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06.09.2001
 
 
   
 

Wanderungen zwischen Traum und Wirklichkeit
Notizen vom Filmfestival Venedig 2001, 3. Folge

 
Ulrich Seidels HUNDSTAGE
     
 
 
 
 

Nicht nur der Eröffnungsfilm des Wettbewerbs um den "Goldenen Löwen", DUST vom Mazedonier Milcho Manchevski sorgte für Kontroversen. 1994 gewann Manchevski hier mit BEFORE THE RAIN überraschend den Wettbewerb. Dann ging er nach Hollywood, DUST ist der erste Film, den er seitdem, nach zwei Projekten, die ihm vom Studio aus der Hand genommen wurden, vollenden konnte, und nun endlich die Hoffnungen, die er mit seinem Erstling weckte, einlösen möchte.

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Das Resultat ist ein vielschichtiges, mythisch angehauchtes und sich biblisch gebendes Drama über zwei verfeindete Brüder, Amerikaner, die es nach Europa verschlägt. Gespielt werden sie von dem überzeugenden Newcomer David Wenham und Joseph Fiennes. Im Mazedonien des Jahres 1912 kämpfen beide während der Befreiungskriege gegen die osmanische Besatzung, auf verschiedenen Fronten.

"Dust" ist ein düsteres, blutrünstiges, zugleich in Stil und Erzählstruktur betont "postmodern" verschachteltes Epos - voller halbgarer Referenzen an die Filmgeschichte, und mit deutlichen Anleihen vor allem an die "Spaghetti-Western" der 60er-Jahre. Denn für den erklärten Western-Fan Manchevski befindet sich im Balkan der "wilde Osten", die Region, in der, wie es im Film heißt, "die Jahrhunderte nicht aufeinander folgen, sondern parallel existieren". "In mir lebt noch der Zwölfjährige, der ich einst war", meinte Manchevski in der Pressekonferenz zum Film, "darum habe ich diesen Film gemacht. Aber weil ich inzwischen älter bin, ist er so geworden, wie er jetzt aussieht."

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Der politischen Realität und unserer Gegenwart verweigert sich "Dust", der nach Wunsch des Regisseurs lieber als Reflexion über das "Geschichtenerzählen" und die Relativität historischer Wahrheit verstanden werden will - gerade das macht ihn aber wieder zu einem auch politischen Statement der anderen Art.
Und angreifbar.
Teile des Publikums reagierten mit heftigen Buhrufen auf diese Eröffnung. Für Streit sorgte bei dem nicht zuletzt mit deutschen und britischen Geldern finanzierten Film, weniger die mitunter übertriebenen Blutorgien als vor allem die mehr als einseitige Darstellung der türkischen Besatzer - es war schwer denen zu widersprechen, die hier von "Rassismus" sprachen. Hinzu kam das politische Pathos des Regisseurs, der in seinem Film diejenigen verdammt, die "nur für Geld" töten, aber diejenigen feiert, die es "für die Freiheit" tun - solche Worte werden dann von hübschen jungen Frauen in knackiger Tracht gesprochen, ihre Zuhörer sind junge Männer, die kurz darauf wieder frohgemut zur Flinte greifen. Die Form, in der Manchevski sich zudem den Fragen nach seiner "politischen Agenda" entzog, tat ein Übriges: mit Schweigen reagierte er kurzerhand auf entsprechende Neugierde.

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Sex, Gewalt, Sozialkritik prägten auch viele andere Filme der ersten Wettbewerbstage. Stilistisch sehr Unterschiedliches, Werke, deren - bei allem Streitbaren - grundsätzlich hoher Anspruch den Streit lohnenswert macht.
Etwa BULLY von Larry Clark, der seit KIDS auf die realistische Darstellung der Lebenswelten amerikanischer Großstadtkids abonniert scheint. Diesmal geht es um die Chronik eines angekündigten Mordes im Sündenpfuhl einer Gruppe weißer Mittelstandskinder in Florida. Zwingend und eindringlich kam BULLY, der mit einer ganzen Palette von Youngstars - Brad Renfro oder Bijou Philipps - aufwarten kann, gut an. Viel diskutiert blieb aber, ob Sex und Gewalt wirklich in derart offener, bewusst mit den Voyeurismen eines Jeden spielender Form gezeigt werden muss - keine Frage: Larry Clark ist ein Moralist, der an die Überzeugungskraft drastischer Bilder glaubt.

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Damit ist er nicht allein in Venedig: ADDRESS UNKNOWN, der Wettbewerbsbeitrag des Koreaners Kim Ki-Duk, ist eine groteske Parabel auf die desillusionierte südkoreanische Gesellschaft der späten 70er und ihr prekäres Verhältnis zu den USA. Brutal, ohne allzuviel tatsächlich zu zeigen, zugleich auf einer symbolischen Ebene als Traktat über Sehen und Blindheit mündet der Film in eine universale Tragödie - vier, fünf verschiedene Episoden und ihre Charaktere, deren Schicksal in irgendeiner Form miteinander verbunden ist, metzeln sich selbst oder de anderen hin - ein verstörender Film, den die einen als
sadistisches Machwerk kritisierten, die anderen als authentischen Ausdruck einer sozialen Krise ernstnahmen.

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Fast etwas verdächtig viel Einigkeit herrschte dagegen über die Qualität von Y TU MADRE TAMBIEN vom
Mexikaner Alfonso Cuaron. Eine so bewegende wie komische Mischung aus Road-Movie und kluger Gesellschaftssatire, die ein modernes Mexiko jenseits der Klischees zeigt, ein Land, im Wandel, das - wie seine beiden pubertierenden Hauptfiguren -lernt, erwachsen zu werden.

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Am Wochenende kamen die Stars auf den Lido: Nicole Kidman, Charlize Theron, Martin Scorsese, Denzel Washington - sie alle gaben sich die Klinke in Venedig in die Hand. Mit viel Routine und kaum weniger Disziplin wechseln die Pressekonferenzen im Halbstundenrythmus -ein Filmfestival erlebt seine ersten Höhepunkte.

Besonders der Auftritt von Nicole Kidman zog dabei alle in Bann. "Film ist vor allem die Kunst der Regisseure" brach die Schauspielerin mit Charme und Intelligenz vor der versammelten internationalen Presse eine Lanze fürs Autorenkino, und erklärte dass sie in Zukunft vor allem mit europäischen Regisseuren zusammenarbeiten wolle - so etwa dreht sie bald mit dem Dänen Lars von
Trier.

Diesmal war sie mit OTHERS zu Gast, einer klassischen "Gothic"-Schauergeschichte mit Anklängen an THE SIXTH SENSE. Im Stil erinnert der über weite Strecken gelungene Wettbewerbsfilm des Spaniers Alejandro Amenabar aber noch eher Hitchcocks REBECCA und andere Filme der 40er Jahre. In deren Atmosphaehre
spielt die Geschichte einer Mutter zweier Kinder, die allein in einem überdimensionierten Haus im britischen Nebel lebt. Merkwürdige Ereignisse nehmen zu, ein düsteres Geheimnis ist zu entdecken, und die von Kidman großartig gespielte Hauptfigur zweifelt zunehmend in der Realität ihrer Wahrnehmungen.

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Über Balanceakte auf der Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit geht es in vielen Filmen. In seiner unnachahmlichen Art spielt Woody Allens THE CURSE OF THE JADE SCORPION mit dem Thema. Auch er lässt seinen neuen Film wieder einmal in seiner Lieblingsepoche, den 40er-Jahren spielen: Eine Detektivgeschichte mit ironischen Anklängen an Motive des "Film Noir". Allen selbst spielt einen "Private Eye", der von einem Hyptnotiseur ohne sein Wissen zu einem erfolgreichen Einbrecher gemacht wird - per Codewort "Konstantinopel". Im Wachzustand ist er dann im Auftrag der Versicherung sich selber auf der Spur - eine intelligente, zugleich sehr alberne Komödie um Schizophrenie und die Relativität aller Fakten. Persönlich ließ sich Venedigliebhaber Allen nach dem Film von seinen Hauptdarstellern Helen Hunt und der funkensprühenden Hollywoodnewcomerin Charlize Theron vertreten - da sein Film diesmal außer Konkurrenz läuft, hielt er wohl persönliche Anwesenheit für unnötig.

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Der Wettbewerb bleibt bislang auf hohem Niveau verhalten. Zwar sieht man kaum schlechte Filme, doch umgekehrt fehlen auch bisher die klaren Favoriten. Die Beiträge unbestritten guter Regisseure verliefen dabei eher enttäuschend. Von André Téchiné hatte man zum Beispiel viel erwartet: Wie zuvor in Fruit Chans
missglücktem HOLLYWOOD HONGKONG geht es in LOIN um das, durch ökonomische Globalisierung zusätzlich aktuelle Thema Grenzüberschreitung. Ein französischer Fernfahrer liebt eine Frau in der marokkanischen Hafenstadt Tanger. Sie wiederum spielt mit der Hoffnung, durch Emigration nach Kanada ein besseres Leben zu führen, und dem Wunsch, in der schwierigen Heimat zu bleiben. Trotz seines guten Themas lässt der Film merkwürdig kalt, im Gegensatz zu Téchinés Meisterwerken der 90er - MEINE LIEBSTE JAHRESZEIT und WILDE HERZEN - wirkt LOIN beliebig. Vielleicht war Téchiné mit der Doppelrolle als Regisseur und Autor einfach überfordert, vielleicht war die Story zu kopflastig, um in den
Bann zu ziehen - immerhin bleibt einem der Film nachdruecklicher im Gedaechtnis, als andere, und der Franzose dürfte ingesamt durchaus Preischancen haben.

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Am Anfang ist jede Leinwand schwarz. Doch diesmal bleibt es so. Ganz einfach, 70 Minuten lang. Nur unterbochen vom gelegentlichen kurzen Aufblitzen eines reinen Weiss. Zunächst begrüsst das der Zuschauer noch wie einen Schimmer der Hoffnung, dass es nun mit den Capricen des Regisseurs ein Ende habe, dass der Film endlich anfängt. Später sind die Unterbrechungen nur noch lästig, kleine sadistische Exkurse in meditativer Dunkelheit. "Hurlement en faveur de Sade" stammt von 1952 und ist ganz und gar geprägt vom Avantgardismus seiner Enstehungszeit. Gedreht hat ihn der zu spät gekommene Surrealist Guy Debord, dem beim Filmfestival von Venedig die Retrospektive gewidmet ist.
Die meisten von Debords Filmen sind sehr persönliche Dokumentationen, filmische Illustration und Erweiterung seiner in Buchform entwickelten These von einer universalen Diktatur der Bilder, "Der Gesellschaft des Spektakels". Die macht Debord attraktiv und aktuell in einem Moment, in dem seine Theorien Realität zu werden scheinen. Denn dass einmal alle Bildschirme schwarz sein koennten, das ist die wahre Utopie im Reich Berlusconis, und in einem Moment, in dem aus dessen Regierung massive Angriffe gegen Mostra-Direktor Alberto Barbera lanciert werden, fast schon wieder ein Hoffnungsschimmer. Das italienische Publikum jedenfalls pilgert in Scharen zu diesem Toten, hält dessen Zumutungen gerne aus.

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Überraschenderweise bildet Debord auch zu vielen Filmen der beiden Wettbewerbe im Festival einen produktiven Kontrast. Es erinnert daran, dass Kino einmal ein Reich der Intensität war, die sich nicht durch Spezialeffekte herstellen liess. Natürlich war auch zu Debords Zeiten nicht alles besser, aber damals war zumindest das Verlangen vieler Filmemacher spürbar, authentischer Ausdruck von widersprüchlichen Lebensgefühlen und nicht nur deren beruhigende Ablenkung zu sein. Wo im zeitgenösssischen Kino verbirgt sich dieser konsequente Wille, Kino über das Amüsement hinaus als Kunstwerk zu begreifen, der radikle Mut, mit der einst das europäische Autorenkino um neue Bilder und andere Wahrheiten gerungen hat, der hier in Dokumentationen zu Pasolini und Antonioni immerhin nostalgisch beschworen wird?

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Jedenfalls nicht bei Ken Loach. Mit "Navigators" ist der Brite seinem Stil treu geblieben und erzählt von einer Gruppe von Bahnarbeitern, die 1995 ein Opfer der Privatisierung wird. Unaufhaltsam nimmt der Sozialabbau seinen Lauf zu einem Ende hin, das schon in den ersten Bildern angedeutet wird, und bei dem einer aus der Gruppe sein Leben verliert. Aber da, wo die Geschichte als persönliche interessant wird, bei der Frage, wie es mit den Dreien weitergeht, die den durch Sicherheitsmängel verschuldeten Unfalltod ihres Kollegen decken, um ihren eigenen Job zu behalten, hört der Film auf. Nie findet Loach zu jener Intensität des Gefühls, die "Land & Freedom" oder "My Name is Joe" prägte. Und auch als politisches Manifest funktioniert "Navigators" nicht. Denn Loach bietet längst bekannte Befunde, beschreibt Vertrautes; bei der Frage nach Konsequenzen lässt er den Betrachter allein. Man mag das als weise Zurückhaltung, als kluge Vermeidung zu einfacher Lösungen loben. Aber im persönlichen Gespräch verweist Loach dann durchaus darauf, man müsse eben "wieder die Klassiker lesen, analysieren, was 1917 und 1936 falsch gelaufen ist", und im Übrigen daruaf warten, dass die Selbstwidersprüche des modernen Kapitalismus diesen endlich zerstört haben. Ein bisschen feige wirkt da der Verzicht, solchen Thesen auch filmische Gestalt zu geben, und wie etwa Debord oder Pasolini oder zumindest in Ansätzen André Techinés Grenzgängerdrama "Loin" das ganz Andere einzufordern.

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Die Türsteher wecken tagsüber bei vielen die niedrigen Instinkte. Nach einer Woche hat man immerhin gelernt, nicht wegzugehen, wenn es heisst: "The Film ist sold out." Das ist dann nur eine Floskel für: "Die Dummen gehen jetzt." Denn irgendwann kommt man dann doch rein. Man muss nur hartnaeckig bleiben, schimpfen, diskutieren, nerven. Die Italiener sprechen nur vom "cazzo da porta". Aber das wollen wir lieber nicht übersetzen.

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Richard Linklater kann man mangelnden Mut nicht nachsagen. Mit zwei sehr unterschiedlichen, doch gleichermassen künstlerisch gewagten Filmen ist der US-Independent in Venedig vertreten. "Waking Life" ist stilistisch ein Trickfilm. Inhaltlich variiert dieser philosophische Essay ein untergründiges Leitmotiv des Wettbewerbs, das Verhältnis von Traum und Wirklichkeit - um das ja neben Amenabars "Others" oder Woody Allens "The Curse of the Jade Scorpion" selbst Loachs Film gewissermassen kreisst. Mit der Zeit nehmen die sprechenden Köpfe hier zwar stark überhand, und viele der Debatten über den Sinn des Lebens erinnern stark an "Sofies Welt", doch trotzdem bemüht sich Linklater darum, die Konvention zu verlassen, den Zuschauern eine persönliche Reflexion über die Welt zuzumuten ohne dabei völlig unzuganglich zu sein. "Tua res agitur" könnte auch das Motto von "Tape" sein, Linklaters zweitem Beitrag (in der Reihe Nuovo Territori). Ein digitales Kammerspiel für drei Personen, nach Stephen Belbers Theaterstück. Uma Thurman, Ethan Hawke und Robert Sean Leonard sind allesamt grossartig, und zeigen einen der schauspielerisch anspruchvollsten Auftritte, die bisher zu sehen waren. Sie spielen drei Schulfreunde, die sich nach Jahren in einem Motel wieder treffen. Ihre miteinander verwobenen Beziehungen und ein ungeklärtes Ereignis der Vergangenheit, von dem drei verschiedene Versionen existieren, bieten Stoff für ein dicht gefilmtes Drama ibsenscher Dimension.

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Irritation und Beunruhigung dominieren erst recht in "Hundstage", so oder so einem der Höhepunkte im bisherigen Wettbewerb. Ulrich Seidel, bisher durch Dokumentationen ("Tierische Liebe", "Models") auf Festivals bekannt geworden, bewegt sich in seinem ersten Spielfilm in den Abgründen des privaten Österreich. Wenn Loachs Film beweist, wo der Humanismus des 19.Jahrhunderts an seine Grenze stößt, zeigt "Hundstage" wo der antihumanistische Blick eines Michel Houellebecq produktiv werden kann. Überwiegend mit Laiendarstellern zeigt Seidel wie ein Ethnologe des europäischen Suburbia Menschen eines namenlosen Vororts, die sich lieben und sich schlagen, die zuviel und zuwenig reden, im Supermarkt und im Swingerclub - Ficken und Shoppen als Essenz des modernen Lebens. Seidels auf Anklagen verzichtende Vivisektionen der Spiesserseele bewegen sich an der Grenze zur Zumutung. Hart und kompromisslos sind sie zugleich dort am stärksten, wo sie sich auf Alltäglichkeit ganz einlassen, diese mit der Kühle eines Strukturalisten offenlegen, ohne sie blosszustellen oder zu denunzieren. Da kann sich dann auch der Betrachter nicht mehr wohlgefällig ausschliessen. Wo es hingegen ins Extrem abgleitet, auf der Frotteecouch gefoltert wird, wo eine Figur mit anal eingeführter brennender Kerze die österreichische Nationalhymne zu singen hat, nähert sich "Hundstage" dem zynischen Blick und einer Effekthascherei, die der Film im Übrigen vermeidet, und die seine Wirkung eher verwässert. Ansonsten belegt "Hundstage", dass Objektivierung nicht notwendig zur Teilnahmslosigkeit führen muss. Liebe freilich trifft man hier nur in fratzenhafter Verzerrung - eine ferne Erinnerung, dass da noch etwas war.

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So geht es also weiter in Venedig. Die Suche der Filmemacher nach Intensität kommt kaum ohne Sex und Gewalt aus, mündet manchmal in billige Provokation, doch öfter noch ist das Bemühen spürbar, der Realität nicht auszuweichen, jedenfalls genau hinzusehen. Immerhin etwas.

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Attacken auf ein Festival
Von der Wertschaetzung der Kultur - Notizen aus Venedig, 2.Folge

Wenn Ordner mit Ellenbogen und geballten Fäusten auf Filmkritiker losgehen, dann ist das auch für ein großes Filmfestival bei dem naturgemäß alle Seiten ein wenig überarbeitet sind, und sich vielleicht auch noch etwas wichtiger nehmen, als sonst, ungewöhnlich. Erst recht wenn man sich gerade im italienischen Venedig befindet, also unter Menschen, denen man nachsagt, dass sie das "dolce vita", das süss-lockere "leben und leben lassen" geradezu erfunden haben.

Aber zur Zeit liegen in Venedig, bei aller südländischen Gelassenheit, die Nerven blank. Zum 58. Mal findet zwischen den noblen Hotels am Strand des Lido die renommierte "Mostra" statt, und noch nie, noch nicht einmal in den Gründungsjahren, als noch in Rom der "Duce" regierte, war das Filmfestival, eines der ältesten der Welt, ähnlichen politischen Attacken ausgesetzt wie jetzt. Denn in Rom regiert seit Mai der Medientycoon Silvio Berlusconi, in dessen Koalitionsregierung bekanntlich unter anderem die rechtsextreme - sie selbst nennen sich gerne "postfaschistische" - "Alleanza Nationale" sitzt und in dieser Partei gibt es offenbar einige Leute, die in Venedig gern einmal so richtig aufräumen würden. Zum Beispiel Vittorio Sgarbi, Staatssekretär im Innenministerium. Vom in allen Demokratien gültigen Grundsatz der Kunstfreiheit hat Sgarbi offenbar noch nichts gehört. Kurz nach Festivalbeginn erzählte er einigen Journalisten, die Mostra sei ein "Festival der linken Rüpel", und das Programm ein Zeichen von "Dekadenz". Aus Sgarbis Sicht mag das sogar stimmen, denn tatsächlich sind die Filme, die Festivalleiter Antonio Barbera ausgewählt hat, von großer Toleranz geprägt, also bestimmt nicht von dem, was ein postfaschistischer Staatssekretär für prinzipienfest hält. Einige von ihnen, zum Beispiel die angesehenen Filmemacher André Techiné und Ken Loach setzen sich mit den Folgen der wirtschaftlichen Globalisierung auseinander und sparen nicht mit Kritik an ihren jeweiligen Regierungen, die in ihren jeweiligen Heimatländern Frankreich und England übrigens derzeit von den Sozialdemokraten gestellt werden.

Nun gibt es in Rom auch noch einen Kulturminister, der eigentlich im Gegensatz zu Sgarbi für derartige Fragen zuständig wäre. Er heisst Guiliani Urbani und hatte sich bereits zur Eröffnungsgala des Festivalauftakt entschuldigen und nicht vertreten lassen, was als offener Affront gegen das filmische Aushängeschild Italiens empfunden wurde. Trotzdem gilt Urbani, ein Mitglied der Partei Berlusconis als verhältnismässig liberal, und hielt nach Sgarbis Attacken, vielleicht um diese Liberalität zu demonstrieren, erst einmal zwei Tage den Mund, um dann am dritten Tag seine eigene Zuständigkeit zu erklären. Er wies Sgarbi Äusserungen zurück, erklärte aber doch gleichzeitig, in Venedig müsse sich "einiges ändern". Nun ist das etwa so aussagekräftig, wie Berlusconis Wahlkampfslogan, er werde für die Renten "eine angemessene Lösung" finden. Trotzdem verstand jeder Urbanis Bemerkung als offene Drohung gegen den Festivalleiter, dessen Vertrag Ende nächsten Jahres ausläuft, und bald zur Verlängerung ansteht.

Wirklich gefährlich für Barbera ist dabei die Tatsache, dass er nicht nur aus einer Ecke angegriffen wird. Vielmehr gibt es durchaus ein paar Leute, die zwar, wie Barbera, kulturell und politisch eher dem linksliberalen Lager zuzurechnen sind, die aber persönlich nur gar zu gerne selbst auf seinem Posten sässen. Und bei genauem Hinschauen wird die Lage noch komplizierter. So ist einer der Hauptsponsoren des angeblich so "linken" und "dekadenten" Festivals in Fernsehsender, der zu 100 Prozent dem Regierungschef Berlusconi gehört, in täglichen und wie es heisst sehr erfolgreichen Livesendungen wird vom Lido berichtet.

Einstweilen erregen sich in Venedig alle über die unerzogene Regierung und die Grobheiten der Ordner. Manche Kollegen konstruieren gar zwischen beidem einen Zusammenhang, und vermuten, vielleicht wolle Berlusconi einen Skandal provozieren. Aber das scheint dann doch etwas weit hergeholt.

Festzuhalten leibt, dass selbst so eine zwilichtige Figur wie Vittorio Sgarbi die Kultur und die Bedeutung des Films offenbar wichtig genug nimmt, um einen handfesten Kulturkampf zu provozieren. Und das ist, trotz allem anderen, ein gutes Zeichen.

Rüdiger Suchsland

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