Schlechte Filme soll man kritisieren. Auch dazu gibt es Magazine
wie dieses, obwohl "Filmkritik" gewiß mehr und anderes meint, als
nur Verrisse. Manchmal gibt es Filme, über deren fehlende Qualität
sind sich alle einig. Und oft sind diese dann auch tatsächlich
schlecht. Aber es gibt eben auch Fälle, da liegen die Dinge anders,
und der Leser, auch der lesende Filmkritiker, wird skeptisch, wenn
er dann auf die Produkte mancher Kollegen blickt. Nehmen wir zum
Beispiel BAISE-MOI.
Man kann über diesen Film gewiß verschiedener Meinung sein. Man
muss ihn nicht so gelungen finden, wie die artechock-Kritiker. Aber
was doch, gelinde gesagt, verwundert, ist die Einhelligkeit und
noch mehr der Ton der Verrisse. "Wir raten ab" lautete das Fazit
der Katholischen Filmkritik. Vom "dümmlichen Amateur-Porno um ein
paar mordende und fickende Weiber" sprach die TAZ, "miese
Schauspieler, null Story, schlecht fotografiert, unendlich öder
Sex." Einer wollte es gar verbieten lassen: Andreas Kilb, Autor der
FAZ, die sich gern mit ihren klugen Köpfen schmückt, meinte schon
während des Festivals von Locarno, einen solchen Film dürfe man
nicht zeigen. Wieder andere, etwa Veronika Rall in der FR gingen
nicht so weit, fanden aber auch keine Gnade: "das Reflexionsniveau
des Films tendiert gegen null. Wie auch das seiner Autorinnen, wenn
man sie befragt." Woher diese Aggression? Offenbar dürfen
Frauen im Kino keinen Sex und keine Lust um ihrer selbst willen
haben. Liebe muß schon dabei sein. Und wenn nicht, dann handelt es
sich wenigstens um einen schlechten Film. Offenbar dürfen Frauen
auch keine Männer töten. Schon gar nicht durch eine Pistole, deren
Lauf sie ihnen bis zum Ansatz in den Arsch stecken. Oder sie haben
sehr sehr gute Gründe. Sonst muss man es eben verbieten.
Aber wo liegt eigentlich das Problem? Letztlich ganz simpel
ausgedrückt in der Frage, ob Frauen eigentlich auch das Recht
haben, einen schlechten Film zu machen. Lassen wir hier einmal
die Diskussion darüber, ob BAISE-MOI tatsächlich ein schlechter
Film ist, weg. Denn selbst wenn er dass sein sollte, ist er doch
bestimmt nicht schlechter, als - sagen wir - GRIPSHOLM, dem zwar
auch die wenigsten gute Seiten abgewinnen können, der aber nicht
einmal andeutungsweise ähnliche Aggressionen weckt, obwohl er die
historische Figur des Nazi-Gegners Tucholsky dazu missbraucht, so
eine Art Versöhnungsleitkultur aus dem flotten Dreier im Doppelbett
zu entwickeln, und den marxistischen Tucholsky mit einem
NS-Fliegeroffizier befreundet sein und beim Billard munter über Für
und Wider der Emigration plaudern läßt. Moralisch infam, sozusagen
politische Pornographie, da sie allein der Aufgeilung des
durchschnittlich-gesunden historischen Nichtwissenwollens, der
moralischen Entschuldung dient.
Oder nehmen wir VERGISS AMERIKA, ein ganz anderer Fall. Nett und
völlig belanglos wird diese klischeetriefende, tausendmal zuvor
gesehene Dreierkiste zur neuen Hoffnung des deutschen Films
hochstilisiert. Vanessa Joop mag ja begabt sein und der Hypo-Preis
sei ihr gegönnt, trotzdem ist der Film undurchdacht und schlecht
erzählt. Wer bitte schön, glaubt man, könnte sich im Ausland für
solch ein dünnes Fernsehfilmchen interessieren. Kein Schwein, das
sei hier vorausgesagt.
Drittes Beispiel: THE CELL. Ein anderes Kaliber. Nach der
Argumentationsstruktur der BAISE-MOI-Kritiker - die wir wohlgemerkt
nicht teilen - müßte man das alles wahnsinnig pervers finden:
schließlich taucht hier jemand ins Hirn eines Serienkillers ein,
muss Verständnis entwickeln für sein gestörtes Denken.
Im Fall von BAISE-MOI wird mit anderem Maß gemessen, als in allen
drei genannten Fällen. Plötzlich hört die Großzügigkeit auf,
plötzlich wird Moral wieder zu einem Kriterium der Filmbeurteilung
(vgl. dazu auch Fritz Göttlers Bemerkungen aus anderem Anlaß,
veröffentlicht in der Herbst 2000 Ausgabe der Münchner
Filmzeitschrift "24"). Der Grund hierfür liegt, bis zum Beweis des
Gegenteils, darin dass hier eine überraschend primitive
Frauenfeindlichkeit unter der Mehrheit der Filmkritiker an den Tag
kommt. Und Phantasielosigkeit. Denn dafür, was an BAISE-MOI echt
gefühlt, radikal zuende gedacht wurde, dafür fehlt vielen offenbar
der Sinn. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ein von Zensur
bedrohter Film ganz unabhängig von künstlerischen Kriterien in
jedem Fall politischen Beistand verdient hätte. In Frankreich weiß
man das, und viele Filmemacher - von Godard bis Catherine Breillat
- unterzeichneten einen Protestaufruf. Hierzulande irrt man schon,
wenn man glaubt, man könne BAISE-MOI nach rein filmischen Kriterien
bewerten, sozusagen als ob es die politischen und moralischen
Debatten nicht gegeben hätte. Neutral, "unpolitisch" beurteilen
läßt sich der Film nicht mehr.
BAISE-MOI wie gesagt muss man nicht gut finden. Aber das der Film
einen bestimmten Punkt mitten ins Herz trifft, zeigt schon die
Reaktion der Kritik; und auch dass er mutig, und bis zur
Kaltschneuzigkeit konsequent ist, wird man ihm nicht absprechen
können.
Rüdiger
Suchsland
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