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Was, bitte, haben zwei solche gemeinsam?: Der eine hat den
angeblich besten Film aller Zeiten gedreht, der andere einige der
vorgeblich schlechtesten auf dem Gewissen. Der eine hat Jahrzehnte
um seine künstlerische Autonomie gekämpft und dabei ein
vergleichsweise schmales Oeuvre zustande gebracht; der andere
gedreht, was und wieviel ging, unter mehr Pseudonymen, als er
selbst wohl noch weiß - so um die 170 Filme inzwischen, eher
drüber. Der eine ist von Kritik und Akademikern verehrter Götze,
Gegenstand zahlreicher Biographien, Monographien, Essays ohne Ende,
zählt unwägbar viel in der Cineasten-Elite; des anderen treueste
Anhänger kennen zu einem nicht geringen Teil kaum andere
Bewertungsmaßstäbe für Filme als die gebotene Menge an nacktem
Fleisch und vergossenem Blut. Was, also, soll zwei solche, soll
Orson Welles und Jess Franco verbinden? Viel, sehr viel sogar. Da
sind freilich erstmal die offensichtlichen Punkte, an dem sich
beider Lebens- und Schaffenswege kreuzen: Bei Welles' Dreharbeiten
zu CHIMES AT MIDNIGHT (FALSTAFF) war Jess Franco (eigentlich auf
Jesus Franco getauft, aber den Heiland UND den faschistischen
Diktator im Namen zu tragen war ihm dann doch zuviel) Regisseur der
Second Unit; 1992 hat er aus dem vorhandenen Material zu Welles'
nie fertig gestelltem Don Quichotte-Projekt eine in Cannes
präsentierte Fassung montiert. Aber es geht um mehr als solche
eher zufälligen Berührungspunkte.
Denn zwischen den Filmen von Welles und Franco können nur für
diejenigen Welten liegen, die krampfhaft an bildungsbürgerlichen
Vorstellungen von Kunstkino festhalten. Wenn Franco Welles zu
seinem großen Vorbild erklärt hat, dann ist das weit mehr als
Anmaßung oder Koketterie - in vielerlei Hinsicht sind sie
tatsächlich Seelenverwandte. Wie Welles hat Franco sich immer seine
Nische gesucht, in der er künstlerisch so weit als möglich freie
Hand hatte. Franco fand sie im low-budget Kino, im
Exploitation-Film, im Geschäft mit Sex und Gewalt. Seine Budgets
waren fast immer so klein, dass die Produzenten wenig Grund hatten,
sich in den Dreh der Filme einzumischen - meist war klar, dass ein
reißerischer Titel allein, dralle Hauptdarstellerinnen oder das
Dranhängen an filmische Mode-Erscheinungen schon mehr als genügen
würden, die Produktionskosten wieder einzuspielen. Das schuf
Freiheiten, die sich teurere Filme nie leisten könnten. Dass Franco
zum Spezialisten für Horror und Erotik im unteren Preisbereich
wurde, dahinter steckt aber mehr als nur Strategie - mit Herz und
Seele hängt er an den dunklen, dreckigen Wurzeln des Kinos, an
dessen Rummelplatz-Ursprüngen. Francos Kino ist noch der Tradition
proletarischer Unterhaltung verpflichtet, dem geisterbahnhaften
Spiel mit den Urängsten und Ur-Trieben; es lebt vom Reiz des
Verbotenen, Verdrängten. Wobei sich das bei ihm durchaus trifft mit
dem Interesse sowohl des Stummfilm-Expresssionismus als auch der
Surrealisten (die in Spanien bekanntlich große Tradition haben) für
all das Finstre, das im Unterbewußtsein lauert.
Wie Welles war Franco nie am sogenannten "Realismus" oder gar
"Naturalismus" interessiert. Der Versuch von "getreuer" Abbildung
der Welt, wie sie vermeintlich ist, findet bei keinem von beiden
statt. Und wie Welles sah Franco all die Absicherungs-Regeln, all
die bürgerlichen Konventionen des klassischen Erzählkinos nie als
verbindlich an. Beide schufen Kino, das voll Begeisterung seine
Gemachtheit, seine Künstlichkeit zur Schau stellt, das spielt mit
den Möglichkeiten der Film-Apparatur. Beiden genügte oft eine Wand,
eine kleine Ecke antik scheinenden Gemäuers, ein Winkel im
botanischen Garten als Set, um historische Szenerie, exotische
Locations zu suggerieren; beide nutzten, was immer zur Hand war, um
Illusionen zu erzeugen - Zauberkünstler, die mit dem Publikum ein
Spiel der Suggestion spielen. Ein Spiel, das mit willigen
Mitspielern rechnet - und nicht mit Krämerseelen, die verkniffen
auf jedes Detail sich stürzen, das die Illusion enttarnen
könnte.
Im Gegensatz zu Welles jedoch hat Franco sich dafür entschieden,
so viele Filme wie nur möglich zu drehen. Kein Wunder, dass da bei
knapp 200 Werken manches dabei ist, das kaum noch zu verteidigen
ist- besonders, wenn Franco gelegentlich seiner misogynen,
sadistischen Ader gar zu freien Lauf läßt. Aber er ist sich allemal
stets bewußt, was er tut. Er kennt die Tradition, in der er steht,
kennt die Filmgeschichte, und wenn er beispielsweise über einen
seiner Ansicht nach überschätzten "Filmkünstler" wie Antonioni
schimpft, dann weiß er - im Gegensatz zu manch anderen - stets
genau, wovon er redet. Wenn Franco will, dann werden seine Filme
durchaus auch intellektuell - ohne das je vor sich her zu tragen.
Es steckt viel, steckt Komplexes in Filmen wie VAMPYROS LESBOS
(eines seiner unbestreitbaren Meisterwerke) - man braucht nur
offene Augen, offene Ohren statt vorverdauter Kategorien von
"Kunst" und "Schund", das zu merken.
Orson Welles hat einmal gesagt, der synchrone Ton hätte das
Filmemachen ruiniert - Franco würde ihm gewiss zustimmen: Die
angebliche "Perfektion" der Technik war beider Ding nie. Sie lieben
vielmehr das Basteln, das Arbeiten gegen das diktatorische Regime
der Industriestandards. (Welles hat man dann diese Standards
nachträglich aufoktruiert: Bei der angeblichen "Restauration"
seines OTHELLO, die in Wahrheit eine pure Schändung des Werks
darstellt, wurde u.a. mit viel Geld und Aufwand der Ton digital auf
Lippen-Synchronität hingeprügelt.) Rebellen, beide, gegen glatte
Norm-Ästhetik, gegen die Diktatur der nur mit hohem finanziellen
Aufwand zu befriedigenden Erwartungen an Aussehen und Klang von
Filmen. Wenn bei Franco der Ton nicht synchron ist, das Bild
offensichtlich sich weigert, "realistisch" auszusehen, dann hat das
keinen anderen Grund als bei vergleichbaren Stellen im Werk von
Welles oder auch Godard. Eigentlich muss man nur EINEN wesentlichen
Schritt der Erkenntnis vollziehen, um sich den Werken Francos
angemessen zu nähern: Die Einsicht, dass es andere Gründe gibt als
Unvermögen oder Dummheit, wenn Filme nicht so aussehen, wie wir es
von mindestens 90% des üblichen Erzählkinos gewohnt sind. Selbst,
wenn diese Filme nicht mit dem Prädikat "Avantgarde" oder "Kunst"
daherkommen. Hin und wieder dreht Franco denn auch Sachen, die
an der Oberfläche als völlig normales Kino durchgehen - nur um zu
beweisen, dass er das kann, wann immer er mag. (In der - sehr
empfehlenswerten - Doku CALL HIM JESS nennt er da Buñuel und dessen
entsprechende Äußerungen zu seinem TAGEBUCH EINER KAMMERZOFE als
Referenz.) Nein, es ist alles andere als Unvermögen, was Francos
Filmen ihre Ästhetik diktiert. Ohne den geringsten Zweifel: Wenn er
wollte und er das nötige Geld bekäme, Franco hätte keinerlei
Probleme, einen Hollywood-Sommerblockbuster zu inszenieren so gut
wie jeder andere. Die "Einstürzenden Neubauten" haben's schön auf
den Punkt gebracht, in dem programmatischen Eröffnungssong des
"Haus der Lüge"-Albums: "Wir könnten, aber..."
Jess Franco ist einer, der so wie alle anderen könnte, wenn er
nur wollte - den jedoch das "aber" treibt; der lieber eigene Wege
geht. Seit das Kino immer sauberer wird, in seinen sterilen
Multiplexen, seit immer mehr die Vertriebskanäle austrocknen für
das Exploitation-Kino, seit auf dem Gebiet des Genre-Films in den
Köpfen des Publikums Hollywood immer mehr einen alleinigen,
absoluten Geltungsanspruch hat, sind die Zeiten auch für ihn
schwieriger geworden. Es ist verdammt lange her, dass einer seiner
Filme einen regulären deutschen (oder auch internationalen) Verleih
gefunden hat - in den letzten Jahren dreht er praktisch
ausschließlich für den Videomarkt; inzwischen auch (mit zunehmend
experimentellen Resultaten) meist gleich auf DV.
So sehr man froh sein muss, dass es einen wie ihn überhaupt noch
gibt - für einen KINO-Fan (und eben nicht VIDEO-Fan) ist diese
Situation mehr als unbefriedigend. Um so beglückter darf man ob
jeder Gelegenheit sein, wenigsten hin und wieder einen von Francos
Filmen auf veritabler Leinwand präsentiert zu bekommen. Letztes
Jahr hat das Fantasy Filmfest (s.u.) ihm eine kleine Retrospektive
gewidmet - in der der Meister selbst aber nur in der oben erwähnten
Dokumentation zu Wort kam. Diese Woche nun ist Jess Franco im
Filmmuseum zu Gast. Am Freitag gibt es,
aufgemerkt!, um 23:00 Uhre eine Ergänzung zum gedruckt
vorliegenden Filmmuseums-Programm: Francos NECRONOMICON -
GETRÄUMTE SÜNDEN. (Eine erotische Phantasie, die zu
Francos stärksten Filmen zählt - mit, kein Witz, Kostümen von Karl
Lagerfeld!) Am Samstag wird er vor Welles' genialer
Falstaff-Verfilmung CHIMES AT MIDNIGHT aus dem Nähkästchen
plaudern, was seine Zusammenarbeit mit Orson betrifft. Am Sonntag
dann bringt er noch Lina Romay (seine Ehefrau und Darstellerin in
zahlloser seiner Filme) und den großen Herbert Fux mit (der alle
Höhen und Tiefen des deutschen und österreischischen
Nachkriegskinos mitgemacht hat, der HEXEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT
hat, in Herzogs WOYZECK mitspielte, und mittlerweile bis in die
TV-Vorhölle des "Bergdoktors" abgestiegen ist). Da geht es dann um
Kinskis Klaus (s.u.), den er genauso gerne als Hauptdarsteller
nutzte wie Werner Herzog es tat, nur dass bei Franco daraus keine
psychologisch verquere Beziehung wurde sondern reine Film-Arbeit.
In JACK THE RIPPER - DER DIRNENMÖRDER VON LONDON entlockt er Kinski
eine seiner zurückgenommensten, ruhigsten, konzentriertesten
Auftritte überhaupt, und gerade damit einen seiner gruseligsten.
Wie der Film prinzipiell mehr als Beweis genug für Francos
Meisterschaft ist - ohne Zweifel einer seiner gelungensten
Streifen; ein bitterböses, eine erbarmungslose Welt sezierendes
Werk.
Für alle, die von Franco nicht genug bekommen können, oder die
nicht ins Münchner Filmmuseum pilgern wollen oder können, gibt's
dann am Sonntag auch noch einen Live-Internet-Chat mit Jess
Franco und Herbert Fux! Von 16:00 bis 16:45 steht der Herr Jesus
Rede und Antwort, von 17:00 bis 17:45 das gute Herbertl. Also,
einloggen, und zwar unter http://de.chat.yahoo.com.
Thomas
Willmann
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