|
Kirk Douglas neuester Film DIAMONDS läuft in dieser
Woche in Deutschland an; vor einigen Wochen war er noch in
Berlin um einen Goldenen Bären für sein Lebenswerk entgegenzunehmen.
Von der Pressekonferenz in Berlin berichtet Thomas Willmann weiter unten - zunächst gibt
es hier seine Homage an die Legende Kirk Douglas.
Vergessen Sie das Kinn. Das Kinn ist eine falsche Fährte. Sicher,
es ist markant. Klar, darauf lässt sich der Wiedererkennungswert
dieses Gesichts am einfachsten reduzieren. Das Kinn ist es, was
sich der Karikatur als erstes anbietet. Und es soll schon
vorgekommen sein, dass Leute die Handlung halber Kirk Douglas-Filme
verpasst haben, weil sie nicht anders konnten, als auf dieses
unglaubliche Grübchen zu starren, das - mit Verlaub - manchmal
aussieht, als wäre es eine dem Rest der Menschheit versagt
gebliebene, zusätzliche Körperöffnung.
Aber das Kinn ist es nicht. Das ist höchstens der abschließende
Punkt unter dem Ausrufezeichen. Es sind die Augen, die Kirk Douglas
zur Filmlegende machen. Mehr als das vorgereckte Kinn, die scharfe,
schnittige Nase zeigen die Augen, dass hier ein Mensch ist, der die
Welt nicht einfach auf sichzukommenlässt. Lust for Life, eine Gier
nach Leben, Wissen, Erfahrung liegt in ihnen. Wenn die Augenbrauen
sich hoch in die Stirn wölben, die Augen sich weit öffnen, dann
scheint es, als wollten sie alles aufsaugen, was um sie ist, als
könnten sie nicht genug bekommen. Eine Glut schwelt in ihnen, die
Nahrung braucht. Der junge Trompeter in YOUNG MAN WITH A HORN, der
sie im Jazz findet, van Gogh in Minellis biographischem
Filmgemälde: Suchende, von Leidenschaft Getriebene. Es kann die
Neugier des Künstlers sein - aber auch die kindliche Neugier des
Naiven, das tägliche In-die-Welt-schauen als wäre alles an ihr
erstmalig und aufregend, wie bei dem Cowboy in LONELY ARE THE
BRAVE. Aber diese Augen können nicht nur aufnehmen, sie können auch
ausstrahlen. Und dann sind sie oft voll von einem Zorn und
Unverständnis, die die Welt verurteilen wie es Worte nie könnten.
Es sind die Augen eines Idealisten, der von der Welt enttäuscht
wird. Und die Augen des Revolutionärs, die die Vision der besseren
Welt schauen.
Vielleicht der subtilste Teil von Kirk Douglas' Mimik ist das
Spiel der Mundwinkel. Meist scheinen sie immer ein wenig zu
lächeln, sind leicht nach oben geschwungen. Mal in einem allem
trotzendem Optimismus, in einer unerschütterlichen Grundzuversicht.
Mal in überheblicher Ironie. Mal in grenzenloser Verachtung, in
bitterem Sarkasmus. Wenn die Lippen sich öffnen, dann lassen
sie diese unverwechselbare Stimme ertönen, die vor allem im
schwelenden Zorn gern langgezogen ein Reiben wie von rauhen
Kieselsteinen hören lässt. Die aber auch immer wieder in ein
erstaunlich hohes Register umschnappt, in der ein Schluchzen, ein
Brechen liegen kann.
So ausdrucksvoll Kirk Douglas' Gesicht, seine Stimme sind, so
sehr sind sie auch nur ein Teil seines Spiels. Douglas ist ein
Körper-Schauspieler par exellence, oft eine Art Action-Star avant
la lettre. Es gibt kaum einen seiner fast 90 Filme, in dem er nicht
wenigstens einmal das Hemd auszieht, in dem sein Oberkörper nicht
nackt zu sehen ist. Und er versteht und liebt es, seinen Körper
einzusetzen. Reiten, Boxen, Trapezartistik und Jonglieren hat er
fürs Kino gelernt, schwimmt selbst in den 70ern in De Palmas THE
FURY noch um die Wette und klettert an Fassaden. In THE VIKINGS
(der, zusammen mit SPARTACUS, wirkt wie eine Vorstudie zu Ridley
Scotts GLADIATOR) springt er behende über die waagrecht gestellten
Ruder des Wikingerschiffs - ohne Stuntman, versteht sich. Mehr
als seine einstudierten Gefühlsausbrüche ist es die rohe Kraft, die
so ungelenk gefangen scheint in dem unbeholfen durch die Interieurs
stapfenden, schlecht gebändigten Körper, die seinen van Gogh
eindrucksvoll macht, ihm etwas Wahrhaftiges verleiht. Wie
überhaupt, wenn Douglas spielt, wirklich spielt, er das eher in
einem etwas antiquierten, bühnenmäßig anmutenden Stil tut. Er ist
kein Method-Actor, keiner, der mit jeder Rolle verschmilzt und die
Emotionen, die er darstellt, selbst fühlt. Weinen, Wut,
Verzweiflung sind fast immer vorgetäuscht. Das funktioniert
prächtig in seinen älteren Filmen; in den 60ern fängt es an, im
Einzelfall deplaziert zu wirken. Doch auch in Zeiten veränderten
Schauspielstils konnte er sich immer halten. Denn er wirkt immer
dann echt, wenn er wenig macht. Nicht die Ausbrüche sind seine
Stärke, sondern die Momente, wo er nur vermuten lässt, was hinter
der tiefen Stirnfalte zwischen den Augenbrauen vorgeht. Douglas ist
einer, dem man stets Tiefe ansieht, der kaum etwas zu tun braucht,
um ganz viel rüberzubringen. Er ist, bei aller physischen Präsenz,
bei aller Körperbetontheit, ein Schauspieler, der stets Intelligenz
ausstrahlt.
Seine großen Rollen waren selten echte Helden. Er ist einer der
wenigen großen Stars, der fast nie die Lichtgestalt verkörperte,
der selten den Liebhaber und noch seltener den erfolgreichen
Liebhaber spielte. Die meisten seiner Rollen sind Rollen aus
Männerwelten - Cowboys, Soldaten, Boxer, Gladiatoren, Wikinger.
Wenn da überhaupt Frauen vorkommen, dann sind es die anderen
Männer, die am Ende mit ihnen davonziehen. Als SPARTACUS
pflanzt er den Samen für die neue Zivilisation - teilhaben kann er
an ihr nicht mehr. In einem seltsam gedoppelten Christusbild hängt
er am Kreuz, unter dem die Marienfigur ihm ihr Kind - seinen Sohn -
präsentiert, bevor sie mit einem anderen als Joseph, als
Familienvater flieht. Vielleicht war deswegen die Rolle des
Cowboys die, auf die er immer wieder zurückkam, aber auch oft
reduziert wurde. Die des Mannes, der vorstößt in den Raum jenseits
der Grenzen der Zivilisation, ein Pariah, der die Konflikte der
Gesellschaft in der Sicherheit der Wildnis austrägt und dadurch zu
befleckt wird, um noch als Gemeinschaftsmitglied zu taugen. In
Otto Premingers Pearl Harbour-Drama IN HARM'S WAY zum Beispiel ist
er der dunkle Schatten zu John Waynes leuchtendem Admiral: Er ist
versoffen, jähzornig - und vergewaltigt eine Frau, was er selbst in
einem Kamikaze(!)-Tod büßt. Und der ganze Film CHAMPION (Douglas'
erste groß erfolgreiche Hauptrolle) macht nichts anderes, als die
Titelfigur zu demontieren, zu zeigen, dass der strahlende
Weltmeister außerhalb des Rings alles andere als ein Vorbild und
Sportsmann ist.
Mag sein, dass es auch seine politische Haltung war, die ihn immer
wieder in Rollen getrieben hat, die an der blitzblanken Fassade
des Amerikanischen Selbstverständnisses kratzen. Er wird nicht
müde, seine Bewunderung für Amerika und den Amerikanischen
Traum (den er fast bilderbuchmäßig gelebt hat) zu bekunden.
Aber - möglicherweise auch weil er ein Sturkopf ist, der sich
nur wohlfühlt wenn er Grenzen überschreitet, gegen etwas ankämpft
- er hat ihn nie als etwas einfach Gegebenes und Garantiertes
gesehen sondern als etwas, um dessen Erhalt man stets aufs
Neue ringen muss. Immer wieder war er derjenige, der sich
von seiner Macht oder seinem Ruhm verführen lässt - der Reporter
in ACE IN THE HOLE, der Produzent in THE BAD AND THE BEAUTIFUL,
der kompromisslose Polizist in DETECTIVE STORY, der politisch
ambitionierte Sheriff in POSSE (in dem Douglas selbst Regie
führte), in manchen Momenten selbst SPARTACUS - seltener derjenige,
der andere auf ähnlichen Bahnen zu stoppen versucht (SEVEN
DAYS IN MAY, PATHS OF GLORY, THE FURY) oder einer, der versucht,
sich ganz außerhalb der Gesellschaft zu stellen (Elia Kazans
THE ARRANGEMENT).
Berühmt ist die Geschichte, wie er im wirklichen Leben McCarthys
Schwarze Liste zu Fall brachte, indem er als erster wieder
durchsetzte, dass der Namen des gebrandmarkten Autors Dalton
Trumbo auf der Leinwand erschien (und so oft wurde sie erzählt,
dass man sich manchmal fragen mag, ob das damals wirklich
alles einfach so in einer heldenhaften Entscheidung eines
einzelnen Mannes über Nacht geschah...).
Und es passt sehr gut, dass von seinen fast 90 Filmen ausgerechnet
der (zugegebenermaßen völlig zu Unrecht) wenig bekannte LONELY
ARE THE BRAVE sein Liebster ist: Der allerletzte Cowboy, der
noch durch eine Landschaft reitet, die schon überall durch
Zäune parzelliert ist, über der die Düsenjets rasen - einer,
der manchmal selbst zu ahnen scheint, wie stur und naiv seine
Pose ist, der aber nicht anders kann, als an ihr festzuhalten,
weil es sonst keiner mehr tut und er nie gelernt hat, richtig
erwachsen zu werden; einer, der es auf sich nimmt, die Verkörperung
der Gründerzeit-Ideale zu spielen, auch wenn es dafür eigentlich
keinen Platz mehr gibt; ein echter Amerikaner also, wie es
ihn nicht mehr gibt (und wahrscheinlich nie wirklich gegeben
hat) - das ist die Rolle von Kirk Douglas' Leben.
Thomas
Willmann
|