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Als Zugabe Leben
Altmeister van der Keuken mit DIE GROSSEN FERIEN auf dem Dokumentarfilmfestival München

  11.05.2000
 
 
 
 

Die lange, getragene Schlußsequenz von DIE GROSSEN FERIEN: Ein Schiff bahnt sich seinen Weg flußaufwärts. Es pflügt das Wasser, kommt scheinbar langsam voran, aber es fährt beständig und unbeirrbar. Das Bild ist grob unscharf, das Licht reflektiert grell und statt des Schiffsmotors oder der Möwenschreie hört man ein einsam klagendes, oft stockendes Saxophon, das irgendwann abbricht und das Schiff allein läßt. Was soll das andeuten? Dokumentarfilme mit dieser Themenvorgabe sind schon mehrfach schlecht für den Protagonisten ausgegangen - manche erst nach Ende der Dreharbeiten. Gespannt verfolgt der Zuschauer den Abspann: Nein, kein Hinweis darauf, daß der Filmemacher inzwischen seinem Krebsleiden erlegen ist.

DIE GROSSEN FERIEN war geplant als ein Film über die letzte Lebensphase eines Menschen. Als der holländische Filmemacher Johan van der Keuken (71) erfährt, dass sein Prostatakrebs sich stark verschlimmert habe und er nur noch wenige Zeit zu leben hat, reagiert er auf seine Art. Er beantragt Gelder für eine Dokumentation, über die Veränderungen, die in ihm vorgehen, er will sich selbst beobachten. Er plant einen Film, der mit seinem Tod enden wird. Diesen Film, der jetzt vorliegt. Bis dahin will er das Leben so weiterführen, wie er es bisher geführt hat: mit vielen Reisen nach überallhin, um Bilder zu sammeln, zusammen mit seiner Lebensgefährtin Nosh van der Lely, die wie immer für den Ton verantwortlich sein wird. Mehr denn je hat van der Keuken den Wunsch, in seinem Werk weiter zu leben und seine persönliche Weltsicht zu vermitteln.

Schon für seine erste Reise nach diesem Beschluß kauft er sich einen Cam-Corder, falls er in einem späteren Stadium der Krankheit keine schwere Ausrüstung mehr tragen kann. Zusammen mit seiner Gefährtin bereist er Indien, Bhutan, Brasilien und Burkina Faso. Die beiden bringen besonders von letztgenanntem Trip beeindruckende Bilder mit, die in ihrer Farbenpracht und Schlichtheit denen des großen, bildgewaltigen Franzosen Raymond Depardon ("Afriques: Comment ça va avec la doleur?", 1996) in nichts nachstehen. In einem Dorf bitten sie die Kinder, vor der Kamera ihren Vornamen zu sagen und fangen in diesen Zehn-Sekunden-Auftritten so viel von dem Charakter dieser Kinder ein. Dreißig verschiedene Arten, den eigenen Namen zu sagen.

Inzwischen kann der Protagonist, der nie im Bild ist, nicht mehr schmerzfrei sitzen. Eine indische Wunderheilerin hat keinen dauerhaften Erfolg erzielt. Dann besucht er wieder seinen Leibarzt in Utrecht. Van der Keuken filmt auch diese Gespräche mit dem Mediziner. Dessen vorsichtige Formulierungen: "Wir wissen nichts, aber wir erwarten, daß..." Und wie er als Patient versucht, durch geschicktes Fragen irgendwas herauszufinden, aus irgendeiner Formulierung eine Andeutung herauszuhören. Er ist dabei ehrlich genug, seinen Hang zur Hypochondrie nicht zu verstecken.

Mittlerweile haben die Amerikaner ein neues Medikament entwickelt, mit dem die Krankheit wahr-scheinlich jahrelang aufgehalten werden kann. Wenn dieses Mittel nicht mehr anschlägt, gibt es noch die traditionelle Hormonbehandlung, die zwar die Libido tötet, aber das Leben verlängert. Und bis dahin hätten wohl die Amerikaner den Durchbruch mit einer völlig neuen Behandlungsmethode geschafft. Vielleicht werde er 90 Jahre alt, sagt der Arzt jetzt. In diesem Fall bekäme er ein Problem, antwortet van der Keuken aus dem Off, er hätte Gelder bewilligt bekommen für einen Film über sein Sterben.

Jetzt hat er den Film also fertiggestellt mit diesem sybillinischen Ende. Man könnte sagen: Thema verfehlt. Zum Glück: So bleibt den Freunden des Dokumentarfilms ein großer Regisseur erhalten.

Norbert Link

DE GROTE VAKANTIE (DIE GROSSEN FERIEN) läuft im Rahmen des Münchener Dokumentarfilmfests nochmals am Do, 11.5. um 18 Uhr im Maxim.

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