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20.04.2000
 
 
   
 

Der talentierte Mr. Hoffman

 
Philip Seymour Hofman in MAGNOLIA
     
 
 
 
 

Versucht man zu ergründen, was den Film MAGNOLIA von P. T. Anderson so einzigartig macht, muss man zwangsläufig über die großartigen Darsteller darin reden. Man könnte etwa den großen, alten Jason Robards erwähnen, oder William H. Macy, der sich langsam einen ähnlichen Status wie Kevin Spacey erspielt. Natürlich muss man über Tom Cruise in einer sehr ungewohnten Rolle sprechen und über Julianne Moore, die in den Medien momentan allgegenwärtig ist, und erwähnenswert ist sicher auch Jeremy Blackman, der als geniales Quiz - Show - Kid gefährlich am Thron von Haley Joel Osment sägt. Neben all diesen Jung,- Alt, Super-, Underground- und Insiderstars übersieht man schnell den Schauspieler Philip Seymour Hoffman, dessen Gesicht einem immer wieder begegnet, mit dem man aber nie einen Namen verbinden kann. Am Ende dieses Artikels hat sich das hoffentlich geändert.

Selbst als konventioneller Kinogeher hatte man in Filmen wie DER DUFT DER FRAUEN, WHEN A MAN LOVES A WOMAN, THE GETAWAY (1994) TWISTER oder gar PATCH ADAMS die Möglichkeit, sich mit der Schauspielkunst P. S. Hoffman bekannt zu machen. Weitaus interessanter sind naturgemäß seine Rollen in weniger kommerziellen Filmen, wie jetzt in MAGNOLIA, wobei gerade dieser Film dahingehend eine Ausnahme bildet, dass man diesen Phil Parma, den er darin spielt, ausnahmsweise nicht verachtet.

Genau das tut man aber z.B. mit Officer Raymer, den Hoffman in Robert Bentons wunderbaren NOBODY’S FOOL darstellt. Raymer ist ein kleiner, spießiger Polizist mit einem Hang zum Überreagieren, der als einziger Bewohner der gesamten Stadt (einschließlich des Charakters von Bruce Willis !) so etwas wie Nervosität zu besitzen scheint. Die Abneigung gegen Officer Raymer ist nicht leicht zu erklären, da er nicht einmal ein selbstherrlicher Despot wie manch anderer Machocop ist; nein das nun wirklich nicht. Man mag ihn einfach nicht, und aus.
Ebensowenig mag man Scotty, den übergewichtigen, schwitzenden und ungepflegten Assistenten in BOOGIE NIGHTS. Genau so stellt man sich jemanden vor, der sein Hobby zum Beruf gemacht hat und nun in der Pornoindustrie arbeitet. Ein kleiner Perverser und Spanner, der zu einer normalen Beziehung nicht in der Lage ist.
Für die meisten Protagonisten in BOOGIE NIGHTS bringt man dabei einige Sympathie auf, da sie im Grunde arme Schweine sind (man versteht sogar den Amoklauf von William H. Macy). Und eigentlich ist dieser Scotty, der mit seiner latenten Homosexualität zu kämpfen hat, auch ein solch armes Schwein, doch als er seinem großen Schwarm Dirk Diggler seine Liebe gesteht, ist man abgestoßen. Man mag diesen Scotty einfach nicht, so ungerecht das auch sein mag.
Ebensowenig mag man Brandt, den schleimigen Butler des reichen Mr. Lebowskis, aus THE BIG LEBOWSKI. Wie die Fleischwerdung des ständig kriechenden Mr. Smithers aus den Simpsons begegnet Brandt jeder noch so unangenehmen Situation mit einem widerlichen Dauerlächeln und läßt keinen Zweifel darüber, dass man einen eigenen Charakter bei ihm vergeblich sucht. Man mag diesen Brandt nicht, darüber besteht kein Zweifel.
Ebensowenig mag man Allen aus Todd Solondz HAPPINESS. Offensichtlich ständig schwitzend, quält er sich durch seinen frustrierenden Alltag, belästigt seine Nachbarin mit obszönen Anrufen, hegt eine Vorliebe für Pornomagazine und ist im großen und ganzen der Mensch, den man nie persönlich kennen lernen möchte. Ein verklemmter, jämmerlicher Freak, den man jede Schweinerei zutrauen würde. Man mag diesen Allen nicht, und das zu Recht.
Ebensowenig mag man Freddie Miles, den überheblichen Amerikaner aus DER TALENTIERTE MR. RIPLEY. Laut, auftrumpfend und ordinär macht er sich zum Feind von Matt Damon als feinfühligem Mr. Ripley. Dachte man bisher, dass die Charaktere Hoffmans ihre Widerwärtigkeit aus ihrer verklemmten Unsicherheit ziehen, so beweist die Figur des überheblichen Freddie Miles etwas anderes. Schwein sein, so lernen wir, ist eine Frage der inneren Einstellung. Man mag diesen Freddie nicht, obwohl er eine der ehrlichsten Figuren im ganzen Film ist.
Und ebensowenig mag man Phil Parma aus MAGNOLIA, spätestens, als der immer etwas linkisch wirkende Krankenpfleger telefonisch einige Pornohefte bestellte. Aber man hier irrt man sich gewaltig. Der Kauf dient einem "höheren" Zweck und Phil wird zum guten Geist und ruhenden Pol der Geschichte. Als Schauspieler hat es Hoffman dabei nicht leicht sich zu behaupten. So etwa neben der Legende Jason Robards, der den verbitterten Todkranken spielt oder Tom Cruise als schmierigem Sexpriester, dessen Lebenslüge langsam zusammenbricht oder der hysterisch verzweifelten Julianne Moore. Hoffman läßt sich von diesen Stars mit ihren bedeutend ergiebigeren Rollen nicht überspielen sondern bildet einen Gegenpol, der ihre Darstellung erst richtig zur Geltung kommen läßt.

Es ist kein Zufall, dass in Amerika die Nebendarsteller als Supporting Actors bezeichnet werden. Philip Seymour Hoffman ist zweifelsfrei ein solch "unterstützender" Schauspieler, dessen widersprüchlichen, unsympathischen und sonderbaren Rollen einen angenehmen Kontrast zu der (selbst in der Rolle des Bösewichts) Adrettheit eines Matt Damon oder Leonardo DiCaprio bilden.

Michael Haberlander

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