KINO MÜNCHEN FILM AKTUELL ARCHIV FORUM LINKS SITEMAP
23.11.2000
 
 
   
 

"…a very twisted kingdom"
Zum Beispiel BAISE-MOI: Gewisse Grenzen der deutschen Filmkritik

 
     
 
 
 
 

Schlechte Filme soll man kritisieren. Auch dazu gibt es Magazine wie dieses, obwohl "Filmkritik" gewiß mehr und anderes meint, als nur Verrisse. Manchmal gibt es Filme, über deren fehlende Qualität sind sich alle einig. Und oft sind diese dann auch tatsächlich schlecht. Aber es gibt eben auch Fälle, da liegen die Dinge anders, und der Leser, auch der lesende Filmkritiker, wird skeptisch, wenn er dann auf die Produkte mancher Kollegen blickt. Nehmen wir zum Beispiel BAISE-MOI.

Man kann über diesen Film gewiß verschiedener Meinung sein. Man muss ihn nicht so gelungen finden, wie die artechock-Kritiker. Aber was doch, gelinde gesagt, verwundert, ist die Einhelligkeit und noch mehr der Ton der Verrisse. "Wir raten ab" lautete das Fazit der Katholischen Filmkritik. Vom "dümmlichen Amateur-Porno um ein paar mordende und fickende Weiber" sprach die TAZ, "miese Schauspieler, null Story, schlecht fotografiert, unendlich öder Sex." Einer wollte es gar verbieten lassen: Andreas Kilb, Autor der FAZ, die sich gern mit ihren klugen Köpfen schmückt, meinte schon während des Festivals von Locarno, einen solchen Film dürfe man nicht zeigen. Wieder andere, etwa Veronika Rall in der FR gingen nicht so weit, fanden aber auch keine Gnade: "das Reflexionsniveau des Films tendiert gegen null. Wie auch das seiner Autorinnen, wenn man sie befragt."
Woher diese Aggression? Offenbar dürfen Frauen im Kino keinen Sex und keine Lust um ihrer selbst willen haben. Liebe muß schon dabei sein. Und wenn nicht, dann handelt es sich wenigstens um einen schlechten Film. Offenbar dürfen Frauen auch keine Männer töten. Schon gar nicht durch eine Pistole, deren Lauf sie ihnen bis zum Ansatz in den Arsch stecken. Oder sie haben sehr sehr gute Gründe. Sonst muss man es eben verbieten.

Aber wo liegt eigentlich das Problem? Letztlich ganz simpel ausgedrückt in der Frage, ob Frauen eigentlich auch das Recht haben, einen schlechten Film zu machen.
Lassen wir hier einmal die Diskussion darüber, ob BAISE-MOI tatsächlich ein schlechter Film ist, weg. Denn selbst wenn er dass sein sollte, ist er doch bestimmt nicht schlechter, als - sagen wir - GRIPSHOLM, dem zwar auch die wenigsten gute Seiten abgewinnen können, der aber nicht einmal andeutungsweise ähnliche Aggressionen weckt, obwohl er die historische Figur des Nazi-Gegners Tucholsky dazu missbraucht, so eine Art Versöhnungsleitkultur aus dem flotten Dreier im Doppelbett zu entwickeln, und den marxistischen Tucholsky mit einem NS-Fliegeroffizier befreundet sein und beim Billard munter über Für und Wider der Emigration plaudern läßt. Moralisch infam, sozusagen politische Pornographie, da sie allein der Aufgeilung des durchschnittlich-gesunden historischen Nichtwissenwollens, der moralischen Entschuldung dient.

Oder nehmen wir VERGISS AMERIKA, ein ganz anderer Fall. Nett und völlig belanglos wird diese klischeetriefende, tausendmal zuvor gesehene Dreierkiste zur neuen Hoffnung des deutschen Films hochstilisiert. Vanessa Joop mag ja begabt sein und der Hypo-Preis sei ihr gegönnt, trotzdem ist der Film undurchdacht und schlecht erzählt. Wer bitte schön, glaubt man, könnte sich im Ausland für solch ein dünnes Fernsehfilmchen interessieren. Kein Schwein, das sei hier vorausgesagt.

Drittes Beispiel: THE CELL. Ein anderes Kaliber. Nach der Argumentationsstruktur der BAISE-MOI-Kritiker - die wir wohlgemerkt nicht teilen - müßte man das alles wahnsinnig pervers finden: schließlich taucht hier jemand ins Hirn eines Serienkillers ein, muss Verständnis entwickeln für sein gestörtes Denken.

Im Fall von BAISE-MOI wird mit anderem Maß gemessen, als in allen drei genannten Fällen. Plötzlich hört die Großzügigkeit auf, plötzlich wird Moral wieder zu einem Kriterium der Filmbeurteilung (vgl. dazu auch Fritz Göttlers Bemerkungen aus anderem Anlaß, veröffentlicht in der Herbst 2000 Ausgabe der Münchner Filmzeitschrift "24"). Der Grund hierfür liegt, bis zum Beweis des Gegenteils, darin dass hier eine überraschend primitive Frauenfeindlichkeit unter der Mehrheit der Filmkritiker an den Tag kommt. Und Phantasielosigkeit. Denn dafür, was an BAISE-MOI echt gefühlt, radikal zuende gedacht wurde, dafür fehlt vielen offenbar der Sinn. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ein von Zensur bedrohter Film ganz unabhängig von künstlerischen Kriterien in jedem Fall politischen Beistand verdient hätte. In Frankreich weiß man das, und viele Filmemacher - von Godard bis Catherine Breillat - unterzeichneten einen Protestaufruf. Hierzulande irrt man schon, wenn man glaubt, man könne BAISE-MOI nach rein filmischen Kriterien bewerten, sozusagen als ob es die politischen und moralischen Debatten nicht gegeben hätte. Neutral, "unpolitisch" beurteilen läßt sich der Film nicht mehr.

BAISE-MOI wie gesagt muss man nicht gut finden. Aber das der Film einen bestimmten Punkt mitten ins Herz trifft, zeigt schon die Reaktion der Kritik; und auch dass er mutig, und bis zur Kaltschneuzigkeit konsequent ist, wird man ihm nicht absprechen können.

Rüdiger Suchsland

  top
   
 
 
[KINO MÜNCHEN] [FILM AKTUELL] [ARCHIV] [FORUM] [LINKS] [SITEMAP] [HOME]