry Clark, dessen „Kids“ schon mehr als
verdächtig war, zugleich als minderinspirierter Spanner und durch
seine offensichtliche Freude an seinen ach so gewagten Bildern
konnte er nicht erschüttern, sondern nur nerven. Alan Clarke
dagegen nervt nie, sondern er strengt an und fordert die gesamte
Aufmerksamkeit.
Dabei zeigte sich auf den Filmtagen auch der schaurige
Unterschied zwischen dem englischen und dem deutschen Fernsehen:
Die sendungsbewußte Filmemacherin Liliane Targownik hatte sich
tapfer den deutschen Rechtsradikalismus der Neunziger vorgenommen
und mußte ihrem Film „Rosenzweigs Freiheit“, bei dem es um einen
deutschen Juden geht, der in Verdacht steht, einen Neonazi ermordet
zu haben, nicht nur ein hanebüchenes Gerichtskrimi-Gerüst
einverleiben und ihn mit betulichen Überdeutlichkeiten anreichern,
sondern sich auch mit den obligatorischen neunzig
SWF-Fernsehspiel-Minuten bescheiden, was den massenhaften Motiven,
die sie da angehäuft hatte, gar nicht gut tun konnte. Alan Clarkes
„Contact“(1985) und „Elephant“(1989), die sich mit der Gewöhnung an
die alltägliche Gewalt im Nordirlandkonflikt auseinandersetzen,
sind da weit kompromißloser, konzentrieren sich ganz
dramaturgiefeindlich auf simple, aber erschreckende Details der
komplexen Verwicklungen und wurden dennoch von BBC produziert und
gesendet.
Ein Krimi, der sich wie „Rosenzweigs Freiheit“ mit der
deutsch-jüdischen Vergangenheit und Gegenwart beschäftigt, nur eine
Liga höher, ist „Meschugge“ von Dani Levy und Maria Schrader, ein
aufwendiger Film, der durchaus dem amerikanischen Standard
standhalten kann. Bei all dem technischen Gehubere wirkt er jedoch
genauso seelenlos wie mancher US-Thriller, obwohl er mit seiner
Widmung an die beiden Elternpaare des Regiegespanns als besonders
persönlich erscheinen will. Vielleicht haben Schrader und Levy bei
ihrem ganzen Mut zum großen Wurf vergessen, worum es ihnen
ursprünglich ging. Als Samstagabendunterhaltung wiederum scheitert
„Meschugge“ an dem Hauptdarsteller Levy, der mit der
Leinwand-Ausstrahlung von Maria Schrader und amerikanischen
Akteuren wie David Strathairn nicht mithalten kann. Schon Levys
Stimme röchelt in der deutschen Fassung kraftlos den Brustönen der
Synchronsprecher hinterher, im Englischen - und „Meschugge“ schielt
deutlich nach dem amerikanischen Markt - wird’s ihr nicht besser
ergehen.
Billiger und souveräner ist hingegen die deutsch-österreichische
Coproduktion „Kubanisch rauchen“. Stephan Wagner, ein Wiener
Filmemacher aus Berlin, beginnt sein rotziges Kleinod mit der
Schmäh-Variante von „Pulp Fiction“, indem er zwei Geldeintreiber
kurz vor ihren ruppigen Aktivitäten über Würstel anstatt über
Burger philosophieren läßt. Die halbscharige Zitiererei bremst
Wagner sogleich wieder aus und konzentriert sich auf
differenziertere Angelegenheiten. Es geht im Folgenden um
Ehrlichkeit in Liebes- und Freundschaftsbeziehungen, um die
diversen Unwahrheiten, die sich nahestehende Menschen einander
zumuten. Wenn sich am Ende die Ganovenstory wieder zurückmeldet,
hat die erste große Lüge bereits verheerende Wirkung gezeigt, ein
paar weitere dürfen noch auf ihre Ausbrütung warten. Mit einem
gequälten Lächeln verabschiedet sich dieser lakonisch-witzige und
erlesen fotografierte Schwarz-Weißfilm von seinem Zuschauer, der
wiederum breit grinsend das Kino verlassen kann. Trotz seiner
Sperrigkeit ist „Kubanisch rauchen“ nicht dazu verdammt ein
Schattendasein auf Festivals zu führen. Es hat sich ein
hellsichtiger Verleih gefunden und so wird der Film im nächsten
Jahr in die Kinos kommen, sicherlich nicht mit so viel Aufwand wie
„Meschugge“, dafür aber mit wesentlich mehr Charme.
Durch den türkischen Regisseur Yilmaz Arslan erfahren wir in
„Yara“, einer türkisch-deutsch-schweizerischen Coproduktion,
immerhin mal, wie die BRD in der Türkei verstanden wird: „Ich habe
gehört, in Deutschland fließen Cola und Limonade aus den
Wasserhähnen“ sagt eine alte Frau, „ich frage mich aber, mit was
die dann kochen.“ „Yara“ zeigt die Odyssee einer jungen, psychisch
gestörten Türkin, die in Deutschland aufgewachsen ist, von ihrem
Vater in die Türkei gebracht wurde und nun versucht auf eigene
Faust zurückzureisen. Arslan hätte es bei dieser Grundidee einfach
haben können, doch sein Film wird weder zur reißerischen Flucht,
zur rührseligen Heimkehr oder zur platten Verdammung des einen oder
anderen Landes, sondern bleibt das Portrait eines Einzelschicksals,
an dem aber viele Problematiken erkennbar werden.
Andere deutsche Produktionen konnten da weniger überzeugen. Stijn
Coninx’ „When the light comes“ begibt sich mit Joachim Krol nach
Norwegen, nur um die Erkenntnis aufzuspüren, daß Sonnenlicht
gemütserwärmend wirkt, und Lars Beckers’ „Das gelbe vom Ei“ ist ein
weiteres Beispiel für den wenig sorgsamen Umgang mit dem
exzellenten Schauspieler Armin Rohde. Dabei haben wir den Armin
Rohde doch nur von unsere Kindern geliehen.
Der Höhepunkt auch dieser Hofer Filmtage bestand mitnichten in
der schusseligen Begrüßung hochrangiger Gäste durch den
Festivalleiter Heinz Badewitz, auch nicht im gemeinsamem Besäufnis
von internationalen Fimschaffenden und fränkischen Eingeborenen,
sondern im Fußballspiel von Filmleuten gegen eine Hofer Auswahl.
Tom Tykwer, der in Franken seinen Namen schmerzhaft als Dom Dückwer
verunstaltet hören muß, erhielt in weiser Vorausplanung den
Filmpreis der Stadt Hof, denn sonst hätte er womöglich nicht
mitspielen dürfen. Der Einsatz hat sich gelohnt: Die Filmleute
gewannen 2:1.
Richard
Oehmann
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