Zu sehen am Donnerstag, 31.10.2002, 3sat
"Das ist wie wenn man vom Pferd auf einen Esel umsteigt",
sagt Higmet über den Kulturschock, der ihn in der Türkei
erwartete. Higmet ist in Deutschland geboren. Als er 16 war
sind seine Eltern in die alte Heimat zurückgekehrt -
mit ihrem Sohn im Schlepptau. Hier arbeitet er nun als Fremdenführer,
einer, der nie so richtig angekommen ist. Wenn er nicht Frau
und Kind hätte, würde er sich aufs nächste
Schiff schmuggeln. "Zurück nach Europa", sagt
er.
Higmet ist ein Cousin des Hamburger Regisseurs Fatih Akin.
Akin macht sonst in Fiktion. Mit "Kurz und schmerzlos",
einer temporeichen Tragikomödie über kleinkriminelle
Ausländer, hat er sich die ersten Kinosporen verdient.
Auch in der Sommerkomödie "Im Juli" spielen
Deutsch-Türken eine wichtige Rolle. Akin kennt sein Genre
und seinen Kietz. Wenn er mit dem Auto durchs Viertel kurvt,
gibt's großes Hallo. "Na, was läuft Alter?",
tönt es von allen Seiten. So redet man in Hamburg Altona,
das gleich hinter der Reeperbahn anfängt. Diesmal hält
der Regisseur das Kameraauge auf die Realität. Im Rahmen
der preisgekrönten Dokumentarreihe "Denk ich an
Deutschland" hat er neben Regiestars wie Doris Dörrie
oder Dominik Graf seinen persönlichen Blick auf die Bundesrepublik
festgehalten und dabei seine Familie ins Visier genommen.
Er erzählt und lässt erzählen wie das so ist,
als deutscher Türke, als türkischstämmiger
Deutscher oder irgendwas dazwischen. Er spricht mit den Daheimgebliebenden,
den Zurückgekehrten und den Hängengebliebenen. Manchmal
läuft er dabei in die Falle, die einem die eigene Geschichte
stellt, wenn man sie zur Dokumentation verarbeitet. Zu nahe
dran an den Menschen, die er vor der Linse hat, verliert er
zeitweilig den Blick für das Wesentliche.
Drei Millionen Türken gibt es in Deutschland und weitere
zigtausend Deutsche mit türkischen Wurzeln. Sie kamen
in den sechziger Jahren, als das Wirtschaftswunder boomte
und man massenweise Menschen rekrutierte, die hier zupacken
sollten und sich vor harter Arbeit nicht scheuten. Damals
prägte man den Begriff Gastarbeiter. "Ausländerfeindlichkeit
- so was gab's damals nicht", beteuert der Chef von Akins
Vater Mustafa. Die Ausländer seien alle arbeitswillig
gewesen, keine Schnorrer, die nur Stütze kassieren wollten.
Rotstichige Familienfotos beschwören die Vergangenheit
herauf. Wie war das damals, als die Eltern nach Deutschland
kamen, blutjung und ohne die Sprache zu können? Geweint
und geweint habe sie, erzählt Akins Mutter. Auf das Abenteuer
Deutschland habe sie sich nur eingelassen, weil es ja nur
für zwei, drei Jahre sein sollte. Ohne Kämpfe ging
die Anpassung an die fremde Kultur vonstatten, beispielsweise
als die Mutter sich bei der Hamburger Schulbehörde um
einen Posten als Lehrerin für türkische Kinder bewarb.
Das fand Vater Akin nicht so toll, als seine Frau plötzlich
mehr Geld mit nach Hause brachte als er. "Ich war wohl
neidisch", sagt er heute freimütig. Inzwischen leben
die Akins seit mehr als drei Jahrzehnten in der neuen Heimat.
"Wir haben vergessen zurückzugehen", sagt Mustafa
Akin noch immer leicht verwundert. So wie den Akins erging
es vielen.
Sein Bruder Viktor schaffte den Absprung und ist in die Heimat
zurückkehrt. Dort verlor die Familie mit diversen Geschäftsideen
das in Deutschland zusammengesparte Geld - wie Geschäftemachen
in der Türkei funktioniert hatten sie inzwischen verlernt.
"Du brauchst genauso lange wie Du wegwarst, um ich wieder
einzugewöhnen", ist die schmerzliche Lehre, die
Viktor aus der Erfahrung zog. Tante Türkan, Viktors Frau,
schreibt sich heute in Gedichten die Sehnsucht nach Hamburg
von der Seele. 20 Jahre lang hat sie in Deutschland gelebt.
Jetzt bekommt sie für das Land, das Jahrzehnte ihr Zuhause
war, kein Visum mehr. "Absurd", findet das ihre
Tochter Willi. Sie selbst entschied sich mit Mitte 20 für
ein Leben in Istanbul, das sie nur aus dem Urlaub kannte.
Irgendwann hatte sie die Nase voll von dem Leben zwischen
zwei Kulturen. Ihre Entscheidung ist eher ungewöhnlich,
den Kindern der Auswanderer bleibt die Heimat ihrer Eltern
meist fremd. Uns so ärgert Higmet sich heute, wenn er
mitkriegt, dass die Deutsch-Türken bei einem Besuch in
Istanbul untereinander deutsch sprechen. "Ich hoffe,
meine Kinder können mal besser Türkisch als ich",
sagt auch Akins Bruder bedauernd. Und Onkel Viktor prophezeit
düster: "Deine Kinder wird man immer als Ausländer
beschimpfen". Es bleibt eine Kluft zwischen Deutschen
und Deutsch-Türken, die sich nur langsam schließt,
jede Generation ein Stückchen mehr. "Wenn man mich
fragt, wo bist Du her, dann sag ich, ich komm aus Hamburg",
sagt Adam Bousdouskos, der in Akins erstem Kinoerfolg den
Costas gab. Adam ist eben einfach ein Hamburger Jung. Auch
wenn er Innen eher griechisch ist.
Nani Fux
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