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02.10.2003
 
 
       

Der letzte Tycoon
Verrat und Größe: Zum Tod des Filmregisseurs Elia Kazan

 
 
Brando und Malden in Kazans
ON THE WATERFRONT
   
 
 
 
 

Zu den schönsten unter den vielen Gesichtern des klassischen Hollywood gehört der Typus jener wagemutigen Aussenseiter, die gegen den Apparat der großen Studios ankämpfen, Grenzen überschreiten, und die, indem sie sich "against all odds" durchsetzen, dann paradoxerweise auch das System und den "american dream" glorios bestätigen.

"Ich gebe nicht viel darauf, was die Leute denken." - Leben und Werk des Filmregisseurs Elia Kazan, der in der Nacht zum Montag in New York im Alter von 94 Jahren gestorben ist, sind genau von diesem nur scheinbaren Widerspruch geprägt: Die amerikanische Bilderbuchkarriere eines verarmten Einwandererkind, das es aus eigener Kraft zu Weltruhm bringt, und dabei immer mit seiner Umwelt hadert, das verstoßen und wieder mit offenen Armen aufgenommen wurde, das in Hollywood begann, und bald gegen es ankämpfte, und mit seinen Filmen doch genau das Bild wesentlich mitprägte, das heute vom amerikanischen Kino, also von Hollywood in unseren Köpfen sitzt: ENDSTATION SEHNSUCHT (A STREETCAR NAMED DESIRE), 1952; DIE FAUST IM NACKEN (ON THE WATERFRONT), 1954; JENSEITS VON EDEN (EAST OF EDEN) 1955 - einige der wichtigsten und besten Filme der 50er Jahre stammen von Kazan. Er selbst war einer der wichtigsten anerkanntesten - und lange Zeit mächtigsten - Filmregisseure des 20.Jahrhunderts.

Zunächst deutete nichts auf diesen späteren Lebensweg hin: Als Elia Kazanjoglou wurde er am 7. September 1909 in Konstantinopel noch als Untertan des Osmanischen Reichs geboren, als einer von vier Söhnen eines Teppichhändlers, der zudem als Angehöriger der griechischen Minderheit Benachteiligungen ausgesetzt war. Über die Zwischenstation Berlin emigrierte die Familie dann aber bereits 1913 nach New York. Dort wuchs er auf, in er armen Verhältnissen, und früh geprägt durch den kosmopolitischen Geist der Metropole.

Kazan war klein, ein Energiebündel, mit vielen Marotten, einem dominanten Ego, unkonventionell und brillant, ruhelos und großzügig. Nach dem Traum von einem Leben als Schauspieler und einem mit einfachen, oft demütigenden Arbeiten - "In dieser Zeit wurde Rache ein Motiv in meinem Leben" sagte er später - selbstfinanziertem Theaterstudium arbeitete er sich schnell in der alternativen New Yorker Theaterszene hoch, arbeitete als Schauspieler, wurde aber schon in den frühen 30ern Regisseur von legendären Off-Broadway-Inszenierungen, und lernte bereits hier spätere Weggefährten kennen: Thornton Wilder, Tennessee Williams, Arthur Miller, Lee Strasberg, Nicholas Ray und Martin Ritt. Durch den Erfolg mit Wilder und Williams-Stücken wurde auch Kazan bekannt. Zur gleichen Zeit engagierte er sich politisch, trat für zwei Jahre 1934 bis 1936 in die Kommunistische Partei ein.

Mit den Bühnenerfolgen ließen auch die Angebote der Film-Studios nicht lange auf sich warten. Einige Auftragswerke entstanden, wie der schöne Film Noir BUMERANG. Schon sein erster größerer Film belegt Kazans Distanz zur angepassten Werteordnung Hollywoods: GENTLEMEN'S AGREEMENT, der ihm 1947 den ersten Oscar für die beste Regie einbrachte, entlarvte kurz nach Kriegsende den Antisemitismus, den es auch in den USA zu Hauf gab. Im selben beschloss Kazan, sich dem Druck der Industrie nicht mehr zu beugen. Er ging nach New York, gründete mit seinem Freund Lee Strasberg das "Actors Studio", das auf der damals neumodischen, psychologisch orientierten Schule Stanislawskis beruhte. Dort definierte Kazan die Darstellungskunst in neuer Weise, und entdeckte Marlon Brando, James Dean, Karl Malden und Eli Wallach, später noch Warren Beatty, die sämtlich in seinen Filmen ihre ersten Auftritte hatten. Vielen galt Kazan als der beste Schauspielregisseur der Filmgeschichte. Zur gleichen Zeit beschloss Kazan, von nun an ohne Stars und Studiokulissen, vor Ort und mit unbekannten Darstellern zu arbeiten. Bevor es den Begriff überhaupt gab, war Kazan einer der frühen Vertreter des Autorenfilms.

Seine Filme der folgenden Jahre, seiner kreativsten Zeit, waren so erfolgreich, wie anstößig: Sei es das meisterliche Gefühlsdrama ENDSTATION SEHNSUCHT nach Tennessee Williams, das "linke" Revolutionsepos VIVA ZAPATA (beide 1951), oder auch BABY DOLL (1956) und JENSEITS VON EDEN - sie alle erzählten jenseits der privaten Geschichte auch konsequent von gesellschaftlichen Lügen, provozierten daher den Mainstream-Geschmack und machten ihm wenig Freunde.

Zwischen diesen Filmen liegt die politisch fragwürdigste Phase in Kazans Leben. 1952, in der Zeit der "Hexenjagd" des Senators McCarthy verriet Kazan acht Film-Kollegen an die rechten Häscher des "House Un-American Activities Committee" . Lange leugnete er, später gab er die Aussagen zu, und verteidigte sich zugleich: "Ich habe mich für den Antifaschismus und die Wahrung der Rechte des Individuums engagiert." Manche haben ihm dies bis heute viele nicht verziehen. Ein bisschen wandte sich die "Hexenjagd" in den folgenden Jahrzehnten gegen ihn. Und noch bei der Verleihung des "Life Achievement Award" aus der Hand seines Bewunderers Martin Scorsese bei der Oscarverleihung 1999, versagten ihm einige Gäste, den Applaus.
Man muss das fragen: Was spricht eigentlich dafür, das McCarthy-Statement selbst 1999 noch zum Hauptthema bei der Beurteilung Elia Kazans zu machen, der später Filme wie ON THE WATERFRONT und WILD RIVER drehte, "linke", "engagierte" Filme. Kazans Werke relativieren die eigenen politischen Handlungen. 47 Jahre waren seitdem vergangen, mehr als eine Generation. Ein billiger Triumph für Nick Nolte, Sean Penn und Ed Harris, die mehr Mut beweisen könnten, wenn sie gegen manche der reaktionären Filme protestierten, in denen sie selbst auftreten.
Andererseits gewann er mit ON THE WATERFRONT bereits 1954, zwei Jahre nach den umstrittenen Aussagen 8 Oscars. Dieser Film, einer seiner allerbesten, und bis heute unvermindert wirkungsvoll im Spiel der Darsteller, wie in der Kraft seiner Inszenierung und Geschichte, wurde auch als verschlüsselte persönliche Verteidigung gesehen. Kazan selbst sah es anders: "I got a feeling I was speaking for a lot of people who were not on top of the society, whose parents were not rich or established," beschrieb er den Kampf des mutigen Einzelnen Terry Malloy gegen korrupte Gewerkschaftsbosse "I was speaking for the underdog."

Er selbst sah sich bis an sein Lebensende als Außenseiter. "Ich fühle immer anders als die Menge. Man mag es neurotisch nennen, aber ich meide immer den Weg, den jeder geht - und das wird bisweilen mißverstanden." verteidigte er schon früh sein politisches Verhalten, und schlug zugleich die Brücke zu seinen Filmen. Denn in ihnen ist Kazan, der Individualist und Sturkopf, durchaus ein sozial engagierter Streiter gegen Konventionen, ein Ankläger von Ungerechtigkeit, Lebenslügen, später dann der Politik des Vietnamkrieges.

Kazan ist nicht zuletzt einer der großen Porträtisten Amerikas. Wo andere sich ins Interieur zurückzogen und dort ihre Geschichten vom Zerfall aller bürgerlichen Moral und dem Zusammenbruch der Familie erzählten, ging er immer wieder hinaus an zeitgenössische Schauplätze und entdeckte die anderen Seiten der USA. Sein Lieblingsfilm WILD RIVER (1961), eine düstere Feier des amerikanischen Südens, fragte nach der Realität der großen Sozialreformen des "New Deals" der 30er. So leisteten Kazans Filme nicht weniger, als eine zweite Entdeckung Amerikas. Sein Amerika ist eine innere Landschaft, ein Ort der Seelenzustände. So wie es John Ford für das 19. Jahrhundert leistete, definierte Kazan die amerikanische Erfahrung des 20.Jahrhunderts.

Dreimal wurde er dabei autobiographisch: AMERICA, AMERICA beschrieb 1963 Traum und Realität in der Zeit der großen Einwanderungswellen, die Kazan noch selbst miterlebt hatte. In seinem nicht weniger persönlicher Film THE ARRANGEMENT (1969) spielt Kirk Douglas einen resignierten reichen Karrieristen, der vergeblich versucht, seine persönlichen Beziehungen ins Reine zu bringen. Der Traum vom schönen amerikanischen Leben wird als Selbstbetrug erkannt. Im Fernsehen sieht er zynische Werbespots, den Countdown der Mondrakete und Bilder aus Vietnam.

In seinem letzten Film schloß Kazan dann mit dem alten Hollywood, mit dem er so oft im Clinch gelegen hatte, Frieden und schuf ihm eines der anrührendsten Denkmäler: 1976 verfilmte er F. Scott Fitzgeralds THE LAST TYCOON mit Robert de Niro. Ein Film ganz auf der Höhe seiner Gegenwart und doch in Farben, der Ruhe der Bewegungen, der Klassizität von Bildern und Handlung aus einer anderen Zeit. Am Schluß des Films sieht man den von Robert De Niro gespielten Filmtycoon in der Leere des Studios verschwinden - was für ein großartiger Abschied!

"In der amerikanischen Gesellschaft" sagte Kazan einmal, "kann man nur Revolutionär werden oder Gangster." Ein großer Künstler muss wohl ein wenig von beidem haben.

Rüdiger Suchsland

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