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29.03.2000
 
 
   
 

Hi Edgy!
Oscar 2000

 
"This is the highlight of my day...
     
 
 
 
 

Okay, okay, ich geb's ja zu: Ich hab's wieder getan. Ich hab' sie mir angeschaut, die blöde Oscar-Verleihung.
Aber ich hab' eine gute Ausrede: Ich musste in der Nacht noch was fertigschreiben, und da hab' ich einfach nebenbei den Fernseher laufenlassen, als etwas tröstliche Gesellschaft beim nächtlichen Werke, und um hin und wieder etwas Ablenkung zu haben.
Und außerdem wollte ich unbedingt sehen, wie "Blame Canada!" aus SOUTH PARK - BIGGER, LONGER & UNCUT auf die Bühne gebracht würde - was Robin Williams dann zwar ohne Stimme, aber mit Verve und nettem Ballett gut hingekriegt hat.
Aber glauben Sie bloß nicht, dass ich jetzt anfange vonwegen: Der Oscar war verdient, und der nicht, und der oder die hätte ihn kriegen sollen. No way. Wer sich auf dieses Spielchen einläßt, hat ja von vornherein verloren, weil man damit diesem glatzköpfigen Goldbubi doch eine Bedeutung zugesteht als wahre Auszeichnung von künstlerischer Leistung. As if...!
Ein dämlicher Schmuh und Schmäh ist's, in dem's vor allem um Geld geht und dann darum, dass Mainstream-Hollywood mal wieder alles zementiert, was ihm so wichtig ist. (Und das fängt nicht erst bei der Vergabe-Entscheidung an, sondern selbstverständlich schon bei der Auswahl der preiswürdigen Kategorien an sich und der ganzen Inszenierung ihrer abgestuften Wichtigkeit.)
Man hat ja wie üblich es gleich mal unterlassen, fast alle wirklich wichtigen Filme des vergangenen Jahrs überhaupt zu nominieren, oder es in genug und den richtigen Kategorien zu tun. Wo waren denn EYES WIDE SHUT, BRINGING OUT THE DEAD, FIGHT CLUB, THE STRAIGHT STORY, THE END OF THE AFFAIR, SLEEPY HOLLOW und, und, und...
Aber nein, wie gesagt, damit will ich nicht anfangen, weil man damit dem Ganzen ja doch wieder Gewicht beimisst, das es eigentlich nicht hat.
(Wobei: Das "Blame Canada!" wenig Chancen auf den Song-Oscar hatte, war mir ja klar. Aber warum, warum, oh warum nur musste ausgerechnet diese Geißel der Menschheit Phil Collins mit der Statue bedacht werden? (Wir sprechen hier übrigens nicht von Phil Collins, dem Drummer auf frühen Genesis-Alben wie "Selling England by the Pound", sondern von der quallende Schleim-Ströme von Sozialpädagogen-Pop verströmenden Knallschote, gegen den ihn irgendwelche körperfressenden Aliens mal ausgetauscht haben müssen.) Aber nun wirklich genug...)

Nein, wirklich gar nichts zu den Preisen selbst. Ich wollte nur zur Inszenierung des Ganzen was sagen, was ich auf verquere Weise sehr schön fand.
Wobei, vorher: Das müsste ich noch erwähnen, obwohl's dann doch mit einer Oscar-Entscheidung zu tun hatte, wenn auch nur indirekt. Zwengs Hillary Swank. Der ihr Academy Award tausendmal vergönnt sei, aber: War ich da der Einzige, der oder die's seltsam fand, dass dieser Preis gleich auch als eine Art später Sieg, nachträgliche Gerechtigkeit für Brandon Teena gesehen wurde - wo er doch immer so schön und streng getrennt nach Weibchen und Männchen vergeben wird (und die Männchen, weil sie wichtiger sind und mehr Kohle kriegen, ihren immer nach den Weibchen, näher am Höhepunkt der Show bekommen). Bei dieser Zeremonie, wo alle Männlein fein im Frack aufzukreuzen haben und die Weiblein - aufgetakelt und hingeschminkt - in möglichst ihre "weiblichen Reize" zur Schau stellenden Designer-Fummeln einherzustelzen, über die dann lang und breit berichtet und diskutiert wird. Sieht sonst niemand diese ganze Veranstaltung auch als heftige Produktionsstätte für genau jene kulturellen Geschlechterbilder, an denen Brandon Teena zugrunde gegangen ist? Nein? Ich hab's befürchtet...
Deswegen also jetzt schnurstracks zum eigentlichen Punkt dieser Ausführungen, nämlich zu...
Ach so, nein, Moment. Ich will zwar gleich erzählen, was ich schön fand an der diesjährigen Oscar-Verleihung. Aber da gibt's vorher noch was anderes, was ich auch schön fand... also eigentlich zwei Sachen. Und die verzapf ich jetzt lieber auch noch vorher, damit wir sie aus dem Weg haben. Da besteht nämnlich die Gefahr, dass Sie mich gleich für einen fiesen Zyniker halten, einen Menschenverachter womöglich, einen Sünder wider jegliche political correctness. Aber so ist's nicht, und so ist's auch ganz und gar nicht gemeint. Ich kann mir nur nicht helfen: Willie Folgear und Dan Keplinger fand ich toll. Willie Folgear, das ist der Müllklauber, der die entwendeten Oscar-Statuen da gefunden hat, wo sie hingehören, in der Mülltonne nämlich, und sie dummerweise rausgeholt hat. (Jetzt klau' ich auch ein bißchen, nämlich einen Witz, aber Sie werden's hoffentlich nicht merken. Es muss einfach sein, ich find' ihn zu nett.) Sein Glück, dass das L.A.P.D. nicht selbst auf die Idee gekommen ist, da zu suchen - jedes Sesamstraße schauende Kind hätte ihnen sagen können, dass Oscar in der Mülltonne ist. (Na, war doch nett, oder?) Jedenfalls hat er so $50.000 Belohnung kassieren und zwei von den heißbegehrten Tickets für die Award-Zeremonie ergattern können. Und wie dieser arme Mann, normal einer der Untersten der Unteren, auf den jeder der sonst Anwesenden die Wachhunde oder den Sichherheitsdienst loshetzten würde, wenn er ihrem Beverly Hills- oder Brentwood-Grundstück zu nahe käme, da inmitten der Reichen und Schönen saß, weil er ihnen ihre güldenen Jungens aus dem Container gefischt hat - das hatte was sehr Witziges und sehr Gruseliges zugleich.
Dan Keplinger, und da wird's jetzt wirklich heikel, war der spastisch gelähmte Mann, über den die prämierte Kurz-Doku KING GIMP gedreht worden war. Und auch wenn ich weiß, dass es nicht okay ist, aber: Wie der bei der Verkündung der Auszeichnung einen Freuden(?)-Anfall bekam und aus seinem Rollstuhl rauszuckte, -krampfte, spastelte, das hat mir in diesem Kontext gefallen. Weil's ein so herrlicher und herrlich peinlicher Kontrast zu dem ganzen Glamour war (der ja immer eine gigantische Verdrängungsleistung darstellt), so ein schöner Moment von return of the repressed, zu dem alle auch noch höflich und gerührt lächeln und klatschen mussten. Und weil's was hatte von einer unfreiwilligen Parodie auf die einstudierten Paroxysmen, denen sich die Geehrten immer hinzugeben haben - ich sage nur: Paltrow und Benigni.
(Sehen Sie, ich wußte, dass Sie mich nun für einen Zyniker halten würden...)

Jetzt aber zu dem Punkt, zu dem ich schon die ganze Zeit kommen möchte.
Obwohl: Dann komm' ich womöglich gar nicht mehr dazu, die phänomenale Leistung des Pro7-Teams hinreichend zu würdigen. Und das wäre schade. Denn fanden Sie nicht auch, dass das mit Abstand Lustigste und Unterhaltsamste an dieser drögesten aller drögen, vorhersehbarste aller vorhersehbaren Oscar-Verleihungen die deutschen Einsprengsel während der Werbepausen waren? Großartig, wieviel Wege der junge Herr im Münchner Studio immer wieder fand, nichts zu sagen. Und uns Stunde um Stunde immer wieder wissen zu lassen, dass es "JETZT" endlich richtig spannend würde. Wie er vergaß, der verhaltensblonden Susan Atwell vereinbarte Fragen als Einstieg zu stellen. Und sie sich dadurch nicht davon abhalten ließ, die trotzdem einfach mal zu beantworten. Überhaupt: Susan Atwell, "LIVE VOR ORT IN HOLLYWOOD, HAUTNAH BEI DEN STARS". Die auf irgendeinem Dach in L.A. rumstand, die Verleihung genauso am Monitor guckte wie wir alle, und ganz spontan der deutschen Sprache grausame Dinge antat. Wenn Pro7 schlau war, dann haben sie wenigstens die Flugkosten gespart und das ganze in Unterföhring vor der Greenscreen gedreht.
Von der Zusammenfassung am Montag abend hab' ich leider(?) nur ein ganz kleines Stück des Anfangs gesehen. Aber das deutete auch auf Großes hin. Es war die Stelle, als Billy Crystal im Eröffnungsmonolog gerade einen etwas provokanten Witz gemacht hatte und das pseudo-schockierte Lachen des Publikums als Anlaß zu dem Kommentar nahm: "All right, edgy!"
Was soviel heißt wie: "Jaaaa, provokant!"
Die Regie schnitt in dem Moment auf den als Bester Nebendarsteller nominierten Michael Clarke Duncan aus THE GREEN MILE, der lachte und applaudierte. Was die Übersetzer bei Pro7 wiederum zu einer grandiosen Fehlleistung veranlasste. "All right, edgy!" wurde zu "Hi, Edgy!", einem Gruß von Billy Crystal an Duncan, der sich über seinen neuen Namen bestimmt freuen würde.
(Wer mehr von der Sendung gesehen hat und weitere Übersetzungsschnitzer oder Stilblüten gepflückt, der oder die kann sie mir übrigens gerne mailen.)

Aber auch davon genug und jetzt endlich, endlich zu dem, was mir eigentlich am besten gefallen hat. War es nicht richtig klasse, wie panisch man dieses Jahr darauf bedacht war, die vorgesehene Sendezeit nicht zu überziehen? Klar, man war da von den immer ausufernderen Shows der letzten Jahre traumatisiert, deren Dauer selbst Rivette-Werke wie Kurzfilme wirken ließ. Aber irgendwie hat man diesmal versucht, am falschen Ende zu sparen - und ich fand's gut so. Denn dieses strikte Zeitlimit, das für die Danksagungen nur noch zugestanden wurde, fing wunderbar an, die angeblich ach so große Bedeutung des Ganzen zu untergraben. Statt wie üblich den Moment mit der Trophäe in der Hand auskosten zu dürfen und ihn zum größten Moment des Lebens stilisieren zu können, statt Tränen und vor Rührung inkohärenter Dankesreden gab's fast nur noch Leute, die mit stierem, angsterfüllten Blick auf die Uhr ihre einkaufszettelartigen Namenslisten runterratterten, die die Sache abhaken wollten, möglichst ohne irgendwen durch Nicht-Nennung sauer zu machen. Das hatte was von Fließband, von "da hast Du das Ding, und jetzt halt möglichst bald das Maul". Das war schon richtig subversiv und selbst-demontierend, wie da die angeblich tollste, schönste, größte Auszeichnung der Filmwelt, die angeblich krönende Anerkennung einer kreativen Leistung, zu etwas wurde, das man (frisch aus der Mülltonne) jeder Menge Leute in die Hand drückt, um etwas spannungssteigernden Vorlauf zu haben für die letzten vier Kategorien. Und selbst in denen schien schon die Ehrlichkeit durch des Gefühls von: Ob und wie sich wer freut oder geehrt fühlt von dem Ding ist doch egal, es geht nur darum, nachher nochmal einen Schwung Kinokarten mehr verkaufen zu können, weil man "Ausgezeichnet mit x Oscars" auf's Plakat drucken kann. Hauptsache die Oschis sind verliehen, und man bleibt in der Zeit, dass sich die Werbekunden der nachfolgenden Sendungen nicht ärgern.
Das ließe sich doch prima auch noch ausbauen in den nächsten Jahren. Wie wär's nicht nur mit einem noch strikteren Zeitlimit, sondern auch mit einem Namenslimit? Nur noch drei Leuten darf gedankt werden! Und wir bekommen dabei alle zu sehen, die der Meinung sind, sie müßten auf dieser kurzen Liste sein! Das wäre wie eine Presiverleihung in der Preisverleihung! Das entsetzte Gesicht der übergangenen Ehefrau, das triumphiernde Grinsen der Mutter; das fiese, gekniffene "Du sieh zu, ob Du von mir nochmal Geld bekommst"-Lächeln des nicht genannten Produzenten, das zufriedene "Okay, diesmal bleiben die Bilder mit Dir, der Zwölfjährigen und dem Schäferhund noch in meinem Safe"-Strahlen des so eloquent gewürdigten Kameramanns.
Ach, da gäb's tolle Möglichkeiten, da könnte ich Ihnen gleich tausend Sachen...
Aber ich sehe gerade: Mein Platz ist um. Ich muss hier schließen. Aber nicht, ohne meinem Arsch zu danken. Ohne den ich heute abend hier nicht sitzen würde.
Wiedersehen.

Thomas Willmann

Weiteren Oscar Small Talk gibt's im Forum.

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