Bei all den FINALen KinoFANTASIen kann man leicht vergessen, dass
es auch im Kino bisweilen etwas über Menschen zu erzählen gibt.
Einer, der in allen seinen Filmen ohne Umschweife immer nur genau
davon sprechen wollte, war Rainer Werner Fassbinder. Diese Rede vom
Menschen, die Fassbinder ins umfangreiche Werk gesetzt hat,
zeichnet vor allem eines aus: der bedingungslose Anspruch,
Wirklichkeit sichtbar zu machen. Hier findet Kino nicht als
Traumfabrik statt, sondern als Apparat der Aufklärung und
moralische Anstalt, als "filmisches Weltgericht" (so der Untertitel
einer hervorragenden Dokumentation von Peter Buchka über RWF, die
ebenfalls im Rahmen der Retrospektive zu sehen sein wird). Das
Münchner Filmmuseum bietet nun die Möglichkeit, an diesem
"Weltgericht" in seiner Totalität teilzunehmen. Es zeigt in einer
Werkschau die Filme Rainer Werner Fassbinders, ergänzt durch einige
zentrale Referenzfilme seiner wichtigsten Vorbilder Douglas Sirk
und Raoul Walsh, sowie einige Dokumentarfilme über ihn.
Eine große Sehnsucht wohnt in Fassbinders Figuren. Ihre Wege sie
zu stillen scheitern alle an den rücksichtslosen Mechanismen
gesellschaftlicher Macht. Übrig bleiben die endlosen Rituale des
Begehrens, stumme Relikte einer lange schon zerstörten Utopie, die
Fassbinder stets auf's Neue in ihrer mörderischen Monotonie
faszinieren. So wie ein Chirurg mit ruhiger Hand den Brustkorb
öffnet, um den Blick auf das schlagende Herz zu gestatten, öffnen
Fassbinders Filme den Blick auf die unabänderliche Mechanik der
Gefühle. Die Liebe und das Leiden, die Gier und die Verachtung: was
wir in uns selbst manchmal nur dumpf erahnen, hier liegt es offen
vor uns in einer ebenso nüchternen wie erschütternden Anatomie der
Seele.
Alles hat seinen Preis für den Menschen: die Liebe, die
Anerkennung, der Erfolg. Geschenkt gibt's nichts. "Weil ein Geld
muß eins da sein" erinnert Irmgard (Irm Herrmann) ihren Mann Hans
an das Unterpfand ihrer Zuneigung in HÄNDLER DER VIER JAHRESZEITEN.
Niemals erscheinen Fassbinders Figuren im luftleeren Raum. Stets
sind sie sorgfältig in ein Geflecht gesellschaftlicher Bezüge
eingefügt. Die Machtverhältnisse in diesem Gefüge bestimmen die
Abhängigkeiten, die Schuld und die Zwänge. Das Schmieröl dieser
Mechanismen aber, die Bedingung ihrer Funktion, ist die Angst.
FONTANE EFFI BRIEST zeigt den "Angstapparat" in Aktion, präzise wie
ein Lehrstück. Als dialektischer Gegenpart zur Angst
vervollständigen Abhängigkeit und Sucht diese dunkle Metaphysik.
Die Abhängigkeit von einem Menschen (besonders eindrucksvoll in den
BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT), oder die Abhängigkeit von
einer Droge (DIE SEHNSUCHT DER VERONIKA VOSS), es läuft auf das
Selbe hinaus: die Betäubung lässt doch immer wieder nach und der
Schmerz kehrt umso stärker zurück.
Die Gewalt in den Beziehungen zwischen Menschen: sie verrät sich
in tausend Details der Sprache, der Gesten und der Mimik. Um dieses
komplexe Geflecht zu zeigen, entwickelt Fassbinder seine eigene
Filmsprache. Während das gesamte Werk ständig um das eine dunkle
Zentrum der Aufmerksamkeit kreist, bilden sich daran nach und nach
eine faszinierende Vielfalt an Ausdrucksmitteln und ein
überraschender erzählerischer Reichtum in den unterschiedlichsten
Räumen und Milieus. Es lohnt sich diese Entwicklung in ihren
einzelnen Phasen zu verfolgen. In den Gangsterfilmen zunächst, mit
denen auch diese Retrospektive beginnt: die Anverwandlung des
amerikanischen film noire und der nouvelle vague im Milieu der
Münchner Vorstadtkriminellen (kommende Woche sind ab dem 3.
September LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD, GÖTTER DER PEST, sowie DER
AMERIKANISCHE SOLDAT zu sehen). Dann in dem verfilmten Theaterstück
KATZELMACHER und in WARUM LÄUFT HERR R. AMOK?: die
klaustrophobische Enge der Räume fällt hier auf und eine Sprache,
zugerichtet und rudimentär bis zum Stammeln, wie überhaupt
Fassbinder für seine Figuren stets eine Sprache formuliert, die
präzise gezeichnet ist von der Brutalität und den Zwängen der
Gesellschaft, in der sie gesprochen wird. Dann in den am
Mittelschichts-Melodram Douglas Sirks geschulten Erforschungen der
Unmöglichkeit humaner Existenz in der bürgerlichen Gesellschaft des
Nachkriegsdeutschland (HÄNDLER DER VIER JAHRESZEITEN; ANGST ESSEN
SEELE AUF; etc. bis SATANSBRATEN und CHINESISCHES ROULETTE). Die
großen Filme, die die deutsche Geschichte zum zentralen Thema haben
(DESPAIR; DIE EHE DER MARIA BRAUN; LILI MARLEEN; LOLA; DIE DRITTE
GENERATION). Schließlich BERLIN ALEXANDERPLATZ und QUERELLE als
Abschluß und Summe seines Schaffens. Eine lückenhafte Aufzählung
natürlich, die nur die Neugierde wecken soll auf ein im besten
Sinne vielfältiges Werk.
Und das wichtigste, für mich immer wieder faszinierendste an
Fassbinders Filmen sei hier zum Schluß doch noch einmal besonders
hervorgehoben: Diese unglaubliche Vielzahl an herausragenden
Schauspielern, und ihre in jeder Hinsicht außergewöhnlichen
Leistungen unter Fassbinders Regie. Und wie präzise sie stets,
selbst in kleinen Nebenrollen, die Figuren ausfüllen, die sie
verkörpern. Allein zu beobachten, wie Irm Herrmann in wechselnden
Rollen stets auf's Neue dem tödlichen Wahnsinn des deutschen
Spießertums ein für allemal ein Gesicht verleiht, ist immer wieder
ein cineastischer Hochgenuß. Und es wird im Verlauf dieser
Werkschau gewiß nicht der einzige bleiben.
Michael
Wegscheider
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