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Sie gestatten: Diese Woche wollen wir ausnahmsweise einmal den
rhetorischen Mantel des redaktionellen "wir"s lupfen und uns beim
"ich" und Namen nennen. Meine Wenigkeit Thomas Willmann ist's, der
hier zu Ihnen schreibt. Weshalb die unerwartete Demaskierung? Weil
ich Ihnen unbedingt Neil Jordans THE END OF THE AFFAIR
allerwärmstens ans Herz legen möchte und ich mich ausserstande
sehe, es anonym und unpersönlich zu tun - es wäre sonst schlichtweg
feige und an der Sache vorbei. Ich sag's, wie's ist: Der Film
hat mich umgehauen, hat mich getroffen wie schon lange kein Film
mehr, hat mich an seinem Ende buchstäblich sprachlos und zitternd
zurückgelassen. Und ich weiss genau - er wird das weder für alle
Zuschauerinnen und Zuschauer leisten (das sowieso nie), noch für
die meisten. Ich erlaube mir aber, das nicht für die Schuld des
Films zu halten. Man hat dem Film vorgeworfen, nicht zeitgemäß zu
sein - was großer und grober Unsinn ist. Der Film ist in vielerlei
Hinsicht nicht modisch, entscheidet sich bewusst gegen manch
vorherrschenden Trend - gerade das aber macht ihn zu einem
herausragenden Film unserer und für unsere Zeit. Und oft zu einem
Film von zeitloser Größe. Es ist ein Film über die Ganz Großen
Themen, die er wagt ganz ohne jede hippe Ironie, ohne
besserwisserisches Augenzwinkern, selbstgefälliges Lächeln
anzugehen. Es ist ein Film über die Liebe und Gott. (Was bei einer
Graham Greene-Verfilmung jetzt so überraschend auch wieder nicht
sein sollte.) Und obwohl THE END OF THE AFFAIR alles mögliche
Unverfänglichere anböte, über das man auch interessante Dinge
schreiben könnte - sein raffinierter Umgang mit der Chronologie
beispielsweise, oder seine (Selbst-)Reflexionen über Kino und
Literatur - will ich mich hier dem auch stellen. Gibt es Liebe?
DIE Liebe? Oder nur verkleidete Lust zwischen
Lebensabschnittspartnern? THE END OF THE AFFAIR beginnt
unzweifelhaft mit der Lust. Die in dem Film atemberaubend wie eine
Urgewalt spürbar wird, weil sie unter der Oberfläche einer Welt
schwelt, die nur Gediegenheit, Höflichkeit, Stabilität, Sauberkeit
kennt. Die Sprache der Figuren ist gewählt, ihre Kleidung korrekt,
ihr Leben geregelt. Es bedarf des Zweiten Weltkriegs, um in dieses
upper-class-London die feinen Risse zu sprengen, durch die sich die
Leidenschaft Bahn brechen kann. Ein Teil der Größe des Films ist,
dass in dieser Welt so viel unausgesprochen bleiben muss. Und dass
so kleine Gesten, wenige Worte bis zum Bersten gefüllt werden mit
dem Unsagbaren: Eine Berührung der Hände. Ein ungeheuer gewagtes
und doch so unscheinbares, halbgeflüstertes "I love you, you know?"
- das ist der Beginn der Affäre. Neil Jordan läßt die dunklen
Bilder des Films von Innen heraus glühen, läßt sie eine
unwahrscheinliche Hitze entwickeln, die unter dem Dekor, der
starren, noblen Fassade herausstrahlt. Es sind Bilder von Körpern,
die in ihrer Kleidung, in der Ausstattung der Räume gefangen sind -
und die den Ausbruch wagen. Ja, der Krieg, der viel von dieser
Kruste bersten läßt, ist auch Erlösung für diese Menschen. Die
Liebesszenen in THE END OF THE AFFAIR haben eine irrsinnige
Intensität. Sie handeln von der zunehmenden Entdeckung dieser
Körper und sind die sinnlichsten (vielleicht die einzig wirklich
sinnlichen), die ich seit langer Zeit im Kino gesehen habe. In
manchen Sekunden habe ich geglaubt, dass der Film mich nicht nur
sehen und hören macht sondern auch spüren, riechen, schmecken.
Und dann scheint Schluss zu sein mit der Lust, scheint sie sich
verzehrt zu haben - zumindest auf Seiten der Geliebten. Es braucht
einige Zeit bis man anfängt zu begreifen, dass das scheinbare Ende
der Lust in Wirklichkeit die unwiderrufliche Entscheidung zur Liebe
war. THE END OF THE AFFAIR handelt von der traurigen und schönen
Wahrheit, dass Liebe zu jemandem anderen erst da wahrhaftig
beginnt, wo etwas vom Selbst (auf)gegeben werden muss. Dass sie
sich da beweist, wo kein return on investment zu holen ist. Dass
Liebe nicht nur dann wehtun kann, wenn sie enttäuscht wird.
Gibt es Gott? THE END OF THE AFFAIR erlaubt sich den Affront, auf
diese Frage mit "Ja" zu antworten. Dass hat man uns inzwischen
beigebracht als kitschig, naiv, unaufgeklärt, gar peinlich zu
empfinden. In Neil Jordans Film ist es nichts von alledem. Der Film
macht sich die Antwort nicht leicht - und vor allem hat sie für ihn
nicht einfach nur angenehme Konsequenzen. Wenn es THE END OF THE
AFFAIR um Liebe geht, so geht es ihm letzendlich auch um
Gottesliebe - in doppelter Hinsicht: Die Liebe zu Gott und Gottes
Liebe. Beides hat in der katholischen Graham Greene-Welt des
Films nichts Kuscheliges, Schmusiges. Es ist kein Gott, der nur da
ist, wenn man ihn gerade braucht, kein gutmütiger Kumpel. Was gilt,
gilt bedingungslos. Und das macht einerseits Wunder möglich -
fordert aber andererseits auch den vereinbarten Preis. Die
beunruhigendste Botschaft des Films ist vielleicht, dass Gottes
Liebe immer da ist, auch für die, die sie nicht wollen. Der letzte
Satz in THE END OF THE AFFAIR ist von einer unendlichen Bitterkeit
und möglicherweise von einer ebenso unendlichen Tröstlichkeit
erfüllt. Vielleicht ist es mit Gott - in guter wie in schlechter
Hinsicht - wie mit dem Fleischhauer Oskar in Horváths "Geschichten
aus dem Wiener Wald", der sagt: "Du wirst meiner Liebe nicht
entgehen." (THE END OF THE AFFAIR (OF): Museum Lichtspiele,
tgl. 17:35, So. auch 10:35)
So, und nun atmen wir alle tief durch, und ich verstecke mich
wieder hinter dem redaktionellen "wir" und sage "Pay no attention
to the man behind the curtain". Ein paar andere Filme wollte ich -
ääh..., wollten wir zumindest nicht unerwähnt lassen. Als sie da
wären: EKSPRES, EKSPRES - für den wir keinerlei Garantie
übernehmen, aber was wir drüber gelesen haben klang sehr
vielversprechend, und wir wollten Sie zumindest ausdrücklich drauf
aufmerksam gemacht haben, dass der jetzt angelaufen ist. Dann
PLAYTIME von Jacques Tati, für den wir jedwede gewünschte Garantie
übernehmen, denn der ist schlichtweg großartig - vielleicht sowas
wie das cineastische Äquivalent eines späten Beethoven-Scherzos,
jedenfalls filmische Kompositionskunst und Humor vom Allerfeinsten
und Tiefgründigsten und überhaupt... Kein anderer Regisseur hat so
konsequent das komödiantische Potential von Rhythmus, Bewegung und
Klang ausgereizt wie Tati, und selten hat jemand einen solch
aussenstehenden, befremdeten Blick auf unsere Welt bewahrt, ohne
dabei denunziatorisch oder zynisch zu werden. Chapeau, Monsieur
Hulot! Und schließlich wäre noch IRMA VEP zu empfehlen - wo wir
Ihnen die Wahl lassen, warum: a) Weil der Film manch Interessantes
zum Verhältnis europäisches und amerikanisches Kino und zum
schweren Stand von Nicht-Mainstream Ästhetiken zu sagen hat; b)
weil er eine recht schöne Hommage an Louis Feuillades äußerst
schönes Stummfilm-Serial LES VAMPIRES ist; oder c) weil man darin
lange dabei zugucken darf, wie die wunderbare Maggie Cheung im
hautengen, schwarzen Latex-Outfit herumrennt. Gute Gründe
allesamt. (EXPRESS, EXPRESS: Maxim, tgl. 21:00; Lupe 2, tgl.
20:00; PLAYTIME (OF): Filmmuseum, Fr./Sa. 20:30; IRMA VEP
(OmU): Filmmuseum, Fr./Sa. 23:00)
Und schließlich wollen wir auch diese Woche selbstverständlich
jenen Herren zu Wort kommen lassen, der es hier noch nie für
notwendig befand, sich hinter irgendwelchen Ersten Person-Plurals,
Pseudonymen oder Palindromen zu verstecken. Der für seine
Empfehlungen schon immer mit seinem guten Namen geradestand und
auch allen Grund hat, das zu tun. Denn wer sollte nicht von Stolz
erfüllt sein, wenn er als Quelle dieser zeitlosen Worte genannt
wird: "Samstags Fußball, Sonntag Lindenstraße."
Viel Spaß dabei wünscht Ihnen,
Die
Artechock-Redaktion
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