PEARL HARBOR aus allen Rohren und allen Kanälen. Die
Berichterstattung zu diesem Film scheint das nachholen zu wollen,
was beim originalen Krieg vor 60 Jahren versäumt wurde. Dass
sich publikumsorientierte Medien für diesen Film begeistern,
verwundert nicht; that's infotainment! Dass sich die
professionelle Filmkritik damit herumschlagen muss, ist ein
leidiges Übel, das diese Profession so mit sich bringt (wobei nicht
verschwiegen sei, dass ein Verriss zu einem Unsinn wie diesem oft
leichter von der Hand geht als die Würdigung eines guten
Films). Dass sich aber auch das seriöse Feuilleton beinahe
ausnahmslos und zum Teil ausschweifend (wenn auch abwertend) mit
diesem Film beschäftigt, zeugt davon, in welchem Dilemma die
Kunstform Film noch heute steckt.
Kultursendungen in Funk und Fernsehen berichten jenseits der
großen Festivals nur selten über Filme und scheinen sich dabei auf
gesonderte Filmsendungen zu verlassen. Wie mit ernsthaften
Filmmagazinen jedoch umgegangen wird, zeigt sich am Beispiel der
Sendung APROPOS FILM, die (scheinbar zu ständig wechselnden
Sendeterminen) irgendwann nach Mitternacht ausgestrahlt wird.
Im gedruckten Feuilleton sieht es kaum besser aus, weshalb die
Bezeichnung der sogenannten "Filmseite" im Singular meist
zutreffend ist.
Wirklich groß berichtet das Feuilleton eigentlich nur noch über
Skandalfilme (BAISE-MOI), konsensfähige Anspruchsfilme (DAS PIANO,
AMERICAN BEAUTY) oder eben Spektakel à la PEARL HARBOR oder STAR
WARS - EPISODE I. Als Grundregel gilt: Wenn sogar die Tagesthemen
darüber sprechen, dann hat es wieder ein Film in diese sonderbare
Gruppe geschafft. Natürlich werden von den oben genannten
Filmen die einen hoch gelobt und die anderen bitter kritisiert,
doch stehen sie in ihrer medialen Allgegenwart auf der selben
Stufe. Und das ist die Crux an der Sache.
Film ist gleich Film! Das ist die herrschende Meinung. Zwar sind
nicht alle Filme gleich gut, aber schlußendlich ist doch alles nur
belichtetes Zelluloid. Ist dem wirklich so? Ist denn Musik gleich
Musik? Ist Literatur gleich Literatur? In der Musik gibt es
die ungeliebte Unterscheidung zwischen U- und E-Musik. Vielen
scheint diese Trennung unsinnig, da die Grenzen zwischen beiden zu
unklar sind. Aber würde hier jemand auf die Idee kommen, die neue
CD von Jennifer Lopez als Klassiker der Musikgeschichte zu
bezeichnen und deren Gesinge somit neben Bach, Beethoven und
Charlie Parker stellen? Nein, natürlich nicht. Bei PEARL
HARBOR dagegen spricht die Werbung und die freundlich gesinnte
Presse von einem Filmklassiker, einem Meisterwerk und stellt ihn
damit unwillkürlich neben CITIZEN KANE, PANZERKREUZER POTEMKIN und
Co. Alleine das Aufstellen einer derart anmaßenden und lächerlichen
Behauptung müsste allgemein zu wilder Empörung oder zumindest
schallendem Gelächter führen, tut es aber nicht.
Die Grenze zwischen Kunst und Kommerz ist beim Film sicher noch
schwieriger zu finden als in der Musik, was schlicht daran liegt,
dass Filme viel Geld kosten und somit einen gewissen finanziellen
Erfolg brauchen, um ihrer Schöpfer nicht zu ruinieren. Aber muss
man deshalb auf einen 100 Mio. Dollar Action-Quatsch aus Amerika
den selben Standard wie auf einen bescheidenen Problemfilm aus
Frankreich anlegen?
PEARL HARBOR ist Pop, ist Teil der großen, weiten Popkultur
zwischen Britney Spears, MTV und FRIENDS. Jeder kennt Popmusik,
Pop-Art und Popliteratur. Doch niemand spricht von Pop-Film. Warum
nicht? Weil Film a priori Kunst ist? Das möchten die
Produzenten von PEARL HARBOR uns glauben machen und erweitern diese
Gleichung dahingehend, dass viel Film auch viel Kunst ist.
Man kann das ganze aber auch umdrehen und fragen: Ist denn Film
überhaupt Kunst? Selbstverständlich! heißt es schnell und es
wird darauf verwiesen, dass der Film schließlich als die siebte
Kunst bezeichnet wird. Und die Realität? In der Realität
werden Filme (selbst die Klassiker) im Fernsehen als billiges
Füllmaterial verwendet und wenn nötig entsprechend verkürzt,
verändert, verstümmelt, unterbrochen, verschoben. In der Realität
schenken deutsche Verlage dem Kanzler für sein neues Kanzleramt 900
neue Bücher aber keine einzige Videokassette mit deutschen
Filmmeisterwerken. In der Realität erntet man mit der Aussage, man
gehe jährlich ca. 75-mal ins Kino, befremdete bis mitleidige
Blicke, obwohl etwa das Lesen von 50 Bücher, das viel
zeitaufwendiger ist, als relativ normal gilt. In der Realität
gehören Goethes Gesamtausgabe, Glenn Goulds Bach Einspielungen und
einige Dali Poster zur Grundeinrichtung des gehobenen
Bildungsbürgers, während das Gesamtwerk von Martin Scorsese auf
Video ähnlich Reaktionen wie eine Briefmarkensammlung hervorruft.
Den einen gilt also PEARL HARBOR als Kunst, den anderen dagegen
selbst die Filme von Cronenberg und Lynch als schlichte
Unterhaltung. Eine offensichtlich absurde Situation. Aber was
dagegen tun? Es wird sich, wie bereits erwähnt, keine exakte
Grenze zwischen Kommerz und Kunst im Kino ziehen lassen. Aber wenn
in Zukunft ein so offensichtlich finanziell und nicht kulturell
motivierter Film wie PEARL HARBOR startet, dann sollte das
Feuilleton darüber genau so berichten, wie über das neue Buch von
Rosamunde Pilcher, die Welttournee der Backstreet Boys oder die
Eröffnung eines Disney Freizeitparks; zehn Zeilen unter
"Vermischtes" dürften genügen.
Denn würde im Gegenzug konsequenter über wirklich
diskussionswürdige Filme berichtet, dann könnte man es sich als
Kulturinteressierter in Zukunft nicht mehr leisten, über das Kino
verächtlich die Nase zu rümpfen und sie als bloße Unterhaltung
abzutun. Diese Ablehnung wäre dann als das zu erkennen, was es
bereits heute ist: schlichte Ignoranz.
Michael
Haberlander
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