Versucht man zu ergründen, was den Film MAGNOLIA von P. T.
Anderson so einzigartig macht, muss man zwangsläufig über die
großartigen Darsteller darin reden. Man könnte etwa den großen,
alten Jason Robards erwähnen, oder William H. Macy, der sich
langsam einen ähnlichen Status wie Kevin Spacey erspielt. Natürlich
muss man über Tom Cruise in einer sehr ungewohnten Rolle sprechen
und über Julianne Moore, die in den Medien momentan allgegenwärtig
ist, und erwähnenswert ist sicher auch Jeremy Blackman, der als
geniales Quiz - Show - Kid gefährlich am Thron von Haley Joel
Osment sägt. Neben all diesen Jung,- Alt, Super-, Underground- und
Insiderstars übersieht man schnell den Schauspieler Philip Seymour
Hoffman, dessen Gesicht einem immer wieder begegnet, mit dem man
aber nie einen Namen verbinden kann. Am Ende dieses Artikels hat
sich das hoffentlich geändert.
Selbst als konventioneller Kinogeher hatte man in Filmen wie DER
DUFT DER FRAUEN, WHEN A MAN LOVES A WOMAN, THE GETAWAY (1994)
TWISTER oder gar PATCH ADAMS die Möglichkeit, sich mit der
Schauspielkunst P. S. Hoffman bekannt zu machen. Weitaus
interessanter sind naturgemäß seine Rollen in weniger kommerziellen
Filmen, wie jetzt in MAGNOLIA, wobei gerade dieser Film dahingehend
eine Ausnahme bildet, dass man diesen Phil Parma, den er darin
spielt, ausnahmsweise nicht verachtet.
Genau das tut man aber z.B. mit Officer Raymer, den Hoffman in
Robert Bentons wunderbaren NOBODY’S FOOL darstellt. Raymer ist ein
kleiner, spießiger Polizist mit einem Hang zum Überreagieren, der
als einziger Bewohner der gesamten Stadt (einschließlich des
Charakters von Bruce Willis !) so etwas wie Nervosität zu besitzen
scheint. Die Abneigung gegen Officer Raymer ist nicht leicht zu
erklären, da er nicht einmal ein selbstherrlicher Despot wie manch
anderer Machocop ist; nein das nun wirklich nicht. Man mag ihn
einfach nicht, und aus. Ebensowenig mag man Scotty, den
übergewichtigen, schwitzenden und ungepflegten Assistenten in
BOOGIE NIGHTS. Genau so stellt man sich jemanden vor, der sein
Hobby zum Beruf gemacht hat und nun in der Pornoindustrie arbeitet.
Ein kleiner Perverser und Spanner, der zu einer normalen Beziehung
nicht in der Lage ist. Für die meisten Protagonisten in BOOGIE
NIGHTS bringt man dabei einige Sympathie auf, da sie im Grunde arme
Schweine sind (man versteht sogar den Amoklauf von William H.
Macy). Und eigentlich ist dieser Scotty, der mit seiner latenten
Homosexualität zu kämpfen hat, auch ein solch armes Schwein, doch
als er seinem großen Schwarm Dirk Diggler seine Liebe gesteht, ist
man abgestoßen. Man mag diesen Scotty einfach nicht, so ungerecht
das auch sein mag. Ebensowenig mag man Brandt, den schleimigen
Butler des reichen Mr. Lebowskis, aus THE BIG LEBOWSKI. Wie die
Fleischwerdung des ständig kriechenden Mr. Smithers aus den
Simpsons begegnet Brandt jeder noch so unangenehmen Situation mit
einem widerlichen Dauerlächeln und läßt keinen Zweifel darüber,
dass man einen eigenen Charakter bei ihm vergeblich sucht. Man mag
diesen Brandt nicht, darüber besteht kein Zweifel. Ebensowenig
mag man Allen aus Todd Solondz HAPPINESS. Offensichtlich ständig
schwitzend, quält er sich durch seinen frustrierenden Alltag,
belästigt seine Nachbarin mit obszönen Anrufen, hegt eine Vorliebe
für Pornomagazine und ist im großen und ganzen der Mensch, den man
nie persönlich kennen lernen möchte. Ein verklemmter, jämmerlicher
Freak, den man jede Schweinerei zutrauen würde. Man mag diesen
Allen nicht, und das zu Recht. Ebensowenig mag man Freddie
Miles, den überheblichen Amerikaner aus DER TALENTIERTE MR. RIPLEY.
Laut, auftrumpfend und ordinär macht er sich zum Feind von Matt
Damon als feinfühligem Mr. Ripley. Dachte man bisher, dass die
Charaktere Hoffmans ihre Widerwärtigkeit aus ihrer verklemmten
Unsicherheit ziehen, so beweist die Figur des überheblichen Freddie
Miles etwas anderes. Schwein sein, so lernen wir, ist eine Frage
der inneren Einstellung. Man mag diesen Freddie nicht, obwohl er
eine der ehrlichsten Figuren im ganzen Film ist. Und
ebensowenig mag man Phil Parma aus MAGNOLIA, spätestens, als der
immer etwas linkisch wirkende Krankenpfleger telefonisch einige
Pornohefte bestellte. Aber man hier irrt man sich gewaltig. Der
Kauf dient einem "höheren" Zweck und Phil wird zum guten Geist und
ruhenden Pol der Geschichte. Als Schauspieler hat es Hoffman dabei
nicht leicht sich zu behaupten. So etwa neben der Legende Jason
Robards, der den verbitterten Todkranken spielt oder Tom Cruise als
schmierigem Sexpriester, dessen Lebenslüge langsam zusammenbricht
oder der hysterisch verzweifelten Julianne Moore. Hoffman läßt sich
von diesen Stars mit ihren bedeutend ergiebigeren Rollen nicht
überspielen sondern bildet einen Gegenpol, der ihre Darstellung
erst richtig zur Geltung kommen läßt.
Es ist kein Zufall, dass in Amerika die Nebendarsteller als
Supporting Actors bezeichnet werden. Philip Seymour Hoffman ist
zweifelsfrei ein solch "unterstützender" Schauspieler, dessen
widersprüchlichen, unsympathischen und sonderbaren Rollen einen
angenehmen Kontrast zu der (selbst in der Rolle des Bösewichts)
Adrettheit eines Matt Damon oder Leonardo DiCaprio
bilden.
Michael Haberlander
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