Das große, millionenteure Hollywood-Sommerkino hat eine spannende
Eigenart: Star-Namen, Werbekampagne und in einem Satz
zusammenfassbares Grundkonzept sind für das Strömen der
Zuschauermassen an die Kinokassen meist ausschlaggebender als die
Beschaffenheit der Filme selbst. Und das gibt Freiheit. Im
schlimmsten Falle dazu, langweiliges Routine-Handwerk abzuspulen
wie bei, sagen wir, Wolfgang Petersen oder zynische
Nullnummern-Feuerwerke abzubrennen wie Joel Schumacher. Im
interessanteren Falle dazu, ein Kompromissprodukt
zusammenzuschustern wie WILD, WILD WEST, das so aus allen Fugen
gerät, dass es längst die Konventionen klassischen Erzählkinos
hinter sich lässt und purer Surrealismus wird. Im besten Falle aber
auch dazu, richtige Filmkunst durchzuschmuggeln. Brian DePalma ist
einer, der sowas beherrscht und unter anderem mit MISSION:
IMPOSSIBLE schon bestens vorexerziert hat. Das war eines der un-
und missverstandendsten Meisterwerke der 90er, ein großartiger
filmischer Essay über Körper und Raum im Actionfilm in Zeiten
grassierender Virtualität. Gesehen haben's unheimlich viele Leute,
gemocht hat's kaum jemand: Die einen nicht, weil's zuwenig
Explosionen gab und alles irgendwie voll komplex und verwirrend
war, eyh. Die anderen nicht, weil sie sich für besonders klug
halten, wenn sie über alles, was mehr als $20 Mio. Budget, Stars
und Actionsequenzen hat die Nase rümpfen und genaueres Hinsehen für
eine überflüssige Tugend halten.
MISSION:
IMPOSSIBLE 2 wird voraussichtlich ein ähnliches Schicksal
teilen. Der hat zwar mehr Action, aber erst nach anderthalb
Stunden brillantem Kammerspiel. Und während die narrativen
und filmischen Irritationen sparsamer gesät sind als beim
Vorgänger, wird sich die ganze Großartigkeit des Films wieder
nur auftun, wenn man bereit ist, wach zu schauen und zu denken.
Aber lassen wir sie nur alle zetern und schimpfen und sich
für toll und drüberstehend halten - die, die großes Hollywoodkino
zwangsweise immer doof finden müssen; die, die selbst nach
EYES WIDE SHUT und MAGNOLIA noch immer nicht gemerkt haben,
dass Tom Cruise zu den Guten gehört; die, die irgendwann grade
mal THE KILLER gesehen haben und sich jetzt soviel drauf einbilden,
dass sie uns weissmachen wollen, M:I 2 sei "nicht so gut wie
John Woos Hong Kong Filme". Wir lassen sie einfach ihren Unsinn
reden und freuen uns derweilen an diesem Meisterwerk, an diesem
grandiosen Kino-Geschenk.
Und deswegen muss unsere Empfehlung diese Woche auch schlicht und
einfach lauten: MISSION: IMPOSSIBLE 2. (Wobei wir übrigens, nach
dem, was wir ausschnittsweise von der Synchronfassung gesehen
haben, mal wieder dringend zum Original raten würden...) Nicht,
weil wir plötzlich auch allein dem Kommerz huldigen und uns PETITS
FRÈRES und die kleine Soderbergh-Reihe im Werkstattkino,
Bollywood-Musicals (REFUGEE, Mo 19:45 im Neuen Rottmann),
Emigranten-Filme und Hitchcock im Filmmuseum nicht mehr wichtig
wären oder uns nicht mehr begeistern könnten. Sondern einfach, weil
M:I 2 großes, geniales Kino ist. Und auch jenseits der $100
Mio.-Grenze wahre (und auch unverstandene) Filmkunst
stattfindet.
(Und weil auch zwischen den Grenzen von EM und Bundesligaauftakt
irgendwo auf der Welt schon ein Kreis- oder Regionalligaspiel, ein
Freundschafts- oder Trainingsmatch stattfinden wird, das unsereins
im Fernsehen verfolgen kann, lautet Herrn Oehmanns Empfehlung
schlicht und einfach und bewährt: "Samstags Fußball, Sonntag
Lindenstraße.")
Viel Spaß dabei wünscht Ihnen
Die
Artechock-Redaktion
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