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12.07.2001
 
 
   
 

Komm, Herr Jesus, sei unser Gast...
Jess Franco besucht das Filmmuseum - und das Internet!

 
CALL HIM JESS!
     
 
 
 
 

Was, bitte, haben zwei solche gemeinsam?: Der eine hat den angeblich besten Film aller Zeiten gedreht, der andere einige der vorgeblich schlechtesten auf dem Gewissen. Der eine hat Jahrzehnte um seine künstlerische Autonomie gekämpft und dabei ein vergleichsweise schmales Oeuvre zustande gebracht; der andere gedreht, was und wieviel ging, unter mehr Pseudonymen, als er selbst wohl noch weiß - so um die 170 Filme inzwischen, eher drüber. Der eine ist von Kritik und Akademikern verehrter Götze, Gegenstand zahlreicher Biographien, Monographien, Essays ohne Ende, zählt unwägbar viel in der Cineasten-Elite; des anderen treueste Anhänger kennen zu einem nicht geringen Teil kaum andere Bewertungsmaßstäbe für Filme als die gebotene Menge an nacktem Fleisch und vergossenem Blut.
Was, also, soll zwei solche, soll Orson Welles und Jess Franco verbinden? Viel, sehr viel sogar. Da sind freilich erstmal die offensichtlichen Punkte, an dem sich beider Lebens- und Schaffenswege kreuzen: Bei Welles' Dreharbeiten zu CHIMES AT MIDNIGHT (FALSTAFF) war Jess Franco (eigentlich auf Jesus Franco getauft, aber den Heiland UND den faschistischen Diktator im Namen zu tragen war ihm dann doch zuviel) Regisseur der Second Unit; 1992 hat er aus dem vorhandenen Material zu Welles' nie fertig gestelltem Don Quichotte-Projekt eine in Cannes präsentierte Fassung montiert.
Aber es geht um mehr als solche eher zufälligen Berührungspunkte.

Denn zwischen den Filmen von Welles und Franco können nur für diejenigen Welten liegen, die krampfhaft an bildungsbürgerlichen Vorstellungen von Kunstkino festhalten. Wenn Franco Welles zu seinem großen Vorbild erklärt hat, dann ist das weit mehr als Anmaßung oder Koketterie - in vielerlei Hinsicht sind sie tatsächlich Seelenverwandte. Wie Welles hat Franco sich immer seine Nische gesucht, in der er künstlerisch so weit als möglich freie Hand hatte. Franco fand sie im low-budget Kino, im Exploitation-Film, im Geschäft mit Sex und Gewalt. Seine Budgets waren fast immer so klein, dass die Produzenten wenig Grund hatten, sich in den Dreh der Filme einzumischen - meist war klar, dass ein reißerischer Titel allein, dralle Hauptdarstellerinnen oder das Dranhängen an filmische Mode-Erscheinungen schon mehr als genügen würden, die Produktionskosten wieder einzuspielen. Das schuf Freiheiten, die sich teurere Filme nie leisten könnten. Dass Franco zum Spezialisten für Horror und Erotik im unteren Preisbereich wurde, dahinter steckt aber mehr als nur Strategie - mit Herz und Seele hängt er an den dunklen, dreckigen Wurzeln des Kinos, an dessen Rummelplatz-Ursprüngen. Francos Kino ist noch der Tradition proletarischer Unterhaltung verpflichtet, dem geisterbahnhaften Spiel mit den Urängsten und Ur-Trieben; es lebt vom Reiz des Verbotenen, Verdrängten. Wobei sich das bei ihm durchaus trifft mit dem Interesse sowohl des Stummfilm-Expresssionismus als auch der Surrealisten (die in Spanien bekanntlich große Tradition haben) für all das Finstre, das im Unterbewußtsein lauert.

Wie Welles war Franco nie am sogenannten "Realismus" oder gar "Naturalismus" interessiert. Der Versuch von "getreuer" Abbildung der Welt, wie sie vermeintlich ist, findet bei keinem von beiden statt. Und wie Welles sah Franco all die Absicherungs-Regeln, all die bürgerlichen Konventionen des klassischen Erzählkinos nie als verbindlich an. Beide schufen Kino, das voll Begeisterung seine Gemachtheit, seine Künstlichkeit zur Schau stellt, das spielt mit den Möglichkeiten der Film-Apparatur. Beiden genügte oft eine Wand, eine kleine Ecke antik scheinenden Gemäuers, ein Winkel im botanischen Garten als Set, um historische Szenerie, exotische Locations zu suggerieren; beide nutzten, was immer zur Hand war, um Illusionen zu erzeugen - Zauberkünstler, die mit dem Publikum ein Spiel der Suggestion spielen. Ein Spiel, das mit willigen Mitspielern rechnet - und nicht mit Krämerseelen, die verkniffen auf jedes Detail sich stürzen, das die Illusion enttarnen könnte.

Im Gegensatz zu Welles jedoch hat Franco sich dafür entschieden, so viele Filme wie nur möglich zu drehen. Kein Wunder, dass da bei knapp 200 Werken manches dabei ist, das kaum noch zu verteidigen ist- besonders, wenn Franco gelegentlich seiner misogynen, sadistischen Ader gar zu freien Lauf läßt. Aber er ist sich allemal stets bewußt, was er tut. Er kennt die Tradition, in der er steht, kennt die Filmgeschichte, und wenn er beispielsweise über einen seiner Ansicht nach überschätzten "Filmkünstler" wie Antonioni schimpft, dann weiß er - im Gegensatz zu manch anderen - stets genau, wovon er redet. Wenn Franco will, dann werden seine Filme durchaus auch intellektuell - ohne das je vor sich her zu tragen. Es steckt viel, steckt Komplexes in Filmen wie VAMPYROS LESBOS (eines seiner unbestreitbaren Meisterwerke) - man braucht nur offene Augen, offene Ohren statt vorverdauter Kategorien von "Kunst" und "Schund", das zu merken.

Orson Welles hat einmal gesagt, der synchrone Ton hätte das Filmemachen ruiniert - Franco würde ihm gewiss zustimmen: Die angebliche "Perfektion" der Technik war beider Ding nie. Sie lieben vielmehr das Basteln, das Arbeiten gegen das diktatorische Regime der Industriestandards. (Welles hat man dann diese Standards nachträglich aufoktruiert: Bei der angeblichen "Restauration" seines OTHELLO, die in Wahrheit eine pure Schändung des Werks darstellt, wurde u.a. mit viel Geld und Aufwand der Ton digital auf Lippen-Synchronität hingeprügelt.) Rebellen, beide, gegen glatte Norm-Ästhetik, gegen die Diktatur der nur mit hohem finanziellen Aufwand zu befriedigenden Erwartungen an Aussehen und Klang von Filmen.
Wenn bei Franco der Ton nicht synchron ist, das Bild offensichtlich sich weigert, "realistisch" auszusehen, dann hat das keinen anderen Grund als bei vergleichbaren Stellen im Werk von Welles oder auch Godard. Eigentlich muss man nur EINEN wesentlichen Schritt der Erkenntnis vollziehen, um sich den Werken Francos angemessen zu nähern: Die Einsicht, dass es andere Gründe gibt als Unvermögen oder Dummheit, wenn Filme nicht so aussehen, wie wir es von mindestens 90% des üblichen Erzählkinos gewohnt sind. Selbst, wenn diese Filme nicht mit dem Prädikat "Avantgarde" oder "Kunst" daherkommen.
Hin und wieder dreht Franco denn auch Sachen, die an der Oberfläche als völlig normales Kino durchgehen - nur um zu beweisen, dass er das kann, wann immer er mag. (In der - sehr empfehlenswerten - Doku CALL HIM JESS nennt er da Buñuel und dessen entsprechende Äußerungen zu seinem TAGEBUCH EINER KAMMERZOFE als Referenz.) Nein, es ist alles andere als Unvermögen, was Francos Filmen ihre Ästhetik diktiert. Ohne den geringsten Zweifel: Wenn er wollte und er das nötige Geld bekäme, Franco hätte keinerlei Probleme, einen Hollywood-Sommerblockbuster zu inszenieren so gut wie jeder andere. Die "Einstürzenden Neubauten" haben's schön auf den Punkt gebracht, in dem programmatischen Eröffnungssong des "Haus der Lüge"-Albums: "Wir könnten, aber..."

Jess Franco ist einer, der so wie alle anderen könnte, wenn er nur wollte - den jedoch das "aber" treibt; der lieber eigene Wege geht.
Seit das Kino immer sauberer wird, in seinen sterilen Multiplexen, seit immer mehr die Vertriebskanäle austrocknen für das Exploitation-Kino, seit auf dem Gebiet des Genre-Films in den Köpfen des Publikums Hollywood immer mehr einen alleinigen, absoluten Geltungsanspruch hat, sind die Zeiten auch für ihn schwieriger geworden. Es ist verdammt lange her, dass einer seiner Filme einen regulären deutschen (oder auch internationalen) Verleih gefunden hat - in den letzten Jahren dreht er praktisch ausschließlich für den Videomarkt; inzwischen auch (mit zunehmend experimentellen Resultaten) meist gleich auf DV.

So sehr man froh sein muss, dass es einen wie ihn überhaupt noch gibt - für einen KINO-Fan (und eben nicht VIDEO-Fan) ist diese Situation mehr als unbefriedigend. Um so beglückter darf man ob jeder Gelegenheit sein, wenigsten hin und wieder einen von Francos Filmen auf veritabler Leinwand präsentiert zu bekommen.
Letztes Jahr hat das Fantasy Filmfest (s.u.) ihm eine kleine Retrospektive gewidmet - in der der Meister selbst aber nur in der oben erwähnten Dokumentation zu Wort kam. Diese Woche nun ist Jess Franco im Filmmuseum zu Gast.
Am Freitag gibt es, aufgemerkt!, um 23:00 Uhre eine Ergänzung zum gedruckt vorliegenden Filmmuseums-Programm: Francos NECRONOMICON - GETRÄUMTE SÜNDEN.
(Eine erotische Phantasie, die zu Francos stärksten Filmen zählt - mit, kein Witz, Kostümen von Karl Lagerfeld!) Am Samstag wird er vor Welles' genialer Falstaff-Verfilmung CHIMES AT MIDNIGHT aus dem Nähkästchen plaudern, was seine Zusammenarbeit mit Orson betrifft. Am Sonntag dann bringt er noch Lina Romay (seine Ehefrau und Darstellerin in zahlloser seiner Filme) und den großen Herbert Fux mit (der alle Höhen und Tiefen des deutschen und österreischischen Nachkriegskinos mitgemacht hat, der HEXEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT hat, in Herzogs WOYZECK mitspielte, und mittlerweile bis in die TV-Vorhölle des "Bergdoktors" abgestiegen ist). Da geht es dann um Kinskis Klaus (s.u.), den er genauso gerne als Hauptdarsteller nutzte wie Werner Herzog es tat, nur dass bei Franco daraus keine psychologisch verquere Beziehung wurde sondern reine Film-Arbeit. In JACK THE RIPPER - DER DIRNENMÖRDER VON LONDON entlockt er Kinski eine seiner zurückgenommensten, ruhigsten, konzentriertesten Auftritte überhaupt, und gerade damit einen seiner gruseligsten. Wie der Film prinzipiell mehr als Beweis genug für Francos Meisterschaft ist - ohne Zweifel einer seiner gelungensten Streifen; ein bitterböses, eine erbarmungslose Welt sezierendes Werk.

Für alle, die von Franco nicht genug bekommen können, oder die nicht ins Münchner Filmmuseum pilgern wollen oder können, gibt's dann am Sonntag auch noch einen Live-Internet-Chat mit Jess Franco und Herbert Fux! Von 16:00 bis 16:45 steht der Herr Jesus Rede und Antwort, von 17:00 bis 17:45 das gute Herbertl. Also, einloggen, und zwar unter http://de.chat.yahoo.com.

Thomas Willmann

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