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Okay, okay, ich geb's ja zu: Ich hab's wieder getan. Ich hab' sie
mir angeschaut, die blöde Oscar-Verleihung. Aber ich hab' eine
gute Ausrede: Ich musste in der Nacht noch was fertigschreiben, und
da hab' ich einfach nebenbei den Fernseher laufenlassen, als etwas
tröstliche Gesellschaft beim nächtlichen Werke, und um hin und
wieder etwas Ablenkung zu haben. Und außerdem wollte ich
unbedingt sehen, wie "Blame Canada!" aus SOUTH PARK - BIGGER,
LONGER & UNCUT auf die Bühne gebracht würde - was Robin
Williams dann zwar ohne Stimme, aber mit Verve und nettem Ballett
gut hingekriegt hat. Aber glauben Sie bloß nicht, dass ich
jetzt anfange vonwegen: Der Oscar war verdient, und der nicht, und
der oder die hätte ihn kriegen sollen. No way. Wer sich auf dieses
Spielchen einläßt, hat ja von vornherein verloren, weil man damit
diesem glatzköpfigen Goldbubi doch eine Bedeutung zugesteht als
wahre Auszeichnung von künstlerischer Leistung. As if...! Ein
dämlicher Schmuh und Schmäh ist's, in dem's vor allem um Geld geht
und dann darum, dass Mainstream-Hollywood mal wieder alles
zementiert, was ihm so wichtig ist. (Und das fängt nicht erst bei
der Vergabe-Entscheidung an, sondern selbstverständlich schon bei
der Auswahl der preiswürdigen Kategorien an sich und der ganzen
Inszenierung ihrer abgestuften Wichtigkeit.) Man hat ja wie
üblich es gleich mal unterlassen, fast alle wirklich wichtigen
Filme des vergangenen Jahrs überhaupt zu nominieren, oder es in
genug und den richtigen Kategorien zu tun. Wo waren denn EYES WIDE
SHUT, BRINGING OUT THE DEAD, FIGHT CLUB, THE STRAIGHT STORY, THE
END OF THE AFFAIR, SLEEPY HOLLOW und, und, und... Aber nein,
wie gesagt, damit will ich nicht anfangen, weil man damit dem
Ganzen ja doch wieder Gewicht beimisst, das es eigentlich nicht
hat. (Wobei: Das "Blame Canada!" wenig Chancen auf den
Song-Oscar hatte, war mir ja klar. Aber warum, warum, oh warum nur
musste ausgerechnet diese Geißel der Menschheit Phil Collins mit
der Statue bedacht werden? (Wir sprechen hier übrigens nicht von
Phil Collins, dem Drummer auf frühen Genesis-Alben wie "Selling
England by the Pound", sondern von der quallende Schleim-Ströme von
Sozialpädagogen-Pop verströmenden Knallschote, gegen den ihn
irgendwelche körperfressenden Aliens mal ausgetauscht haben
müssen.) Aber nun wirklich genug...)
Nein, wirklich gar nichts zu den Preisen selbst. Ich wollte nur
zur Inszenierung des Ganzen was sagen, was ich auf verquere Weise
sehr schön fand. Wobei, vorher: Das müsste ich noch erwähnen,
obwohl's dann doch mit einer Oscar-Entscheidung zu tun hatte, wenn
auch nur indirekt. Zwengs Hillary Swank. Der ihr Academy Award
tausendmal vergönnt sei, aber: War ich da der Einzige, der oder
die's seltsam fand, dass dieser Preis gleich auch als eine Art
später Sieg, nachträgliche Gerechtigkeit für Brandon Teena gesehen
wurde - wo er doch immer so schön und streng getrennt nach Weibchen
und Männchen vergeben wird (und die Männchen, weil sie wichtiger
sind und mehr Kohle kriegen, ihren immer nach den Weibchen, näher
am Höhepunkt der Show bekommen). Bei dieser Zeremonie, wo alle
Männlein fein im Frack aufzukreuzen haben und die Weiblein -
aufgetakelt und hingeschminkt - in möglichst ihre "weiblichen
Reize" zur Schau stellenden Designer-Fummeln einherzustelzen, über
die dann lang und breit berichtet und diskutiert wird. Sieht sonst
niemand diese ganze Veranstaltung auch als heftige
Produktionsstätte für genau jene kulturellen Geschlechterbilder, an
denen Brandon Teena zugrunde gegangen ist? Nein? Ich hab's
befürchtet... Deswegen also jetzt schnurstracks zum
eigentlichen Punkt dieser Ausführungen, nämlich zu... Ach so,
nein, Moment. Ich will zwar gleich erzählen, was ich schön fand an
der diesjährigen Oscar-Verleihung. Aber da gibt's vorher noch was
anderes, was ich auch schön fand... also eigentlich zwei Sachen.
Und die verzapf ich jetzt lieber auch noch vorher, damit wir sie
aus dem Weg haben. Da besteht nämnlich die Gefahr, dass Sie mich
gleich für einen fiesen Zyniker halten, einen Menschenverachter
womöglich, einen Sünder wider jegliche political correctness. Aber
so ist's nicht, und so ist's auch ganz und gar nicht gemeint. Ich
kann mir nur nicht helfen: Willie Folgear und Dan Keplinger fand
ich toll. Willie Folgear, das ist der Müllklauber, der die
entwendeten Oscar-Statuen da gefunden hat, wo sie hingehören, in
der Mülltonne nämlich, und sie dummerweise rausgeholt hat. (Jetzt
klau' ich auch ein bißchen, nämlich einen Witz, aber Sie werden's
hoffentlich nicht merken. Es muss einfach sein, ich find' ihn zu
nett.) Sein Glück, dass das L.A.P.D. nicht selbst auf die Idee
gekommen ist, da zu suchen - jedes Sesamstraße schauende Kind hätte
ihnen sagen können, dass Oscar in der Mülltonne ist. (Na, war doch
nett, oder?) Jedenfalls hat er so $50.000 Belohnung kassieren und
zwei von den heißbegehrten Tickets für die Award-Zeremonie
ergattern können. Und wie dieser arme Mann, normal einer der
Untersten der Unteren, auf den jeder der sonst Anwesenden die
Wachhunde oder den Sichherheitsdienst loshetzten würde, wenn er
ihrem Beverly Hills- oder Brentwood-Grundstück zu nahe käme, da
inmitten der Reichen und Schönen saß, weil er ihnen ihre güldenen
Jungens aus dem Container gefischt hat - das hatte was sehr
Witziges und sehr Gruseliges zugleich. Dan Keplinger, und da
wird's jetzt wirklich heikel, war der spastisch gelähmte Mann, über
den die prämierte Kurz-Doku KING GIMP gedreht worden war. Und auch
wenn ich weiß, dass es nicht okay ist, aber: Wie der bei der
Verkündung der Auszeichnung einen Freuden(?)-Anfall bekam und aus
seinem Rollstuhl rauszuckte, -krampfte, spastelte, das hat mir in
diesem Kontext gefallen. Weil's ein so herrlicher und herrlich
peinlicher Kontrast zu dem ganzen Glamour war (der ja immer eine
gigantische Verdrängungsleistung darstellt), so ein schöner Moment
von return of the repressed, zu dem alle auch noch höflich und
gerührt lächeln und klatschen mussten. Und weil's was hatte von
einer unfreiwilligen Parodie auf die einstudierten Paroxysmen,
denen sich die Geehrten immer hinzugeben haben - ich sage nur:
Paltrow und Benigni. (Sehen Sie, ich wußte, dass Sie mich nun
für einen Zyniker halten würden...)
Jetzt aber zu dem Punkt, zu dem ich schon die ganze Zeit kommen
möchte. Obwohl: Dann komm' ich womöglich gar nicht mehr dazu,
die phänomenale Leistung des Pro7-Teams hinreichend zu würdigen.
Und das wäre schade. Denn fanden Sie nicht auch, dass das mit
Abstand Lustigste und Unterhaltsamste an dieser drögesten aller
drögen, vorhersehbarste aller vorhersehbaren Oscar-Verleihungen die
deutschen Einsprengsel während der Werbepausen waren? Großartig,
wieviel Wege der junge Herr im Münchner Studio immer wieder fand,
nichts zu sagen. Und uns Stunde um Stunde immer wieder wissen zu
lassen, dass es "JETZT" endlich richtig spannend würde. Wie er
vergaß, der verhaltensblonden Susan Atwell vereinbarte Fragen als
Einstieg zu stellen. Und sie sich dadurch nicht davon abhalten
ließ, die trotzdem einfach mal zu beantworten. Überhaupt: Susan
Atwell, "LIVE VOR ORT IN HOLLYWOOD, HAUTNAH BEI DEN STARS". Die auf
irgendeinem Dach in L.A. rumstand, die Verleihung genauso am
Monitor guckte wie wir alle, und ganz spontan der deutschen Sprache
grausame Dinge antat. Wenn Pro7 schlau war, dann haben sie
wenigstens die Flugkosten gespart und das ganze in Unterföhring vor
der Greenscreen gedreht. Von der Zusammenfassung am Montag
abend hab' ich leider(?) nur ein ganz kleines Stück des Anfangs
gesehen. Aber das deutete auch auf Großes hin. Es war die Stelle,
als Billy Crystal im Eröffnungsmonolog gerade einen etwas
provokanten Witz gemacht hatte und das pseudo-schockierte Lachen
des Publikums als Anlaß zu dem Kommentar nahm: "All right,
edgy!" Was soviel heißt wie: "Jaaaa, provokant!" Die Regie
schnitt in dem Moment auf den als Bester Nebendarsteller
nominierten Michael Clarke Duncan aus THE GREEN MILE, der lachte
und applaudierte. Was die Übersetzer bei Pro7 wiederum zu einer
grandiosen Fehlleistung veranlasste. "All right, edgy!" wurde zu
"Hi, Edgy!", einem Gruß von Billy Crystal an Duncan, der sich über
seinen neuen Namen bestimmt freuen würde. (Wer mehr von der
Sendung gesehen hat und weitere Übersetzungsschnitzer oder
Stilblüten gepflückt, der oder die kann sie mir übrigens gerne
mailen.)
Aber auch davon genug und jetzt endlich, endlich zu dem, was mir
eigentlich am besten gefallen hat. War es nicht richtig klasse, wie
panisch man dieses Jahr darauf bedacht war, die vorgesehene
Sendezeit nicht zu überziehen? Klar, man war da von den immer
ausufernderen Shows der letzten Jahre traumatisiert, deren Dauer
selbst Rivette-Werke wie Kurzfilme wirken ließ. Aber irgendwie hat
man diesmal versucht, am falschen Ende zu sparen - und ich fand's
gut so. Denn dieses strikte Zeitlimit, das für die Danksagungen nur
noch zugestanden wurde, fing wunderbar an, die angeblich ach so
große Bedeutung des Ganzen zu untergraben. Statt wie üblich den
Moment mit der Trophäe in der Hand auskosten zu dürfen und ihn zum
größten Moment des Lebens stilisieren zu können, statt Tränen und
vor Rührung inkohärenter Dankesreden gab's fast nur noch Leute, die
mit stierem, angsterfüllten Blick auf die Uhr ihre
einkaufszettelartigen Namenslisten runterratterten, die die Sache
abhaken wollten, möglichst ohne irgendwen durch Nicht-Nennung sauer
zu machen. Das hatte was von Fließband, von "da hast Du das Ding,
und jetzt halt möglichst bald das Maul". Das war schon richtig
subversiv und selbst-demontierend, wie da die angeblich tollste,
schönste, größte Auszeichnung der Filmwelt, die angeblich krönende
Anerkennung einer kreativen Leistung, zu etwas wurde, das man
(frisch aus der Mülltonne) jeder Menge Leute in die Hand drückt, um
etwas spannungssteigernden Vorlauf zu haben für die letzten vier
Kategorien. Und selbst in denen schien schon die Ehrlichkeit durch
des Gefühls von: Ob und wie sich wer freut oder geehrt fühlt von
dem Ding ist doch egal, es geht nur darum, nachher nochmal einen
Schwung Kinokarten mehr verkaufen zu können, weil man
"Ausgezeichnet mit x Oscars" auf's Plakat drucken kann. Hauptsache
die Oschis sind verliehen, und man bleibt in der Zeit, dass sich
die Werbekunden der nachfolgenden Sendungen nicht ärgern. Das
ließe sich doch prima auch noch ausbauen in den nächsten Jahren.
Wie wär's nicht nur mit einem noch strikteren Zeitlimit, sondern
auch mit einem Namenslimit? Nur noch drei Leuten darf gedankt
werden! Und wir bekommen dabei alle zu sehen, die der Meinung sind,
sie müßten auf dieser kurzen Liste sein! Das wäre wie eine
Presiverleihung in der Preisverleihung! Das entsetzte Gesicht der
übergangenen Ehefrau, das triumphiernde Grinsen der Mutter; das
fiese, gekniffene "Du sieh zu, ob Du von mir nochmal Geld
bekommst"-Lächeln des nicht genannten Produzenten, das zufriedene
"Okay, diesmal bleiben die Bilder mit Dir, der Zwölfjährigen und
dem Schäferhund noch in meinem Safe"-Strahlen des so eloquent
gewürdigten Kameramanns. Ach, da gäb's tolle Möglichkeiten, da
könnte ich Ihnen gleich tausend Sachen... Aber ich sehe gerade:
Mein Platz ist um. Ich muss hier schließen. Aber nicht, ohne meinem
Arsch zu danken. Ohne den ich heute abend hier nicht sitzen
würde. Wiedersehen.
Thomas
Willmann
Weiteren Oscar Small Talk gibt's im Forum.
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