Die lange, getragene Schlußsequenz von DIE GROSSEN FERIEN: Ein
Schiff bahnt sich seinen Weg flußaufwärts. Es pflügt das Wasser,
kommt scheinbar langsam voran, aber es fährt beständig und
unbeirrbar. Das Bild ist grob unscharf, das Licht reflektiert grell
und statt des Schiffsmotors oder der Möwenschreie hört man ein
einsam klagendes, oft stockendes Saxophon, das irgendwann abbricht
und das Schiff allein läßt. Was soll das andeuten? Dokumentarfilme
mit dieser Themenvorgabe sind schon mehrfach schlecht für den
Protagonisten ausgegangen - manche erst nach Ende der Dreharbeiten.
Gespannt verfolgt der Zuschauer den Abspann: Nein, kein Hinweis
darauf, daß der Filmemacher inzwischen seinem Krebsleiden erlegen
ist.
DIE GROSSEN FERIEN war geplant als ein Film über die letzte
Lebensphase eines Menschen. Als der holländische Filmemacher Johan
van der Keuken (71) erfährt, dass sein Prostatakrebs sich stark
verschlimmert habe und er nur noch wenige Zeit zu leben hat,
reagiert er auf seine Art. Er beantragt Gelder für eine
Dokumentation, über die Veränderungen, die in ihm vorgehen, er will
sich selbst beobachten. Er plant einen Film, der mit seinem Tod
enden wird. Diesen Film, der jetzt vorliegt. Bis dahin will er das
Leben so weiterführen, wie er es bisher geführt hat: mit vielen
Reisen nach überallhin, um Bilder zu sammeln, zusammen mit seiner
Lebensgefährtin Nosh van der Lely, die wie immer für den Ton
verantwortlich sein wird. Mehr denn je hat van der Keuken den
Wunsch, in seinem Werk weiter zu leben und seine persönliche
Weltsicht zu vermitteln.
Schon für seine erste Reise nach diesem Beschluß kauft er sich
einen Cam-Corder, falls er in einem späteren Stadium der Krankheit
keine schwere Ausrüstung mehr tragen kann. Zusammen mit seiner
Gefährtin bereist er Indien, Bhutan, Brasilien und Burkina Faso.
Die beiden bringen besonders von letztgenanntem Trip beeindruckende
Bilder mit, die in ihrer Farbenpracht und Schlichtheit denen des
großen, bildgewaltigen Franzosen Raymond Depardon ("Afriques:
Comment ça va avec la doleur?", 1996) in nichts nachstehen. In
einem Dorf bitten sie die Kinder, vor der Kamera ihren Vornamen zu
sagen und fangen in diesen Zehn-Sekunden-Auftritten so viel von dem
Charakter dieser Kinder ein. Dreißig verschiedene Arten, den
eigenen Namen zu sagen.
Inzwischen kann der Protagonist, der nie im Bild ist, nicht mehr
schmerzfrei sitzen. Eine indische Wunderheilerin hat keinen
dauerhaften Erfolg erzielt. Dann besucht er wieder seinen Leibarzt
in Utrecht. Van der Keuken filmt auch diese Gespräche mit dem
Mediziner. Dessen vorsichtige Formulierungen: "Wir wissen nichts,
aber wir erwarten, daß..." Und wie er als Patient versucht, durch
geschicktes Fragen irgendwas herauszufinden, aus irgendeiner
Formulierung eine Andeutung herauszuhören. Er ist dabei ehrlich
genug, seinen Hang zur Hypochondrie nicht zu verstecken.
Mittlerweile haben die Amerikaner ein neues Medikament
entwickelt, mit dem die Krankheit wahr-scheinlich jahrelang
aufgehalten werden kann. Wenn dieses Mittel nicht mehr anschlägt,
gibt es noch die traditionelle Hormonbehandlung, die zwar die
Libido tötet, aber das Leben verlängert. Und bis dahin hätten wohl
die Amerikaner den Durchbruch mit einer völlig neuen
Behandlungsmethode geschafft. Vielleicht werde er 90 Jahre alt,
sagt der Arzt jetzt. In diesem Fall bekäme er ein Problem,
antwortet van der Keuken aus dem Off, er hätte Gelder bewilligt
bekommen für einen Film über sein Sterben.
Jetzt hat er den Film also fertiggestellt mit diesem
sybillinischen Ende. Man könnte sagen: Thema verfehlt. Zum Glück:
So bleibt den Freunden des Dokumentarfilms ein großer Regisseur
erhalten.
Norbert Link
DE GROTE VAKANTIE (DIE GROSSEN FERIEN) läuft im Rahmen des Münchener Dokumentarfilmfests
nochmals am Do, 11.5. um 18 Uhr im Maxim.
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