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03.01.2002
 
 

De Niroesk? Das Kino des Robert De Niro

 
 
Sabine Horst (Hg.) ROBERT DE NIRO - f i l m : 12
280 Seiten, 498 Fotos, Hardcover
EUR 19,90 / SFr 35,90, Bertz Verlag
 
 
 
 

Die "film"-Reihe des Bertz-Verlags hat sich inzwischen als eine nicht mehr wegzudenkende Institution auf dem deutschsprachigen Filmbuchmarkt etabliert. In fundierten Sammelbänden und Monographien werden hier die Gesamtwerke von bedeutenden Filmemachern gewürdigt, zuletzt in lesenswerten Bänden zu Jim Jarmusch und Rainer Werner Fassbinder.

Das neueste Buch befasst sich nun mit dem Oeuvre von Robert De Niro. Auf den ersten Blick erscheint eine Reflexion der gesamten Arbeiten eines Schauspielers als etwas verwunderlich, da es sich hier scheinbar nicht um ein zusammenhängendes Werk handelt. De Niro bildet hier jedoch mit Sicherheit eine Ausnahme, er ist jemand, so schreibt Sabine Horst zurecht in ihrem Vorwort, "der seine Filme oder wenigstens seine Rollen selbst zu schreiben scheint - womöglich der einzige zeitgenössische Darsteller, über den man sprechen kann wie über einen Regisseur". Zweifellos ist De Niro der kompromissloseste Method Actor des zeitgenössischen Kinos. Seine Metamorphose vom hageren, amoklaufenden Travis Bickle in TAXI DRIVER (1975/76) zum aufgeschwemmten Boxer Jake La Motta in RAGING BULL (1979/80) ist ebenso berühmt wie beispiellos. Er verkörperte im Laufe seiner Karriere so verschiedene Figuren wie Luzifer, Al Capone, Frankensteins Monster, Psychopathen, Mafiosis, Killer, romantische Helden, Professionals und viele viele mehr. Das für De Niro typische "Over-acting" (Lars-Olav Beier) findet oftmals erst nach langen, obsessiven Vorbereitungsphasen seine Perfektion. Wahrscheinlich macht auch das die Faszination des Phänomens De Niro aus: sein totales Verschmelzen mit der von ihm übernommenen Rolle.

Der Band "film : 12" nimmt das Kino des Robert De Niro aus verschiedenen Perspektiven in den Fokus. So stöbert zum Beispiel der eröffnende Beitrag "Getting Into Character" in den Annalen der Filmgeschichte und fördert höchst interessante Ergebnisse zu Tage. De Niros frühe Schauspielkünste sind in drei Filmen Brian De Palmas dokumentiert, die Ende der 60er Jahre entstanden: THE WEDDING PARTY (1963/69), GREETINGS (1968) und HI, MOM! (1969/70). Die Kongenialität dieser Zusammenarbeit, die in den Ausführungen Rudolf Worschechs und den zahlreichen Film Stills deutlich wird, bleibt jedoch höchstwahrscheinlich eine sekundäre Erfahrung, da das Frühwerk De Palmas weder im Fernsehen noch auf Video zugänglich ist. Ganz anders gestaltet es sich mit den allgegenwärtigen Arbeiten Martin Scorseses, die untrennbar mit De Niros Namen verbunden sind. Acht Filme belegen das enorme Potenzial dieser Kooperation, man denke neben den bereits erwähnten TAXI DRIVER und RAGING BULL nur an NEW YORK, NEW YORK (1976/77), GOOD FELLAS (1989/90) oder CASINO (1995). Scorseses MEAN STREETS (1972) formuliert zugleich ein zentrales Thema der De-Niro-Filme: das Leben und Sterben der Italo-Amerikaner. Daniela Sannwald stellt in ihrem Aufsatz fest, dass Robert De Niros italienische oder italo-amerikanische Rollen immerhin sieben Dekaden des 20. Jahrhunderts abdecken, von den 10er bis hin zu den 80er Jahren. De Niros Figuren in Mafia-Filmen wie THE GODFATHER: PART II (1973/74) oder ONCE UPON A TIME IN AMERICA (1984) sind zu Archetypen des Genres geworden.

Neben dem Italogangster ist es der Professional, den wir mit De Niros Acting assoziieren. Neil McCauley heißt er in Michael Manns HEAT (1995), Sam in Frankenheimers RONIN (1998), Nick in THE SCORE (2000/01) von Frank Oz. In jedem Fall haben wir es mit einem äußerst abgeklärten, berechnenden und handwerklich perfekten Gangster zu tun, der sich nicht mit halben Sachen begnügt und knallhart durchgreift, wenn es die Situation erfordert. Besonders reizvoll werden diese Charaktere durch De Niros subtiles Spiel, das uns immer wieder auf eine Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz, zwischen Sympathie und Befremden schickt.

Die weiteren Beiträge des Bandes befassen sich u.a. mit dem Verhältnis von De Niros Helden zu ihren Frauen, mit Robert De Niro als Produzent und Regisseur und De Niros Kunst, "gewöhnlich zu sein". Zum Abschluss macht sich Georg Seeßlen auf die Suche nach De Niros Erben und stößt hierbei u.a. auf Edward Norton, Nicolas Cage, Jim Carrey, Leonardo DiCaprio und Johnny Depp. Diese verkörpern jedoch immer nur einzelne Aspekte der vier Erscheinungsformen des De Niro-Charakters (der Rebell, der Angepasste, der Loser, der Wahnsinnige). Unerreichbar ist letztlich De Niros "Schauspielen am Nullpunkt", seine Kunst, "eine unvollständige Person abzubilden", seine "Darstellung der dramatischen Trivialität des menschlichen Daseins". Mit dieser Analyse trifft Seeßlen, der bekanntlich zu allen Genres und Personen etwas beizutragen weiß, einmal mehr ins Schwarze und gibt dem gelungenen Konzept des Bandes den letzten Schliff.

"Robert de Niro" von Sabine Horst u.a., so lässt sich festhalten, ist ein fundierter Überblick und Einstieg in die Arbeiten eines der wichtigsten Darsteller des amerikanischen Kinos der letzten drei Jahrzehnte. Der umfangreiche Anhang mit Filmografie, Bibliografie und Index macht das Buch zudem zu einem wertvollen Nachschlagewerk.

Michael Staiger

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