Hier ist er also: Der obligatorische Cannes-Artikel. Schließlich
sind wir ein Kino-Magazin. Und da braucht man ihn einfach. Den
Cannes-Artikel. Auch dieses Jahr kross wie ein französisches
Croissant auf dem Frühstückstisch, das nur darauf wartet, in den
Bol mit Café crème getunkt zu werden.
RÜCKBLENDE: So wie dieses köstliche Stück gallischer
Backkunst, das da vor uns lag, als wir auf der Terasse des Carlton
saßen und den Blick über den Rand unserer Sonnenbrillen hinweg die
Croissette entlang schweifen ließen. Völlig ermattet noch davon,
wie wir unseren Weg durch die Phalanx der Plakate bahnten, uns nun
am Panorama der Palmen erfreuend. Ach ja, die Côte d'Azur! Wie wir
uns hier schon heimisch fühlen... Selbst der gleißenden Sonne sind
wir schon überdrüssig geworden - verwehrt sie uns doch hin und
wieder blendend den certain regard auf die Starlets, die sich dort
am Strand bar jeder Scham und textiler Hülle den gierigen
Objektiven der Kameras preisgeben. In der Hoffnung, da unbedeckt
auf Film gebannt zu sein, um entdeckt zu werden - und doch nur die
Cannes-Rolle spielend vom Starlet, das vergeblich von ihrem
Tittenbild auf dem Titelblatt träumt. So wie Tag für Tag die
Filme hoffen, uns zu bannen. Und doch im Kino-Dunkel unter unsren
unverblendeten Blicken sich unvermeidbar Blößen geben. Ein jedes
Mal, wenn sich der Vorhang über dem Ende des Abspanns schloss, kam
wieder die Ernüchterung: Nein, auch hier war sie nicht, die große
Entdeckung, auf die wir so sehnlichst warteten. Er war es nicht,
der Film der Filme. Ihn gab es nicht. Auch dieses Jahr: aufs Neue
nicht. Im Wettbewerb schon zweimal nicht. Gewinner jedoch muss
der trotzdem hergeben. Ganz klar. Aber so? Was war die Kritik
nur wieder gespalten! Zu Recht! Welch Entscheidung! So geht es doch
nicht! Wir freilich haben's von Anfang geahnt... Die wahren
visionären Lichter freilich gingen ohnehin nicht auf der Leinwand
des Grand Auditorium Lumière auf. Die erhellende Aufklärung über
die kommenden Sternstunden des Kinos war wie immer Feuerschrift am
von Aufmerksamkeit unbeleuchteten Firmament der qualitativ so gar
nicht unterbelichteten Nebenreihen.
ÜBERBLENDUNG: Wir sehen Sterne. Stars. Im Blitzlichtgewitter.
Der Teppich so rot. Und steil die Treppe. Schön. Unerreichbar. So
nah die Stars. Die Sterne so fern.
AUSBLENDUNG: Aus der Nähe betrachtet: Auch die wahren Filme
der Stars blieben fern. Da auf den amerikanischen
Plakaten der Croissette: großformatig versperrten sie uns den Blick
auf das Wesentliche - jetzt erscheinen sie als das wesentlich
Fehlende. Kulisse Europa, Dekor by Hollywood. Preview of coming
attractions. Die mit der massiven Macht der
Multimillionen-Marketing-Budgets marschieren. Und dieses Festival
nicht brauchen. Es sogar fürchten. Warum den Kritikastern sich
früher als nötig aussetzen? Einen Aussetzer riskieren - Double
Zero: Vor, nicht hinter dem Komma. Weil katastrofale Kritik
manchmal doch Kassen-Minus kreïert. Doch ein Cannes-Gewinn selten
große Gewinne garantiert. Aber alles ohnehin eitel Fassade! Der
Markt, der Markt! Der ist's, der hinter dem potemkischen Dorf der
cineastischen ars gratia artis die finstren Fäden spinnt und webt
und knüpft. Der ist der wahre Grund der Zusammenkunft der Zunft,
und auch wenn's keiner sieht vor lauter Glamour und Glimmer und
Glanz: Auf dem Markt glitzert lockend das Geld nicht für die hehre
Kunst, sondern für den billigen Tand und Schmutz und Schund. Und
wahrlich, wir aber sagen Euch: Es wird abermals kommen der Triumph
des ökonomischen Diskurses über den ästhetischen. Und wieder und
wieder. Wie widerlich! Ja, ja: Geld regiert die Welt!
ABBLENDE...
SCHNITT.
VERBLENDUNG: "Die Party von Dings gestern, war'n Sie da auch?
Ach nicht? Da war'n eigentlich alle da. Wirklich alle. Da hätten
Sie sein sollen. Ich kann noch nicht mal klar sehen, grad' stehen,
von den Cocktails, Sie wissen..." ... "Die Dings? Ja klar, freilich
war die schon auch da. Die hab ich gesprochen. Die war furchtbar
nett. Verschwand dann jedoch mit nem andrem im Bett." ... "Der
Dings? Dieser Typ? Ja freilich der auch. Der mit seiner Glatze und
diesem Bierbauch? Ein Ekel, ganz gräßlich, und riecht aus dem Mund.
Wie DER nur zum Star wurde - ich seh' keinen Grund!" ... Gag:
Beim Dritten fällt die Palme um.
Licht, Schatten, Sterne & Cocktails: Uns schwirrt der Kopf.
Hier in der Hitze auf der Terasse an der Croissette. Das Croissant
völlig aufgeweicht im Kaffee sans crème. Aber wir alten
Cannes-Hasen wissen: Morgen ist es wieder frisch. Und kross. Und
der café wieder au lait. Und Cannes wird Cannes sein. Unerkannt
- werden wir sitzen. Hier. Und schreiben. Das Gleiche.
Immerdar.
REWIND...
* Welchselbiger Untertitel von so überwältigender Schönheit
und Herrlichkeit ist, dass eine engere Bindung an den Inhalt des
Textes von ihm zu verlangen des Guten zu viel wäre.
Dunja Bialas & Thomas
Willmann
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