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Der Filmfreund rät...

  02.03.2000
 
 
 
 

"Ja mei, solche Filme werden halt nimmer gemacht..." Jede Wette: Den Satz gibt's am Sonntag Vormittag mindestens einmal zu hören. Und wir werden uns ergänzend dazu denken: "Gott sei Dank!" Sonntag, das ist nämlich Matineen-Tag im Gloria, und Woche für Woche werden da Filme geboten insbesondere für Leute über 60, die sich in ihre cineastischen Jugendjahre zurückversetzt fühlen wollen. Das ist stets eins der eigenwilligeren Kinoerlebnisse, die München zu bieten hat - zumindest für unsereins, die wir diese Veranstaltungen hin und wieder aus filmhistorischem Interesse besuchen. Zwangsweise laufen in der Reihe nämlich überwiegend deutsche Filme, die vornehmlich aus der braunen Zeit bis 45 stammen. Und anders als im Filmmuseum, wo bei entsprechenden Programmen die sich zuverlässig einstellende Riege lediglich auf "gute, saubere Unterhaltung wie damals halt" ausseiender Rentner fast immer in der Minderzahl ist, gibt's im Gloria nicht mal den Anstrich von Distanz oder Kontextualisierung, von Analyse, Abstand, Unwohlsein, Vorsicht. Da wird alles völlig ungebrochen unter dem Vorzeichen "Schöne Filme von einst" gezeigt - ganz ohne Scham und Scheu auch bei der Filmauswahl. Denn nicht, dass Sie glauben, da kämen nur "harmlose" Revuefilme oder so (als ob es sowas gäbe...) - da wird auch gern mal in den Giftschrank gelangt. DER GROSSE KÖNIG war beispielsweise schon zu sehen. Und diese Woche gibt's - man mags kaum glauben - tatsächlich WUNSCHKONZERT. Jawoll, den von 1940. Nach unserem letzten Informationsstand ist der in Deutschland eigentlich nach wie vor für die Aufführung gesperrt - aber das ficht das Gloria offenbar nicht an. (Oder wurde das Verbot mittlerweile aufgehoben? Bitte mailen, wenn wer weiß wann und warum!)
Im Prinzip ist es selbstverständlich völlig bäh, eine solche Nazi-Schmonzette (die damals mit allen "staatspolitisch wertvoll" und sonstwie Prädikaten ausgezeichnet wurde) auf ein unkritisches Publikum loszulassen. Andererseits können wir Ihnen, so Sie denn das nötige Mindestmaß an Distanz und ein Fünkchen Interesse für Filmgeschichte, Propaganda und Politik haben, nur wärmstens empfehlen, diese seltene Gelegenheit wahrzunehmen und sich in die Höhle der Weißhäuptigen, Kahlgeschorenen und Rechtsgescheitelten zu wagen, um sich diesen Film anzuschauen. Schon um zu sehen, wer damals alles munter mit dabei war: Nicht nur Ilse Werner in der Titelrolle, sondern im Wunschkonzert dann der Rühmann Heinz, der Hörbiger Paul, der alte Paprikarsch Marika Rökk und viele andere mehr, darunter auch Mr. "Herr Schaffner, Max-Weber-Platz?" Weiß-Ferdl, der uns mit dem schönen Lied "Zum Glück bin ich kein Intellektueller" erklärt, wie blöd es ist, über Dinge nachzudenken. Ach ja, die gute alte Zeit!
Sehenswert ist der Film aber auch insbesondere wegen seiner Art mit Musik und Raum umzugehen. Da wird auf sehr interessante Weise ein Mythos gebastelt von der raum(über)greifenden Musik, da findet die Landnahme oft genug akustisch statt, da sind die Funkwellen die ersten Angriffswellen. Könnten wir jetzt sehr, sehr viel drüber schreiben, tun wir aber nicht. Sondern sagen nur: Genau hinschauen und -hören, es lohnt sich. (Außer Sie glauben Weiß-Ferdl...)
Wie viele Nazi-Schinken taugt aber WUNSCHKONZERT insbesondere auch als prima Argument gegen Faschismus. Denn glauben Sie uns: Selbst wenn man nichts wüsste über Grauen und Greuel des Nazi-Regimes, selbst wenn man von dem kranken, verqueren Hirnschiss faschistischer Ideologie noch nie ein Wort mitbekommen hätte - Filme wie WUNSCHKONZERT allein wären schon Beleg genug dafür, dass ein Leben im "Dritten Reich" gänzlich unsäglich und unerträglich war. Wenn Sie's nicht glauben, versuchen Sie, die "Gute Nacht, Mutter"-Nummer durchzustehen, ohne dass Sie das kalte Strahlkotzen anfällt. Viel Glück!
(WUNSCHKONZERT: Gloria, So. 11:00)

Ob wir uns denn dereinst sehnsüchtig zurückerinnern werden an die 80er und versonnen sagen "Ja mei, solche Filme werden halt nimmer gemacht..." ist doch eher fraglich: Im Großen und Ganzen sind wir doch ziemlich froh, dass das Jahrzehnt überstanden ist, und halten es für unwahrscheinlich, dass sich diese Einstellung grundlegend ändert. (Jedenfalls wäre es für uns ein sicheres Zeichen von fortgeschrittener Senilität, wenn wir nostalgische Gefühle für John Hughes-Teenie-Komödien entwickelten...) Aber die ein oder andere Perle findet sich dann doch inmitten von Tonnen kindischen Plastikmülls, und zwei der funkelndsten sind diese Woche mal wieder zu sehen: BRAZIL und BLOOD SIMPLE.
Zu BRAZIL was zu sagen fällt schwer, weil uns da immer wieder die Worte fehlen. Der Film ist Terry Gilliams unbestrittenes Meisterwerk, eine filmische Überwältigung ohnegleichen, und wenn Sie ihn schon mal gesehen haben, wissen Sie sowieso, wovon wir reden, und wenn nicht, dann können wir Sie nur fragen: WAAAAAAAAS??????!!!!!!!! WARUM NICHT?! So oder so: Die Chance, den mal wieder auf einer großen Leinwand im Original zu sehen, darf man sich keinesfalls entgehen lassen.
BLOOD SIMPLE ist bekanntlich das Debut der Coen-Brüder - das ganz wunderbar reift und mit zunehmendem Abstand immer klarer als einer der wichtigsten und schönsten Filme der 80er erkennbar wird. Schade, dass es da einen "Director's Cut" brauchte, um den mal wieder auf die Leinwände zu kriegen. Diese neue Fassung ist ein Stück kürzer, was nicht weiter auffällt (die Coens haben dem Rhythmus zuliebe an ein paar Kleinigkeiten herumgeschnipselt, etwas editorisches Finetuning betrieben - keine Angst, es fehlen keine Szenen), hat Dolby-Stereo-Sound, was vollkommen überflüssig ist, und ein paar neue Musikstücke (teils mit völlig deplaziertem afrikanischem Einschlag), was nervt. Trotzdem ist der Film noch fast so schön wie früher und immer ein Wiedersehen (und eine Neuentdeckung sowieso dringendst) wert.
(BRAZIL (OmU): Filmmuseum, Fr./Sa. 20:30;
BLOOD SIMPLE - DIRECTOR'S CUT (OmU): Filmmuseum Fr./Sa. 23:00, Neues Arena tgl. 22:45)

"Ja mei, solche Filme werden bei uns halt nicht gemacht..." könnte man angesichts des indischen Kommerz-Kinos sagen. Oder kennen Sie beispielsweise einen Thriller als knapp dreistündiges Musical? Na eben. KHAUFF (was soviel heißt wie Angst) kommt im Neuen Rottmann und ist ein ebensolcher Krimi mit Tanzeinlagen. Gesehen haben wir ihn selbst noch nicht - wie auch, läuft der doch selbst in Indien gerade erst an. Aber für alle Freunde Bollywoods und solche, die es werden wollen, wollten wir doch drauf hingewiesen haben - so was kriegt man hierzulande ja viel zu selten zu Gesicht, und wenn, dann macht es doch oft erhebliche Mengen Freude.
(KHAUFF (OF): Neues Rottmann, Mo. 14:00, 22:45)

So wie auch... Na ja, Sie wissen's. Solche Sprüche werden halt heute nimmer gemacht. Aber die gute Tradition läßt sie zum Glück weiterleben. Das verbindet dann halt die Generationen. Denn schon unsere Großeltern (von den Urahnen ganz zu schweigen) streckten bei Ackerbau und Viehzucht oft den gebeugten Rücken, wischten mit dem schon tausendfach geflickten Ärmel aus selbstgewirktem Linnen den redlichen Schweiß aus der gramzerfurchten Stirn, stopften sich ein handgeschnitztes Meerschaumpfeifchen mit Wurzeltabak, riefen die reiche Kinderschar zu sich und sprachen: "Das Leben mag hart scheinen und ungerecht, und voller Müh und Plag der Tag. Aber wenn Ihr dabeiseid, den Mut zu verlieren, dann denkt immer an die Worte des Herrn Oehmann, die uns die Hoffnung schenken, in jeder Woche doch auch wieder Lab und Ergötzung zu finden. Die Schönes verheißen, wenn unser Tagwerk verrichtet ist. So, und nun geht wieder Steine sammeln auf dem Feld, damit ihr heut' abend was zum Kauen habt..." Und so - kaum war das Pfeiflein ausgeschmaucht und in seinem Ledersäcklein verstaut - beugten sie wieder den Rücken und packten beherzt den Pflug, und taten es aber nun mit einem Lächeln. Denn im Kopf hatten Sie nun die weisenden Worte des Herrn Oehmann, und diese Worte waren:
"Samstags Fußball, Sonntag Lindenstraße."

Viel Spaß dabei wünscht Ihnen

Die Artechock-Redaktion

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