Selten erlebt man das Kino derart überwältigend als
Manipulationsmaschine wie bei einer Besichtigung von Fritz Langs M.
Wie eine Laborversuchsanordnung funktioniert dieser Film. Denn am
Zuseher selbst wird durchexerziert, was dem Plot als
Schlüsselerfahrung zugrunde liegt: Die Motivation von Handlungen
und Haltungen durch affektgesteuerte Identifikation.
Ironisch demonstriert der Film die Fragilität des rationalen
Urteilsvermögens selbst im wachsten Geist. Der Verlauf der
Filmhandlung lockt den Zuseher immer wieder in die Identifikation
mit verschiedenen und bisweilen recht fragwürdigen Figuren und
deren Taten. Am eignen Leib muß man erleben, wie man willig der
Argumentation folgt und sich einer kindlichen Begeisterung für die
reibungslose, effizient organisierte und von einer dubiosen
Führerfigur selbstherrlich ins Werk gesetzte Menschenjagd nicht
erwehren kann. Denn auch wenn man sich später, dem Dunkel der
kinematographischen Höhle entstiegen, die Dinge rasch geraderücken
möchte, bleibt doch der beklemmende Eindruck bestehen, daß man es
hier bei sich selbst mit Reflexen zu tun hatte, die recht nahe bei
jenen Motiven angesiedelt sind, die soeben noch den besinnungslos
geifernden Pöbel reagieren ließen.
Als rücksichtsloser Argumentationsapparat funktioniert die
Kamera. Stets nur genau so viel gönnt sie unserem Auge, als es zum
willigen Glauben und eifrigen Ahnen gerade nötig hat. Und sie
stellt die Dinge so besonders vor uns, daß wir sie nur in der Weise
erkennen, wie es uns eben gerade zugedacht war. Das was nur ergänzt
werden kann und nicht erzählt wird, das was außerhalb des Rahmens
sich abspielt, das was nur als indirekte Reflexion zu erkennen
bleibt: all dies weckt jene Bilder, die der eigene innere
Projektionsapparat auf die subjektive Leinwand der Gefühle wirft.
Jene Ängste und Begierden, die sich umso mächtiger zeigen, als sie
die intimsten sind: die, denen man noch nie widerstehen konnte.
Dieser Apparat macht den Zuschauer zum Komplizen in einem Spiel,
das so faszinierend in seiner reibungslosen Mechanik funktioniert,
wie einer jener Matador Baukästen, die einmal im Verlauf der
Handlung eindrucksvoll in einem Schaufenster dekoriert erscheinen.
Und da erlebt man es doch voll Dankbarkeit, wenn am Ende das
selbstbewußte Denken schockartig wieder zu seinem Recht gelangt.
Denn der beklemmende Auftritt Peter Lorres vor dem Gangstertribunal
erschüttert letztendlich alle möglichen bestehenden Gewißheiten.
Schlagartig gelangt die scheinbar so fest gefügte Argumentation
wieder in die Schwebe. Dem erstaunten Zuseher sind alle
vorschnellen Urteile entrissen und nur eine Reihe von Fragen
geblieben.
Michael
Wegscheider
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