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12.07.2001
 
 
   
 

Wahnsinn!
Kinski kehrt zurück

 

Klaus Kinski in der Titelrolle von Jess Francos
JACK THE RIPPER - DER DIRNENMÖRDER VON LONDON

     
 
 
 
 

Angesichts all der belanglosen Nasen, die sich heute hierzulande schon "Star" nennen dürfen, vergisst man hin und wieder, welches Format, welche Größe deutsche Schauspieler in Zeiten erreichten, als man sie sich noch nicht in grauenvollen Sumpf der Vorabend-Serien heranzüchtete. Dabei ist es noch gar nicht so lang her, dass der leibhaftige Kinski zuletzt über unsere Leinwände tobte - wie kommt's, dass viele sich heute mit den pubertären Turnübungen eines blöden Bubs wie Ben Becker zufriedengeben (der jüngst meint, sich just an Kinskis lyrischem Output vergreifen zu müssen)? Sicher, Kinski hat einen großen Teil seiner Karriere und seines Lebens damit verbracht, den Wahnsinnigen zu spielen - und mit nichts läßt sich als Schauspieler auf billigere Weise nachhaltiger Eindruck schinden. Aber Kinskis Exzess war stets auch wirklich gelebt - selbst, wenn er offensichtlich nur die Erwartung an den Darsteller-Derwisch erfüllte, nur seine bis zur Perfektion erprobte Irrsins-Nummer abzog, selbst dann wusste man immer: Er kennt auch den echten Wahn; auch da, wo er (vor allem in den späteren Jahren) nur noch die Figur "Klaus Kinski" spielte, spürte man, dass es dahinter einen echten Kinski gab, der nicht weniger radikal an die Grenzen zu gehen bereit war.
Und Kinskis Wahnsinn hatte Methode - er hatte sich das Schauspielen tatsächlich erst einmal mit Fleiß und Geduld beigebracht, bevor er dann auf die Bühnen stürmte und sich mit dem Nimbus eines "Naturgenies" umgab. Wann immer Regisseure an mehr interessiert waren als dem wilden Wüterich, dem Irrsins-Clown Kinski, konnten sie aus ihm auch wesentlich vielschichtigere, zurückgenommenere Leistungen herausholen. So eindrucksvoll die Filme bleiben, die in seiner legendären Zusammenarbeit mit Werner Herzog entstanden - es ist ein wenig schade, dass ausgerechnet sie das Kinski-Bild so nachhaltig prägen. Freilich konnte kaum einer Kinskis Affen so produktiv Zucker geben wie Herzog, aber dadurch drängt sich etwas zu sehr in den Hintergrund, was Kinski als durchaus auch professioneller Schauspieler zu geben im Stande war, wenn ihn mit dem Regisseur eben keine (filmisch statt sexuell ausgelebte) sado-masochistische Beziehung verband.
Zur derzeitigen Kinski-Renaissance, mit Ausstellungen, CDs, Lesungen, Büchern, liefert das Münchner Filmmuseum nun die Film-Retro; verständlicher-, aber dennoch bedauerlicherweise bei weitem nicht vollständig. Das Angebot dürfte aber allemal ausreichen, um ein weniger eingeengtes Bild von Kinski zu bekommen, als es landläufig kursiert. (Wer bringt normalerweise z.B. Kinski und DR. ZHIVAGO in Verbindung?) Der schöne Nebeneffekt: Das Ganze wird zugleich zum Streifzug durch jene Jahrzehnte, als es noch ein lebendiges, eigenständiges, populäres europäisches Genre-Kino gab. Das Hollywood Paroli bieten konnte, in dem es sich auf ganz eigene Traditionen und Werte besann und diese mit den amerikanischen Vorbildern produktiv verknüpfte, anstatt nur lächerlich hilflose Kopien letzterer abzuliefern. Seien es die bundesdeutschen Edgar Wallace-Filme (die, es sei hier mit Nachdruck gefordert, schon längst eine eigene, umfassende Retrospektive verdient hätten!) oder die Italo-Western (dito!), oder sei es des hyperproduktiven Jess Francos Ausstoß an spanisch-italienisch-französisch-deutsch koproduzierten Horror-Filmen (s.o.): Endlich sind diese großen Filme (weitgehend noch immer zu wenig gewürdigt, zu wenig verstanden) wieder einmal im Kino zu sehen.
Wenn man dort dann einen wunderbaren Film wie DIE TOTEN AUGEN VON LONDON betrachtet und zum Vergleich das gegenwärtige deutsche Kino, dann wird einem auch klar, warum heute die anfangs angesprochenen belanglosen Nasen das Ruder übernommen haben: Selbst wenn Kinski noch lebte - wo, bitte, wäre für einen Großen wie ihn im derzeitigen deutschen Film noch ein Platz?

Thomas Willmann

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