"War ich ein guter Kritiker? Ich weiß es nicht. Ich weiß
aber, daß ich immer auf der Seite der Ausgepfiffenen gegen
die Auspfeifer war, und das mein Vergnügen oft anfing, wo
das meiner Kollegen aufhörte: Bei Renoirs Stilbrüchen, bei
Welles' Exzessen, bei Cocteaus Anachronismen." - wie einige
seiner späteren Nouvelle Vague-Mitstreiter begann Francois
Truffaut seine Kinolaufbahn in den 50er Jahren als Filmkritiker.
In der Auseinandersetzung mit den Werken anderer fand er zu
seinem eigenen Stil, und entwickelte einige der filmischen
Methoden, durch die er später selbst in die Filmgeschichte
einging.
Wenige Regisseure waren wie Truffaut zugleich auch große
Analytiker des Kinos, Rationalisten des Sehens und Aufklärer,
wenn es darum ging, im scheinbar nur Neuen und Provokativen
das Bleibende zu erkennen. So entdeckte er Alfred Hitchcocks
Werk wieder für das europäische Kino, als man hierzulande
keinen Sinn für dessen psychologische Spielereien hatte: "Hitchcock
will unser Gefühl mobilisieren" heißt es in einem Band mit
Truffauts "Schriften über Film", der soeben auf
Deutsch erschienen ist. Andere Essays handel unter anderem
von Charlie Chaplin, Woody Allen oder Roberto Rosselini, und
natürlich immer wieder vom französischen Kino, in das Truffaut
auch als er längst ein etablierter Regisseur war, häufig durch
leidenschaftliche Debattenbeiträge und Polemiken eingriff.
So findet man hier auch Truffauts wohl berühmtesten Aufsatz:
"Über eine gewisse Tendenz im französischen Film" schrieb
er 1954 und begann damit eine scharfe Auseinandersetzung mit
den Film-Traditionalisten seiner Heimat, die schließlich in
den Gegenentwurf der Nouvelle Vague mündete.
In der ausgezeichneten, sehr informativen Biografie Truffauts
durch Antoine de Braecque und Serge Toubiana - in Frankreich längst
ein Standardwerk - kann man auch den Menschen Truffaut näher
kennenlernen. Außerhalb des Kinos war Truffaut ein sehr
'bürgerlicher', eher schüchterner Mensch. "Warum ich der
glücklichste Mensch auf Erden bin" schrieb er 1969 in einem seiner
wenigen autobiografischen Texte, und feierte - zur Hochzeit der
Studentenrevolte und des 'politischen' Films - nichts anderes als
die nackte Lust am Filmemachen: "Einen Film zu machen, heißt das
Leben zu verbessern, es nach seiner Facon zu arrangieren, das heißt
auch die Spiele der Kindheit zu verlängern". Weil er so dachte -
verbessern und spielen - wurde Truffauts Kino auch für uns
Zuschauer immer zur Rückkehr in das Glück der Kindheit.
Rüdiger
Suchsland
Francois Truffaut: "Die Lust am Sehen", Verlag der Autoren,
Frankfurt 1999 414 Seiten, 44 Mark Antoine de Braecque/Serge
Toubiana: Francois Truffaut, vgs-Verlag; Köln 1999, 720 Seiten. 78
Mark
|