Sommerhitze, Luftfeuchtigkeit wie in Indien. Der Dunst, der über
der Lagune hochsteigt, sieht trotzdem aus wie Nebel. "Die Leute
wollen keine Gondelbilder mehr, keine Brücken, schon gar keinen
Markusplatz, nur immer Namen" klagt eine schon angegraute Kollegin
vom Fernsehen über die Gepflogenheiten der neuen
Redakteursgeneration. "Früher, da wohnten die Stars am Lido, und
saßen hier auf den Treppen, man konnte einfach mit ihnen reden.
Heute wohnen sie drüben in der Stadt, fahren nur mal kurz mit dem
Boot rüber, und haben zig Bodyguards dabei." Andere sind sauer,
dass Joseph Fiennes abgesagt hat, und man jetzt am Ende gar Milcho
Manchevski, den Regisseur des Eröffnungsfilms interviewen muss.
"Wer kennt denn den? Das nimmt mir doch kein Mensch ab." Mag ja
sein, dass früher wirklich alles besser war, jedenfalls auf den
Filmfestivals. Aber was nutzt's? Wir sind heute da, zum ersten Mal,
und also in der glücklichen Situation, nichts mit früher
vergleichen zu müssen. Zum 58. Mal findet sie statt, die "Mostra"
von Venedig, die noch älter ist als Cannes, sozusagen die Mutter
aller Festivals. Heute wird eröffnet.
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In letzter Zeit nimmt derartiges Gemotze unter den älteren
Kollegen zu. Verschleißerscheinung? Vielleicht muss man sich hüten,
dass man nicht 20, 30 Jahre lang den Festivalzirkus mitmacht; dass
man sich nicht selbst irgendwann in der Situation findet, in der
alles - der Eröffnungsfilm, die Promimenge, die Interviews, das
Wetter, die Preise - schon mal besser war. Hüten muss man sich in
jedem Fall davor, Teil eines Betriebes zu werden und das Denken all
jener zu übernehmen, die die Dinge nur in Verkaufszahlen
betrachten. Egal ob in Zeitungsauflagen, Einschaltquoten, oder
Besucherzahlen. Schließlich sollte doch der Hauptzweck der Sache
sein, Filme zu sehen und interessante Leute zu treffen, nicht
Interviews "mitzunehmen". Darum ist auch ein klein wenig
Schadenfreude darüber, dass Joseph Fiennes abgesagt hat, vielleicht
gar nicht so verkehrt. Denn es kommen genug andere, und mancher
rückt plötzlich ins Zentrum der Aufmerksamkeit, der sonst durch das
strenge Raster des Starfaktors gefallen wäre. Hongkong-Regisseur
Fruit Chan zum Beispiel, immerhin im Wettbewerb.
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Obwohl das alles schon hunderttausendmal beschrieben wurde: um
den Eindruck dieses Ortes kommt man einfach nicht herum. Und
ertappt sich schon auf der Anfahrt bei der Wunschvorstellung, es
möge doch zumindest einen Film geben, der den Schauplatz des
Festivals selbst zum Thema macht. Ein zwielichtiger düsterer
Thriller vielleicht, oder ein Kostümfilm, der die Dekadenz von
Viscontis Thomas Mann-Verfilmung erreicht. Oder Roegs WENN DIE
GONDELN TRAUER TRAGEN. Hatten die eigentlich damals in Venedig
Premiere?
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Ein Hauch von 70er-Jahre Kino weht auch durch den Eröffnungsfilm,
DUST von Milcho Manchevski. Ein wildes Panorama, ein Western, der
in Mazedonien spielt, 1912 im Kampf gegen die Türken. Kein bisschen
Realismus, das ist jedem klar. Um so schärfer klingt dann die nur
freundlich formulierte Frage des britischen Kollegen Alexander
Walker durch den Raum: "What is the political agenda behind your
movie? And did the Producers in my country, the united kingdom and
in germany know about that agenda before?"
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Stille. Nur das Rattern der Klimaanlage. Manchevski antwortet
dann nur mit einem "Thank you for that statement." Auch ansonsten
ärgert er die Kollegen vor allem durch seine stinkstiefelige Art,
durch die Verweigerung der Debatte. Wenn einer überhaupt auf eine
Pressekonferenz geht, sollte er auch das Spiel ein bisschen
mitspielen. Und auch wenn ihm Walkers Frage nicht passte, war sie
doch nicht unverantwortlich, sondern eine Vorlage für den
Regisseur, seine eigene Lesart der Dinge zu erläutern. Aber
vielleicht ist der Film wirklich, wie Manchevski sagt, "ein Film,
den sich der 12jährige in mir gewünscht hat."
(to be continued)
Rüdiger
Suchsland
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