KINO MÜNCHEN FILM AKTUELL ARCHIV FORUM LINKS SITEMAP
29.03.2001
 
 
   
 

Schreibblockade

 
John Turturro als BARTON FINK
     
 
 
 
 

Seit Jahrzehnten kämpfen europäische Kulturpolitiker und -schaffende dafür, dass die Übermacht der amerikanischen Film- und Fernsehindustrie eingeschränkt wird. Doch weder Importschranken noch Abspielquoten ließen sich durchsetzen bzw. führten zu einem Erfolg. Jetzt jedoch könnte es sein, dass dieser Traum von hollywoodfreien Kinos und Fernsehern in Erfüllung geht und das, ohne dass sie etwas dafür tun mussten.

In Amerika droht der Streik der Drehbuchautoren (dem sich vielleicht auch die Schauspieler anschließen) und in manchen Worst-Case-Szenarien wird dies zum vollkommenen Erliegen der Spielfilm- und Fernsehproduktionen für mehrere Monate führen. Verlustausfälle in Milliardenhöhe werden vorausgesagt.

Worum geht es den Autoren? Grundsätzlich natürlich (wie bei fast jedem Streik) um mehr Geld. Die Autoren fordern eine angemessene Bezahlung und wollen höhere Beteiligungen an den Auslandverwertungen, dem DVD-Geschäft und anderen Zweitverwertungen ihrer Werke. Ihrer Werke?, fragt man verwundert und kommt direkt zur nächsten, nicht ganz so einfachen Forderung der Autoren.

Die Autoren kämpfen auch um mehr Einfluß während der Dreharbeiten, um mehr Kontrolle bei der Umsetzung ihrer Bücher und darum, dass ihre Leistung in der Öffentlichkeit nicht ständig unter die der Regisseure gestellt wird. Die Forderung, Regisseuren, die am Drehbuch nicht beteiligt waren, das Prädikat "A film by..." zu nehmen, steht für diesen Kampf um mehr Anerkennung. Ist das wirklich einen Streik wert?

Dass sich fast keiner für die Namen der Drehbuchautoren interessiert ist tragisch. Aber ergeht es den anderen Beteiligten beim Film anders? Welcher durchschnittlicher Kinogeher kann schon einen Cutter benennen, einen Kameramann oder einen Filmkomponisten (sofern er kein ohnehin bekannter Popstar ist)? Welcher Zuschauer kennt überhaupt namentlich Regisseure jenseits von Spielberg und Tarantino?
Es sind und bleiben vor allem die Schauspieler, die der Masse im Gedächtnis bleiben und daran werden auch Haarspaltereien im Vorspann nichts ändern.

Wie ambivalent dagegen die Forderung der Autoren nach mehr Einfluß bei den Dreharbeiten ist, zeigt schon die Tatsache, dass sich die Schauspieler ihrem Streik anschließen wollen, die Regisseure jedoch nicht. Diese befürchten wohl, dass ihren künstlerischen Visionen eine weitere Einschränkung droht.
Was zählt nun aber mehr; die unbeschnittene Kreativität der Drehbuchautoren oder die frei Entfaltung der Regisseure?

Zweifelsfrei gibt es gute Drehbücher, die durch die Regie "kaputtgefilmt" wurden. Aber ebenso zweifelsfrei hat so mancher Regisseur aus einem schlechten Drehbuch einen guten Film gemacht. Schlußendlich ist das Drehbuch aber immer nur ein (wenn auch wichtiger) Teil des ganzen Films, den der Regisseur zu einem einheitlichen Ganzen zusammenfügen soll. Wenn Autoren das Recht haben, in diese Aufgabe einzugreifen, dann werden sie naturgemäß nur ihr Drehbuch im Auge haben. Den Film als Einheit aus Schauspielern, Kamera, Musik und hundert anderen Faktoren zu sehen, müssen die Regisseure bewerkstelligen. Herumkrittelnde Autoren sind bei dieser schwierigen Aufgabe sicher nicht hilfreich.

Man sollte den Autoren ruhig mehr Geld geben und ihnen die Genugtuung einer großen und ausdrücklichen Erwähnung im Vorspann und auf den Plakaten lassen. Den Einfluß auf die Dreharbeiten aber sollte man ihnen weiterhin verwehren, auch auf die Gefahr hin, dass manches gutes Drehbuch darunter leidet. Wer als Drehbuchautor nicht damit leben kann, dass sein Werk von anderen verändert wird, der sollte seine Bücher entweder selber verfilmen (wie z. B. Paul Schrader, Steven Zaillian oder David Mamet) oder nur noch Literatur in Buchform schreiben.

Wenn es nun aber tatsächlich zum Streik kommt, was dann?
Dann könnte die große Stunde der Auteure, die Regisseur und Drehbuchautor in Personalunion sind, schlagen. Dann könnten die großen Studios all die Filme, die sie aus geschäftlichen oder taktischen Gründen bisher vernachlässigt haben (und die oft genug qualitativ über den aufwendig beworbenen stehen), neu und mit dem richtigen Marketing in unsere Kinos bringen. Dann könnten die sperrig anspruchsvollen Drehbücher und Projekte, die seit Jahren in Schubladen verstauben, endlich das Licht der Kinoleinwand erblicken. Dann könnten manche Kinoklassiker so wie zuletzt 2001 ihre prunkvolle Wiederaufführung erleben. Und wenn das alles nichts hilft, dann werden wir in unseren Kinos endlich Filme der amerikanischen Independents und der Welt jenseits von Hollywood sehen.

Oder wird es vielleicht doch so sein, wie in Robert Altmans THE PLAYER, in dem Peter Gallagher als überheblicher Produzent die Überflüssigkeit von Autoren demonstriert, indem er sich die Überschriften aus der Zeitung vorlesen läßt und in Sekundenschnelle daraus eine (wenn auch dämliche) Idee für einen Film macht.
Ironisch erwidert darauf Tim Robbins in der Rolle des nicht minder aufgeblasenen Griffin Mill, dass die Eliminierung der Autoren aus dem Schaffensprozess ganz nett sei, aber erst wenn man auch die Schauspieler und Regisseure los sei, mache das ganz wirklich Sinn.
Ganz ohne Autoren, dass erkennt offensichtlich sogar er als zynischer Studio Executive, geht es einfach nicht.

Michael Haberlander

  top
   
 
 
[KINO MÜNCHEN] [FILM AKTUELL] [ARCHIV] [FORUM] [LINKS] [SITEMAP] [HOME]