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25.05.2000
 
 
   
 

Als neulich einmal wieder der ökonomische Diskurs über den ästhetischen triumphierte
oder: Kann Kant in Cannes Can-Can? *

 
Der linke und der rechte Kant
     
 
 
 
 

Hier ist er also: Der obligatorische Cannes-Artikel. Schließlich sind wir ein Kino-Magazin. Und da braucht man ihn einfach. Den Cannes-Artikel. Auch dieses Jahr kross wie ein französisches Croissant auf dem Frühstückstisch, das nur darauf wartet, in den Bol mit Café crème getunkt zu werden.

RÜCKBLENDE:
So wie dieses köstliche Stück gallischer Backkunst, das da vor uns lag, als wir auf der Terasse des Carlton saßen und den Blick über den Rand unserer Sonnenbrillen hinweg die Croissette entlang schweifen ließen. Völlig ermattet noch davon, wie wir unseren Weg durch die Phalanx der Plakate bahnten, uns nun am Panorama der Palmen erfreuend. Ach ja, die Côte d'Azur! Wie wir uns hier schon heimisch fühlen... Selbst der gleißenden Sonne sind wir schon überdrüssig geworden - verwehrt sie uns doch hin und wieder blendend den certain regard auf die Starlets, die sich dort am Strand bar jeder Scham und textiler Hülle den gierigen Objektiven der Kameras preisgeben. In der Hoffnung, da unbedeckt auf Film gebannt zu sein, um entdeckt zu werden - und doch nur die Cannes-Rolle spielend vom Starlet, das vergeblich von ihrem Tittenbild auf dem Titelblatt träumt.
So wie Tag für Tag die Filme hoffen, uns zu bannen. Und doch im Kino-Dunkel unter unsren unverblendeten Blicken sich unvermeidbar Blößen geben. Ein jedes Mal, wenn sich der Vorhang über dem Ende des Abspanns schloss, kam wieder die Ernüchterung: Nein, auch hier war sie nicht, die große Entdeckung, auf die wir so sehnlichst warteten. Er war es nicht, der Film der Filme. Ihn gab es nicht. Auch dieses Jahr: aufs Neue nicht.
Im Wettbewerb schon zweimal nicht. Gewinner jedoch muss der trotzdem hergeben. Ganz klar.
Aber so? Was war die Kritik nur wieder gespalten! Zu Recht! Welch Entscheidung! So geht es doch nicht! Wir freilich haben's von Anfang geahnt...
Die wahren visionären Lichter freilich gingen ohnehin nicht auf der Leinwand des Grand Auditorium Lumière auf. Die erhellende Aufklärung über die kommenden Sternstunden des Kinos war wie immer Feuerschrift am von Aufmerksamkeit unbeleuchteten Firmament der qualitativ so gar nicht unterbelichteten Nebenreihen.

ÜBERBLENDUNG:
Wir sehen Sterne. Stars. Im Blitzlichtgewitter. Der Teppich so rot. Und steil die Treppe. Schön. Unerreichbar. So nah die Stars. Die Sterne so fern.

AUSBLENDUNG:
Aus der Nähe betrachtet: Auch die wahren Filme der Stars blieben fern. Da auf den amerikanischen Plakaten der Croissette: großformatig versperrten sie uns den Blick auf das Wesentliche - jetzt erscheinen sie als das wesentlich Fehlende. Kulisse Europa, Dekor by Hollywood. Preview of coming attractions. Die mit der massiven Macht der Multimillionen-Marketing-Budgets marschieren. Und dieses Festival nicht brauchen. Es sogar fürchten. Warum den Kritikastern sich früher als nötig aussetzen? Einen Aussetzer riskieren - Double Zero: Vor, nicht hinter dem Komma. Weil katastrofale Kritik manchmal doch Kassen-Minus kreïert. Doch ein Cannes-Gewinn selten große Gewinne garantiert.
Aber alles ohnehin eitel Fassade! Der Markt, der Markt! Der ist's, der hinter dem potemkischen Dorf der cineastischen ars gratia artis die finstren Fäden spinnt und webt und knüpft. Der ist der wahre Grund der Zusammenkunft der Zunft, und auch wenn's keiner sieht vor lauter Glamour und Glimmer und Glanz: Auf dem Markt glitzert lockend das Geld nicht für die hehre Kunst, sondern für den billigen Tand und Schmutz und Schund. Und wahrlich, wir aber sagen Euch: Es wird abermals kommen der Triumph des ökonomischen Diskurses über den ästhetischen. Und wieder und wieder. Wie widerlich!
Ja, ja: Geld regiert die Welt!

ABBLENDE...

SCHNITT.

VERBLENDUNG:
"Die Party von Dings gestern, war'n Sie da auch? Ach nicht? Da war'n eigentlich alle da. Wirklich alle. Da hätten Sie sein sollen. Ich kann noch nicht mal klar sehen, grad' stehen, von den Cocktails, Sie wissen..." ... "Die Dings? Ja klar, freilich war die schon auch da. Die hab ich gesprochen. Die war furchtbar nett. Verschwand dann jedoch mit nem andrem im Bett." ... "Der Dings? Dieser Typ? Ja freilich der auch. Der mit seiner Glatze und diesem Bierbauch? Ein Ekel, ganz gräßlich, und riecht aus dem Mund. Wie DER nur zum Star wurde - ich seh' keinen Grund!" ...
Gag: Beim Dritten fällt die Palme um.

Licht, Schatten, Sterne & Cocktails: Uns schwirrt der Kopf. Hier in der Hitze auf der Terasse an der Croissette. Das Croissant völlig aufgeweicht im Kaffee sans crème.
Aber wir alten Cannes-Hasen wissen: Morgen ist es wieder frisch. Und kross. Und der café wieder au lait.
Und Cannes wird Cannes sein. Unerkannt - werden wir sitzen. Hier. Und schreiben. Das Gleiche. Immerdar.

REWIND...


* Welchselbiger Untertitel von so überwältigender Schönheit und Herrlichkeit ist, dass eine engere Bindung an den Inhalt des Textes von ihm zu verlangen des Guten zu viel wäre.


Dunja Bialas & Thomas Willmann

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