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06.07.2000
 
 
   
 

Die Rollen des Tom Cruise

 
Kise des Männlichkeitsbildes? Cruise in MI 2
     
 
 
 
 

Es war im Sommer ´86. Ich war noch jung, in der Schule und irgendwie brach das Kino in diesem Jahr in unser Leben ein. TOP GUN war mit ein bißchen Verspätung in die Provinzkinos gekommen und mehr noch als die Diskussionen um die Frage nach Navy-Propaganda oder nicht (wir waren jung und lebten, wie gesagt, in den 80´ern / Woodstock war lange vorbei, genauso wie die Erinnerung daran und das Wort "Propaganda" verstand sowieso noch kein Mensch) polarisierte das Gesicht und der Gestus des Hauptdarstellers die Gespräche auf dem Schulhof. Geschlechterteilung zum ersten und (vorerst) letzten Mal im Leben. Die Mädchen konnten nicht genug bekommen von den schicken Fliegern in Uniform, den Jungs ging die ganze Sache gewaltig auf die Nerven (auch wenn man zu Hause, in aller Stille, nachdachte, wo man die Bewerbungsunterlagen zum Eintritt in die US Air Force bekommen könnte...). Tom Cruise, Pilot von Gottes Gnaden, war zum Mittelpunkt der Welt aufgestiegen, rückte sich ins Zentrum aller vorpubertären Wünsche und Begierden. Die Frage "He, wie oft nimmt der eigentlich die Sonnenbrille ab und setzt sie sich wieder auf?" wurde genauso wichtig wie die nach der Versetzung in die nächste Klasse.

Das Image aus TOP GUN begleitet Cruise teilweise heute noch, auch wenn sich vieles geändert hat. Der cleane, jugendliche Held, der alles unter Kontrolle hat, der immer ein bißchen besser und cleverer ist als seine Mitspieler und deshalb immer Sonderrechte eingeräumt bekommt. Das Vorbild für infantil Suchende, der Traum vom american way of life. Die Restauration der "Good old values" Familie, Vater, Heimatland... Für all das wurde er später belächelt. Dabei war TOP GUN bereits sein achter Film. Cruise hatte schon unter der Regie von Ridley Scott gearbeitet (LEGEND / 1985) und seine nächste Rolle stellte ihn an die Seite von Paul Newman (THE COLOR OF MONEY / 1986). Das hört sich nach Qualität an und trotzdem brannten die dummen Filme Cruise in das Gedächtnis des Publikums ein. Die ambitionierteren Rollenentscheidungen wurden meist von anderen Dingen überlagert und so sind die Versuche, Cruise auch heute noch in den Stand eines Schmierenschauspielers zu degradieren, durchaus verbreitet. Immer noch. Auch nach INTERVIEW WITH THE VAMPIRE (1994), EYES WIDE SHUT (1999) und MAGNOLIA(1999). Obwohl sich alles verändert hat, die Dinge sich ins Gegenteil verkehrt haben, Cruise längst die Zeichen der Zeit erkannt und den Sprung in neue Rollenidentitäten geschafft hat.

Ende der 80´er hatte sich der Traum vom Yuppieleben grundsätzlich ausgeträumt. INTERVIEW WITH THE VAMPIRE sollte der Film werden, nach dem nichts mehr so war wie noch im Jahrzehnt davor. 1994 findet der entscheidende Bruch statt, wenn auch nicht stringent, so doch tendenziell (die beiden MISSION IMPOSSIBLE-Teile fallen ein Stück weit aus der Ordnung). Die Momente der Bewegung, die die von Cruise verkörperten Filmcharaktere entwickelten, gerieten in eine schwere Krise, aus der sie sich bis heute nicht befreien konnten.

In INTERVIEW WITH THE VAMPIRE sticht in erster Linie die Krise des Männlichkeitsbildes hervor, weil der Regisseur Neil Jordan das überlebte Ideal mit dem einer neuen Epoche kollidieren läßt. Tom Cruise vs. Brad Pitt, der berechnende, souveräne, auf Lustgewinn erpichte Lestat gegen das Sensibelchen Louis, geplagt vom Gewissen, den Zweifeln, der Orientierungslosigkeit einer neuen Zeit. Die Abkehr von den "Great-Man"- Theorien. Signifikant wird die Entleerung des männlichen Ideals, wenn man die frühen Filme mit den späteren vergleicht. Wenn Nicole Kidman, die Ehefrau Alice, in EYES WIDE SHUT im Rausch ihrem Mann von dem schicken Offizier im Hotel erzählt und Dr. William Harford später, in der Nacht, von den Bildern seiner Vorstellung, seiner Eifersucht, seiner Angst verfolgt wird, dann steckt in der weißen Uniform des Ehebrechers, des Verführers, in der Obsession der Ehefrau ein Stück weit die Geschichte von Pete "Maverick" Mitchell, der in TOP GUN noch jedes Herz mit seinem pathologischen Lächeln gebrochen hat. Ein bißchen ist es so, als würde Tom Cruise von den Geistern die er einst erschaffen hat, plötzlich heimgesucht. "Wir haben mit der Vergangenheit abgeschlossen, aber die Vergangenheit nicht mit uns..." Und wir befinden uns mitten in MAGNOLIA, dem besten Auftritt von Cruise, wo er die Karikatur seiner Ex-Rollen spielt, er unter der Überinszenierung seiner (unglaublichen) Maskulinität plötzlich zusammenbricht, wo die Männlichkeit Symptom eines Traumas und blanke Lüge ist, sich Potenz in Impotenz verkehrt. Wenn Ron Kovic im Vietnamkrieg seine Zeugungsfähigkeit einbüßt (BORN ON THE 4TH OF JULY / 1989), wenn in A FEW GOOD MAN (1992) die eigentlich obligatorische Sex-Szene zwischen Cruise und Demi Moore fehlt und wenn Dr. Harford in EYES WIDE SHUT auf der Strasse von ein paar College-Boys als "Homo" beschimpft und angerempelt wird, dann bröckelt das Idealbild, das Cruise verkörperte. In MAGNOLIA findet es seinen Endpunkt, die totale Kastration, den Zusammenbruch. Was in den 80´ern spielerische Verführung war mündet in "Seduce and Destroy". Zwanghafte Disziplin, mit der die eigene Unsicherheit überspielt wird. Die lächerlichste Antwort auf die Fragen, die FIGHT CLUB aufgeworfen hat. Die Reaktionen auf das Problem des Mannes im 21. Jahrhundert fallen entlang des Weges immer verzweifelter aus, bis Frank T. J. Mackey im Interview mit einer Journalistin völlig verstummt.

Analog entleert sich der Wert Familie. Das warme, weiche Etwas, in das sich der Held zurückzieht, wenn das Leben es nicht gut mit ihm meint, steht in den 80´ern immer ein Stück über dem Erfolg, dem Geld, den "niederen Werten", d.h. den Sachpreisen. Brian Flanagan tauscht in COCKTAIL (1988) seine Karriere und den Scheck des Vaters der Frau die er liebt gegen die kleine, heimelige Kneipe an der Ecke und das Vaterglück ein. Die Situation (Geld oder Familie) wird sich in RAIN MAN (1988) wiederholen (allerdings ohne Tresen-Geschichten...) und Cruise findet wiederum in der Liebe zu seinem Bruder die Erfüllung seiner Sehnsüchte. In BORN ON THE 4TH OF JULY kehrt der Kriegsversehrte an den heimischen Herd zurück, in die Sicherheit des Elternhauses, in THE FIRM (1993) befreit der jugendliche Alleskönner seinen kränkelnden Bruder aus dem Gefängnis. Mit INTERVIEW WITH THE VAMPIRE beginnt der Verfall, die Pseudofamilie der Untoten lehnt sich gegen den "Vater" Cruise auf, der den "Kindern" Louis und Claudia zwar ihr neues "Leben" geschenkt hat, aber dennoch irgendwann lästig wird, getötet werden soll. In JERRY MAGUIRE (1996) heißt die Basis einer Ehe dann nicht mehr Leidenschaft und Liebe, sondern Pflichterfüllung. Das Fundament der Zweisamkeit in EYES WIDE SHUT, der die Bedrohungen für die Lebensgemeinschaft exemplarisch durchspielt (natürlich ist das nur eine Ebene...), verliert sich vollkommen in den Möglichkeiten einer Nacht. Und Kubricks letzte Antwort auf alle Fragen, Nicole Kidmans gehauchtes "Ficken", scheint nicht alles sein zu können.

Und da sind immer wieder diese übermächtigen Vaterfiguren, die das Leben ihrer Söhne verschlingen. Allerdings drehen sich die Affekte innerhalb der Beziehung um, die Koordinaten der ödipalen Strukturen nehmen völlig neue Plätze ein. TOP GUN stellt die Ehre des Vaters, den Namen des Vaters wieder her, bringt sein Heldentum ans Licht (von fern hört man die Fanfaren tönen). Frank T.J. Mackey bringt dem siechenden Körper am Sterbebett nur noch blanken Haß entgegen. Traten die Charaktere, die Cruise in den 80´ern spielte, noch den linearen Weg in die Fußstapfen der Väter an, so differenzieren sich die Beziehungen in MAGNOLIA ins absolute Chaos, der Vater ist nicht mehr Held, sondern Ursprung allen Übels. Sein Sohn schwebt ohne Bezugsrahmen durch das leere Feld "Männlichkeit" und endet als Sozialkrüppel auf der Bühne enttäuschter männlicher Erwartungen.

Cruise kämpft sich seinen Weg durch die Verwirrungen einer neuen Zeitrechnung, die Augen immer aufmerksam, forschend, neugierig. Die Kontrolle haben seine Figuren irgendwo, irgendwann verloren und es scheint, als wäre sogar sein Gesicht Opfer einer Krise geworden, als hätte es sich entleert, wie die Glaubensinhalte. Als die Besetzungsliste für INTERVIEW WITH THE VAMPIRE bekannt wurde, legte Anne Rice, die die Romanvorlage geschrieben hatte und für das Screenplay verantwortlich sein sollte, aufs Heftigste Protest ein. Tom Cruise in der Rolle des Lestat? Es gab nichts, was sie sich weniger hätte vorstellen können. Sie drohte, die Dreharbeiten abbrechen zu lassen. Als der Film fertig war, entschuldigte sie sich bei Cruise und gratulierte ihm zu seiner Vorstellung. Ihr Verhalten ist verständlich. Das Gesicht des Schauspielers Cruise war 1994 einfach nicht mehr "unschuldig". Keine leere Fläche, in die sich eine beliebige Figur hätte einschreiben lassen. Im Gegenteil, Cruise war der Star. Sein Spiel vielleicht nicht immer "Larger than life" aber die Züge seines Gesichtes "larger" als der narrative Rahmen. Die Helden-und Saubermannimages hatten ihre Spuren hinterlassen, das Gesicht längst stark konnotiert, Cruise zu sehen verband man mit einer bestimmten Vorstellung von Charakter. Das Image konnte von den Rollen nicht mehr ganz überdeckt werden. Auch in diesem Kontext bildet INTERVIEW WITH THE VAMPIRE den Bruch und die Ironie will es, dass die Erzählung des Filmes es wollte, dass Cruises Gesicht von seinen Vampirkindern Louis und Claudia ausgebrannt wird und erst am Ende des Filmes, als Lestat in der Neuzeit ankommt, durch das Blut wiederhergestellt wird. Das Plus, das das Gesicht zu Beginn des Filmes in die Diegetik einbringt, wird durch die Flammen in der Mitte des Filmes ausradiert, der zum verwesenden Kadaver geschminkte Cruise wird durch die starken Make-up-Schichten gleichsam der Ästhetik, der düsteren und dekadenten Atmosphäre des Films, zugeführt. Das Gesicht Cruises verschwindet in dem von Lestat und gewinnt ein Mehr an Flexibilität. In MAGNOLIA geht Cruise vollkommen in der Rolle Frank T.J. Mackey auf. Kein Vergleich zu BORN ON THE 4TH OF JULY, der großen Wert legt auf die Veränderung des Gesichtes, die psychologische Dauer, den Verfall durch die Maske spürbar machen will und dennoch immer wieder an den markanten Zügen des Hauptdarstellers scheitern muß. Die Distanz verschwindet mit INTERVIEW WITH THE VAMPIRE, das Spiel wird beweglicher und am Ende, als Lestat im Auto sitzt, verblassen die Zweifel und man möchte sagen: "I believe."

André Grzeszyk

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