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11.10.2001
 
 
   

"Phantasie ist ein Muskel"
Neue Bücher über das Schreiben von Drehbüchern

 
 
 
 

"Das Drehbuchschreiben ist eine Kunst, die auf Logik beruht." - David Mamet muss es wissen, schließlich gehört er zu den gefragtesten Drehbuchautoren Hollywoods. Aber was genau macht das Geheimnis guter und erfolgreicher Drehbücher aus?
Schon Aristoteles zerbrach sich in seiner "Poetik" den Kopf über die Gesetze der Erzähldramatik, und seit damals ist man offenbar nicht wesentlich weitergekommen. Denn auch die allerneuesten Veröffentlichungen zur Filmdramaturgie kommen kaum ohne ein gelegentliches Zitat des griechischen Philosoph aus. Und immer wieder endet man bei der alten Einsicht, dass es keine Geheimmethode gibt, die den kreativen Akt der Arbeit am Schreibtisch wirklich ersetzen könnte. Allen postmodernen Thesen vom "Ende des Autors" zum Trotz, eint auch die hier vorzustellenden Bücher der Rekurs auf den Einzelnen, der allein vor dem weißen Blatt sitzt, und irgendwie anfangen muss.

"Es gibt kein Rezept für das Drehbuchschreiben" weiß der Brite Robert McKee, dessen voluminöser Band "Story" binnen zwei Jahren zu einem Standardwerk im angelsächsischen Raum wurde. Jetzt liegt er im Berliner Alexander Verlag vorzüglich übersetzt auf Deutsch vor. "Story" wendet sich in erster Linie an zukünftige Autoren, will "Prinzipien, nicht Regeln" vermitteln, und nicht zuletzt vor Überfrachtung schützen. "Erfahrung wird überschätzt", so McKee, der lieber auf schlichtes Handwerk setzt. Drehbuchautoren möchte er zu "Respekt vor dem Publikum" erziehen, und ihnen dabei trotzdem Mut machen, ihre Eigenheiten und persönliche Vorlieben zu pflegen: die besten Autoren zeichneten sich vor allem "durch einen persönlichen Erzählstil aus." Als solche Anleitungen zum Selbstschreiben funktioniert "Story" sehr gut. Man lernt viel, der Band gibt Hilfen, Anstöße, liefert aber auch Ansätze zur Lösung auftauchender Probleme. Unzählige Beispiele, detaillierte Szenenanalysen, und ein frischer Stil sorgen dafür, dass es nie schwerfällig wird.
Für die Gegenwart macht McKee, den "Niedergang der Story" aus, und erinnert Autoren an ihre "Verantwortung, die Wahrheit zu sagen": "Erlauben Sie sich niemals den Luxus zu denken: es ist nur Unterhaltung. Stellen Sie sich folgende Frage: Ist dies die Wahrheit? Glaube ich an die Bedeutung meiner Story? Lautet die Antwort 'Nein', dann werfen Sie alles weg, und fangen von vorn an."

Kaum weniger Pathos legen auch Jean-Claude Carrière und Pascal Bonitzer an den Tag. "Das Drehbuch ist selbst schon der Film" heißt es da, es sei für den Regisseur "unabdingbare Gedankenstütze, seine Bibel". Andererseits sei literarischer Ehrgeiz völlig fehl am Platz, der "filmschaffende" Autor solle sich vielmehr "immer sagen, dass die Literatur Feind Nummer eins ist". Denn das Drehbuch ist ein Übergangsmedium, "eine flüchtige Form, die dazu bestimmt ist, sich zu verwandeln und schließlich zu verschwinden, so wie aus der Raupe ein Schmetterling wird." Aber wie schafft man es, überhaupt eine Raupe mit solchem Potential herzustellen; wie lässt sich der "Muskel" Phantasie trainieren?
Die beiden Franzosen, die zu den besten Filmautoren ihrer Heimat gehören - Carrière schrieb unter anderem für Godard und Forman, Bonitzer für Téchiné und Rivette -, setzen in ihrer "Praxis des Drehbuchschreibens" mehr auf die Beschreibung der Arbeitsumstände als auf Rezepte. Betont wird besonders die Bedeutung technischer Hintergrundkenntnisse, denn erst sie versetzen einen Autor in die Lage, in Bildern zu denken. So solle man Set-Besuche einlegen, Schauspieler beobachten, und sich "möglichst präzise Vorstellungen vom Prozeß des Schneidens" aneignen. Gerade der Schnitt sei das "dem Kino eigene" Ausdrucksmittel.
In leicht lesbarem, mehr essayistischen Stil gehalten, wechseln sich allgemeine (und zwar interessante für die konkrete Arbeit aber kaum hilfreiche) Betrachtungen über den Schreibprozeß - "Die wichtigste Eigenschaft eines Drehbuchautors besteht im Gespür für Ereignisse." - mit sehr konkreten Übungen und Ratschlägen ab: beispielsweise solle man eine schnelle Szene schnell, langsame langsam schreiben, jeder seiner Figur "eine Chance geben", "nicht ankündigen, was man sehen wird, nicht erzählen, was man schon gesehen hat."
Zusammenfassend plädieren die Autoren für Neugier, Phantasie, Misstrauen gegen sich selbst - und eine geradezu klassische Kultur des Drehbuchschreibens, die weit entfernt ist von den Zwängen des "großen Geschäfts", das "alles hinwegfegt". Ein anregendes Buch voller kluger Einsichten.

Das hier trotzdem manche konkrete Frage offen bleibt, liegt auf der Hand. Viele Antworten findet man bei Linda Seger. Die Amerikanerin wurde bereits mit ihrem Erfolg "Das Geheimnis guter Drehbücher" bekannt. "Von der Figur zum Charakter" behandelt nun differenziert die Kreation von Filmcharakteren. Ausgehend von der entscheidenden Bedeutung "großartiger Filmfiguren" und der Überzeugung, dass "unvergessliche Figuren zu schaffen", "auf einem bestimmten Verfahren" beruht, lehrt Seger, wie man - beginnend bei Recherchen nach Milieu und ethnischem Hintergrund bis hin zum Umgang mit vagen oder "unsympathischen" Figuren - "die richtigen Fragen" an entstehende Charaktere stellt. Checklisten, Handlungsanleitungen, Übungen bieten dem Autor bei der Arbeit unverzichtbare praktische Hilfen.
Eher für Lektoren und an Filmanalysen Interessierte in Betracht kommt Ronald B. Tobias: "20 Master Plots". Nicht falsch, aber alles in allem extrem oberflächlich strukturiert Tobias erzählerische Archetypen wie beispielsweise "Suche", "Abenteuer", "Verfolgung", "Rettung" und "Metamorphose". Theoretischer Feinschliff fehlt Tobias Darlegungen ebenso wie die Formulierung von Konsequenzen für die konkrete Arbeit - beispielsweise hätte man gern etwas über erzählerische Chancen und Risiken bestimmter "Masterplots" erfahren.
Wenn dann irgendwann endlich ein Drehbuch fertig ist, landet das Resultat bei Oliver Schütte. "Die Kunst des Drehbuchlesens" ist als Buch für Dramaturgen konzipiert, und fordert "Abstand" zum konkreten Stoff. Beginnend mit einer "Grammatik filmischen Erzählens" konzentriert sich Schütte auf den deutschsprachigen Film.
Die Kunst des Drehbuchlesens besteht aus seiner Sicht vor allem in der Fehlerbeseitigung. Sehr strukturorientiert fragt Schütte nach der "Orchestrierung" des Stoffs und der - aus seiner Sicht nötigen - "Achillesferse" der Figuren. In seinen Analysen schlägt er schon mal so unterschiedliche Filme wie SCHTONK!, STADTGESPRÄCH und DIE SEHNSUCHT DER VERONIKA VOSS über einen Leisten - in solcher Abstrahierung liegen gleichermaßen Stärke wie Schwäche des Buches. Während er - wie viele, die an deutschen Filmhochschulen lehren, aber ganz im Gegensatz etwa zu Carrière und Bonitzer - besondere Angst vor "Thesenfilmen" und der "Diktatur von Meinungen" zu haben scheint, ist ihm das jeweilige "Thema" des Films besonders wichtig. Beispielsweise sei das Thema von Bernhard Wickis DIE BRÜCKE nicht etwa Verdammung des Krieges, sondern die "Frage nach dem Erwachsenwerden". Die Grenzen dieses Zugangs zeigen sich vor allem in den Detailanalysen am Ende. Tykwers LOLA RENNT lässt unseren Autor da nämlich völlig ratlos: "Thema" und "Bedürfnis" fehlen ganz - nach Schüttes Kategorien ist der Erfolg des Films kaum zu erklären.

So findet sich der Leser und potentielle Autor am Ende wieder auf sich selbst zurückgeworfen. Um viele gute Regeln bereichert, weiß er doch, dass jedes eherne Gesetz nur dazu da ist, erfolgreich überschritten zu werden. Oder man hält es einfach mit Hitchcock: "Es ist besser, beim Klischee anzufangen, als dort anzukommen."

  • Jean-Claude Carrière/ Pascal Bonitzer: "Praxis des Drehbuchschreibens"; Jean-Claude Carrière: "Über das Geschichtenerzählen"; Alexander Vlg., Berlin 1999, 252 Seiten, 44 Mark
  • Robert McKee: "Story. Die Prinzipien des Drehbuchschreibens"; Alexander Vlg., Berlin 2000, 494 Seiten, 58 Mark
  • Oliver Schütte: "Die Kunst des Drehbuchlesens"; 238 Seiten, Bastei-Lübbe Vlg.
  • Linda Seger: "Von der Figur zum Charakter. Überzeugende Filmcharaktere erschaffen (Creating Unforgettable Characters"; Alexander Vlg., Berlin 1999, 204 Seiten, 39.90 Mark
  • Ronald B. Tobias: "20 Master Plots. Woraus Geschichten gemacht sind"; Zweitausendeins, 353 Seiten, 27 Mark

Rüdiger Suchsland

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