José Val del Omar, 1904 in Granada geboren und 1982
in einem Autounfall gestorben, war Dokumentar- und Avantgardefilmemacher,
Fotograf und Erfinder. In den 30er Jahren begann er sein filmisches
Werk. Spanien war noch ganz bäuerlich-ländlich geprägt
und folgte einem jahrhundertealten Traditionalismus; die Zweite
Republik wollte es an das moderne, industrialisierte und sich
mehr und mehr urban gestaltende Europa anschließen.
Im Zuge dieser Modernisierungsbewegung entdeckten die Intellektuellen
die Terra incognita des ärmlichen Landes.
García Lorca zog mit seiner Theatergruppe "La
Barraca" über die Dörfer; der Lyriker Vicente
Aleixandre forderte die Rückbesinnung der Kunst auf die
Werte des Menschlichen und das Leben, womit er in Spanien
frühzeitig das Ende der künstlerischen Moderne einläutete.
Der Streifzug der Aufklärer und Modernisierer, der Dichter
und Intellektuellen durch das ländliche Spanien wurde
so zu einer doppelten Eroberung des Landes: Erweckt aus seinem
archaischen Traum wurde es an das industrialisierte, moderne
Europa angebunden; die Archaik und Kreatürlichkeit der
bäuerlichen Existenz waren als neue Themen der Kunst
entdeckt.
Eine der intellektuellen Bewegungen waren die "Misiones
Pedagógicas". Sie zogen als bildungspolitische
Wanderschule über die Dörfer und leisteten mit Büchern,
Filmen und Schallplattenaufnahmen Aufklärungsarbeit über
Spanien und die spanische Gesellschaft. Val del Omar erstellte
für die "Misiones" über 40 Dokumentarfilme,
die zum Großteil während des Bürgerkriegs
verschollen sind. Zwei davon sind nun in einer Ausstellung
zu sehen, die anlässlich des 100. Geburtstags des Filmemachers
durch Europa tourt und bis zum 25. September im Instituto
Cervantes in München zu sehen ist. Ähnlich der "Misiones"
schafft sie Aufklärungsarbeit über den weitgehend
unbekannt gebliebenen Val del Omar; gezeigt werden Ausschnitte
aus seinem Collagenwerk der 70er Jahre und Dokumentationsmaterial
zum Künstler. Eine Multimedia-Installation der Architektin
Antonella La Sala sampelt Fotografien und Standbilder seiner
Filme zu einem suggestiven Bilderstrom. Beachtenswert sind
vor allem die Filme, die täglich im Rahmen der Ausstellung
gezeigt werden. Sie lassen erkennen, wie Val del Omar über
die Dokumentation zu einer eigenen, avantgardistischen Formensprache
fand.
1934 entstanden die Film-Impressionen FIESTAS CRISTIANAS
/ FIESTAS PROFANAS, in denen Val del Omar die religiösen
und weltlichen Feste in den Dörfern der abgelegenen Region
Murcia einfing. Sie zeigen die ungewöhnliche Kameraarbeit
des Dokumentarfilmers. Aus überhöhten Standpunkten
taucht Val del Omar mit seiner Kamera in die Zeremonien ein,
fährt mit seiner Kamera die Prozessionszüge entlang,
ihnen folgend und ihnen begegnend. Dies in langen Plansequenzen,
in denen die Kamera horizontal und vertikal die Szenerien
durchfährt und das Bild zweifach bewegt, im gefilmten
Sujet der durch die engen Gassen wandernden Bevölkerung
und durch das filmende, nie stillhaltende Objektiv.
Die Bewegung des Bildes lässt die Orientierung über
das Gefilmte verlieren; den Repräsentationswillen eines
aufklärerischen, dokumentierenden Kinos verlässt
Val del Omar zugunsten der filmischen Ebene. Sie erhält
bei Val del Omar eine ganz eigene visuelle Aufmerksamkeit,
durch die sichtbare Anwesenheit der Kamera. Detailaufnahmen,
die er mit einem von ihm bereits 1928 entwickelten Objektiv
mit variabler Brennweite, einem Vorläufer des Zooms,
erstellten konnte, verstärken diese undokumentarische
Bildlichkeit. Bei seinen Aufnahmen heftet sich die Kamera
immer wieder an Kostümfragmente der Protagonisten und
an die Füße, die in den Umzügen Tag und Nacht
die Dörfer beschreiten. Dies lässt an die spätere
Arbeit von Bresson erinnern, der Handlungsabläufe in
Close-Ups fokussierte, in denen sich das wesentliche Agens
der Handlung verbirgt, wie die sich zum Scheiterhaufen vortastenden
Füße der JEANNE D'ARC oder die Hände der Taschendiebe
in PICKPOCKET. Val del Omar jedoch schafft durch seine Detailfokussierungen
keine Handlungsbezüge; er blendet den Kontext des Gefilmten
aus und abstrahiert von der konkreten Situation. Er folgt
mehr einem ethnographischen Muster, dem einer universellen
Formensprache des Gefilmten, die ihm zur Bildsprache wird.
Val del Omar war ein Pionier der kinematographischen Möglichkeiten;
anders jedoch als andere Avantgardefilmemacher suchte er nicht
in erster Linie die Subversion seiner Sujets. Seine Aufmerksamkeit
galt immer auch den technischen Erneuerungen des Filmens.
Mit ihnen wollte er dem Zuschauer einen sinnlichen Eindruck
verschaffen. Sein Kino nannte er Mecamística; die mystische
Tiefe von Natur, Mensch und Religion war sein Thema, das er
mit seinen eigenen technischen Erfindungen ergründete.
Dies zeigt sich bereits in den FIESTAS durch die Kameraarbeit,
und deutlicher noch in seinem Hauptwerk, dem TRÍPTICO
ELEMENTAL DE ESPAÑA, das er in den 50er und 60er Jahren
begann, aber unvollendet hinterließ. Val del Omar filmt
immer wieder Heiligenstatuen und heidnische Figurinen, die
unter seiner bewegten Kamera einem Animismus zu gehorchen
scheinen. Mensch und Statue werden ununterscheidbar, sind
lebendig und versteinert, beseelt und mystisch. Dieser Effekt
verdankt sich vor allem dem spezifischen Umgang mit dem Licht.
Die von ihm entwickelte, sogenannte Tactil-Visión arbeitet
mit stroboskopischer Beleuchtung der gefilmten Objekte. Durch
den raschen Wechsel des einfallenden Lichtes ergibt sich der
Eindruck von Lebendigkeit und Plastizität. Dies brachte
ihm 1961 in Cannes den Preis für Spezialeffekte für
FUEGO EN CASTILLA ein, dem zweiten Teil seines Triptychons.
Seine Aufnahmeverfahren - die Kamerafahrten, die dicht an
das Gefilmte fokussieren, der Eindruck von Lebendigkeit durch
das wechselnde Licht - erwirken eine geringe Distanzierung
des Gefilmten zum Zuschauer, ganz im Sinne der Mystifizierung,
die er erreichen wollte. Involvieren und Mystifizieren wollte
Val del Omar auch mit dem von ihm 1944 patentierten Tonverfahren
des Sonido diafónico, einem Zweispurtonsystem, das
eine Räumlichkeit des Tons erzeugt, und mit der Entwicklung
einer konkaven Leinwand, die den Eindruck eines dreidimensionalen
Bildes erstellt. Alle Sinne des Zuschauers sollten am Kinoerlebnis
teilhaben; und so ließ Val del Omar sogar Dufttücher
bei den Filmprojektionen verteilen. Dieser Wille zur Inszenierung,
der auch die Aufführungssituation in das Filmerlebnis
mit einbezieht, lässt ihn als Vorläufer des Expanded
Cinema erscheinen, das sich in den 50er Jahren innerhalb der
Wiener Avantgarde formierte.
Freilich muss die geringe Distanz zum Gefilmten nicht nur
als gewünschter Effekt für den Zuschauer, sondern
auch für den Filmemacher selbst angenommen werden. Die
Bilder Val del Omars zeugen von der Anziehungskraft, die die
vorgefundenen Traditionen auf ihn ausgeübt haben müssen.
Seine Filme bejahen die Brauchtümer Spaniens, feiern
Kultur und Folklore. 1932 entstand Buñuels Dokumentarfilm
LAS HURDES: TIERRA SIN PAN, in dem er der pittoresken Anschauung
der ländlichen Armut nach den Bildern von König
Alfonso XIII. aus den 20er Jahren eine Absage erteilte und
ein sozialrealistisches und -dramatisches Vorzeichen gab.
Ähnliche Aufnahmen der Landbevölkerung sind auch
bei Val del Omar zu finden, vor allem in seinen ESTAMPAS von
1934, der die Aufklärungsarbeiten der "Misiones
Pedagógicas" zeigt. Während Buñuel
aber die Isolation der Bevölkerung zeigt und über
die Armut und Riten Schreckensszenarien entwirft, putzt sich
bei Val del Omar die Dorfbevölkerung heraus und nimmt
die Aufklärer wissbegierig in Empfang.
Val del Omar subvertiert nicht; er steigert das, was er sieht
zu Faszination. Im umgekehrten Sinne zu Alain Resnais' späteren
LES STATUES MEURENT AUSSI offenbart Val del Omar die rituellen
Objekte in ihrer Lebendigkeit, in der andauernden Gültigkeit
der religiösen Zeremonien, die tief im Heidentum verwurzelt
sind. Seine Bilder erstellen eine Schönheit des traditionellen
Spaniens, feiern die Ornamente der Alhambra und lassen die
Wasserspiele seiner Heimatstadt zu Gitarrenmusik tanzen. Val
del Omars Kino ist weniger cinema documental als cinema
elemental, ein Mosaik von Formen und Motiven. Erde, Feuer
und Wasser sind bei ihm die archaischen Anfänge der kulturellen
Traditionen; ihre Elemente fügen sich zu audiovisuellen
Gedichten eines Kinos, das die Sinne feiert.
Dunja Bialas
GALAXIA VAL DEL OMAR
Bis 25. September 2003
Öffnungszeiten der Ausstellung: 12-19 Uhr
Filmvorführungen:
TRÍTPTICO ELEMENTAL DE ESPAÑA (OmU): Mo, Mi,
Fr 17 Uhr
DOKUMENTARFILME DER MISIONES PEDAGÓGICAS (OmU): Di
17 Uhr
OJALÁ VAL DEL OMAR (Dokumentation über Val del
Omar von 1994): Do 17 Uhr
Ort: Kultursaal des Instituto Cervantes, Marstallplatz 7,
80539 München, Tel. 089 / 2090 71 80
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