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17.12.1998
 
 
   
 

MIFED ´98
Ein Ausblick auf das nächste Jahr

 
     
 
 
 
 

Einmal im Jahr versammelt sich in Norditalien die Crème de la Crème unter den Filmhändlern: Anfang November wurde Mailand zum 65. Mal zum Zentrum des globalen Filmhandels, als die MIFED 98 ihre Tore öffnete. Und obwohl die kurz davor stattfindenden London Screenings schon so manche Händler von einem Kapazitätsverlust sprechen ließen, konnte sich das diesjährige Angebot gegen die britische Konkurrenz behaupten und gegenüber dem Vorjahr sogar um einige Anbieter steigern. Eine Woche lang wurden fast tausend Filme aus allen entlegenen Erdteilen gezeigt, und die von Miramax über Buena Vista bishin zu asiatischen Firmen wie China Star Entertainment und dem Hongkong Marktführer Golden Harvest abgeschlossenen Verträge lassen einen weiteren Rückgang der Geschäfte als unwahrscheinlich gelten. Vom ersten bis zum sechsten November konnte man sich einen filmischen Einblick über die volle Bandbreite des kommenden Kinojahres verschaffen. Eine riesige und facettenreiche Auswahl, von keiner Festivalleitung gefiltert und nach Gesichtspunkten wie Anspruch oder Unterhaltung ausgesucht, ermöglichte, neben komplexen Dramen auch einfache Videotheken-Actionware zu betrachten. Im Folgenden nun ein kurzer und in starkem Maße willkürlicher (weil natürlich subjektiver) Einblick:

Die kommenden Kinofreuden im Mainstream-Bereich reichen vom Spielerfilm ROUNDERS mit Matt Damon, Edward Norton und John Malkovitch über die Actionkomödie RUSH HOUR mit Jackie Chan und dem schrecklich schrillen Chris Tucker, John Boormans THE GENERAL, die angeblich wahre Geschichte eines irischen Kriminellen bis zu dem Faschisten-Film AMERICAN HISTORY X (mit "John Connor" Eddie Furlong und wiederum Edward Norton).
Doch als wesentlich intessanter stellten sich die unbekannteren, gößtenteils asiatischen Produktionen heraus: Neben dem Box-Office -Überflieger aus Hongkong, STORMRIDERS, eine allzu planlose Fantasygeschichte mit unglaublich vielen CGI-Effekten, dem überaus rohen BULLET BALLET, Tsukamoto Shinyas (TETSUO 1+2) neuester Angriff auf die Sinne, gab es auch den sehr ruhigen, doch sehr tragischen und ungemein empfehlenswerten japanischen Anime JIN-ROH zu begutachten, eine Arbeit vom Produzenten-Team von GHOST IN THE SHELL. Um auf hoher qualitativer Ebene zu bleiben: Zu sehen war auch der dritte Film vom Japaner Sabu, nach D.A.N.G.A.N. RUNNER und POSTMAN BLUES: UNLUCKY MONKEY handelt wieder augenzwinkernd bis haarsträubend komisch von Yakuzas und solchen, die es werden wollen, sowie der unberechenbaren, aber nicht zu unterschätzenden Macht des Mißgeschicks.

Zu dem bunten Cocktail bekam man auch den aktuellen PHANTOM OF THE OPERA, diesmal von Dario Argento, leider ein belangloser, selbstverliebter Fernsehfilm mit Julian Sands als Phantom und - wer sonst -Asia Argento als sein Objekt der Begierde. Asia kann man demnächst bei uns in B MONKEY, einer netten Mischung aus Thriller und Liebesfilm an der Seite von Rupert Everett sehen. Doch von solchen große Namen und Titeln abgesehen, konnte man auch schon fast vergesene Klassiker entdecken: In einem der abgelegenen Vorführräume lief doch tatsächlich eine restaurierte Fassung von George A. Romeros NIGHT OF THE LIVING DEAD, mit neuen, hübschen Szenen - die allerdings die Splatter-Fans nicht bedienen - zur Feier des 30jährigen Jübiläums.

Das gewohnt abwechslungsreiches Actionprogramm aus Hongkong hielt dieses Jahr die eigentlichen Überraschungen bereit - sowohl im positiven, als auch im negativen Sinne. Unter anderen entdeckte man AND NOW YOU ARE DEAD, den ersten Film mit Bruce Lee-Tochter Shannon, die in einem mit Shootouts und Martial Arts vollgepackten Actionbrett als Darstellerin debutierte und zudem bestens unterhalten konnte. Zum beliebten Terroristen und Giftgas-Thema lieferte EXTREME CRISIS ein eindeutiges Statement mittels eines Bodycounts ab, der in puncto Konsequenz John Woos THE KILLER schlicht im Regen stehen läßt. Von der unendlichen YOUNG AND DANGEROUS-Reihe, die mittlerweile bei der 5. Fortsetzung angekommen ist, lief der mit Prequel betitelte Teil in gewohnter Dramatik um Hongkongs Bandenkriminelle, die seit geraumer (Film-)Zeit um die Kontrolle ihres Stadtviertels kämpfen. In HUNTRESS, manchen besser als HER NAME IS CAT bekannt, (und vielen anderen weder unter dem einen, noch dem anderen Titel), darf sich eine Lady im engen Lederdress unter laszivem Katzenfauchen mit Bösen Gangstern Schießereien liefern, oder sich zu Kuschelrockromantik von ihrem Lover streicheln lassen und dabei entspannt schnurren. Was für ein Film! Wer NAKED KILLER attraktiv fand, wird bei dieser Trash-Perle ganz sicher seinen Spaß haben...

Eine Trash-“Perle“ ganz anderer Art ist da schon der großspurig als LA CONFIDENTIAL-Nachfolger angepriesene BROWNS REQUIEM, der hingegen in Langeweile schwelgt und mit seiner düsteren, aber monotonen Krimiatmosphäre vergeblich kämpft, ein interessanter Film zu werden. Doch Gurken wie diesen bleibt kein Bundesstart erspart - und erst recht nicht dem deutschen Publikum. Wesentlich angenehmer und versierter ist der schottische THE ACID HOUSE, der drei Kurzgeschichten beinhaltet. Er darf schon als unoffizieller, aber thematisch legitimer TRAINSPOTTING-Nachfolger betrachtet werden. Die gezeigte Kopie mußte übrigens mit englischen Untertiteln versehen werden, weil sich das schottische Lokalkolorit vor allem im heftigen und unverständlichen Akzent niederschlug. Weniger Verständnisschwierigkeiten bereitete der nunmehr 4. Teil der CHILDS PLAY-Serie, bei uns eher unter "Chucky - die Mörderpuppe" bekannt. Angenehmerweise entpuppte er sich als ein weitgehend ironischer und unterhaltsamer Aufguß mit einem NATURAL BORN KILLERS-Plot (!) und wie immer leiht Brad Dourif seine Stimme dem kleinen Quälgeist.

Schnell zurück zum Bekömmlichen: Daß die asiatischen Zelluloid-Gerichte nicht nur aus Action bestehen müssen zeigten die folgenden Epen und Dramen, die ihr Thema überaus bewegend umsetzten: Neben dem Historienverfilmung GHENGIS KHAN um das Bio-Pic des legendären Mongolenführers war LOVE LETTER vom Japaner Shunji Iwai (an dessen wunderbaren SWALLOWTAIL BUTTERFLY man sich noch gern erinnert) ein echter Tearjerker. Nicht weniger traurig: das Schicksalsdrama CITY OF GLASS, daß seinen thematischen Vorbildern COMRADES und LOST AND FOUND in nichts nachsteht - einfach herzerweichend. Dramatisch und auf lockere Art anspruchsvoll konnte man die neue Groteske von Emir Kusturica (TIME OF THE GYPSIES) bezeichnen, ein Feuerwerk an absurden Einfällen mit starkem Hang zu Sergio Leone: BLACK CAT, WHITE CAT heißt sein Meisterwerk, mit dem er sich bereits in Venedig den Preis für die beste Regie geholt hat. Als Kontrastprogramm standen dafür Machwerke wie BLOODSPORT - THE DARK KUMITE, der mittlerweile vierte Teil der Kickboxreihe, die einst mit Jean-Claude van Damme begann und weitere billige Direct-To-Video-Schoten wie RUNNING RED, mit dem mächtig in die Breite gegangenen Jeff Speakman (A PERFECT WEAPON).

Dank Buena Vistas Anwesenheit lief ein Screening von JUDAS KISS, in dem der nur zu bedauernde Til Schweiger wieder eine völlig minderbemittelte Rolle als deutscher Kleinkrimineller (war ja klar) bekam - dann doch lieber in einer Hauptrolle, wie in DER EISBÄR!. Da auch Bavaria-Film ein Office hatte, liefen die deutschen Produktionen NIGHT TIME aka SIEBEN MONDE, 23 und auch COMEDIAN HARMONISTS sowie BIN ICH SCHÖN? - auf deutsch mit spärlichen englischen Untertiteln, mehr als gewöhnungsbedürftig, wenn man sonst bei Originalfilmen vom Englisch mit deutschen Untertiteln ausgeht. Allein diese Ansammlung von verschiedenen Filmen reicht aus, um so manche Festivals zu füllen, doch mehr als einen kurzen Überblick über das riesige Gesamtangebot scheint gar unmöglich. Nur ein Hauch von Mailand sozusagen.

Thorsten Krüger

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