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31.07.2003
 
 
       

Aus Erde, Feuer und Wasser:
Die Galaxien des Avantgarde-Filmemachers José Val del Omar

 
 
Visiones und Misiones eines Spaniers
   
 
 
 
 

José Val del Omar, 1904 in Granada geboren und 1982 in einem Autounfall gestorben, war Dokumentar- und Avantgardefilmemacher, Fotograf und Erfinder. In den 30er Jahren begann er sein filmisches Werk. Spanien war noch ganz bäuerlich-ländlich geprägt und folgte einem jahrhundertealten Traditionalismus; die Zweite Republik wollte es an das moderne, industrialisierte und sich mehr und mehr urban gestaltende Europa anschließen. Im Zuge dieser Modernisierungsbewegung entdeckten die Intellektuellen die Terra incognita des ärmlichen Landes. García Lorca zog mit seiner Theatergruppe "La Barraca" über die Dörfer; der Lyriker Vicente Aleixandre forderte die Rückbesinnung der Kunst auf die Werte des Menschlichen und das Leben, womit er in Spanien frühzeitig das Ende der künstlerischen Moderne einläutete. Der Streifzug der Aufklärer und Modernisierer, der Dichter und Intellektuellen durch das ländliche Spanien wurde so zu einer doppelten Eroberung des Landes: Erweckt aus seinem archaischen Traum wurde es an das industrialisierte, moderne Europa angebunden; die Archaik und Kreatürlichkeit der bäuerlichen Existenz waren als neue Themen der Kunst entdeckt.

Eine der intellektuellen Bewegungen waren die "Misiones Pedagógicas". Sie zogen als bildungspolitische Wanderschule über die Dörfer und leisteten mit Büchern, Filmen und Schallplattenaufnahmen Aufklärungsarbeit über Spanien und die spanische Gesellschaft. Val del Omar erstellte für die "Misiones" über 40 Dokumentarfilme, die zum Großteil während des Bürgerkriegs verschollen sind. Zwei davon sind nun in einer Ausstellung zu sehen, die anlässlich des 100. Geburtstags des Filmemachers durch Europa tourt und bis zum 25. September im Instituto Cervantes in München zu sehen ist. Ähnlich der "Misiones" schafft sie Aufklärungsarbeit über den weitgehend unbekannt gebliebenen Val del Omar; gezeigt werden Ausschnitte aus seinem Collagenwerk der 70er Jahre und Dokumentationsmaterial zum Künstler. Eine Multimedia-Installation der Architektin Antonella La Sala sampelt Fotografien und Standbilder seiner Filme zu einem suggestiven Bilderstrom. Beachtenswert sind vor allem die Filme, die täglich im Rahmen der Ausstellung gezeigt werden. Sie lassen erkennen, wie Val del Omar über die Dokumentation zu einer eigenen, avantgardistischen Formensprache fand.

1934 entstanden die Film-Impressionen FIESTAS CRISTIANAS / FIESTAS PROFANAS, in denen Val del Omar die religiösen und weltlichen Feste in den Dörfern der abgelegenen Region Murcia einfing. Sie zeigen die ungewöhnliche Kameraarbeit des Dokumentarfilmers. Aus überhöhten Standpunkten taucht Val del Omar mit seiner Kamera in die Zeremonien ein, fährt mit seiner Kamera die Prozessionszüge entlang, ihnen folgend und ihnen begegnend. Dies in langen Plansequenzen, in denen die Kamera horizontal und vertikal die Szenerien durchfährt und das Bild zweifach bewegt, im gefilmten Sujet der durch die engen Gassen wandernden Bevölkerung und durch das filmende, nie stillhaltende Objektiv.

Die Bewegung des Bildes lässt die Orientierung über das Gefilmte verlieren; den Repräsentationswillen eines aufklärerischen, dokumentierenden Kinos verlässt Val del Omar zugunsten der filmischen Ebene. Sie erhält bei Val del Omar eine ganz eigene visuelle Aufmerksamkeit, durch die sichtbare Anwesenheit der Kamera. Detailaufnahmen, die er mit einem von ihm bereits 1928 entwickelten Objektiv mit variabler Brennweite, einem Vorläufer des Zooms, erstellten konnte, verstärken diese undokumentarische Bildlichkeit. Bei seinen Aufnahmen heftet sich die Kamera immer wieder an Kostümfragmente der Protagonisten und an die Füße, die in den Umzügen Tag und Nacht die Dörfer beschreiten. Dies lässt an die spätere Arbeit von Bresson erinnern, der Handlungsabläufe in Close-Ups fokussierte, in denen sich das wesentliche Agens der Handlung verbirgt, wie die sich zum Scheiterhaufen vortastenden Füße der JEANNE D'ARC oder die Hände der Taschendiebe in PICKPOCKET. Val del Omar jedoch schafft durch seine Detailfokussierungen keine Handlungsbezüge; er blendet den Kontext des Gefilmten aus und abstrahiert von der konkreten Situation. Er folgt mehr einem ethnographischen Muster, dem einer universellen Formensprache des Gefilmten, die ihm zur Bildsprache wird.

Val del Omar war ein Pionier der kinematographischen Möglichkeiten; anders jedoch als andere Avantgardefilmemacher suchte er nicht in erster Linie die Subversion seiner Sujets. Seine Aufmerksamkeit galt immer auch den technischen Erneuerungen des Filmens. Mit ihnen wollte er dem Zuschauer einen sinnlichen Eindruck verschaffen. Sein Kino nannte er Mecamística; die mystische Tiefe von Natur, Mensch und Religion war sein Thema, das er mit seinen eigenen technischen Erfindungen ergründete.

Dies zeigt sich bereits in den FIESTAS durch die Kameraarbeit, und deutlicher noch in seinem Hauptwerk, dem TRÍPTICO ELEMENTAL DE ESPAÑA, das er in den 50er und 60er Jahren begann, aber unvollendet hinterließ. Val del Omar filmt immer wieder Heiligenstatuen und heidnische Figurinen, die unter seiner bewegten Kamera einem Animismus zu gehorchen scheinen. Mensch und Statue werden ununterscheidbar, sind lebendig und versteinert, beseelt und mystisch. Dieser Effekt verdankt sich vor allem dem spezifischen Umgang mit dem Licht. Die von ihm entwickelte, sogenannte Tactil-Visión arbeitet mit stroboskopischer Beleuchtung der gefilmten Objekte. Durch den raschen Wechsel des einfallenden Lichtes ergibt sich der Eindruck von Lebendigkeit und Plastizität. Dies brachte ihm 1961 in Cannes den Preis für Spezialeffekte für FUEGO EN CASTILLA ein, dem zweiten Teil seines Triptychons.

Seine Aufnahmeverfahren - die Kamerafahrten, die dicht an das Gefilmte fokussieren, der Eindruck von Lebendigkeit durch das wechselnde Licht - erwirken eine geringe Distanzierung des Gefilmten zum Zuschauer, ganz im Sinne der Mystifizierung, die er erreichen wollte. Involvieren und Mystifizieren wollte Val del Omar auch mit dem von ihm 1944 patentierten Tonverfahren des Sonido diafónico, einem Zweispurtonsystem, das eine Räumlichkeit des Tons erzeugt, und mit der Entwicklung einer konkaven Leinwand, die den Eindruck eines dreidimensionalen Bildes erstellt. Alle Sinne des Zuschauers sollten am Kinoerlebnis teilhaben; und so ließ Val del Omar sogar Dufttücher bei den Filmprojektionen verteilen. Dieser Wille zur Inszenierung, der auch die Aufführungssituation in das Filmerlebnis mit einbezieht, lässt ihn als Vorläufer des Expanded Cinema erscheinen, das sich in den 50er Jahren innerhalb der Wiener Avantgarde formierte.

Freilich muss die geringe Distanz zum Gefilmten nicht nur als gewünschter Effekt für den Zuschauer, sondern auch für den Filmemacher selbst angenommen werden. Die Bilder Val del Omars zeugen von der Anziehungskraft, die die vorgefundenen Traditionen auf ihn ausgeübt haben müssen. Seine Filme bejahen die Brauchtümer Spaniens, feiern Kultur und Folklore. 1932 entstand Buñuels Dokumentarfilm LAS HURDES: TIERRA SIN PAN, in dem er der pittoresken Anschauung der ländlichen Armut nach den Bildern von König Alfonso XIII. aus den 20er Jahren eine Absage erteilte und ein sozialrealistisches und -dramatisches Vorzeichen gab. Ähnliche Aufnahmen der Landbevölkerung sind auch bei Val del Omar zu finden, vor allem in seinen ESTAMPAS von 1934, der die Aufklärungsarbeiten der "Misiones Pedagógicas" zeigt. Während Buñuel aber die Isolation der Bevölkerung zeigt und über die Armut und Riten Schreckensszenarien entwirft, putzt sich bei Val del Omar die Dorfbevölkerung heraus und nimmt die Aufklärer wissbegierig in Empfang.

Val del Omar subvertiert nicht; er steigert das, was er sieht zu Faszination. Im umgekehrten Sinne zu Alain Resnais' späteren LES STATUES MEURENT AUSSI offenbart Val del Omar die rituellen Objekte in ihrer Lebendigkeit, in der andauernden Gültigkeit der religiösen Zeremonien, die tief im Heidentum verwurzelt sind. Seine Bilder erstellen eine Schönheit des traditionellen Spaniens, feiern die Ornamente der Alhambra und lassen die Wasserspiele seiner Heimatstadt zu Gitarrenmusik tanzen. Val del Omars Kino ist weniger cinema documental als cinema elemental, ein Mosaik von Formen und Motiven. Erde, Feuer und Wasser sind bei ihm die archaischen Anfänge der kulturellen Traditionen; ihre Elemente fügen sich zu audiovisuellen Gedichten eines Kinos, das die Sinne feiert.

Dunja Bialas

 

GALAXIA VAL DEL OMAR

Bis 25. September 2003
Öffnungszeiten der Ausstellung: 12-19 Uhr

Filmvorführungen:
TRÍTPTICO ELEMENTAL DE ESPAÑA (OmU): Mo, Mi, Fr 17 Uhr
DOKUMENTARFILME DER MISIONES PEDAGÓGICAS (OmU): Di 17 Uhr
OJALÁ VAL DEL OMAR (Dokumentation über Val del Omar von 1994): Do 17 Uhr

Ort: Kultursaal des Instituto Cervantes, Marstallplatz 7, 80539 München, Tel. 089 / 2090 71 80

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