|
ROAD TO PERDITION, MONSTER'S BALL, ABOUT A BOY; drei Filme,
die momentan in unseren Kinos zu sehen sind, die von der Kritik
gelobt werden, die sich durch ein intelligentes Drehbuch,
perfekte technische Umsetzung und herausragende Schauspieler
auszeichnen, die durchaus auch "schwierige" Themen
behandeln, die Dramatik, Spannung und Humor vereinen und deren
Handlungen scheinbar nicht weiter auseinander liegen könnten.
Bei genauer Betrachtung ähneln sich diese Filme aber
sehr stark in der Darstellung eines Mannes, der durch seine
unglückliche Jugend zum mehr oder minder schlechten Menschen
verkam und der nun durch seinen Sohn (bzw. Quasi-Sohn) und
die Liebe zu einer Frau, das erdrückende Verhältnis
zu seinem Vater (bzw. Quasi-Vater) überwindet und zu
einem besseren Menschen gemacht wird.
Aus ganz unterschiedlichen Gründen ist für mich
jede dieser Läuterungen ein ärgerlichen Schwachpunkt,
in diesen ansonsten überaus gelungenen Filmen.
xxx
Ein Junge steht am Meer, blickt auf das endlose Wasser hinaus
und kommentiert aus dem Off, dass er oft gefragt würde,
ob Michael Sullivan ein böser Mensch gewesen sei.
So beginnt ROAD TO PERDITION und bereits die Art, wie diese
Szene, in der ein Sohn über seinen Vater spricht, ins
Bild gesetzt wird, läßt erahnen, dass es sich um
eine rhetorische Frage handelt. Der folgende Film gibt dann
auch die eindeutige Antwort, so dass der Junge am Schluß
die eingangs gestellte Frage gar nicht mehr ausdrücklich
verneinen muss.
Dabei ist dieser Michael Sullivan (Tom Hanks) zu Beginn wirklich
eine düstere Gestalt, ein eiskalter Auftragskiller, der
kaum Emotionen zeigt und der seinem Ziehvater, dem Gangsterchef
John Rooney (Paul Newman), der sich in den harten Zeiten der
wirtschaftlichen Depression des Waisenkindes Sullivan annahm,
treu und dankbar ergeben ist. Als Sullivans Sohn seinen Vater
bei der Ausführung eines weiteren Auftrages beobachtet
und dabei entdeckt wird, stößt er damit eine tödliche
Kettenreaktion an. Die gewohnt paranoiden Gangsterkollegen
versuchen Sullivan und seine Familie auszulöschen, was
aber nur zur Hälfte gelingt, worauf sich Vater und Sohn
auf einen Reise zwischen Flucht und Rachefeldzug machen.
Je länger diese Fahrt aber dauert, um so mehr beginnt
sich Sullivan zu verändern und um so mehr leidet die
Glaubwürdigkeit der Figur. Aus dem kalten Mörder
ohne Gewissen wird urplötzlich ein sympathischer Robin
Hood, aus dem Rache- wird ein Schutzengel, aus dem distanzierten
Familienoberhaupt ein verständnisvoller Vater.
Und eigentlich war Sullivan schon vorher ein "guter"
Mörder, der nur andere Verbrecher, die es zudem verdient
hatten, umbrachte. Einer der nur widerwillig und aus Verpflichtung
gegenüber seinem väterlichen Boss tötete und
der jetzt sofort die Waffe ablegen würde, wenn er sich
nicht gegen die wirklich Bösen (z.B. Jude Law als überzogene
Killer-Karikatur) wehren und seine vollkommen legitime Rache
nehmen müsste. In dieser Moral steckt nun aber ein solches
Maß an Verlogenheit, dass es Tom Hanks immer weniger
gelingt, seine Figur glaubhaft und schlüssig zu gestalten.
Doch nicht genug damit. Als Rooney im Streit erklärt,
dass keiner von ihnen in den Himmel kommen werden, stimmt
Sullivan zwar zu, beharrt aber darauf, dass für seinen
Sohn noch eine Chance bestehe. Spätestens hier verläßt
der Filme die Road to Perdition, um auf die Road to Redemption
abzubiegen und als Sullivan eine letzte Sünde auf sich
nimmt, um das Seelenheil seines Sohnes zu retten, erlöst
er schlußendlich auch sich selbst. Das schrammt alles
so stark am pseudoreligiösen Kitsch vorbei, dass es leider
das ansonsten beeindruckende Gesamtbild des Films nachhaltig
trübt.
Wie man solche Gangstergeschichten ehrlicher (d.h. hoffnungs-
und auswegloser) erzählt, kann man bei entsprechenden
Filmen aus Asien lernen, weshalb hier etwa ein direkter Vergleich
zum thematisch nicht unähnlichen BEYOND HYPOTHERMIA lohnt.
xxx
In der allgemeinen Berichterstattung entstand oft der Eindruck,
dass sich Marc Forsters MONSTER'S BALL mit dem in einigen
Teilen der amerikanischen Gesellschaft immer noch vorhandenen
allgemeinen Rassismus beschäftigt. Vordergründig
mag das stimmen, doch das eigentliche Thema des Films ist
der sture Hass, der eine Familie seit Generationen vergiftet
und der sich nicht nur gegen Afroamerikaner, sondern gegen
alle Randgruppen richtet und in einem verächtlichen Frauenbild
gipfelt.
Hank Grotowski (Billy Bob Thornton) ist Gefängniswärter,
wie sein Vater (beeindruckend niederträchtig gespielt
von Peter Boyle), ist Rassist, wie sein Vater, behandelt Frauen
wie Objekte, wie sein Vater. Hanks Versuch, seinem Sohn ebenfalls
diese "Familientradition" zu vermitteln, scheitert.
Der Sohn will weder Gefängniswärter im Todestrakt,
noch Rassist sein. Als einzige Fluchtmöglichkeit und
als letzte Rache am prügelnden Vater, begeht er deshalb
vor Hanks Augen Selbstmord. Hanks bisheriges Leben gerät
damit aus den Fugen. Er kündigt seinen Job, kauft sich
eine Tankstelle und als er unter dramatischen Umständen
Letitia Musgrove (Halle Berry), die gerade ihren Mann auf
dem elektrischen Stuhl und ihren einzigen Sohn bei einem Autounfall
verloren hat, kennen und lieben lernt, beginnt eine radikale
Änderung seines Lebens, die in ihrer versöhnlichen
Botschaft durchaus positiv sein mag, die dem realistischen
Anspruch des Films aber einen Bärendienst leistet.
Denn die Wandlung des rassistischen, hasserfüllten Todestraktwärters,
hin zum paradeliberalen, liebevollen Tankstellenbesitzer,
vollzieht sich mit einer solchen Leichtigkeit und so konfliktarm,
dass dagegen die Wandlung des Saulus zum Paulus wie ein billiger
Zaubertrick wirkt. Um diesen extremen Gesinnungswandel irgendwie
zu erklären, liefert uns der Regisseur viele (zu viele)
kathartische Ereignisse. Hanks Sohn begeht Selbstmord, er
verliebt sich als Rassist in eine schwarze Frau, die zudem,
wie er, ihren Sohn verloren hat und deren Mann er selber zum
elektrischen Stuhl geführt hat. Ein einziges dieser dramatischen
Erlebnisse hätte wohl auch gereicht, um Hank einen Anstoß
zu geben, sein Leben zu ändern.
Niemand will bestreiten, dass Menschen ihre verbohrten Ansichten
ändern können, doch durch die Gründlichkeit,
mit der sich Hank von sehr böse zu sehr gut wandelt,
bekommt der Film etwas Märchenhaftes, das zu diesem tragischen
Thema einfach nicht passt. Einer der Hauptgründe, warum
MONSTER'S BALL trotzdem noch funktioniert, ist die einmal
mehr großartige Schauspielkunst des Billy Bob Thornton,
der in die Darstellung des anfänglichen Rassisten etwas
Widerwilliges, stur Angelerntes legt und somit die Deutung
offen läßt, dass Hanks Hass nie seiner tiefsten
Überzeugung entsprach und seine Wandlung in einen besseren
Menschen eigentlich die Befreiung seines wahren Charakters
ist.
xxx
Im Vergleich zum Killer Sullivan und dem Rassisten Grotowski
ist der von Hugh Grant gespielte Will in ABOUT A BOY ein kleiner
Fisch unter den Bad Guys.
Seine größten Verfehlungen bestehen in einem grenzenlosen
Egoismus, leidenschaftlichem Müßiggang und einer
zynischen Misanthropie, die besonders Kinder trifft und attraktive
Frauen ausdrücklich ausnimmt.
Bei seinem Versuch, alleinerziehende Mütter kennenzulernen
(da sie ihm als perfekt für ein kurzes, leidenschaftliches
Abenteuer erscheinen), kommt er wie die Jungfrau bzw. hier
wohl eher wie der Junggeselle zum Kind. Das Kind heißt
Marcus, ist ein 12jähriger Außenseiter, dessen
offensichtlichsten Eigenschaften häßliche Kleider,
eine verhängnisvollen Leidenschaft zum Singen, eine gewisse
Altklugheit und eine enormen Hartnäckigkeit sind.
Zwischen den beiden entwickelt sich eine zaghafte Freundschaft,
die ihnen hilft, ihre Krisen zu überwinden, was für
Marcus heißt, mit seiner depressiven Mutter klarzukommen
und langsam erwachsen zu werden und was für Will bedeutet,
seine Einsiedelei und Oberflächlichkeit abzulegen, echte
Liebe und Freundschaft zu empfinden, den Schatten seines gescheiterten
Vaters, der in Form eines allgegenwärtigen Weihnachtsliedes
über ihm liegt, abzuschütteln und seinem Zynismus
abzuschwören; kurz: seinen früheren Charakter über
Bord zu werfen, um ein besserer, netter Mensch zu werden.
Es ist irgendwie sonderbar, dass etwa der Menschenfresser
Hannibal Lecter schon zwei Filme unverändert überleben
durfte, um demnächst zum dritten Mal Unheil zu verbreiten,
während es offensichtlich untragbar ist, einen Zyniker
oder Misanthropen ohne Läuterung und der Aussicht auf
Besserung aus einem Film zu entlassen (u.a. in AS GOOD AS
IT GETS oder WONDER BOYS). Deshalb muss nun auch Hugh Grant
demonstrativ seine frisch gewonnene und sehr unterhaltsame
Boshaftigkeit im Laufe des Films wieder aufgeben, um sich
zu guter Letzt in eine heitere Patchworkfamilie einzufügen.
Ärgerlich daran ist nicht nur die im gleichen Maß
abnehmende Witzigkeit des Films, sondern auch die dahinter
steckende, reaktionäre Botschaft, die die Realität
bewußt verschönt.
Denn Will ist eigentlich ein typischer Vertreter dessen, was
einerseits die britische Regierung unter dem Label Cool Britannia
zum Ideal erklärt hat und was andererseits die Medien
als Inbegriff eines zeitgemäßen Menschen feiert.
Er ist fortschrittlich, smart, wohlhabend, selbständig,
attraktiv und bei der Pflege seines Äußeren ebenso
gewissenhaft, wie beim Kauf der richtigen Markenprodukte und
Medienerzeugnisse. Das dieses Ideal zwangsläufig auch
Nebenwirkungen wie Egoismus, Oberflächlichkeit, zynische
Gleichgültigkeit oder Probleme in zwischenmenschlichen
Beziehungen mit sich bringen kann, sieht man dagegen nicht
gerne, weshalb Will hier diese Eigenschaften stellvertretend
ausgetrieben werden.
Für sarkastische Dandys und Müßiggänger,
wie sie Oscar Wilde (dessen Bücher und Filmadaptionen
- wie aktuell ERNST SEIN IST ALLES - sich großer Beliebtheit
erfreuen) einmal beschrieben hat, ist im heutigen England
offensichtlich kein Platz mehr.
xxx
Als passendes Gegengift zu all diesen geläuterten Bösewichten
sei deshalb noch einmal auf WAHNSINNIG VERLIEBT von Laetitia
Colombani hingewiesen. Hier ist es eine Frau (Audrey Tautou),
die genau den umgekehrten Weg bestreitet und sich vom netten
Mädchen zur besessenen Erotomanin entwickelt und sich
davon auch bis zum bitteren Ende nicht mehr abbringen läßt.
"Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall
hin", sagt man in solchen Fällen. Der von Tautou
gespielten Angelique ist zumindest der Kinohimmel sicher.
Michael Haberlander
|