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Es war im Sommer ´86. Ich war noch jung, in der Schule und
irgendwie brach das Kino in diesem Jahr in unser Leben ein. TOP GUN
war mit ein bißchen Verspätung in die Provinzkinos gekommen und
mehr noch als die Diskussionen um die Frage nach Navy-Propaganda
oder nicht (wir waren jung und lebten, wie gesagt, in den 80´ern /
Woodstock war lange vorbei, genauso wie die Erinnerung daran und
das Wort "Propaganda" verstand sowieso noch kein Mensch)
polarisierte das Gesicht und der Gestus des Hauptdarstellers die
Gespräche auf dem Schulhof. Geschlechterteilung zum ersten und
(vorerst) letzten Mal im Leben. Die Mädchen konnten nicht genug
bekommen von den schicken Fliegern in Uniform, den Jungs ging die
ganze Sache gewaltig auf die Nerven (auch wenn man zu Hause, in
aller Stille, nachdachte, wo man die Bewerbungsunterlagen zum
Eintritt in die US Air Force bekommen könnte...). Tom Cruise, Pilot
von Gottes Gnaden, war zum Mittelpunkt der Welt aufgestiegen,
rückte sich ins Zentrum aller vorpubertären Wünsche und Begierden.
Die Frage "He, wie oft nimmt der eigentlich die Sonnenbrille ab und
setzt sie sich wieder auf?" wurde genauso wichtig wie die nach der
Versetzung in die nächste Klasse.
Das Image aus TOP GUN begleitet Cruise teilweise heute noch, auch
wenn sich vieles geändert hat. Der cleane, jugendliche Held, der
alles unter Kontrolle hat, der immer ein bißchen besser und
cleverer ist als seine Mitspieler und deshalb immer Sonderrechte
eingeräumt bekommt. Das Vorbild für infantil Suchende, der Traum
vom american way of life. Die Restauration der "Good old values"
Familie, Vater, Heimatland... Für all das wurde er später
belächelt. Dabei war TOP GUN bereits sein achter Film. Cruise hatte
schon unter der Regie von Ridley Scott gearbeitet (LEGEND / 1985)
und seine nächste Rolle stellte ihn an die Seite von Paul Newman
(THE COLOR OF MONEY / 1986). Das hört sich nach Qualität an und
trotzdem brannten die dummen Filme Cruise in das Gedächtnis des
Publikums ein. Die ambitionierteren Rollenentscheidungen wurden
meist von anderen Dingen überlagert und so sind die Versuche,
Cruise auch heute noch in den Stand eines Schmierenschauspielers zu
degradieren, durchaus verbreitet. Immer noch. Auch nach INTERVIEW
WITH THE VAMPIRE (1994), EYES WIDE SHUT (1999) und MAGNOLIA(1999).
Obwohl sich alles verändert hat, die Dinge sich ins Gegenteil
verkehrt haben, Cruise längst die Zeichen der Zeit erkannt und den
Sprung in neue Rollenidentitäten geschafft hat.
Ende der 80´er hatte sich der Traum vom Yuppieleben grundsätzlich
ausgeträumt. INTERVIEW WITH THE VAMPIRE sollte der Film werden,
nach dem nichts mehr so war wie noch im Jahrzehnt davor. 1994
findet der entscheidende Bruch statt, wenn auch nicht stringent, so
doch tendenziell (die beiden MISSION IMPOSSIBLE-Teile fallen ein
Stück weit aus der Ordnung). Die Momente der Bewegung, die die von
Cruise verkörperten Filmcharaktere entwickelten, gerieten in eine
schwere Krise, aus der sie sich bis heute nicht befreien
konnten.
In INTERVIEW WITH THE VAMPIRE sticht in erster Linie die Krise
des Männlichkeitsbildes hervor, weil der Regisseur Neil Jordan das
überlebte Ideal mit dem einer neuen Epoche kollidieren läßt. Tom
Cruise vs. Brad Pitt, der berechnende, souveräne, auf Lustgewinn
erpichte Lestat gegen das Sensibelchen Louis, geplagt vom Gewissen,
den Zweifeln, der Orientierungslosigkeit einer neuen Zeit. Die
Abkehr von den "Great-Man"- Theorien. Signifikant wird die
Entleerung des männlichen Ideals, wenn man die frühen Filme mit den
späteren vergleicht. Wenn Nicole Kidman, die Ehefrau Alice, in EYES
WIDE SHUT im Rausch ihrem Mann von dem schicken Offizier im Hotel
erzählt und Dr. William Harford später, in der Nacht, von den
Bildern seiner Vorstellung, seiner Eifersucht, seiner Angst
verfolgt wird, dann steckt in der weißen Uniform des Ehebrechers,
des Verführers, in der Obsession der Ehefrau ein Stück weit die
Geschichte von Pete "Maverick" Mitchell, der in TOP GUN noch jedes
Herz mit seinem pathologischen Lächeln gebrochen hat. Ein bißchen
ist es so, als würde Tom Cruise von den Geistern die er einst
erschaffen hat, plötzlich heimgesucht. "Wir haben mit der
Vergangenheit abgeschlossen, aber die Vergangenheit nicht mit
uns..." Und wir befinden uns mitten in MAGNOLIA, dem besten
Auftritt von Cruise, wo er die Karikatur seiner Ex-Rollen spielt,
er unter der Überinszenierung seiner (unglaublichen) Maskulinität
plötzlich zusammenbricht, wo die Männlichkeit Symptom eines Traumas
und blanke Lüge ist, sich Potenz in Impotenz verkehrt. Wenn Ron
Kovic im Vietnamkrieg seine Zeugungsfähigkeit einbüßt (BORN ON THE
4TH OF JULY / 1989), wenn in A FEW GOOD MAN (1992) die eigentlich
obligatorische Sex-Szene zwischen Cruise und Demi Moore fehlt und
wenn Dr. Harford in EYES WIDE SHUT auf der Strasse von ein paar
College-Boys als "Homo" beschimpft und angerempelt wird, dann
bröckelt das Idealbild, das Cruise verkörperte. In MAGNOLIA findet
es seinen Endpunkt, die totale Kastration, den Zusammenbruch. Was
in den 80´ern spielerische Verführung war mündet in "Seduce and
Destroy". Zwanghafte Disziplin, mit der die eigene Unsicherheit
überspielt wird. Die lächerlichste Antwort auf die Fragen, die
FIGHT CLUB aufgeworfen hat. Die Reaktionen auf das Problem des
Mannes im 21. Jahrhundert fallen entlang des Weges immer
verzweifelter aus, bis Frank T. J. Mackey im Interview mit einer
Journalistin völlig verstummt.
Analog entleert sich der Wert Familie. Das warme, weiche Etwas,
in das sich der Held zurückzieht, wenn das Leben es nicht gut mit
ihm meint, steht in den 80´ern immer ein Stück über dem Erfolg, dem
Geld, den "niederen Werten", d.h. den Sachpreisen. Brian Flanagan
tauscht in COCKTAIL (1988) seine Karriere und den Scheck des Vaters
der Frau die er liebt gegen die kleine, heimelige Kneipe an der
Ecke und das Vaterglück ein. Die Situation (Geld oder Familie) wird
sich in RAIN MAN (1988) wiederholen (allerdings ohne
Tresen-Geschichten...) und Cruise findet wiederum in der Liebe zu
seinem Bruder die Erfüllung seiner Sehnsüchte. In BORN ON THE 4TH
OF JULY kehrt der Kriegsversehrte an den heimischen Herd zurück, in
die Sicherheit des Elternhauses, in THE FIRM (1993) befreit der
jugendliche Alleskönner seinen kränkelnden Bruder aus dem
Gefängnis. Mit INTERVIEW WITH THE VAMPIRE beginnt der Verfall, die
Pseudofamilie der Untoten lehnt sich gegen den "Vater" Cruise auf,
der den "Kindern" Louis und Claudia zwar ihr neues "Leben"
geschenkt hat, aber dennoch irgendwann lästig wird, getötet werden
soll. In JERRY MAGUIRE (1996) heißt die Basis einer Ehe dann nicht
mehr Leidenschaft und Liebe, sondern Pflichterfüllung. Das
Fundament der Zweisamkeit in EYES WIDE SHUT, der die Bedrohungen
für die Lebensgemeinschaft exemplarisch durchspielt (natürlich ist
das nur eine Ebene...), verliert sich vollkommen in den
Möglichkeiten einer Nacht. Und Kubricks letzte Antwort auf alle
Fragen, Nicole Kidmans gehauchtes "Ficken", scheint nicht alles
sein zu können.
Und da sind immer wieder diese übermächtigen Vaterfiguren, die
das Leben ihrer Söhne verschlingen. Allerdings drehen sich die
Affekte innerhalb der Beziehung um, die Koordinaten der ödipalen
Strukturen nehmen völlig neue Plätze ein. TOP GUN stellt die Ehre
des Vaters, den Namen des Vaters wieder her, bringt sein Heldentum
ans Licht (von fern hört man die Fanfaren tönen). Frank T.J. Mackey
bringt dem siechenden Körper am Sterbebett nur noch blanken Haß
entgegen. Traten die Charaktere, die Cruise in den 80´ern spielte,
noch den linearen Weg in die Fußstapfen der Väter an, so
differenzieren sich die Beziehungen in MAGNOLIA ins absolute Chaos,
der Vater ist nicht mehr Held, sondern Ursprung allen Übels. Sein
Sohn schwebt ohne Bezugsrahmen durch das leere Feld "Männlichkeit"
und endet als Sozialkrüppel auf der Bühne enttäuschter männlicher
Erwartungen.
Cruise kämpft sich seinen Weg durch die Verwirrungen einer neuen
Zeitrechnung, die Augen immer aufmerksam, forschend, neugierig. Die
Kontrolle haben seine Figuren irgendwo, irgendwann verloren und es
scheint, als wäre sogar sein Gesicht Opfer einer Krise geworden,
als hätte es sich entleert, wie die Glaubensinhalte. Als die
Besetzungsliste für INTERVIEW WITH THE VAMPIRE bekannt wurde, legte
Anne Rice, die die Romanvorlage geschrieben hatte und für das
Screenplay verantwortlich sein sollte, aufs Heftigste Protest ein.
Tom Cruise in der Rolle des Lestat? Es gab nichts, was sie sich
weniger hätte vorstellen können. Sie drohte, die Dreharbeiten
abbrechen zu lassen. Als der Film fertig war, entschuldigte sie
sich bei Cruise und gratulierte ihm zu seiner Vorstellung. Ihr
Verhalten ist verständlich. Das Gesicht des Schauspielers Cruise
war 1994 einfach nicht mehr "unschuldig". Keine leere Fläche, in
die sich eine beliebige Figur hätte einschreiben lassen. Im
Gegenteil, Cruise war der Star. Sein Spiel vielleicht nicht immer
"Larger than life" aber die Züge seines Gesichtes "larger" als der
narrative Rahmen. Die Helden-und Saubermannimages hatten ihre
Spuren hinterlassen, das Gesicht längst stark konnotiert, Cruise zu
sehen verband man mit einer bestimmten Vorstellung von Charakter.
Das Image konnte von den Rollen nicht mehr ganz überdeckt werden.
Auch in diesem Kontext bildet INTERVIEW WITH THE VAMPIRE den Bruch
und die Ironie will es, dass die Erzählung des Filmes es wollte,
dass Cruises Gesicht von seinen Vampirkindern Louis und Claudia
ausgebrannt wird und erst am Ende des Filmes, als Lestat in der
Neuzeit ankommt, durch das Blut wiederhergestellt wird. Das Plus,
das das Gesicht zu Beginn des Filmes in die Diegetik einbringt,
wird durch die Flammen in der Mitte des Filmes ausradiert, der zum
verwesenden Kadaver geschminkte Cruise wird durch die starken
Make-up-Schichten gleichsam der Ästhetik, der düsteren und
dekadenten Atmosphäre des Films, zugeführt. Das Gesicht Cruises
verschwindet in dem von Lestat und gewinnt ein Mehr an
Flexibilität. In MAGNOLIA geht Cruise vollkommen in der Rolle Frank
T.J. Mackey auf. Kein Vergleich zu BORN ON THE 4TH OF JULY, der
großen Wert legt auf die Veränderung des Gesichtes, die
psychologische Dauer, den Verfall durch die Maske spürbar machen
will und dennoch immer wieder an den markanten Zügen des
Hauptdarstellers scheitern muß. Die Distanz verschwindet mit
INTERVIEW WITH THE VAMPIRE, das Spiel wird beweglicher und am Ende,
als Lestat im Auto sitzt, verblassen die Zweifel und man möchte
sagen: "I believe."
André Grzeszyk
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