Zu den schönsten unter den vielen Gesichtern des klassischen
Hollywood gehört der Typus jener wagemutigen Aussenseiter,
die gegen den Apparat der großen Studios ankämpfen,
Grenzen überschreiten, und die, indem sie sich "against
all odds" durchsetzen, dann paradoxerweise auch das System
und den "american dream" glorios bestätigen.
"Ich gebe nicht viel darauf, was die Leute denken."
- Leben und Werk des Filmregisseurs Elia Kazan, der in der
Nacht zum Montag in New York im Alter von 94 Jahren gestorben
ist, sind genau von diesem nur scheinbaren Widerspruch geprägt:
Die amerikanische Bilderbuchkarriere eines verarmten Einwandererkind,
das es aus eigener Kraft zu Weltruhm bringt, und dabei immer
mit seiner Umwelt hadert, das verstoßen und wieder mit
offenen Armen aufgenommen wurde, das in Hollywood begann,
und bald gegen es ankämpfte, und mit seinen Filmen doch
genau das Bild wesentlich mitprägte, das heute vom amerikanischen
Kino, also von Hollywood in unseren Köpfen sitzt: ENDSTATION
SEHNSUCHT (A STREETCAR NAMED DESIRE), 1952; DIE FAUST IM NACKEN
(ON THE WATERFRONT), 1954; JENSEITS VON EDEN (EAST OF EDEN)
1955 - einige der wichtigsten und besten Filme der 50er Jahre
stammen von Kazan. Er selbst war einer der wichtigsten anerkanntesten
- und lange Zeit mächtigsten - Filmregisseure des 20.Jahrhunderts.
Zunächst deutete nichts auf diesen späteren Lebensweg
hin: Als Elia Kazanjoglou wurde er am 7. September 1909 in
Konstantinopel noch als Untertan des Osmanischen Reichs geboren,
als einer von vier Söhnen eines Teppichhändlers,
der zudem als Angehöriger der griechischen Minderheit
Benachteiligungen ausgesetzt war. Über die Zwischenstation
Berlin emigrierte die Familie dann aber bereits 1913 nach
New York. Dort wuchs er auf, in er armen Verhältnissen,
und früh geprägt durch den kosmopolitischen Geist
der Metropole.
Kazan war klein, ein Energiebündel, mit vielen Marotten,
einem dominanten Ego, unkonventionell und brillant, ruhelos
und großzügig. Nach dem Traum von einem Leben als
Schauspieler und einem mit einfachen, oft demütigenden
Arbeiten - "In dieser Zeit wurde Rache ein Motiv in meinem
Leben" sagte er später - selbstfinanziertem Theaterstudium
arbeitete er sich schnell in der alternativen New Yorker Theaterszene
hoch, arbeitete als Schauspieler, wurde aber schon in den
frühen 30ern Regisseur von legendären Off-Broadway-Inszenierungen,
und lernte bereits hier spätere Weggefährten kennen:
Thornton Wilder, Tennessee Williams, Arthur Miller, Lee Strasberg,
Nicholas Ray und Martin Ritt. Durch den Erfolg mit Wilder
und Williams-Stücken wurde auch Kazan bekannt. Zur gleichen
Zeit engagierte er sich politisch, trat für zwei Jahre
1934 bis 1936 in die Kommunistische Partei ein.
Mit den Bühnenerfolgen ließen auch die Angebote
der Film-Studios nicht lange auf sich warten. Einige Auftragswerke
entstanden, wie der schöne Film Noir BUMERANG. Schon
sein erster größerer Film belegt Kazans Distanz
zur angepassten Werteordnung Hollywoods: GENTLEMEN'S AGREEMENT,
der ihm 1947 den ersten Oscar für die beste Regie einbrachte,
entlarvte kurz nach Kriegsende den Antisemitismus, den es
auch in den USA zu Hauf gab. Im selben beschloss Kazan, sich
dem Druck der Industrie nicht mehr zu beugen. Er ging nach
New York, gründete mit seinem Freund Lee Strasberg das
"Actors Studio", das auf der damals neumodischen,
psychologisch orientierten Schule Stanislawskis beruhte. Dort
definierte Kazan die Darstellungskunst in neuer Weise, und
entdeckte Marlon Brando, James Dean, Karl Malden und Eli Wallach,
später noch Warren Beatty, die sämtlich in seinen
Filmen ihre ersten Auftritte hatten. Vielen galt Kazan als
der beste Schauspielregisseur der Filmgeschichte. Zur gleichen
Zeit beschloss Kazan, von nun an ohne Stars und Studiokulissen,
vor Ort und mit unbekannten Darstellern zu arbeiten. Bevor
es den Begriff überhaupt gab, war Kazan einer der frühen
Vertreter des Autorenfilms.
Seine Filme der folgenden Jahre, seiner kreativsten Zeit,
waren so erfolgreich, wie anstößig: Sei es das
meisterliche Gefühlsdrama ENDSTATION SEHNSUCHT nach Tennessee
Williams, das "linke" Revolutionsepos VIVA ZAPATA
(beide 1951), oder auch BABY DOLL (1956) und JENSEITS VON
EDEN - sie alle erzählten jenseits der privaten Geschichte
auch konsequent von gesellschaftlichen Lügen, provozierten
daher den Mainstream-Geschmack und machten ihm wenig Freunde.
Zwischen diesen Filmen liegt die politisch fragwürdigste
Phase in Kazans Leben. 1952, in der Zeit der "Hexenjagd"
des Senators McCarthy verriet Kazan acht Film-Kollegen an
die rechten Häscher des "House Un-American Activities
Committee" . Lange leugnete er, später gab er die
Aussagen zu, und verteidigte sich zugleich: "Ich habe
mich für den Antifaschismus und die Wahrung der Rechte
des Individuums engagiert." Manche haben ihm dies bis
heute viele nicht verziehen. Ein bisschen wandte sich die
"Hexenjagd" in den folgenden Jahrzehnten gegen ihn.
Und noch bei der Verleihung des "Life Achievement Award"
aus der Hand seines Bewunderers Martin Scorsese bei der Oscarverleihung
1999, versagten ihm einige Gäste, den Applaus.
Man muss das fragen: Was spricht eigentlich dafür, das
McCarthy-Statement selbst 1999 noch zum Hauptthema bei der
Beurteilung Elia Kazans zu machen, der später Filme wie
ON THE WATERFRONT und WILD RIVER drehte, "linke",
"engagierte" Filme. Kazans Werke relativieren die
eigenen politischen Handlungen. 47 Jahre waren seitdem vergangen,
mehr als eine Generation. Ein billiger Triumph für Nick
Nolte, Sean Penn und Ed Harris, die mehr Mut beweisen könnten,
wenn sie gegen manche der reaktionären Filme protestierten,
in denen sie selbst auftreten.
Andererseits gewann er mit ON THE WATERFRONT bereits 1954,
zwei Jahre nach den umstrittenen Aussagen 8 Oscars. Dieser
Film, einer seiner allerbesten, und bis heute unvermindert
wirkungsvoll im Spiel der Darsteller, wie in der Kraft seiner
Inszenierung und Geschichte, wurde auch als verschlüsselte
persönliche Verteidigung gesehen. Kazan selbst sah es
anders: "I got a feeling I was speaking for a lot of
people who were not on top of the society, whose parents were
not rich or established," beschrieb er den Kampf des
mutigen Einzelnen Terry Malloy gegen korrupte Gewerkschaftsbosse
"I was speaking for the underdog."
Er selbst sah sich bis an sein Lebensende als Außenseiter.
"Ich fühle immer anders als die Menge. Man mag es
neurotisch nennen, aber ich meide immer den Weg, den jeder
geht - und das wird bisweilen mißverstanden." verteidigte
er schon früh sein politisches Verhalten, und schlug
zugleich die Brücke zu seinen Filmen. Denn in ihnen ist
Kazan, der Individualist und Sturkopf, durchaus ein sozial
engagierter Streiter gegen Konventionen, ein Ankläger
von Ungerechtigkeit, Lebenslügen, später dann der
Politik des Vietnamkrieges.
Kazan ist nicht zuletzt einer der großen Porträtisten
Amerikas. Wo andere sich ins Interieur zurückzogen und
dort ihre Geschichten vom Zerfall aller bürgerlichen
Moral und dem Zusammenbruch der Familie erzählten, ging
er immer wieder hinaus an zeitgenössische Schauplätze
und entdeckte die anderen Seiten der USA. Sein Lieblingsfilm
WILD RIVER (1961), eine düstere Feier des amerikanischen
Südens, fragte nach der Realität der großen
Sozialreformen des "New Deals" der 30er. So leisteten
Kazans Filme nicht weniger, als eine zweite Entdeckung Amerikas.
Sein Amerika ist eine innere Landschaft, ein Ort der Seelenzustände.
So wie es John Ford für das 19. Jahrhundert leistete,
definierte Kazan die amerikanische Erfahrung des 20.Jahrhunderts.
Dreimal wurde er dabei autobiographisch: AMERICA, AMERICA
beschrieb 1963 Traum und Realität in der Zeit der großen
Einwanderungswellen, die Kazan noch selbst miterlebt hatte.
In seinem nicht weniger persönlicher Film THE ARRANGEMENT
(1969) spielt Kirk Douglas einen resignierten reichen Karrieristen,
der vergeblich versucht, seine persönlichen Beziehungen
ins Reine zu bringen. Der Traum vom schönen amerikanischen
Leben wird als Selbstbetrug erkannt. Im Fernsehen sieht er
zynische Werbespots, den Countdown der Mondrakete und Bilder
aus Vietnam.
In seinem letzten Film schloß Kazan dann mit dem alten
Hollywood, mit dem er so oft im Clinch gelegen hatte, Frieden
und schuf ihm eines der anrührendsten Denkmäler:
1976 verfilmte er F. Scott Fitzgeralds THE LAST TYCOON mit
Robert de Niro. Ein Film ganz auf der Höhe seiner Gegenwart
und doch in Farben, der Ruhe der Bewegungen, der Klassizität
von Bildern und Handlung aus einer anderen Zeit. Am Schluß
des Films sieht man den von Robert De Niro gespielten Filmtycoon
in der Leere des Studios verschwinden - was für ein großartiger
Abschied!
"In der amerikanischen Gesellschaft" sagte Kazan
einmal, "kann man nur Revolutionär werden oder Gangster."
Ein großer Künstler muss wohl ein wenig von beidem
haben.
Rüdiger Suchsland
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