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30.08.2001
 
 
   
 

"Eine Liebe, das kostet viel"
Werkschau Rainer Werner Fassbinder im Filmmuseum München

 
Rainer Werner Fassbinder
     
 
 
 
 

Bei all den FINALen KinoFANTASIen kann man leicht vergessen, dass es auch im Kino bisweilen etwas über Menschen zu erzählen gibt. Einer, der in allen seinen Filmen ohne Umschweife immer nur genau davon sprechen wollte, war Rainer Werner Fassbinder. Diese Rede vom Menschen, die Fassbinder ins umfangreiche Werk gesetzt hat, zeichnet vor allem eines aus: der bedingungslose Anspruch, Wirklichkeit sichtbar zu machen. Hier findet Kino nicht als Traumfabrik statt, sondern als Apparat der Aufklärung und moralische Anstalt, als "filmisches Weltgericht" (so der Untertitel einer hervorragenden Dokumentation von Peter Buchka über RWF, die ebenfalls im Rahmen der Retrospektive zu sehen sein wird). Das Münchner Filmmuseum bietet nun die Möglichkeit, an diesem "Weltgericht" in seiner Totalität teilzunehmen. Es zeigt in einer Werkschau die Filme Rainer Werner Fassbinders, ergänzt durch einige zentrale Referenzfilme seiner wichtigsten Vorbilder Douglas Sirk und Raoul Walsh, sowie einige Dokumentarfilme über ihn.

Eine große Sehnsucht wohnt in Fassbinders Figuren. Ihre Wege sie zu stillen scheitern alle an den rücksichtslosen Mechanismen gesellschaftlicher Macht. Übrig bleiben die endlosen Rituale des Begehrens, stumme Relikte einer lange schon zerstörten Utopie, die Fassbinder stets auf's Neue in ihrer mörderischen Monotonie faszinieren. So wie ein Chirurg mit ruhiger Hand den Brustkorb öffnet, um den Blick auf das schlagende Herz zu gestatten, öffnen Fassbinders Filme den Blick auf die unabänderliche Mechanik der Gefühle. Die Liebe und das Leiden, die Gier und die Verachtung: was wir in uns selbst manchmal nur dumpf erahnen, hier liegt es offen vor uns in einer ebenso nüchternen wie erschütternden Anatomie der Seele.

Alles hat seinen Preis für den Menschen: die Liebe, die Anerkennung, der Erfolg. Geschenkt gibt's nichts. "Weil ein Geld muß eins da sein" erinnert Irmgard (Irm Herrmann) ihren Mann Hans an das Unterpfand ihrer Zuneigung in HÄNDLER DER VIER JAHRESZEITEN. Niemals erscheinen Fassbinders Figuren im luftleeren Raum. Stets sind sie sorgfältig in ein Geflecht gesellschaftlicher Bezüge eingefügt. Die Machtverhältnisse in diesem Gefüge bestimmen die Abhängigkeiten, die Schuld und die Zwänge. Das Schmieröl dieser Mechanismen aber, die Bedingung ihrer Funktion, ist die Angst. FONTANE EFFI BRIEST zeigt den "Angstapparat" in Aktion, präzise wie ein Lehrstück. Als dialektischer Gegenpart zur Angst vervollständigen Abhängigkeit und Sucht diese dunkle Metaphysik. Die Abhängigkeit von einem Menschen (besonders eindrucksvoll in den BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT), oder die Abhängigkeit von einer Droge (DIE SEHNSUCHT DER VERONIKA VOSS), es läuft auf das Selbe hinaus: die Betäubung lässt doch immer wieder nach und der Schmerz kehrt umso stärker zurück.

Die Gewalt in den Beziehungen zwischen Menschen: sie verrät sich in tausend Details der Sprache, der Gesten und der Mimik. Um dieses komplexe Geflecht zu zeigen, entwickelt Fassbinder seine eigene Filmsprache. Während das gesamte Werk ständig um das eine dunkle Zentrum der Aufmerksamkeit kreist, bilden sich daran nach und nach eine faszinierende Vielfalt an Ausdrucksmitteln und ein überraschender erzählerischer Reichtum in den unterschiedlichsten Räumen und Milieus. Es lohnt sich diese Entwicklung in ihren einzelnen Phasen zu verfolgen. In den Gangsterfilmen zunächst, mit denen auch diese Retrospektive beginnt: die Anverwandlung des amerikanischen film noire und der nouvelle vague im Milieu der Münchner Vorstadtkriminellen (kommende Woche sind ab dem 3. September LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD, GÖTTER DER PEST, sowie DER AMERIKANISCHE SOLDAT zu sehen). Dann in dem verfilmten Theaterstück KATZELMACHER und in WARUM LÄUFT HERR R. AMOK?: die klaustrophobische Enge der Räume fällt hier auf und eine Sprache, zugerichtet und rudimentär bis zum Stammeln, wie überhaupt Fassbinder für seine Figuren stets eine Sprache formuliert, die präzise gezeichnet ist von der Brutalität und den Zwängen der Gesellschaft, in der sie gesprochen wird. Dann in den am Mittelschichts-Melodram Douglas Sirks geschulten Erforschungen der Unmöglichkeit humaner Existenz in der bürgerlichen Gesellschaft des Nachkriegsdeutschland (HÄNDLER DER VIER JAHRESZEITEN; ANGST ESSEN SEELE AUF; etc. bis SATANSBRATEN und CHINESISCHES ROULETTE). Die großen Filme, die die deutsche Geschichte zum zentralen Thema haben (DESPAIR; DIE EHE DER MARIA BRAUN; LILI MARLEEN; LOLA; DIE DRITTE GENERATION). Schließlich BERLIN ALEXANDERPLATZ und QUERELLE als Abschluß und Summe seines Schaffens. Eine lückenhafte Aufzählung natürlich, die nur die Neugierde wecken soll auf ein im besten Sinne vielfältiges Werk.

Und das wichtigste, für mich immer wieder faszinierendste an Fassbinders Filmen sei hier zum Schluß doch noch einmal besonders hervorgehoben: Diese unglaubliche Vielzahl an herausragenden Schauspielern, und ihre in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Leistungen unter Fassbinders Regie. Und wie präzise sie stets, selbst in kleinen Nebenrollen, die Figuren ausfüllen, die sie verkörpern. Allein zu beobachten, wie Irm Herrmann in wechselnden Rollen stets auf's Neue dem tödlichen Wahnsinn des deutschen Spießertums ein für allemal ein Gesicht verleiht, ist immer wieder ein cineastischer Hochgenuß. Und es wird im Verlauf dieser Werkschau gewiß nicht der einzige bleiben.

Michael Wegscheider

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