Rechtzeitig zum Start des neuen Films der Farrelly-Brüder ICH BEIDE UND SIE (ME, MYSELF
& IRENE) war sich der Großteil der Filmkritik wieder einmal
einig, dass damit ein neuer Höhe- bzw. Tiefpunkt der
Geschmacklosigkeit erreicht wurde. Wie schon die Filme zuvor, sei
auch das neue Werk primitiv, beleidigend, abstoßend, pubertär und
weit, weit unter der sogenannten Gürtellinie
Dagegen kann man hier halten, dass die Farrellys zwei überaus
begabte Filmemacher sind, die einige der besten Komödien unserer
Zeit abgeliefert haben, unter anderem, weil man ihnen folgende fünf
Punkte zugute halten muss:
I. Die Filme der Farrellys sind nicht nur ordinär sondern auch
originär Alles was den anderen Komödienmachern im Moment
einzufallen scheint, ist das Wort Parodie. Jedes Genre, jedes
Sujet, jeder Film wird parodiert. Wenn das nicht reicht, parodiert
man eben die Parodien, wie etwa SCARY MOVIE, der sich über die
Horrorparodien á la SCREAM lustig macht. Neben den Parodien
gibt es dann noch eine Hand voll endlos variierter Standardkomödien
nach dem Schema Person X muss sich in den ungewohnten Umständen Y
zurechtfinden oder zusammen mit der verhaßten Person Z gemeinsam
eine schwierige Situation V bestehen. Die Filme der Farrellys
dagegen sparen sich diese Schablonen und erzählen eigene,
ungewohnte und stets originelle Geschichten.
II. Die Farrellys entlarven den amerikanischen Traum
Es ist falsch zu glauben, dass die Farrellys den American Way of
Life kritisieren. Sie demonstrieren vielmehr, wie brüchig er ist,
indem sie ihre Helden am Höhepunkt ihres Lebens zeigen (etwa den
angehenden Bowlingkönig in KINGPIN, den schüchternen Jungen, der
mit der Schulschönheit zum Abschlußball gehen will in VERRÜCKT NACH
MARY oder den glücklich verheirateten Polizisten in ME, MYSELF
& IRENE) und dann verdeutlichen, an welch dünnem Faden dieses
Glück hängt. Die Katastrophe ist nur einen Reißverschluß weit
entfernt. Der Abstieg der Helden in die (Unter)Welt der
Ausgestoßenen und Sonderlinge, die vom amerikanischen Traum per se
ausgeschlossen sind, ist dabei keine nörgelnde Kritik an der
Gesellschaft sondern deren realistischer Spiegel.
III. Die Farrellys durchbrechen filmische Konventionen
Das die Farrellys moralische Regeln durchbrechen ist bekannt.
Wichtiger erscheint mir jedoch, dass sie auch filmische
Konventionen sabotieren. Tun sie das auch nicht so augenfällig wie
die Dogmafraktion , so unterlaufen sie doch die typischen
Sehgewohnheiten, die uns schon in Fleisch und Blut übergegangen
sind. Wenn etwa das böse Alter Ego Hank in ME, MYSELF &
IRENE kein cooler Rächer ist, sondern ein Großmaul, das von jedem
der älter als 12 Jahre ist Prügel bezieht, dann entspricht das
nicht dem, was wir aus Filme wie etwa DER VERRÜCKTE PROFESSOR
gewohnt sind. Auch die Figur des Charlie mit einem
abgeschossenen Daumen aus dem Film zu entlassen widerspricht
vollkommen dem ungeschriebenen Gesetz des Filmemachens, dass die
Hauptfigur entweder heldenhaft stirbt oder, wenn sie überlebt,
trotz mancher Verletzung, doch keine bleibende Schäden davonträgt.
Bruce Willis oder Silvester Stallone sehen am Ende eines Films
vielleicht aus wie ein Pfund Gehacktes, aber im Rollstuhl sind sie
noch nie geendet.
IV. Die Farrellys nehmen ihre Figuren ernst Obwohl man
bei einem Film wie ME, MYSELF & IRENE zwangsläufig über das
Verhalten der Personen lacht, werde die Figuren von den Regisseuren
nie der Lächerlichkeit preisgegeben. Selbst die Negativpersonen wie
der Mafiosi oder die korrupten Polizisten sind keine tumben
Hanswurste, wie man sie aus anderen Komödie zur Genüge kennt.
Gerade diese Ernsthaftigkeit und Würde der Protagonisten lassen
aber ihr Missgeschicke um so witziger erscheinen.
V. Die Farrellys machen nichts anderes als viele andere
auch Sie machen es nur unter den "falschen" Umständen.
Würden sie die selben Filme für einen Bruchteil des Geldes drehen,
hätten ihre Werke schnell den Ruf, anarchistische
Independent-Kultfilme zu sein. Erinnert sich z.B. noch jemand an
das, was in den Filme von John Waters vor HAIRSPRAY so alles
passiert ist (ein entsprechender Vergleich mit dessen aktuellem
Film CECIL B. DEMENTED ist sicher auch nicht uninteressant) ?
Und ist ein Zwerg, der mit einem zwei Meter langem Geschlechtsteil
um sich wedelt deshalb weniger niveaulos, weil der Regisseur
Alfonso Arau und der Darsteller Woody Allen heißt (zu sehen in
PICKING UP THE PIECES beim diesjährigen Filmfest München) und nicht
Farrelly bzw. Jim Carrey ?
Michael Haberlander
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