Noch bis Mitte August zeigt das Münchner Filmmuseum
das fast komplette (es fehlen vor allem Fernsehproduktionen
und Filme, bei denen Allen nur seine Stimme beigetragen hat,
wie z.B. ANTZ) Werk von Woody Allen, sowie zahlreiche Dokumentationen
über den Stadtneurotiker, Manhattan-Süchtigen, Erotomanen,
Jazzmusiker und leidenschaftlichen Filmemacher.
Diese Retrospektive bietet für jeden etwas. Junge Menschen
können endlich seine frühen Werke entdecken, Filme,
die man in den vergangenen Jahren verpasst hat oder die es
gar nicht in unsere Kinos schafften, kann man nachholen, Theoretiker
können Entwicklungen und Konstanten im Schaffen Allens
nachgehen und wir alle können endlich unsere Lieblingsfilme
(erfahrungsgemäß zählt jeder halbwegs Filminteressierte
zumindest ein Werk von Woody Allen zu seinen Lieblingsfilmen)
auf der Leinwand und im englischen Original genießen.
Wenn auch jeder seine ganz persönliche Auswahl trifft,
so sei im Folgenden doch auf drei Filme hingewiesen, die oft
im Schatten der bekannten, legendären und "kultigen"
Werke wie THE SLEEPER, MANHATTAN oder MIGHTY APHRODITE stehen
und die im Gegensatz zu den eben genannten nur sehr selten
bis gar nicht im Kino oder auch nur im Fernsehen zu finden
sind. Es sind dies ZELIG (im Filmmuseum am 23.7.), VERBRECHEN
UND ANDERE KLEINIGKEITEN (CRIMES AND MISDEMEANORS) (3.8.)
und SCHATTEN UND NEBEL (SHADOWS AND FOG) (6.8., Beginn jeweils
um 21.00 Uhr).
Die Kunst hat immer wieder Figuren hervorgebracht, die beispielhaft
für eine bestimmte Charaktereigenschaft sind. Der Oblomow
aus dem gleichnamigen Buch von Iwan Gontscharow ist etwa der
Inbegriff der Faulheit, der von Sylvester Stallone dargestellte
Kämpfer John Rambo ging als Bezeichnung für einen
brutalen Menschen in unseren Sprachgebrauch ein und Leonard
Zelig ist die extremste denkbare Form eines Opportunisten.
Auf dem Juden Zelig wurde so lange herumgehackt, bis er zum
menschlichen Chamäleon wurde.
Vorgestellt wird sein außergewöhnliches Schicksal
in einer Dokumentation, die zwar absolut authentisch wirkt,
aber (der echten Zeitzeugen wie Susan Sontag zum Trotz) doch
vollkommen frei erfunden und erlogen ist. Klassischer Fall
von Mockumentary.
ZELIG ist eine der schillerndsten Figuren die Woody Allen
je geschaffen (und selber dargestellt) hat und das, obwohl
das menschliche Chamäleon weitgehend ein Phantom bleibt,
das vor allem durch Erzählungen und stumme Bilder zum
Leben erweckt wird.
Die Zeitzeugen und alten Filmaufnahmen zeichnen dabei nicht
nur das Bild eines ungewöhnlichen Menschens, sondern
auch das einer ungewöhnlichen Zeit, die vom Aufstieg
der Psychoanalyse ebenso bestimmt wurde, wie von kulturellen
und medialen Massenphänomenen und die schließlich
im Wahnsinn des 2. Weltkriegs endete.
ZELIG ist auch ein Beleg dafür, dass Allen seinerseits
ein Regie-Chamäleon ist, das sich die Gesetzmäßigkeiten
der verschiedensten Genres (hier der historischen Dokumentation)
aneignen kann, um daraus seine eigene, parodistische Version
zu machen.
Die technische Perfektion, mit der Allen das macht, ist dabei
ebenso beeindruckend, wie die perfide Ironie, die in der Geschichte
steckt. Auch ist der Film ein ewig gültiger Kommentar
zu der Frage, wohin ein Zuviel an Anpassung führen kann.
Woody Allen ist ein Komödiant, also erwartet man von
ihm komische Filme. Gegen diese Erwartungshaltung kämpft
Allen schon lange und immer wieder versucht er sich deshalb
an ernsten Filmen (z.B. INNENLEBEN (INTERIORS) oder SEPTEMBER),
die jedoch von der Kritik und dem Publikum meist sehr verhalten
aufgenommen werden. Bei CRIMES AND MISDEMEANORS löste
er dieses Problem, indem er ein existentielles Drama neben
einer zynischen Satire erzählte und die beiden Geschichten
erst ganz zum Schluß zusammenführte.
Der tragische Teil des Films handelt von Judha Rosenthal
(Martin Landau), einem erfolgreichen, beliebten Augenarzt
mit einer glücklichen Familie, der unverhofft diese heile
Welt gefährdet sieht, als seine Geliebte (Anjelica Huston)
droht, ihr geheimes Verhältnis publik zu machen, sofern
er sich nicht von seiner Ehefrau trennt. Nach langem Zweifeln
und tiefgründigen Gesprächen mit einem langsam erblindenden
Rabbi (sehr gut Sam Waterston), gibt Judha seinem Bruder,
dem "schwarzen Schaf" der Familie, den Auftrag,
die Geliebte zu ermorden.
Auf der anderen Seite ist dagegen die Geschichte des erfolglosen
Dokumentarfilmers Cliff (W. Allen), der gezwungenermaßen
einen Film über seinen verhaßten (weil erfolgreichen)
Schwager (Alan Alda) dreht. Obwohl er verheiratet ist, verliebt
sich Cliff bei den Dreharbeiten in die Produzentin (Mia Farrow),
die er auch für sein Lieblingsprojekt, eine Doku über
einen unerschütterlichen, jüdischen Philosophen,
begeistern kann. Doch am Ende scheitert dieses Projekt auf
tragische Weise, die Produzentin landet beim falschen Mann
und der Film über den Schwager wird zum Desaster.
Es gibt wenig Hoffnung in CRIMES AND MISDEMEANORS und die
Guten sind dabei oft die Dummen, sofern die Guten nicht etwas
Böses tun und dadurch doch wieder zu den Gewinnern zählen.
Ein bemerkenswerter Film, über ganz grundsätzliche
Fragen des Lebens wie Schuld und Sünde und selten war
Allens Humor so abgründig, bitter, wenn nicht sogar schmerzhaft.
"Im Kino gewesen - gelacht", hätte wohl Franz
Kafka in sein Tagebuch vermerkt, wenn er die Gelegenheit gehabt
hätte, SHADOWS AND FOG zu sehen. Mit einem erfrischenden
Eklektizismus kombiniert Allen die Welt Kafkas mit dem Stil
des deutschen expressionistischen Films, packt noch die knarrende
Musik von Kurt Weill oben drauf und vermischt das Ganze zu
einem pittoresken Schwarz-Weiß-Traum voller unheimlicher
Schatten und magischer Nebel.
Im Mittelpunkt steht der von Allen gespielte Kleinman, ein
nervöser Duckmäuser, der unfreiwillig Teil einer
Bürgerwehr zur Jagd auf einen würgenden Serienmörder
wird. Plötzlich steckt Kleinman mitten in einem "großen
Plan", nur dumm, dass er nicht erfährt, wie dieser
aussieht und welche Rolle er darin einnehmen soll. Bei seinem
(natürlich) vergeblichen Versuch, die ihm zugeteilte
Aufgabe herauszufinden, verstrickt er sich mehr und mehr in
das absurde Treiben, gerät zwischen die Fronten verfeindeter
Bürgerwehren, entgeht nur knapp dem echten Mörders,
wird schließlich selber für die Verbrechen verantwortlich
gemacht und gejagt und dann ist da auch noch die Sache mit
dem Wettkampf um eine Beförderung....
Der Film schwelgt in stimmungsvollen Bilder, in Zitaten und
Anspielungen und beeindruckt darüber hinaus durch ein
erstaunliches Schauspielerensemble, das von John Malkovich
über Lily Tomlin und Kathy Bates bis hin zu Madonna und
Donald Pleasence (großartig als besessener Arzt) reicht.
Abschließend sei noch auf den Dokumentarfilm WILD MAN
BLUES (14.8., 21.00 Uhr), der Woody Allen auf Tournee mit
seiner Jazzband durch Europa zeigt, hingewiesen. Diese Doku
bietet ungewohnt private Aufnahmen, stellt den begabten Musiker
Allen vor, läßt einen angesichts der plappernden
Fans oft an STARDUST MEMORIES denken und hat vor allem diese
eine unglaubliche Szene, die für sich alleine schon den
Besuch des Films wert ist, und die so bizarr ist, dass man
sofort an die gestellten Interviews in ZELIG denken muss.
Beladen mit zahlreichen Preisen, die man ihm in Europa verliehen
hat, besucht Allen in New York seine alten aber immer noch
agilen Eltern und muss sich ernsthaft von seiner Mutter vorhalten
lassen, dass er doch besser Apotheker geworden wäre.
Man stelle sich nur vor, es wäre wirklich so gekommen!
Dann würde sich heute der 67jährige Apotheker Allan
Stewart Konigsberg wahrscheinlich Gedanken über seine
Rente und einen möglichen Umzug nach Florida machen und
wir hätten keinen einzigen der wunderbaren Filme, die
er unter dem Namen Woody Allen gemacht hat. So viele Pillen
hätte der Apotheker Konigsberg gar nicht verkaufen können,
um die Menschen im gleichen Ausmaß glücklich zu
machen, wie es die Filme des Regisseurs Allen getan haben.
Michael Haberlander
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