Jeder gute Regisseur hat einen unverkennbaren Stil, hat
so seine Macken, Eigenheiten, Techniken, Vorlieben, Lieblingsthemen.
Jeder gute Regisseur durchläuft in seiner Karriere aber
auch Veränderungen, Entwicklungen und dreht (aus kreativen
Gründen, aus Lust und Laune oder einfach nur des Geldes
wegen) Filme, die überhaupt nicht zu seinem übrigen
Werk passen bzw. zu passen scheinen.
Um die besondere Handschrift eines Regisseurs genauer kennen
zu lernen, sollte man sich deshalb, wenn schon nicht alle,
so doch zumindest einen Großteil seiner Filme zu Gemüte
führen, was bei Filmemachern, die seit dreißig
Jahren und mehr im Geschäft sind, leider nur mit Hilfe
einer sehr umfangreichen Video-Sammlung oder einer Werkschau
in Cinematheken oder auf Filmfestivals möglich ist.
Brian de Palma macht es uns da leichter, indem er mit seinem
aktuellen Film FEMME FATALE eine kompakte Retrospektive seines
eigenen Werkes liefert und in 110 Minuten alle Grundmotive,
Einflüsse, Leidenschaften, Schwächen und Stärken,
die seit jeher seine Film mal mehr, mal weniger durchziehen,
exemplarisch vorführt.
Die Handlung von FEMME FATALE ist schnell erzählt. Die
Diebin Laure betrügt bei einem großen Coup ihre
beiden unfreundlichen Komplizen, muss deshalb aus Paris fliehen,
nimmt hierzu eine andere Identität an, kommt nach einigen
Jahren gezwungenermaßen zurück, wird von ihren
Verfolgern entdeckt und verwickelt - zu ihrer Rettung - den
Photographen, dem sie ihre aufgeflogene Tarnung zu verdanken
hat, in ein zwielichtiges, kriminelles Spiel.
So unsinnig es klingen mag, aber in bester de Palma-Manier
hat diese Handlung im Grunde keinen Einfluss auf den Verlauf
des Films. Wie so oft, ist auch hier die Handlung nur eine
Folie, vor der de Palma einzelne Bilder und Szenen ablaufen
läßt. In diesem Sinne überhöht er ein
Prinzip seines großen Vorbilds Alfred Hitchcock ins
Extrem und macht aus der gesamten Handlung einen McGuffin.
Gnadenlos biegt sich de Palma seine Geschichte so zu Recht,
wie er es gerade braucht, pfeift auf jede Logik bzw. Wahrscheinlichkeit
und erhebt den Zufall zum beherrschenden Prinzip, wobei in
dem vorliegenden Ausmaß nicht einmal mehr von Zufall,
sondern von Fügung gesprochen werden muss. Die höhere
Gewalt, die hier die Figuren und ihre Schicksale lenkt und
zum richtigen Zeitpunkt sogar den Himmel aufreißen läßt,
ist dabei der Regisseur selbst.
Wie alle filmischen Eigenheiten de Palmas, ist auch dieser
willkürliche Umgang mit der Handlung (bzw. der Realität)
eine äußerst ambivalente Sache, die zwischen purem
Schund und bewundernswerter Brillanz pendelt. Wenn etwa FEMME
FATALE kurz vor Schluß einen radikalen Bruch erfährt
und dadurch die gesamte Handlung in Frage gestellt wird, kann
man darin entweder eine intelligente Reflexion über die
Realität und ihre verschiedenen Ebenen sehen oder sich
schlicht an die "Auferstehung" von Bobby Ewing aus
DALLAS erinnert fühlen.
Die respektlose "Handlungsfreiheit" kann de Palma
aber auch beinahe vollkommen ablegen, wenn er seine Drehbuchambitionen
einmal ruhen läßt, sich auf das Regieführen
beschränkt und eine konkrete Vorlage (Drehbuch, Roman,
Fernsehserie) verfilmt. Filme wie SCARFACE, THE UNTOUCHABLES,
CARLITO'S WAY oder FEGEFEUER DER EITELKEITEN etwa sind durch
und durch glaubhaft und stringent und benötigen deshalb
auch keinen von de Palmas üblichen Deus ex Machina, um
durch aberwitzige Verschwörungen und Intrigen oder übernatürliche
Ereignisse erklärt zu werden.
Erstaunlicherweise gelingt es de Palma bei diesen Filmen
auch mühelos, seine geliebten, hochkomplizierten, technikverliebten
Plansequenzen, denen er sonst gnadenlos alle erzählerischen
Grundsätze unterordnet, nahtlos in die Handlung zu integrieren.
Nicht so bei FEMME FATALE, der mit einem kaum enden wollenden
High Tech Rififi beginnt, danach immer wieder von minutenlangen,
meisterhaft ausgeklügelten Kamerafahrten (incl. Splitscreen
und ähnlichen Tricks) dominiert wird und mit einer dramatischen
Kettenreaktion jenseits aller Plausibilität endet.
Auch diese filmischen Kompositionen aus Bewegung, Architektur,
Musik, Rhythmus und Licht kann man mit der größtmöglichen
Widersprüchlichkeit betrachten.
Ist das alles nur Selbstzweck, Leistungsschau, technische
Spielerei ohne narrativen Nutzen oder doch Hingabe an eine
überwältigende Bildsprache und damit bedingungsloses
Bekenntnis zum Kino als (in erster Linie) visuelles Medium?
Dass das Kino und das damit eng verknüpfte Sehen in all
ihren Facetten, de Palmas wahre Leidenschaften, wenn nicht
gar (gemäß eines seiner frühen Filmtitel)
Obsessionen sind, ist dabei kaum zu übersehen.
Viele Regisseure sind Filmfans und -kenner, aber selbst die
fanatischsten wie Scorsese oder Bogdanovich sind in ihrem
Umgang mit der Filmgeschichte nicht halb so direkt und obsessiv
wie de Palma. Wo andere eine zarte Hommage oder eine diskrete
Anspielung wagen, da kopiert, variiert und zitiert de Palma
seine Vorbilder in vollen Zügen und ohne jede Scham.
Es ist sicher kein Zufall, dass de Palma in FEMME FATALE immer
wieder ein Plakat mit der Aufschrift "Deja vu" ins
Bild rückt, denn genau dieser Eindruck setzt sich beim
Zuseher fest, wenn ungeniert Fragmente und Motive aus unzähligen
Filmen von Hitchcock über Antonionis BLOWUP bis hin zu
de Palmas eigenem Frühwerk, an einem vorüberziehen.
Als bezeichnendes Beispiel dieser Manie kann man in FEMME
FATALE den Versuch de Palmas beobachten, aus der zwar attraktiven
aber doch gewöhnlichen Hauptdarstellerin Rebecca Romijn-Stamos
stellenweise eine klassische Hitchcock-Blondine zu machen.
Diese Aufgabe betreibt er mit der selben (Detail)Besessenheit
wie ehemals Jimmy Stewart in VERTIGO, als dieser Kim Novak
zur Frau seiner (Alp)Träume ummodelte.
Einmal mehr aber auch hier die strittige Frage, ob das nicht
filmische Grabräuberei (wenn nicht gar Leichenschändung)
ist, oder doch die vitale Variation über bekannte Themen,
wie man es beim Jazz kennt und liebt.
Nicht minder zwiespältig ist de Palmas zweite Obsession,
das Sehen, und alles was damit verbunden ist. Sehen und gesehen
werden, beobachten, verstecken, Maskeraden, Täuschungen,
Nachtsichtgeräte, Blendungen, Verdopplungen und Doppelgänger,
Fotos und Fotographen usw. zeugen inhaltlich von seiner Faszination
für das Visuelle, die er mit filmischen Mitteln entsprechend
fortsetzt.
Die Kamera nimmt bei de Palma viele verschiedene, oft subjektive
Positionen ein, zeigt die Welt aus den ungewöhnlichsten
Blickwinkeln, mit den überraschendsten Effekten, detail-
und symmetrieversessen, rastlos, immer in Bewegung und sie
wendete sich nie ab, hält immer drauf, egal ob jemand
versucht sich umzubringen, ob jemand von einem Laster überfahren
wird oder wenn zwei Frauen miteinander Sex haben.
Der passende Widerspruch hierzu: Führt de Palma durch
diese Szenen den Menschen (und vor allem uns Kinogängern)
unseren eigenen, gerne verdrängten Hang zum Voyeurismus
vor oder ist das alles nur billige Zurschaustellung bis hin
zur Pornographie?
Leider ohne jeden Zweifel ist de Palmas Problem mit der Schauspielerführung.
Sein "Augenmerk" liegt eben bei anderen Aspekten
des Filmemachens, weshalb mittelmäßige oder unerfahrene
Schauspieler ohne richtige Anleitung in ihren Rollen blaß
und verloren wirken (so auch Antonio Banderas und Rebecca
Romijn-Stamos in FEMME FATALE). Gute und routinierte Schauspieler
wie Pacino oder de Niro dagegen nutzen die Freiheit in de
Palmas Filmen, um ihre Rollen uneingeschränkt auszugestalten
(wozu ein Talent wie Peter Coyote im vorliegenden Fall leider
keine Möglichkeit hat, da seine Rolle einfach zu bedeutungslos
ist).
Zusammenfassend kann man sagen, dass FEMME FATALE als Thriller,
als der er beworben wird, in Ermangelung wirklicher Spannung
überhaupt nicht funktioniert und auch als leichte Actionunterhaltung
mit schönen Menschen und Bildern, taugt er aufgrund seiner
cinephilen Kopflastigkeit kaum.
Als leidenschaftlicher Blick auf die Welt des Kinos und vor
allem auf die wilde und ungestüme Welt des Brian de Palma,
ist dieser Film dagegen bestens geeignet.
Michael Haberlander
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