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26.04.2001
 
 
   
 

Der allerletzte Cowboy
Über die Schauspieler-Legende Kirk Douglas

 
Das Grübchen
     
 
 
 
 

Kirk Douglas neuester Film DIAMONDS läuft in dieser Woche in Deutschland an; vor einigen Wochen war er noch in Berlin um einen Goldenen Bären für sein Lebenswerk entgegenzunehmen. Von der Pressekonferenz in Berlin berichtet Thomas Willmann weiter unten - zunächst gibt es hier seine Homage an die Legende Kirk Douglas.

Vergessen Sie das Kinn. Das Kinn ist eine falsche Fährte. Sicher, es ist markant. Klar, darauf lässt sich der Wiedererkennungswert dieses Gesichts am einfachsten reduzieren. Das Kinn ist es, was sich der Karikatur als erstes anbietet. Und es soll schon vorgekommen sein, dass Leute die Handlung halber Kirk Douglas-Filme verpasst haben, weil sie nicht anders konnten, als auf dieses unglaubliche Grübchen zu starren, das - mit Verlaub - manchmal aussieht, als wäre es eine dem Rest der Menschheit versagt gebliebene, zusätzliche Körperöffnung.

Aber das Kinn ist es nicht. Das ist höchstens der abschließende Punkt unter dem Ausrufezeichen. Es sind die Augen, die Kirk Douglas zur Filmlegende machen. Mehr als das vorgereckte Kinn, die scharfe, schnittige Nase zeigen die Augen, dass hier ein Mensch ist, der die Welt nicht einfach auf sichzukommenlässt. Lust for Life, eine Gier nach Leben, Wissen, Erfahrung liegt in ihnen. Wenn die Augenbrauen sich hoch in die Stirn wölben, die Augen sich weit öffnen, dann scheint es, als wollten sie alles aufsaugen, was um sie ist, als könnten sie nicht genug bekommen. Eine Glut schwelt in ihnen, die Nahrung braucht. Der junge Trompeter in YOUNG MAN WITH A HORN, der sie im Jazz findet, van Gogh in Minellis biographischem Filmgemälde: Suchende, von Leidenschaft Getriebene.
Es kann die Neugier des Künstlers sein - aber auch die kindliche Neugier des Naiven, das tägliche In-die-Welt-schauen als wäre alles an ihr erstmalig und aufregend, wie bei dem Cowboy in LONELY ARE THE BRAVE. Aber diese Augen können nicht nur aufnehmen, sie können auch ausstrahlen. Und dann sind sie oft voll von einem Zorn und Unverständnis, die die Welt verurteilen wie es Worte nie könnten. Es sind die Augen eines Idealisten, der von der Welt enttäuscht wird. Und die Augen des Revolutionärs, die die Vision der besseren Welt schauen.

Vielleicht der subtilste Teil von Kirk Douglas' Mimik ist das Spiel der Mundwinkel. Meist scheinen sie immer ein wenig zu lächeln, sind leicht nach oben geschwungen. Mal in einem allem trotzendem Optimismus, in einer unerschütterlichen Grundzuversicht. Mal in überheblicher Ironie. Mal in grenzenloser Verachtung, in bitterem Sarkasmus.
Wenn die Lippen sich öffnen, dann lassen sie diese unverwechselbare Stimme ertönen, die vor allem im schwelenden Zorn gern langgezogen ein Reiben wie von rauhen Kieselsteinen hören lässt. Die aber auch immer wieder in ein erstaunlich hohes Register umschnappt, in der ein Schluchzen, ein Brechen liegen kann.

So ausdrucksvoll Kirk Douglas' Gesicht, seine Stimme sind, so sehr sind sie auch nur ein Teil seines Spiels. Douglas ist ein Körper-Schauspieler par exellence, oft eine Art Action-Star avant la lettre. Es gibt kaum einen seiner fast 90 Filme, in dem er nicht wenigstens einmal das Hemd auszieht, in dem sein Oberkörper nicht nackt zu sehen ist. Und er versteht und liebt es, seinen Körper einzusetzen. Reiten, Boxen, Trapezartistik und Jonglieren hat er fürs Kino gelernt, schwimmt selbst in den 70ern in De Palmas THE FURY noch um die Wette und klettert an Fassaden. In THE VIKINGS (der, zusammen mit SPARTACUS, wirkt wie eine Vorstudie zu Ridley Scotts GLADIATOR) springt er behende über die waagrecht gestellten Ruder des Wikingerschiffs - ohne Stuntman, versteht sich.
Mehr als seine einstudierten Gefühlsausbrüche ist es die rohe Kraft, die so ungelenk gefangen scheint in dem unbeholfen durch die Interieurs stapfenden, schlecht gebändigten Körper, die seinen van Gogh eindrucksvoll macht, ihm etwas Wahrhaftiges verleiht.
Wie überhaupt, wenn Douglas spielt, wirklich spielt, er das eher in einem etwas antiquierten, bühnenmäßig anmutenden Stil tut. Er ist kein Method-Actor, keiner, der mit jeder Rolle verschmilzt und die Emotionen, die er darstellt, selbst fühlt. Weinen, Wut, Verzweiflung sind fast immer vorgetäuscht. Das funktioniert prächtig in seinen älteren Filmen; in den 60ern fängt es an, im Einzelfall deplaziert zu wirken. Doch auch in Zeiten veränderten Schauspielstils konnte er sich immer halten. Denn er wirkt immer dann echt, wenn er wenig macht. Nicht die Ausbrüche sind seine Stärke, sondern die Momente, wo er nur vermuten lässt, was hinter der tiefen Stirnfalte zwischen den Augenbrauen vorgeht. Douglas ist einer, dem man stets Tiefe ansieht, der kaum etwas zu tun braucht, um ganz viel rüberzubringen. Er ist, bei aller physischen Präsenz, bei aller Körperbetontheit, ein Schauspieler, der stets Intelligenz ausstrahlt.

Seine großen Rollen waren selten echte Helden. Er ist einer der wenigen großen Stars, der fast nie die Lichtgestalt verkörperte, der selten den Liebhaber und noch seltener den erfolgreichen Liebhaber spielte. Die meisten seiner Rollen sind Rollen aus Männerwelten - Cowboys, Soldaten, Boxer, Gladiatoren, Wikinger. Wenn da überhaupt Frauen vorkommen, dann sind es die anderen Männer, die am Ende mit ihnen davonziehen.
Als SPARTACUS pflanzt er den Samen für die neue Zivilisation - teilhaben kann er an ihr nicht mehr. In einem seltsam gedoppelten Christusbild hängt er am Kreuz, unter dem die Marienfigur ihm ihr Kind - seinen Sohn - präsentiert, bevor sie mit einem anderen als Joseph, als Familienvater flieht.
Vielleicht war deswegen die Rolle des Cowboys die, auf die er immer wieder zurückkam, aber auch oft reduziert wurde. Die des Mannes, der vorstößt in den Raum jenseits der Grenzen der Zivilisation, ein Pariah, der die Konflikte der Gesellschaft in der Sicherheit der Wildnis austrägt und dadurch zu befleckt wird, um noch als Gemeinschaftsmitglied zu taugen.
In Otto Premingers Pearl Harbour-Drama IN HARM'S WAY zum Beispiel ist er der dunkle Schatten zu John Waynes leuchtendem Admiral: Er ist versoffen, jähzornig - und vergewaltigt eine Frau, was er selbst in einem Kamikaze(!)-Tod büßt. Und der ganze Film CHAMPION (Douglas' erste groß erfolgreiche Hauptrolle) macht nichts anderes, als die Titelfigur zu demontieren, zu zeigen, dass der strahlende Weltmeister außerhalb des Rings alles andere als ein Vorbild und Sportsmann ist.

Mag sein, dass es auch seine politische Haltung war, die ihn immer wieder in Rollen getrieben hat, die an der blitzblanken Fassade des Amerikanischen Selbstverständnisses kratzen. Er wird nicht müde, seine Bewunderung für Amerika und den Amerikanischen Traum (den er fast bilderbuchmäßig gelebt hat) zu bekunden. Aber - möglicherweise auch weil er ein Sturkopf ist, der sich nur wohlfühlt wenn er Grenzen überschreitet, gegen etwas ankämpft - er hat ihn nie als etwas einfach Gegebenes und Garantiertes gesehen sondern als etwas, um dessen Erhalt man stets aufs Neue ringen muss. Immer wieder war er derjenige, der sich von seiner Macht oder seinem Ruhm verführen lässt - der Reporter in ACE IN THE HOLE, der Produzent in THE BAD AND THE BEAUTIFUL, der kompromisslose Polizist in DETECTIVE STORY, der politisch ambitionierte Sheriff in POSSE (in dem Douglas selbst Regie führte), in manchen Momenten selbst SPARTACUS - seltener derjenige, der andere auf ähnlichen Bahnen zu stoppen versucht (SEVEN DAYS IN MAY, PATHS OF GLORY, THE FURY) oder einer, der versucht, sich ganz außerhalb der Gesellschaft zu stellen (Elia Kazans THE ARRANGEMENT).
Berühmt ist die Geschichte, wie er im wirklichen Leben McCarthys Schwarze Liste zu Fall brachte, indem er als erster wieder durchsetzte, dass der Namen des gebrandmarkten Autors Dalton Trumbo auf der Leinwand erschien (und so oft wurde sie erzählt, dass man sich manchmal fragen mag, ob das damals wirklich alles einfach so in einer heldenhaften Entscheidung eines einzelnen Mannes über Nacht geschah...).
Und es passt sehr gut, dass von seinen fast 90 Filmen ausgerechnet der (zugegebenermaßen völlig zu Unrecht) wenig bekannte LONELY ARE THE BRAVE sein Liebster ist: Der allerletzte Cowboy, der noch durch eine Landschaft reitet, die schon überall durch Zäune parzelliert ist, über der die Düsenjets rasen - einer, der manchmal selbst zu ahnen scheint, wie stur und naiv seine Pose ist, der aber nicht anders kann, als an ihr festzuhalten, weil es sonst keiner mehr tut und er nie gelernt hat, richtig erwachsen zu werden; einer, der es auf sich nimmt, die Verkörperung der Gründerzeit-Ideale zu spielen, auch wenn es dafür eigentlich keinen Platz mehr gibt; ein echter Amerikaner also, wie es ihn nicht mehr gibt (und wahrscheinlich nie wirklich gegeben hat) - das ist die Rolle von Kirk Douglas' Leben.

Thomas Willmann

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