Endlich ist die Deutsche Einheit vollendet - im Kino natürlich,
wo sonst? Denn über fünf Millionen Deutsche können
nicht irren. Wolfgang Beckers Leinwandhit GOOD BYE LENIN!
hat sich längst über die Kinokassen hinaus verselbstständigt
- es ist kein Film mehr, sondern ein soziales Experiment,
das so unaufhaltsam wie die Oderflut übers Land schwemmt.
Wer daran noch kleine Zweifel anmelden wollte, wurde Anfang
April endgültig widerlegt: Da marschierten über
200 Bundestagsabgeordnete im Gänsemarsch ins Ost-Berliner
Kult-Kino "International" auf der Karl-Marx-Allee,
und versuchten wieder einmal auf Augenhöhe mit ihren
Bürgen zu kommen. Von Peter Gauweiler bis Petra Pau saßen
sie dann vereint nebeneinander, zuerst etwas verlegen und
unsicher auf dem fremden Terrain, später scherzend und
ausgelassen, wie Grundschüler auf einem Klassenausflug,
wenn es nach der Fabrikbesichtigung Cola und Fresspakete gibt.
Das gab es hier natürlich auch, neben anderen DDR-Nostalgica
vor allem die unvermeidlichen Spreewaldgurken. Kameras begleiteten
den in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Akt eines
gemeinsamen Kulturbesuchs, und Interviewer hielten die spontanen
Gedanken unser aller politischen Repräsentanten für
die Geschichtsbücher fest. Klassensprecherin Renate Schmidt
fand den Film zum Beispiel mit bayerischer Deutlichkeit "saugut",
Wolfgang Schäuble schmunzelte etwas schüchtern und
der einstige Klassenrabauke Gauweiler erinnerte sich tatsächlich
an seine früheren DDR-Fahrten im Gefolge von Franz-Josef
Strauß selig. So konnte sich jeder ganz persönlich
"einbringen", was ja vielleicht auch das Erfolgsgeheimnis
des Films ist. Und Kulturstaatsministerin Christina Weiß,
hier sozusagen die Klassenlehrerin, erinnerte daran, dass
der Film ja auch "zum Nachdenken" anrege. Worüber
man nachdenken solle, verriet sie aber genausowenig, wie früher
unser Deutschlehrer.
Also denkt jeder für sich. Festhalten sollte man zum
Beispiel, dass sich die Deutschen auch zu Hochzeiten einer
amerika-skeptischen Friedensbewegung ausgerechnet in einen
Film mit amerikanischem Titel verlieben. Und vielleicht ist
GOOD BYE LENIN! genau deswegen erfolgreich: Weil er auf unpolitische
Weise politisch ist, weil er um Himmels Willen nicht anecken
will, sondern reif und tolerant irgendwie Verständnis
für alles hat - was ja eine sehr angenehme Eigenschaft
ist, aber auch sehr stark an den von eben jenen Abgeordneten
gewählten Bundeskanzler erinnert. Der fast schon etwas
zu spät kommende Film zur "Neuen Mitte".
Nur eine Frage bleibt jetzt noch offen: Wer saß eigentlich
in Reihe acht, Platz fünfzehn? Das war einst Honeckers
Lieblingsplatz. Doch nicht etwa Gauweiler?
Rüdiger Suchsland
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