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"Das Drehbuchschreiben ist eine Kunst, die auf Logik
beruht." - David Mamet muss es wissen, schließlich
gehört er zu den gefragtesten Drehbuchautoren Hollywoods.
Aber was genau macht das Geheimnis guter und erfolgreicher
Drehbücher aus?
Schon Aristoteles zerbrach sich in seiner "Poetik"
den Kopf über die Gesetze der Erzähldramatik, und
seit damals ist man offenbar nicht wesentlich weitergekommen.
Denn auch die allerneuesten Veröffentlichungen zur Filmdramaturgie
kommen kaum ohne ein gelegentliches Zitat des griechischen
Philosoph aus. Und immer wieder endet man bei der alten Einsicht,
dass es keine Geheimmethode gibt, die den kreativen Akt der
Arbeit am Schreibtisch wirklich ersetzen könnte. Allen
postmodernen Thesen vom "Ende des Autors" zum Trotz,
eint auch die hier vorzustellenden Bücher der Rekurs
auf den Einzelnen, der allein vor dem weißen Blatt sitzt,
und irgendwie anfangen muss.
"Es gibt kein Rezept für das Drehbuchschreiben"
weiß der Brite Robert McKee, dessen voluminöser
Band "Story" binnen zwei Jahren zu einem Standardwerk
im angelsächsischen Raum wurde. Jetzt liegt er im Berliner
Alexander Verlag vorzüglich übersetzt auf Deutsch
vor. "Story" wendet sich in erster Linie an zukünftige
Autoren, will "Prinzipien, nicht Regeln" vermitteln,
und nicht zuletzt vor Überfrachtung schützen. "Erfahrung
wird überschätzt", so McKee, der lieber auf
schlichtes Handwerk setzt. Drehbuchautoren möchte er
zu "Respekt vor dem Publikum" erziehen, und ihnen
dabei trotzdem Mut machen, ihre Eigenheiten und persönliche
Vorlieben zu pflegen: die besten Autoren zeichneten sich vor
allem "durch einen persönlichen Erzählstil
aus." Als solche Anleitungen zum Selbstschreiben funktioniert
"Story" sehr gut. Man lernt viel, der Band gibt
Hilfen, Anstöße, liefert aber auch Ansätze
zur Lösung auftauchender Probleme. Unzählige Beispiele,
detaillierte Szenenanalysen, und ein frischer Stil sorgen
dafür, dass es nie schwerfällig wird.
Für die Gegenwart macht McKee, den "Niedergang der
Story" aus, und erinnert Autoren an ihre "Verantwortung,
die Wahrheit zu sagen": "Erlauben Sie sich niemals
den Luxus zu denken: es ist nur Unterhaltung. Stellen Sie
sich folgende Frage: Ist dies die Wahrheit? Glaube ich an
die Bedeutung meiner Story? Lautet die Antwort 'Nein', dann
werfen Sie alles weg, und fangen von vorn an."
Kaum weniger Pathos legen auch Jean-Claude Carrière
und Pascal Bonitzer an den Tag. "Das Drehbuch ist selbst
schon der Film" heißt es da, es sei für den
Regisseur "unabdingbare Gedankenstütze, seine Bibel".
Andererseits sei literarischer Ehrgeiz völlig fehl am
Platz, der "filmschaffende" Autor solle sich vielmehr
"immer sagen, dass die Literatur Feind Nummer eins ist".
Denn das Drehbuch ist ein Übergangsmedium, "eine
flüchtige Form, die dazu bestimmt ist, sich zu verwandeln
und schließlich zu verschwinden, so wie aus der Raupe
ein Schmetterling wird." Aber wie schafft man es, überhaupt
eine Raupe mit solchem Potential herzustellen; wie lässt
sich der "Muskel" Phantasie trainieren?
Die beiden Franzosen, die zu den besten Filmautoren ihrer
Heimat gehören - Carrière schrieb unter anderem
für Godard und Forman, Bonitzer für Téchiné
und Rivette -, setzen in ihrer "Praxis des Drehbuchschreibens"
mehr auf die Beschreibung der Arbeitsumstände als auf
Rezepte. Betont wird besonders die Bedeutung technischer Hintergrundkenntnisse,
denn erst sie versetzen einen Autor in die Lage, in Bildern
zu denken. So solle man Set-Besuche einlegen, Schauspieler
beobachten, und sich "möglichst präzise Vorstellungen
vom Prozeß des Schneidens" aneignen. Gerade der
Schnitt sei das "dem Kino eigene" Ausdrucksmittel.
In leicht lesbarem, mehr essayistischen Stil gehalten, wechseln
sich allgemeine (und zwar interessante für die konkrete
Arbeit aber kaum hilfreiche) Betrachtungen über den Schreibprozeß
- "Die wichtigste Eigenschaft eines Drehbuchautors besteht
im Gespür für Ereignisse." - mit sehr konkreten
Übungen und Ratschlägen ab: beispielsweise solle
man eine schnelle Szene schnell, langsame langsam schreiben,
jeder seiner Figur "eine Chance geben", "nicht
ankündigen, was man sehen wird, nicht erzählen,
was man schon gesehen hat."
Zusammenfassend plädieren die Autoren für Neugier,
Phantasie, Misstrauen gegen sich selbst - und eine geradezu
klassische Kultur des Drehbuchschreibens, die weit entfernt
ist von den Zwängen des "großen Geschäfts",
das "alles hinwegfegt". Ein anregendes Buch voller
kluger Einsichten.
Das hier trotzdem manche konkrete Frage offen bleibt, liegt
auf der Hand. Viele Antworten findet man bei Linda Seger.
Die Amerikanerin wurde bereits mit ihrem Erfolg "Das
Geheimnis guter Drehbücher" bekannt. "Von der
Figur zum Charakter" behandelt nun differenziert die
Kreation von Filmcharakteren. Ausgehend von der entscheidenden
Bedeutung "großartiger Filmfiguren" und der
Überzeugung, dass "unvergessliche Figuren zu schaffen",
"auf einem bestimmten Verfahren" beruht, lehrt Seger,
wie man - beginnend bei Recherchen nach Milieu und ethnischem
Hintergrund bis hin zum Umgang mit vagen oder "unsympathischen"
Figuren - "die richtigen Fragen" an entstehende
Charaktere stellt. Checklisten, Handlungsanleitungen, Übungen
bieten dem Autor bei der Arbeit unverzichtbare praktische
Hilfen.
Eher für Lektoren und an Filmanalysen Interessierte in
Betracht kommt Ronald B. Tobias: "20 Master Plots".
Nicht falsch, aber alles in allem extrem oberflächlich
strukturiert Tobias erzählerische Archetypen wie beispielsweise
"Suche", "Abenteuer", "Verfolgung",
"Rettung" und "Metamorphose". Theoretischer
Feinschliff fehlt Tobias Darlegungen ebenso wie die Formulierung
von Konsequenzen für die konkrete Arbeit - beispielsweise
hätte man gern etwas über erzählerische Chancen
und Risiken bestimmter "Masterplots" erfahren.
Wenn dann irgendwann endlich ein Drehbuch fertig ist, landet
das Resultat bei Oliver Schütte. "Die Kunst des
Drehbuchlesens" ist als Buch für Dramaturgen konzipiert,
und fordert "Abstand" zum konkreten Stoff. Beginnend
mit einer "Grammatik filmischen Erzählens"
konzentriert sich Schütte auf den deutschsprachigen Film.
Die Kunst des Drehbuchlesens besteht aus seiner Sicht vor
allem in der Fehlerbeseitigung. Sehr strukturorientiert fragt
Schütte nach der "Orchestrierung" des Stoffs
und der - aus seiner Sicht nötigen - "Achillesferse"
der Figuren. In seinen Analysen schlägt er schon mal
so unterschiedliche Filme wie SCHTONK!, STADTGESPRÄCH
und DIE SEHNSUCHT DER VERONIKA VOSS über einen Leisten
- in solcher Abstrahierung liegen gleichermaßen Stärke
wie Schwäche des Buches. Während er - wie viele,
die an deutschen Filmhochschulen lehren, aber ganz im Gegensatz
etwa zu Carrière und Bonitzer - besondere Angst vor
"Thesenfilmen" und der "Diktatur von Meinungen"
zu haben scheint, ist ihm das jeweilige "Thema"
des Films besonders wichtig. Beispielsweise sei das Thema
von Bernhard Wickis DIE BRÜCKE nicht etwa Verdammung
des Krieges, sondern die "Frage nach dem Erwachsenwerden".
Die Grenzen dieses Zugangs zeigen sich vor allem in den Detailanalysen
am Ende. Tykwers LOLA RENNT lässt unseren Autor da nämlich
völlig ratlos: "Thema" und "Bedürfnis"
fehlen ganz - nach Schüttes Kategorien ist der Erfolg
des Films kaum zu erklären.
So findet sich der Leser und potentielle Autor am Ende wieder
auf sich selbst zurückgeworfen. Um viele gute Regeln
bereichert, weiß er doch, dass jedes eherne Gesetz nur
dazu da ist, erfolgreich überschritten zu werden. Oder
man hält es einfach mit Hitchcock: "Es ist besser,
beim Klischee anzufangen, als dort anzukommen."
- Jean-Claude Carrière/ Pascal Bonitzer: "Praxis
des Drehbuchschreibens"; Jean-Claude Carrière:
"Über das Geschichtenerzählen"; Alexander
Vlg., Berlin 1999, 252 Seiten, 44 Mark
- Robert McKee: "Story. Die Prinzipien des Drehbuchschreibens";
Alexander Vlg., Berlin 2000, 494 Seiten, 58 Mark
- Oliver Schütte: "Die Kunst des Drehbuchlesens";
238 Seiten, Bastei-Lübbe Vlg.
- Linda Seger: "Von der Figur zum Charakter. Überzeugende
Filmcharaktere erschaffen (Creating Unforgettable Characters";
Alexander Vlg., Berlin 1999, 204 Seiten, 39.90 Mark
- Ronald B. Tobias: "20 Master Plots. Woraus Geschichten
gemacht sind"; Zweitausendeins, 353 Seiten, 27 Mark
Rüdiger Suchsland
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