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"Ja mei, solche Filme werden halt nimmer gemacht..." Jede Wette:
Den Satz gibt's am Sonntag Vormittag mindestens einmal zu hören.
Und wir werden uns ergänzend dazu denken: "Gott sei Dank!" Sonntag,
das ist nämlich Matineen-Tag im Gloria, und Woche für Woche werden
da Filme geboten insbesondere für Leute über 60, die sich in ihre
cineastischen Jugendjahre zurückversetzt fühlen wollen. Das ist
stets eins der eigenwilligeren Kinoerlebnisse, die München zu
bieten hat - zumindest für unsereins, die wir diese Veranstaltungen
hin und wieder aus filmhistorischem Interesse besuchen. Zwangsweise
laufen in der Reihe nämlich überwiegend deutsche Filme, die
vornehmlich aus der braunen Zeit bis 45 stammen. Und anders als im
Filmmuseum, wo bei entsprechenden Programmen die sich zuverlässig
einstellende Riege lediglich auf "gute, saubere Unterhaltung wie
damals halt" ausseiender Rentner fast immer in der Minderzahl ist,
gibt's im Gloria nicht mal den Anstrich von Distanz oder
Kontextualisierung, von Analyse, Abstand, Unwohlsein, Vorsicht. Da
wird alles völlig ungebrochen unter dem Vorzeichen "Schöne Filme
von einst" gezeigt - ganz ohne Scham und Scheu auch bei der
Filmauswahl. Denn nicht, dass Sie glauben, da kämen nur "harmlose"
Revuefilme oder so (als ob es sowas gäbe...) - da wird auch gern
mal in den Giftschrank gelangt. DER GROSSE KÖNIG war beispielsweise
schon zu sehen. Und diese Woche gibt's - man mags kaum glauben -
tatsächlich WUNSCHKONZERT. Jawoll, den von 1940. Nach unserem
letzten Informationsstand ist der in Deutschland eigentlich nach
wie vor für die Aufführung gesperrt - aber das ficht das Gloria
offenbar nicht an. (Oder wurde das Verbot mittlerweile aufgehoben?
Bitte mailen, wenn wer weiß wann und warum!)
Im Prinzip ist es selbstverständlich völlig bäh, eine solche
Nazi-Schmonzette (die damals mit allen "staatspolitisch wertvoll"
und sonstwie Prädikaten ausgezeichnet wurde) auf ein unkritisches
Publikum loszulassen. Andererseits können wir Ihnen, so Sie
denn das nötige Mindestmaß an Distanz und ein Fünkchen Interesse
für Filmgeschichte, Propaganda und Politik haben, nur wärmstens
empfehlen, diese seltene Gelegenheit wahrzunehmen und sich
in die Höhle der Weißhäuptigen, Kahlgeschorenen und Rechtsgescheitelten
zu wagen, um sich diesen Film anzuschauen. Schon um zu sehen,
wer damals alles munter mit dabei war: Nicht nur Ilse Werner
in der Titelrolle, sondern im Wunschkonzert dann der Rühmann
Heinz, der Hörbiger Paul, der alte Paprikarsch Marika Rökk
und viele andere mehr, darunter auch Mr. "Herr Schaffner,
Max-Weber-Platz?" Weiß-Ferdl, der uns mit dem schönen Lied
"Zum Glück bin ich kein Intellektueller" erklärt, wie blöd
es ist, über Dinge nachzudenken. Ach ja, die gute alte Zeit!
Sehenswert ist der Film aber auch insbesondere wegen
seiner Art mit Musik und Raum umzugehen. Da wird auf sehr
interessante Weise ein Mythos gebastelt von der
raum(über)greifenden Musik, da findet die Landnahme oft genug
akustisch statt, da sind die Funkwellen die ersten Angriffswellen.
Könnten wir jetzt sehr, sehr viel drüber schreiben, tun wir aber
nicht. Sondern sagen nur: Genau hinschauen und -hören, es lohnt
sich. (Außer Sie glauben Weiß-Ferdl...) Wie viele Nazi-Schinken
taugt aber WUNSCHKONZERT insbesondere auch als prima Argument gegen
Faschismus. Denn glauben Sie uns: Selbst wenn man nichts wüsste
über Grauen und Greuel des Nazi-Regimes, selbst wenn man von dem
kranken, verqueren Hirnschiss faschistischer Ideologie noch nie ein
Wort mitbekommen hätte - Filme wie WUNSCHKONZERT allein wären schon
Beleg genug dafür, dass ein Leben im "Dritten Reich" gänzlich
unsäglich und unerträglich war. Wenn Sie's nicht glauben, versuchen
Sie, die "Gute Nacht, Mutter"-Nummer durchzustehen, ohne dass Sie
das kalte Strahlkotzen anfällt. Viel Glück! (WUNSCHKONZERT:
Gloria, So. 11:00)
Ob wir uns denn dereinst sehnsüchtig zurückerinnern werden an die
80er und versonnen sagen "Ja mei, solche Filme werden halt nimmer
gemacht..." ist doch eher fraglich: Im Großen und Ganzen sind wir
doch ziemlich froh, dass das Jahrzehnt überstanden ist, und halten
es für unwahrscheinlich, dass sich diese Einstellung grundlegend
ändert. (Jedenfalls wäre es für uns ein sicheres Zeichen von
fortgeschrittener Senilität, wenn wir nostalgische Gefühle für John
Hughes-Teenie-Komödien entwickelten...) Aber die ein oder andere
Perle findet sich dann doch inmitten von Tonnen kindischen
Plastikmülls, und zwei der funkelndsten sind diese Woche mal wieder
zu sehen: BRAZIL und BLOOD SIMPLE. Zu BRAZIL was zu sagen fällt
schwer, weil uns da immer wieder die Worte fehlen. Der Film ist
Terry Gilliams unbestrittenes Meisterwerk, eine filmische
Überwältigung ohnegleichen, und wenn Sie ihn schon mal gesehen
haben, wissen Sie sowieso, wovon wir reden, und wenn nicht, dann
können wir Sie nur fragen: WAAAAAAAAS??????!!!!!!!! WARUM NICHT?!
So oder so: Die Chance, den mal wieder auf einer großen Leinwand im
Original zu sehen, darf man sich keinesfalls entgehen lassen.
BLOOD SIMPLE ist bekanntlich das Debut der Coen-Brüder - das ganz
wunderbar reift und mit zunehmendem Abstand immer klarer als einer
der wichtigsten und schönsten Filme der 80er erkennbar wird.
Schade, dass es da einen "Director's Cut" brauchte, um den mal
wieder auf die Leinwände zu kriegen. Diese neue Fassung ist ein
Stück kürzer, was nicht weiter auffällt (die Coens haben dem
Rhythmus zuliebe an ein paar Kleinigkeiten herumgeschnipselt, etwas
editorisches Finetuning betrieben - keine Angst, es fehlen keine
Szenen), hat Dolby-Stereo-Sound, was vollkommen überflüssig ist,
und ein paar neue Musikstücke (teils mit völlig deplaziertem
afrikanischem Einschlag), was nervt. Trotzdem ist der Film noch
fast so schön wie früher und immer ein Wiedersehen (und eine
Neuentdeckung sowieso dringendst) wert. (BRAZIL (OmU):
Filmmuseum, Fr./Sa. 20:30; BLOOD SIMPLE - DIRECTOR'S CUT
(OmU): Filmmuseum Fr./Sa. 23:00, Neues Arena tgl. 22:45)
"Ja mei, solche Filme werden bei uns halt nicht gemacht..."
könnte man angesichts des indischen Kommerz-Kinos sagen. Oder
kennen Sie beispielsweise einen Thriller als knapp dreistündiges
Musical? Na eben. KHAUFF (was soviel heißt wie Angst) kommt im
Neuen Rottmann und ist ein ebensolcher Krimi mit Tanzeinlagen.
Gesehen haben wir ihn selbst noch nicht - wie auch, läuft der doch
selbst in Indien gerade erst an. Aber für alle Freunde Bollywoods
und solche, die es werden wollen, wollten wir doch drauf
hingewiesen haben - so was kriegt man hierzulande ja viel zu selten
zu Gesicht, und wenn, dann macht es doch oft erhebliche Mengen
Freude. (KHAUFF (OF): Neues Rottmann, Mo. 14:00,
22:45)
So wie auch... Na ja, Sie wissen's. Solche Sprüche werden halt
heute nimmer gemacht. Aber die gute Tradition läßt sie zum Glück
weiterleben. Das verbindet dann halt die Generationen. Denn schon
unsere Großeltern (von den Urahnen ganz zu schweigen) streckten bei
Ackerbau und Viehzucht oft den gebeugten Rücken, wischten mit dem
schon tausendfach geflickten Ärmel aus selbstgewirktem Linnen den
redlichen Schweiß aus der gramzerfurchten Stirn, stopften sich ein
handgeschnitztes Meerschaumpfeifchen mit Wurzeltabak, riefen die
reiche Kinderschar zu sich und sprachen: "Das Leben mag hart
scheinen und ungerecht, und voller Müh und Plag der Tag. Aber wenn
Ihr dabeiseid, den Mut zu verlieren, dann denkt immer an die Worte
des Herrn Oehmann, die uns die Hoffnung schenken, in jeder Woche
doch auch wieder Lab und Ergötzung zu finden. Die Schönes
verheißen, wenn unser Tagwerk verrichtet ist. So, und nun geht
wieder Steine sammeln auf dem Feld, damit ihr heut' abend was zum
Kauen habt..." Und so - kaum war das Pfeiflein ausgeschmaucht und
in seinem Ledersäcklein verstaut - beugten sie wieder den Rücken
und packten beherzt den Pflug, und taten es aber nun mit einem
Lächeln. Denn im Kopf hatten Sie nun die weisenden Worte des Herrn
Oehmann, und diese Worte waren: "Samstags Fußball, Sonntag
Lindenstraße."
Viel Spaß dabei wünscht Ihnen
Die
Artechock-Redaktion
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