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02.03.2000
 
 
   
 

Reine Formsache - zur Zukunft des Kinos

 
Johnny Depp (SLEEPY HOLLOW) steht auf die klassischen Effekte
     
 
 
 
 

Als vor einigen Wochen aus einem schlichten Datumswechsel ein vermeintliches Jahrtausendereignis gemacht wurde, nutzten die Medien dieses Gelegenheit, um ehemalige Zukunftsvisionen mit der Realität des Jahres 2000 zu vergleichen. Dieser Abgleich fiel relativ bescheiden für die ehemaligen Visionäre aus, da sie unsere Gegenwart entweder weit überschätzten (Städte auf dem Mond, künstliche Menschen u.ä.) oder absolut unterschätzten (in Bereichen wie Internet oder Computer).

Die wunderbare Welt des Kinos sollte man von dieser Prognosenüberprüfung nicht ausnehmen, da gerade hier die Spekulation über die Zukunft oft die wildesten Blüten treibt.
So könnte man zum Beispiel über einstige Vorhersagen zu Besucherzahlen (die keineswegs rückläufig sind), zum Kinosterben (wegen der Weltherrschaft der Multiplex-Kinos) oder zu neuen Vorführtechniken (was wurde aus 3-D, aus interaktiven Filmen und aus dem Geruchskino ?) reden.
Oder man betrachtet sich die Zukunft, wie sie in unzähligen Filmen von 2001 über STRANGE DAYS bis BLADE RUNNER gezeichnet wurde und stellt beruhigt fest, dass wir noch nicht von HAL regiert werden, kein Soylent Green zum Frühstück essen und Androiden immer noch sehr selten im täglichen Leben anzutreffen sind.

Am fulminantesten jedoch versagten die Theorien darüber, wie die Filme des 21. Jahrhunderts aussehen werden, welche Form sie haben würden und wie sich diese Form auf ihren Inhalt auswirkt.
Wer es nicht persönlich erlebt hat, welch dogmatische Diskussionen seinerzeit geführt wurden, als der Computer Einzug in das Filmemachen hielt, kann sich heute kaum vorstellen, welche Ängste und Vermutungen die Vertreter der "reinen Lehre" damals äußerten.
Digital wiederhergestellte Schauspieler wie Humphrey Bogart oder Marilyn Monroe stahlen in diesen Prophezeiungen den echten, redlichen Schauspieler das tägliche Brot. Das ach so herzliche Filmgeschäft würde zu einer kalten, sterilen Welt, in der die Filme in Billiglohnländern wie Indien programmiert würden. Nicht mehr kreative Künstler hätten das Sagen, sondern Techniker und Softwareingenieure und irgendwann würden die Computer nicht nur die einzelnen Bilder, sondern auch die gesamte Handlung eines Film errechnen. Solche Filme, so wurde vorausgesagt, wären inhaltsleere, gefühllose, glatte Einheitsware, die nur noch schön aussehe, aber jeder Fantasie entbehre.

Unsere Realität heute sieht anders aus. Die Schauspieler sind immer noch aus Fleisch und Blut und geben selbstlos für ein karges Gehalt alles was sie haben. Die Filme in Hollywood werden immer noch wie Großmutters Kirschkuchen mit viel Liebe und Aufmerksamkeit gemacht. Das Sagen haben noch nicht die Techniker und Programmierer (sondern die Finanziers und Multinationalen Konzerne) und die Geschichten und Drehbücher werden wie bisher in individueller menschlicher Handarbeit versaut.
Tatsache ist aber auch, dass es die gefürchteten, komplett im Computer geschaffenen Filme gibt und gerade bei einem solchen, nämlich TOY STORY II, habe ich mich königlich amüsiert.

Dieser Film ist das exakte Gegenteil von dem, was man den Computerfilmen vorhergesagt (vermutlich auch gewünscht) hat. Er ist nicht fantasielos, nicht emotionslos, nicht inhaltsleer und er ist ganz sicher keine glatte Einheitsware.
Jetzt könnte man meinen, damit ein Zeichen für die Zukunft (ein positives noch dazu) vor sich zu haben aber zur selben Zeit läuft in unseren Kinos ein anderer Animationsfilm, der mit seiner schäbigen Aufmachung in exakt die andere Richtung weist. Die betont billig wirkende Machart von SOUTH PARK hat mit den Computerbildern von TOY STORY so viel gemeinsam, wie eine Trockenhaube mit einem Teilchenbeschleuniger und trotzdem sitzt man in beiden Film mit dem gleichen Vergnügen.
Das reale Gegenstück zur Billigkultur von SOUTH PARK hatte man im letzten Jahr mit dem überaus erfolgreichen BLAIR WITCH PROJEKT und mit THE SIXTH SENSE folgte darauf der nächste Überraschungserfolg, der ohne supermoderne Effekte (und das noch dazu im Horrorgenre) auskam. Nicht zu vergessen ist auch die Technologiefeindlichkeit der Dogma - Filme oder ein ergreifend schlichtes Werk wie STRAIGHT STORY von David Lynch.
Und als Krönung dieser nostalgischen Digitalverweigerung lehrt uns Tim Burton in SLEEPY HOLLOW mit einem kopflosen Reiter (!) das Fürchten, wobei jede Einstellung so aussieht, als wäre sie von einem alten flämischen Meister gemalt.

Der Schluss, den man aus diesen Filmen ziehen kann, ist erstaunlich einfach.
Was zählt, ist nicht die Form, sondern nach wie vor der Inhalt eines Films. Man kann mit Computern gute Filme machen. Man kann mit ihnen aber auch die Effekte zu STAR WARS produzieren. Und die altbewährte Methode Filme zu machen, ist auch heute keine Qualitätsgarantie.
Wer in Computerbildern immer noch eine Gefahr für das "wahre" Kino sieht, lebt in einer Phantasiewelt und jagt zudem dem falschen Feind hinterher, denn die Computerfehler sind nicht das wirkliche Problem. Die meisten Unglücke (auch im Kino) beruhen immer noch auf menschlichem Versagen.

Michael Haberlander

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