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Perfide Kontraste
Auf den 32. Hofer Filmtagen halten wenige neue Filme dem Vergleich mit der Alan Clarke-Werkschau stand

  05.11.1998
 
 
 
 

Die packendste und dauerhafteste Serie überhaupt ist ja die Kinogeschichte selber. Wer da mit der selben Aufmerksamkeit am Ball bleibt wie der Fußballfan bei der samstäglichen Ligabetrachtung, kann schon aus dem allwöchentlichen Wechsel des städtischen Kinoprogramms enormen Reiz gewinnen. Die fiebrige Erwartung mit der einem Erstaufführungsfestival wie den Hofer Filmtagen begegnet wird, belegt dies jedes Jahr auf’s Neue, schließlich zeichnet sich dort alljährlich ab, wer demnächst beim Kartenverkauf das Rennen machen oder abkacken könnte. Freilich treten die Beiträge hier, auch wenn es nicht um goße Preise geht, in perfide Konkurrenz zueinander. Wenn etwa gleich nach James Bogles „In the Winter Dark“, einem trägeren Beispiel der neuen australischen Düsternis, der luftige John Waters-Film „Pecker“ gezeigt wird, dann muß der erstere verblassen, während letzterer heller strahlen kann, als er dies bei einem normalen Kinobesuch je täte. Bei den 32. Filmtagen hatten jene Regisseure, die sich in ihren frischgedrehten Beiträgen mit dem Thema Gewalt auseinandersetzten, diesmal einen besonders perfiden Kontrast zu fürchten, denn die Werkschau war dem englischen Filmemacher Alan Clarke gewidmet, der mit seinen nüchternen Fernseharbeiten bereits vor etlichen Jahren ziemlich viele Nägel auf die Köpfe getroffen hatte.

Ein Beispiel: Der Erstling des Schauspielers Kiefer Sutherland „Truth or Consequences“ kommt als dreckiger, kleiner Gangsterfilm daher. Ein Rudel Banditen entführt auf der Flucht einen Mann und dessen Freundin, wobei im weiteren Verlauf des Entführten Faszination für gewalttätige Handlungen deutlich wird. Das Drehbuch von Brad Mirman beschäftigt sich mit der Trennungslinie zwischen Normalbürgern und Kriminellen, sowie indirekt mit der Haltung des Künstlers der Gewalt gegenüber. Sutherland hat diese Themen aber nicht mitgekriegt und so inszeniert, wie er bisweilen schauspielt, nämlich schmierig und mit Lust zur Übertreibung. Unnötige Sadismen und Bluspritzereien diskreditieren dabei alle Intentionen des Autors. Dagegen stellt Alan Clarkes im Anschluß gezeigter Fernsehfilm „The Firm“ aus dem Jahre ‘89, in dem englische Männer aus der Mittelklasse ihre Aggressionen als Hooligans ausleben, nie das Spektakel höher als den Inhalt. Er zeigt die Brutalitäten zwar hart und ungefiltert, doch nie als Teil einer Show. So ist Clarkes ungeschminkter Realismus nicht nur Sutherlands Teilzeitsplatter überlegen, sondern auch dem vermeintlichen Sozialkritiker Larry Clark, der in Hof bei seiner lässig bis arroganten Ansage des anderen Gangster-Roadmovies „Another Day in Paradise“ klarstellen wollte, daß er sich in dem Metier auskannte („Es geht um Ex-Junkies, ich bin ein Ex-Junkie, es geht um Ex-Sträflinge, ich bin ein Ex-Sträfling...“). Er wollte, so verkündete er tollkühn, „zeigen, wie das Leben funktioniert“. Die Wirrnis und Unausgegorenheit seines Films wurde dieser Vorgabe noch gerecht, doch outete sich Larry Clark, dessen „Kids“ schon mehr als verdächtig war, zugleich als minderinspirierter Spanner und durch seine offensichtliche Freude an seinen ach so gewagten Bildern konnte er nicht erschüttern, sondern nur nerven. Alan Clarke dagegen nervt nie, sondern er strengt an und fordert die gesamte Aufmerksamkeit.

Dabei zeigte sich auf den Filmtagen auch der schaurige Unterschied zwischen dem englischen und dem deutschen Fernsehen: Die sendungsbewußte Filmemacherin Liliane Targownik hatte sich tapfer den deutschen Rechtsradikalismus der Neunziger vorgenommen und mußte ihrem Film „Rosenzweigs Freiheit“, bei dem es um einen deutschen Juden geht, der in Verdacht steht, einen Neonazi ermordet zu haben, nicht nur ein hanebüchenes Gerichtskrimi-Gerüst einverleiben und ihn mit betulichen Überdeutlichkeiten anreichern, sondern sich auch mit den obligatorischen neunzig SWF-Fernsehspiel-Minuten bescheiden, was den massenhaften Motiven, die sie da angehäuft hatte, gar nicht gut tun konnte. Alan Clarkes „Contact“(1985) und „Elephant“(1989), die sich mit der Gewöhnung an die alltägliche Gewalt im Nordirlandkonflikt auseinandersetzen, sind da weit kompromißloser, konzentrieren sich ganz dramaturgiefeindlich auf simple, aber erschreckende Details der komplexen Verwicklungen und wurden dennoch von BBC produziert und gesendet.

Ein Krimi, der sich wie „Rosenzweigs Freiheit“ mit der deutsch-jüdischen Vergangenheit und Gegenwart beschäftigt, nur eine Liga höher, ist „Meschugge“ von Dani Levy und Maria Schrader, ein aufwendiger Film, der durchaus dem amerikanischen Standard standhalten kann. Bei all dem technischen Gehubere wirkt er jedoch genauso seelenlos wie mancher US-Thriller, obwohl er mit seiner Widmung an die beiden Elternpaare des Regiegespanns als besonders persönlich erscheinen will. Vielleicht haben Schrader und Levy bei ihrem ganzen Mut zum großen Wurf vergessen, worum es ihnen ursprünglich ging. Als Samstagabendunterhaltung wiederum scheitert „Meschugge“ an dem Hauptdarsteller Levy, der mit der Leinwand-Ausstrahlung von Maria Schrader und amerikanischen Akteuren wie David Strathairn nicht mithalten kann. Schon Levys Stimme röchelt in der deutschen Fassung kraftlos den Brustönen der Synchronsprecher hinterher, im Englischen - und „Meschugge“ schielt deutlich nach dem amerikanischen Markt - wird’s ihr nicht besser ergehen.

Billiger und souveräner ist hingegen die deutsch-österreichische Coproduktion „Kubanisch rauchen“. Stephan Wagner, ein Wiener Filmemacher aus Berlin, beginnt sein rotziges Kleinod mit der Schmäh-Variante von „Pulp Fiction“, indem er zwei Geldeintreiber kurz vor ihren ruppigen Aktivitäten über Würstel anstatt über Burger philosophieren läßt. Die halbscharige Zitiererei bremst Wagner sogleich wieder aus und konzentriert sich auf differenziertere Angelegenheiten. Es geht im Folgenden um Ehrlichkeit in Liebes- und Freundschaftsbeziehungen, um die diversen Unwahrheiten, die sich nahestehende Menschen einander zumuten. Wenn sich am Ende die Ganovenstory wieder zurückmeldet, hat die erste große Lüge bereits verheerende Wirkung gezeigt, ein paar weitere dürfen noch auf ihre Ausbrütung warten. Mit einem gequälten Lächeln verabschiedet sich dieser lakonisch-witzige und erlesen fotografierte Schwarz-Weißfilm von seinem Zuschauer, der wiederum breit grinsend das Kino verlassen kann. Trotz seiner Sperrigkeit ist „Kubanisch rauchen“ nicht dazu verdammt ein Schattendasein auf Festivals zu führen. Es hat sich ein hellsichtiger Verleih gefunden und so wird der Film im nächsten Jahr in die Kinos kommen, sicherlich nicht mit so viel Aufwand wie „Meschugge“, dafür aber mit wesentlich mehr Charme.

Durch den türkischen Regisseur Yilmaz Arslan erfahren wir in „Yara“, einer türkisch-deutsch-schweizerischen Coproduktion, immerhin mal, wie die BRD in der Türkei verstanden wird: „Ich habe gehört, in Deutschland fließen Cola und Limonade aus den Wasserhähnen“ sagt eine alte Frau, „ich frage mich aber, mit was die dann kochen.“ „Yara“ zeigt die Odyssee einer jungen, psychisch gestörten Türkin, die in Deutschland aufgewachsen ist, von ihrem Vater in die Türkei gebracht wurde und nun versucht auf eigene Faust zurückzureisen. Arslan hätte es bei dieser Grundidee einfach haben können, doch sein Film wird weder zur reißerischen Flucht, zur rührseligen Heimkehr oder zur platten Verdammung des einen oder anderen Landes, sondern bleibt das Portrait eines Einzelschicksals, an dem aber viele Problematiken erkennbar werden.

Andere deutsche Produktionen konnten da weniger überzeugen. Stijn Coninx’ „When the light comes“ begibt sich mit Joachim Krol nach Norwegen, nur um die Erkenntnis aufzuspüren, daß Sonnenlicht gemütserwärmend wirkt, und Lars Beckers’ „Das gelbe vom Ei“ ist ein weiteres Beispiel für den wenig sorgsamen Umgang mit dem exzellenten Schauspieler Armin Rohde. Dabei haben wir den Armin Rohde doch nur von unsere Kindern geliehen.

Der Höhepunkt auch dieser Hofer Filmtage bestand mitnichten in der schusseligen Begrüßung hochrangiger Gäste durch den Festivalleiter Heinz Badewitz, auch nicht im gemeinsamem Besäufnis von internationalen Fimschaffenden und fränkischen Eingeborenen, sondern im Fußballspiel von Filmleuten gegen eine Hofer Auswahl. Tom Tykwer, der in Franken seinen Namen schmerzhaft als Dom Dückwer verunstaltet hören muß, erhielt in weiser Vorausplanung den Filmpreis der Stadt Hof, denn sonst hätte er womöglich nicht mitspielen dürfen. Der Einsatz hat sich gelohnt: Die Filmleute gewannen 2:1.

Richard Oehmann

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