Als vor einigen Wochen aus einem schlichten Datumswechsel ein
vermeintliches Jahrtausendereignis gemacht wurde, nutzten die
Medien dieses Gelegenheit, um ehemalige Zukunftsvisionen mit der
Realität des Jahres 2000 zu vergleichen. Dieser Abgleich fiel
relativ bescheiden für die ehemaligen Visionäre aus, da sie unsere
Gegenwart entweder weit überschätzten (Städte auf dem Mond,
künstliche Menschen u.ä.) oder absolut unterschätzten (in Bereichen
wie Internet oder Computer).
Die wunderbare Welt des Kinos sollte man von dieser
Prognosenüberprüfung nicht ausnehmen, da gerade hier die
Spekulation über die Zukunft oft die wildesten Blüten treibt.
So könnte man zum Beispiel über einstige Vorhersagen zu
Besucherzahlen (die keineswegs rückläufig sind), zum Kinosterben
(wegen der Weltherrschaft der Multiplex-Kinos) oder zu neuen
Vorführtechniken (was wurde aus 3-D, aus interaktiven Filmen und
aus dem Geruchskino ?) reden. Oder man betrachtet sich die
Zukunft, wie sie in unzähligen Filmen von 2001 über STRANGE DAYS
bis BLADE RUNNER gezeichnet wurde und stellt beruhigt fest, dass
wir noch nicht von HAL regiert werden, kein Soylent Green zum
Frühstück essen und Androiden immer noch sehr selten im täglichen
Leben anzutreffen sind.
Am fulminantesten jedoch versagten die Theorien darüber, wie die
Filme des 21. Jahrhunderts aussehen werden, welche Form sie haben
würden und wie sich diese Form auf ihren Inhalt auswirkt. Wer
es nicht persönlich erlebt hat, welch dogmatische Diskussionen
seinerzeit geführt wurden, als der Computer Einzug in das
Filmemachen hielt, kann sich heute kaum vorstellen, welche Ängste
und Vermutungen die Vertreter der "reinen Lehre" damals äußerten.
Digital wiederhergestellte Schauspieler wie Humphrey Bogart
oder Marilyn Monroe stahlen in diesen Prophezeiungen den echten,
redlichen Schauspieler das tägliche Brot. Das ach so herzliche
Filmgeschäft würde zu einer kalten, sterilen Welt, in der die Filme
in Billiglohnländern wie Indien programmiert würden. Nicht mehr
kreative Künstler hätten das Sagen, sondern Techniker und
Softwareingenieure und irgendwann würden die Computer nicht nur die
einzelnen Bilder, sondern auch die gesamte Handlung eines Film
errechnen. Solche Filme, so wurde vorausgesagt, wären inhaltsleere,
gefühllose, glatte Einheitsware, die nur noch schön aussehe, aber
jeder Fantasie entbehre.
Unsere Realität heute sieht anders aus. Die Schauspieler sind
immer noch aus Fleisch und Blut und geben selbstlos für ein karges
Gehalt alles was sie haben. Die Filme in Hollywood werden immer
noch wie Großmutters Kirschkuchen mit viel Liebe und Aufmerksamkeit
gemacht. Das Sagen haben noch nicht die Techniker und Programmierer
(sondern die Finanziers und Multinationalen Konzerne) und die
Geschichten und Drehbücher werden wie bisher in individueller
menschlicher Handarbeit versaut. Tatsache ist aber auch, dass
es die gefürchteten, komplett im Computer geschaffenen Filme gibt
und gerade bei einem solchen, nämlich TOY STORY II, habe ich mich
königlich amüsiert.
Dieser Film ist das exakte Gegenteil von dem, was man den
Computerfilmen vorhergesagt (vermutlich auch gewünscht) hat. Er ist
nicht fantasielos, nicht emotionslos, nicht inhaltsleer und er ist
ganz sicher keine glatte Einheitsware. Jetzt könnte man
meinen, damit ein Zeichen für die Zukunft (ein positives noch dazu)
vor sich zu haben aber zur selben Zeit läuft in unseren Kinos ein
anderer Animationsfilm, der mit seiner schäbigen Aufmachung in
exakt die andere Richtung weist. Die betont billig wirkende Machart
von SOUTH PARK hat mit den Computerbildern von TOY STORY so viel
gemeinsam, wie eine Trockenhaube mit einem Teilchenbeschleuniger
und trotzdem sitzt man in beiden Film mit dem gleichen Vergnügen.
Das reale Gegenstück zur Billigkultur von SOUTH PARK hatte man
im letzten Jahr mit dem überaus erfolgreichen BLAIR WITCH PROJEKT
und mit THE SIXTH SENSE folgte darauf der nächste
Überraschungserfolg, der ohne supermoderne Effekte (und das noch
dazu im Horrorgenre) auskam. Nicht zu vergessen ist auch die
Technologiefeindlichkeit der Dogma - Filme oder ein ergreifend
schlichtes Werk wie STRAIGHT STORY von David Lynch. Und als
Krönung dieser nostalgischen Digitalverweigerung lehrt uns Tim
Burton in SLEEPY HOLLOW mit einem kopflosen Reiter (!) das
Fürchten, wobei jede Einstellung so aussieht, als wäre sie von
einem alten flämischen Meister gemalt.
Der Schluss, den man aus diesen Filmen ziehen kann, ist
erstaunlich einfach. Was zählt, ist nicht die Form, sondern
nach wie vor der Inhalt eines Films. Man kann mit Computern gute
Filme machen. Man kann mit ihnen aber auch die Effekte zu STAR WARS
produzieren. Und die altbewährte Methode Filme zu machen, ist auch
heute keine Qualitätsgarantie. Wer in Computerbildern immer
noch eine Gefahr für das "wahre" Kino sieht, lebt in einer
Phantasiewelt und jagt zudem dem falschen Feind hinterher, denn die
Computerfehler sind nicht das wirkliche Problem. Die meisten
Unglücke (auch im Kino) beruhen immer noch auf menschlichem
Versagen.
Michael Haberlander
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