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14.11.2002
 
 
     

Dokutipp: BLACK BOX BRD
Der Kampf ist vorbei, aber die Wunden sind offen

 
     
 
 
 
 

Deutschland 2001, Regie: Andres Veitel
Montag, 18.11.2002, 22.50 Uhr bei arte

Die Black Box ist ein Konstrukt. Ein fiktiver Kasten, von dem man lediglich weiß, welchen Input er erhält und was anschließend als Ergebnis ausgespuckt wird. Was im Inneren des Systems passiert, bleibt im dunklen.

Vieles bleibt auch im dunklen im Film von Andres Veiel. War der RAF-Terrorist Wolfgang Grams an dem Anschlag auf Alfred Herrhausen, den Sprecher der Deutschen Bank, beteiligt? Was passierte während Grams Zeit im Untergrund? Beging er, als er 1993 in eine Polizeifalle geriet, tatsächlich Selbstmord?

Statt detektivische Spurensuche zu betreiben hat Veiel sich daran gemacht, die Porträts zweier Männer zu zeichnen, die für gegensätzliche Pole der Gesellschaft standen. Im Koordinatenkreuz ihrer Lebenslinien entsteht nach und nach ein Bild der Bundesrepublik jener Tage.

Da ist Alfred Herrhausen, Jahrgang 1930, der in einer NSDAP-Eliteschule gedrillt wurde, "Der Herr des Geldes", wie der Spiegel titelte, einer der mächtigsten Männer des Landes. Für die RAF ist er eine Symbolfigur des Schweinesystems. Auf der anderen Seite der zwanzig Jahre jüngere Wolfgang Grams, der zum letzten Aufgebot der Roten Armee Fraktion gehört, ein Mann, der forderte, man müsse genug hassen können, um einen Feind mit bloßer Hand zu erwürgen.

In Gesprächen mit Herrhausens Witwe Traudel, den Eltern Grams und Weggefährten der beiden Toten bricht Veiel die Fronten auf. Hinter den Schablonen werden nach und nach die Menschen sichtbar.

Grams ist nicht nur der radikale Verfechter einer erbarmungslosen Ideologie, er ist zugleich einer, der den Wehrdienst verweigerte, weil er sich nicht vorstellen konnte, sich zu bewaffnen. Ein noch immer geliebter Sohn, der seinen kleinbürgerlichen Eltern aus dem Untergrund ein selbstgesticktes Bild mit Tieridyll schickt.

Herrhausen wiederum ist nicht nur kühler Karrierist, sondern auch ein charmanter Lebemann, der mit Juchhe im Bonanzastil reitet. Ein Visionär, der die Unabwendbarkeit der Globalisierung erkennt und vehement für eine ungeheuerliche Forderung eintritt: die Entschuldung der Dritten Welt. Der radikale Umstrukturierungen fordert und mit seinen Ideen auf heftigsten Widerstand stößt.

Die Brüche in den Persönlichaktien enthüllen frappierende Berührungspunkte zwischen den beiden Männern. Währe nicht der immer noch gängige Kleidercode,der Anzugträgern und Strickpulligenossen separiert, könnte man aus dem Blick verlieren, von wem gerade die Rede ist. Herrhausen und Grams - zwei ideologische Autokraten, denen nach und nach die Weggefährten abhanden kamen. Grams Gesinnungsgenossen werfen sich noch heute vor, nicht genügend Konsequenz gehabt zu haben, um ihm zu folgen. Und auch Herrhausen bleibt allein, weil seine Kollegen nicht Schritt halten können. Und so sterben beide ideologischen Kontrahenten in Momenten großer Einsamkeit. "Er hat Menschen vermisst, die mit ihm mitgezogen sind", sagt Traudel Herrhausen über ihren Mann. "Die Bedenkenträger hat er gehasst." Nach seiner letzten Sitzung sagt Herrhausen zu seiner Frau, "Ich weiß nicht, ob ich das überlebe" - und meint es beruflich. Tags darauf ist er tot, eine Tragödie, auf die neben Entsetzen auch sicher auch geheime Erleichterung folgte.

Deutschland hat offenbar noch lange nicht abgeschlossen mit diesem Kapitel der Nachkriegsgeschichte. Mit den Zeiten, in der heutige Amtsträger in Straßenschlachten mit der Polizei verwickelt waren, in denen ein Funktionsträger wie Herrhausen stets einen Brief in der Nachttischschublade aufbewahrte, in dem er schreibt, man möge im Falle seiner Entführung nicht auf erpresserische Forderungen eingehen. Heute reicht die Distanz, um sich an eine Aufarbeitung zu wagen. Der Film hat den Nerv des Publikums getroffen: Mehr als 100.000 Menschen sahen ihn bislang im Kino - für einen Dokumentarfilm ein grandioses Ergebnis. Der Erfolg dieser Dokumentation, wie auch der von Spielfilmen wie Die Stille nach dem Schuss oder die Innere Sicherheit sprechen für sich. Der Kampf ist vorbei, aber die Wunden sind noch nicht vernarbt.

Black Box, so heißt auch der Flugschreiber, der nach einem Absturz Aufschluss über die Ursachen der Katastrophe gibt. Im Falle des Deutschen Herbstes hat man sie bis heute nicht gefunden.

Nani Fux

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