Die "film"-Reihe des Bertz-Verlags hat sich inzwischen
als eine nicht mehr wegzudenkende Institution auf dem deutschsprachigen
Filmbuchmarkt etabliert. In fundierten Sammelbänden und
Monographien werden hier die Gesamtwerke von bedeutenden Filmemachern
gewürdigt, zuletzt in lesenswerten Bänden zu Jim
Jarmusch und Rainer Werner Fassbinder.
Das neueste Buch befasst sich nun mit dem Oeuvre von Robert
De Niro. Auf den ersten Blick erscheint eine Reflexion der
gesamten Arbeiten eines Schauspielers als etwas verwunderlich,
da es sich hier scheinbar nicht um ein zusammenhängendes
Werk handelt. De Niro bildet hier jedoch mit Sicherheit eine
Ausnahme, er ist jemand, so schreibt Sabine Horst zurecht
in ihrem Vorwort, "der seine Filme oder wenigstens seine
Rollen selbst zu schreiben scheint - womöglich der einzige
zeitgenössische Darsteller, über den man sprechen
kann wie über einen Regisseur". Zweifellos ist De
Niro der kompromissloseste Method Actor des zeitgenössischen
Kinos. Seine Metamorphose vom hageren, amoklaufenden Travis
Bickle in TAXI DRIVER (1975/76) zum aufgeschwemmten Boxer
Jake La Motta in RAGING BULL (1979/80) ist ebenso berühmt
wie beispiellos. Er verkörperte im Laufe seiner Karriere
so verschiedene Figuren wie Luzifer, Al Capone, Frankensteins
Monster, Psychopathen, Mafiosis, Killer, romantische Helden,
Professionals und viele viele mehr. Das für De Niro typische
"Over-acting" (Lars-Olav Beier) findet oftmals erst
nach langen, obsessiven Vorbereitungsphasen seine Perfektion.
Wahrscheinlich macht auch das die Faszination des Phänomens
De Niro aus: sein totales Verschmelzen mit der von ihm übernommenen
Rolle.
Der Band "film : 12" nimmt das Kino des Robert
De Niro aus verschiedenen Perspektiven in den Fokus. So stöbert
zum Beispiel der eröffnende Beitrag "Getting Into
Character" in den Annalen der Filmgeschichte und fördert
höchst interessante Ergebnisse zu Tage. De Niros frühe
Schauspielkünste sind in drei Filmen Brian De Palmas
dokumentiert, die Ende der 60er Jahre entstanden: THE WEDDING
PARTY (1963/69), GREETINGS (1968) und HI, MOM! (1969/70).
Die Kongenialität dieser Zusammenarbeit, die in den Ausführungen
Rudolf Worschechs und den zahlreichen Film Stills deutlich
wird, bleibt jedoch höchstwahrscheinlich eine sekundäre
Erfahrung, da das Frühwerk De Palmas weder im Fernsehen
noch auf Video zugänglich ist. Ganz anders gestaltet
es sich mit den allgegenwärtigen Arbeiten Martin Scorseses,
die untrennbar mit De Niros Namen verbunden sind. Acht Filme
belegen das enorme Potenzial dieser Kooperation, man denke
neben den bereits erwähnten TAXI DRIVER und RAGING BULL
nur an NEW YORK, NEW YORK (1976/77), GOOD FELLAS (1989/90)
oder CASINO (1995). Scorseses MEAN STREETS (1972) formuliert
zugleich ein zentrales Thema der De-Niro-Filme: das Leben
und Sterben der Italo-Amerikaner. Daniela Sannwald stellt
in ihrem Aufsatz fest, dass Robert De Niros italienische oder
italo-amerikanische Rollen immerhin sieben Dekaden des 20.
Jahrhunderts abdecken, von den 10er bis hin zu den 80er Jahren.
De Niros Figuren in Mafia-Filmen wie THE GODFATHER: PART II
(1973/74) oder ONCE UPON A TIME IN AMERICA (1984) sind zu
Archetypen des Genres geworden.
Neben dem Italogangster ist es der Professional, den wir
mit De Niros Acting assoziieren. Neil McCauley heißt
er in Michael Manns HEAT (1995), Sam in Frankenheimers RONIN
(1998), Nick in THE SCORE (2000/01) von Frank Oz. In jedem
Fall haben wir es mit einem äußerst abgeklärten,
berechnenden und handwerklich perfekten Gangster zu tun, der
sich nicht mit halben Sachen begnügt und knallhart durchgreift,
wenn es die Situation erfordert. Besonders reizvoll werden
diese Charaktere durch De Niros subtiles Spiel, das uns immer
wieder auf eine Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz,
zwischen Sympathie und Befremden schickt.
Die weiteren Beiträge des Bandes befassen sich u.a.
mit dem Verhältnis von De Niros Helden zu ihren Frauen,
mit Robert De Niro als Produzent und Regisseur und De Niros
Kunst, "gewöhnlich zu sein". Zum Abschluss
macht sich Georg Seeßlen auf die Suche nach De Niros
Erben und stößt hierbei u.a. auf Edward Norton,
Nicolas Cage, Jim Carrey, Leonardo DiCaprio und Johnny Depp.
Diese verkörpern jedoch immer nur einzelne Aspekte der
vier Erscheinungsformen des De Niro-Charakters (der Rebell,
der Angepasste, der Loser, der Wahnsinnige). Unerreichbar
ist letztlich De Niros "Schauspielen am Nullpunkt",
seine Kunst, "eine unvollständige Person abzubilden",
seine "Darstellung der dramatischen Trivialität
des menschlichen Daseins". Mit dieser Analyse trifft
Seeßlen, der bekanntlich zu allen Genres und Personen
etwas beizutragen weiß, einmal mehr ins Schwarze und
gibt dem gelungenen Konzept des Bandes den letzten Schliff.
"Robert de Niro" von Sabine Horst u.a., so lässt
sich festhalten, ist ein fundierter Überblick und Einstieg
in die Arbeiten eines der wichtigsten Darsteller des amerikanischen
Kinos der letzten drei Jahrzehnte. Der umfangreiche Anhang
mit Filmografie, Bibliografie und Index macht das Buch zudem
zu einem wertvollen Nachschlagewerk.
Michael Staiger
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