Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Normalerweise
ist auf diesen Seiten vom Fernsehen nicht die Rede (außer es wird
darüber gelästert). Doch vor die Wahl gestellt, einen sehr guten
Film gar nicht oder im Fernsehen zu sehen, tendiere ich widerwillig
doch zur zweiten Alternative.
Der Film, der mich meinen ewigen Ärger über den schändlichen
Umgang mit Spielfilmen im deutschen Fernsehen kurz überwinden läßt,
ist der großartige FACE von Antonia Bird, den die ARD am
Sonntag den 29.4.01 um 23.35 Uhr ("Kino um Elf" nennt die
ARD das dann auch noch hämisch selbstbewußt) ausstrahlt.
Während Antonia Bird mit ihrem Sozialdrama DER PRIESTER noch
allgemeine Anerkennung erntete konnte, wurde die darauf folgende,
erstaunlich belanglose Hollywoodproduktion MAD LOVE weder
kommerziell noch künstlerisch ein Erfolg. Den Verleihern schien
dies Grund genug, FACE erst gar nicht mehr in unsere Kinos zu
bringen, weshalb das Filmfest München 1998 und das Werkstattkino
die einzigen Gelegenheiten boten, den Film auf der Leinwand zu
sehen (Birds nächster und bisher leider letzter Spielfilm RAVENOUS
erlitt übrigens ein fast identisches Schicksal).
Die Handlung von FACE ist beeindruckend schlicht. Einige
Kriminelle aus dem Londoner East End wollen mit einem letzten
großen Coup den Ausstieg aus der Armut und dem Verbrechen schaffen.
Der Überfall klappt, doch die Beute ist zu klein. Neid und
Misstrauen machen sich breit und bald beginnt einer von ihnen zu
töten, um seinen Anteil zu erhöhen.
Gangsterdramen wie diese ist man vor allem aus Amerika oder aus
Japan gewohnt. Doch Antonia Bird nimmt sich dieses Genres gekonnt
an und ergänzt es sogar noch um die im britischen Kino so oft (wenn
nicht gar zu oft) gesehen soziale Komponente. Bei FACE sind die
Probleme der Menschen aber nicht der Mittelpunkt des Films, sondern
Antriebsfeder, Motivation und Auslöser für das (nicht nur
kriminelle) Handeln der Figuren.
Das wirft auch Fragen auf, die einem in üblichen Gangsterfilmen
eigentlich nicht begegnen: Kann man ein Räuber und gleichzeitig ein
politisch Linker sein? Ist vielleicht das Rauben sogar ein Ausdruck
einer (wenn auch radikalen) linken Gesinnung? Wie jeder gute
Film stellt FACE diese Fragen nur und versucht erst gar nicht sie
zu beantworten.
All das ist von Antonia Bird perfekt inszeniert, schwankend
zwischen elegischer Resignation, feinem Humor und bedrückender
Brutalität, unterlegt mit einer atmosphärischen Musik, fotografiert
in schönen, klaren aber nie überzogen verkünstelten Bildern und
getragen von durchgehend guten Darstellern, allen voran Robert
Carlyle und Ray Winstone.
Wer bedauert, dass Robert De Niro in Filmen wie MEINE BRAUT, IHR
VATER UND ICH, 15 MINUTEN RUHM oder MEN OF HONOR nur noch seine
alten Rollen wiederholt und langsam zur (nicht immer freiwilligen)
Parodie seiner selbst verkommt, dem sei allein schon deshalb FACE
ans Herz gelegt. Robert Carlyle darin zu sehen, wie er einerseits
sensibel versucht seine politische Überzeugung, seine Beziehung,
seine Familie und seine Freundschaften zu retten, er andererseits
als Chef der Gangsterbande mit der notwendigen Skrupellosigkeit und
Härte durchgreift, erinnert an die tragische Zerrissenheit De Niros
in Filmen wie TAXI DRIVER oder DEER HUNTER.
Bleibt nur zu hoffen, dass die ARD so viel Anstand hat, FACE
nicht im Vollbildformat zu senden, ihm nicht den Abspann zu kappen
oder sich gar erdreistet, die Gewaltszenen zu beschneiden (nicht um
diese Uhrzeit!!!). Und wenn wir ganz viel Glück haben, dann senden
sie den Film vielleicht sogar im Zweikanalton.
Michael Haberlander
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