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04.12.2003 |
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Eindrücke vom Filmfestival Mannheim/Heidelberg
Nov 2003
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PLASTIC TREE  |
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Rauer Wind durch die Wirklichkeit
Konzentration, Vexierspiele und zunächst kein
Sex - beim Filmfestival Mannheim-Heidelberg ist die Welt alles,
was der Fall ist
Ein Bungalow direkt am Meer. Aber allzu rau weht der Wind,
pfeift lärmend durch die Wände und auch sonst ist
Won-youngs Leben von einer Ferienidylle weit entfernt. Die
junge Frau, die ganz im Zentrum dieses Films steht, lebt mit
ihrem Freund einen tristen Alltag. Er ist Friseur, sie fährt
tagaus, tagein als Botin mit dem Motorroller durch die namenlose
Küstenstadt, abends gibt es Tee, Bier und keinen Sex.
An Bilder des italienischen Kinos erinnert PLASTIC TREE, es
könnte auch ein Sizilien oder Apulien sein ohne Mafia,
Leoparden und die Hoffnung, dass das Glück nur ausgewandert
ist nach Norden. Eines Tages kommt ein zweiter Mann hinzu,
nistet sich oben auf dem Dach des Hauses ein, und bringt genau
das, was Won-young entbehrt: Verführung, Unsicherheit,
Amour Fou. Nun gibt es viel Sex, und Gewalt noch dazu, und
am Ende lernt man, dass "Haare schneiden" auf Koreanisch
das Gleiche heißt, wie "köpfen". Mag
die Dreiecksgeschichte für sich genommen auch vorhersehbar
sein - der intensive Stil, in dem sie erzählt ist, die
Kunst, Atmosphären konzentrierter Leere zu schaffen,
und die wunderbare Cho Eun-sook in der Hauptrolle brachten
dem Debüt des Koreaners Eo Il-seon ganz verdient den
Sieg im diesjährigen Wettbewerb von Mannheim-Heidelberg.
Zum 52. Mal ging dieses zweitälteste deutsche Festival
soeben zuende, und einmal mehr erfüllte es seinen Anspruch,
eines der wichtigsten Foren für internationale Newcomer
zu sein. Die Filme in Mannheim unterscheiden sich spürbar
vom meisten, was auf anderen Festivals geboten wird. Auch
hier weht ein rauer Wind, manchmal ist es spröde, und
nicht immer perfekt - aber jedenfalls steht das Programm den
Kompromissentscheidungen fern, die heute die ganz großen
Festivals prägen, und zum geringsten Teil von echter
Cinephilie bestimmt sind, um so mehr aber von filmpolitischen
Deals und der Furcht, über Posen hinaus ernsthaft zu
provozieren. Der Arthouse-Falle, zwar den Hollywood-Stereotypen
konsequent auszuweichen, sie aber nur durch einen zweiten
Mainstream, dem für die gebildeten guten Menschen Europas,
zu ersetzen, entgeht zwar die Mannheimer Auswahl auch nicht
immer. Manchmal wünscht man sich alles noch einen Tick
jünger, frecher, offener für Tendenzen des Zeitgeists.
Doch prinzipiell stimmt die Mischung, und so gab es reichlich
spannende, stilistisch innovative Filme zu entdecken.
Zum Beispiel der herausragende, leider nicht prämierte
THE FINAL NIGHT OF THE ROYAL HONG KONG POLICE, ein cleveres
Vexierspiel zwischen historischer Realität, ironischem
Märchen und Genrestück. In zwei Teilen erzählt
Regisseur Lau Shing-hon die Geschichte seiner Heimatstadt,
als Geschichte der unter britischem Befehl stehenden chinesischen
Polizei. Im ersten Teil steht der Übergang von 1997 im
Mittelpunkt, die Tatsache, dass die Polizei in einer Nacht
zu dem werden sollte, was sie einst blutig bekämpft hat.
Für diese Absurdität findet Lau das Bild eines Sarges,
auf dem um Mitternacht die britische durch die chinesische
Fahne ersetzt wird. In Hongkong war das so politisch brisant,
dass man den Film nicht nur auf allen Festivals ablehnte,
sondern dem Regisseur überdies noch jeden Zuschuß
für den zweiten Teil strich, der sich mit Hongkongs Opposition
und ihrer Reaktion auf das Tiananmen-Massaker 1989 befassen
sollte - und den er dann trotzdem drehte, auf eigene Kosten
und digital. Geradezu sensationell sind die Dokumentarbilder,
die Lau im BBC-Archiv entdeckte und in den Film hineinmontierte.
Sie zeigen ein Panorama Hongkongs fernab der Legenden und
Lebenslügen beider Seiten. Trotzdem ist THE FINAL NIGHT
OF THE ROYAL HONG KONG POLICE immer ein Spielfilm, der intelligent
und einfallsreich Bezüge zum kantonesischen Kino der
60er herstellt, ebenso wie zu den Kriminalfilmen der 80er,
die Hongkongs Kino berühmt machten.
Wie immer gab es in Mannheim viel Skandinavisches. Zum Publikumsdarling
wurde die flotte Komödie MIFFO aus Schweden (Spezialpreis
der Jury), der einfallsreich und elegant, im typischen Stil
dieser Kinoregion, von Behinderten, Alkoholikern und anderen
Outcasts handelt. Auf "Dogma"-Spuren wanderte Linda
Wendels exzessiver wilder Film BABY, der einen deutschen Verleih
verdient hätte, und sei es allein für den geglückten
Versuch, auf originelle Weise Gewalt darzustellen. Völlig
untypisch, dafür im besten Sinne amerikanisch ist FEAR
X von Regisseur Nicholas Winding Refn, ebenfalls aus Dänemark.
Ein Versuch über die Kontrolle, für den Hubert Selby
das Script schrieb, Kubricks Kameramann Larry Smith die Bilder
gestaltete und Brian Eno die Musik beisteuerte. Gerade über
seine Tonspur besticht der Film und erinnert an die Welten
David Lynchs. John Turturro in der Hauptrolle als Security-Mann,
der eine Shopping Mall bewacht. Auch er hofft wie so viele
auf ein richtiges Leben im Falschen - doch die Matrix findet
er in sich selbst.
Erstmals seit Jahren zeigte Mannheim in einer eigenen Reihe
von sechs Filmen auch das hier lange verschmähte deutsche
Kino. Ein Anfang sei das, so Direktor Michael Kötz, um
"dem Quatsch, der von offizieller Seite als Kulturgut
gefeiert wird, authentische Filme" entgegenzusetzen.
Denn auch in Deutschland gibt es Filme, die genau hinsehen,
denen Fragen und Erfahrungen wichtiger sind, als schnelle
Thesen und die neuerdings beliebte Identitätsstiftung
durchs Kino. Die Welt in Mannheim ist wirklich alles, was
der Fall ist.
Rüdiger Suchsland
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Dreiecksgeschichten und Zuschauer zwischen zwei Städten
Ob nun in Korea, Chile oder Lettland: irgendwo gibt es immer
jemanden im Hintergrund, der die einfache Paarbeziehung komplizierter
macht als nötig. Und wie schwierig eine Entscheidung
sein kann, lässt sich leicht nachvollziehen, wenn man
sich plötzlich selbst vor die Frage gestellt sieht, ob
man seine Schaulust lieber im (Vorsicht: Klischee!) geometrisch
strengen Mannheim oder im romantisch verwinkelten Heidelberg
zelebrieren will. Ein interessantes Festival haben sie da
jedenfalls im Südwesten: Der Schwerpunkt liegt auf internationalen
Filmen im Wettbewerb, die entweder Erstlingswerke sind oder
von noch nicht etablierten Regisseuren stammen und hier ihre
Premiere feiern. Abgerundet wird das Programm durch begleitende
Reihen, in diesem Jahr standen neben aktuellen deutschen Produktionen
und internationalen Entdeckungen Filme von Raoul Ruiz und
solche über das Kino auf dem Programm.
1951 als "Mannheimer Filmwoche" gegründet,
wird das Festival seit 1994 auch in Heidelberg ausgerichtet,
in beiden Städten werden neben vorhandenen Kinos mit
ein bis zwei Sälen eigens eingerichtete Vorführsäle
bespielt (in Mannheim der Saal des Stadthauses, in Heidelberg
ein Zelt im Marsstall). Wer beim Filmfest München oder
der Berlinale die Eintönigkeit der dort genutzten Multiplexe
beklagt, wird sich über die Abwechslung freuen. Doch
der Charme dieser Provisorien kann die Mängel an Bequemlichkeit
und Vorführqualität nicht immer wettmachen, und
auch die Umständlichkeit, von einer Stadt in die andere
zu kommen, wird durch die ungünstigen Abfahrzeiten des
eigens eingerichteten Shuttle-Busses eher verstärkt als
gemildert. So tut man am Besten daran, die Terminplanung auf
die bequemeren Kinos und einen Stadt pro Tag zu beschränken
- zum Glück werden die Filme oft genug wiederholt.
Und es gibt wahrlich zu viel interessantes zu sehen, um
seine Zeit mit Busfahrten zu verschwenden. In diesem Jahr
hatte der Wettbewerb eine weitgefächerte Palette zu bieten:
Die Bandbreite der zur Verfügung stehenden Produktionsmittel
reichte von den umgerechnet 7 Euro, die der chilenische Film
SÁBADO nach Angaben des Regisseurs gekostet hatte (in
einer verwackelten Plansequenz von 60 Minuten begleitet eine
Videokamera eine junge Frau, die unmittelbar vor der Trauung
von der Untreue ihres Bräutigams erfährt) bis zur
Großproduktion, die der renommierte Hollywood-Autor
Ed Solomon mit LEVITY präsentierte (Darsteller dieses
sinistren Hochglanz-Dramas um eine Ex-Knacki, der sich, von
Schuldgefühlen geplagt, um Wiedergutmachung bemüht,
sind u.a. Billy Bob Thornton und Holly Hunter). Beide Filme
werden übrigens neben POD EDNO NEBE von der Jury der
Kinobesitzer empfohlen, hoffentlich hilft ihnen das, bei einem
deutschen Verleiher unterzukommen.
Den großen Preis der Filmfestival-Jury erhielt das
koreanische Drama PLASTIC TREE: Ein junges Paar entfremdet
sich, als ein draufgängerischer Jugendfreund sich bei
ihnen einnistet, die Frau zunehmend mit seinen Avancen und
dem Machismo der koreanischen Arbeitswelt konfrontiert und
der Mann an Kindheitstraumata erinnert wird. Schön, wenn
ein einfühlsamer asiatischer Film ausgezeichnet wird,
doch angesichts des unvermittelten Splatter-Horrors, der die
poetische Bilder von PLASTIC TREE zum Ende hin ablöst,
sollte die Frage erlaubt sein, warum nicht das japanische
Road-Movie VIBRATOR ausgezeichnet wurde, die dichte und ungekünstelte
Liebesgeschichte einer Journalistin und eines Truckers. Immerhin
hat dieses Portrait weiblicher Selbstfindung ein lobende Erwähnung
der Jury eingeheimst.
Aber genug von Preisträgern (auch, weil die Autorin
keine Karten mehr für den Publikumspreisträger DONAU,
DUNAJ, DUNA, DUNAV, DUNAREA bekommen hat und sich deshalb
weitere Bemerkungen dazu verkneifen muss), lieber noch ein
paar Worte zu weiteren Wettbewerbsfilmen: Angenehme Überraschungen
gab es beispielsweise aus Lettland (Der in verwaschenen Bildern
erzählte HANDFUL OF BULLETS in einer abgewirtschafteten
Munitionsfabrik, die schon lange keine Löhne mehr zahlt,
leben Onkel und Neffe zusammen von der Hand in den Mund, bis
eine junge Frau bei ihnen einzieht, die die große Liebe
bedeutet ...), aus Rumänien (Der rasante Neo-Noir-Film
FURIA. Aus Leichtsinn legt sich ein junger Rennfahrer mit
dem örtlichen Mafiaboss an und versucht, seine Schulden
durch den Verkauf einer ehemaligen Schulfreundin an den Paten
zu begleichen - doch auf der gemeinsamen Flucht durch die
Nacht lernt er sie erst richtig kennen ...), aus China (das
Doku-Drama LAST NIGHT OF THE ROYAL HONGKONG POLICE: ONE BODY
AND TWO FLAGS erteilt eine unterhaltsame Geschichtslektion
mit Elementen des Hongkong-Thrillers) und aus Luxemburg (Der
eindringliche Film vom Erwachsenwerden ICH WERDE EINE HEILIGE
SEIN: Eine 17jährige erfährt plötzlich die
Adresse der Mutter, die sie als Baby bei ihrem Vater zurückgelassen
hatte. Warum war sie damals gegangen, und was kann das Mädchen
tun, um die Welt zu einem besseren Platz zu machen?).
Auch die Reihe der "Internationalen Entdeckungen"
bot interessantes, beispielsweise den tunesischen Film KHORMA
um einen jungen Mann mit schlichtem Gemüt, der unversehens
die wichtige Aufgabe bekommt, Todesfälle auszurufen und
Beerdigungen zu organisieren. Und John Turturro überzeugte
im deutlich von Lynch und den Coen-Brüdern beeinflussten
dänischen Film FEAR X als Wachmann, der um jeden Preis
den Grund für den Tod seiner Frau sucht.
Filme allein scheinen für den Eventcharakter eines
Festivals nicht mehr auszureichen: womit wäre sonst zu
erklären, dass ein Hauptprogrammpunkt in Mannheim eine
Drehbuchlesung war - und zwar die von François Truffauts
DIE AMERIKANISCHE NACHT. Obwohl es auf den ersten Blick seltsam
scheint, ausgerechnet den Text eines Films vorzulesen, bei
dem die Faszination darin besteht, dass man Dreharbeiten sieht,
haben die fünf Schauspielerinnen ihre Sache gut gemacht
und durften zur Belohnung für den "Tag der Schauspielerinnen"
einen Film auswählen, in dem sie selbst mitspielten.
Dabei zeigte sich wieder, dass die Qualität einer ausgezeichneten
Darstellerin nicht immer mit der der Filme, in denen sie eine
Rolle spielt, korreliert. Zumindest die Filme, in denen Nina
Hoger (ENTHÜLLUNGEN EINER EHE) und Leslie Malton (DER
TOURIST) spielten, waren belanglose bis ärgerliche TV-Ware
- schade.
DIE AMERIKANISCHE NACHT wurde - schließlich auch als
Film - in der Reihe "Kennen Sie Kino?" präsentiert,
neben anderen Filmen über des Filmemachen. Sehenswert
war hierbei für Fellini-Liebhaber das Doppelprogramm
LA TIVU DI FELLINI mit den TV-Parodien, die der Regisseur
für GINGER UND FRED gedreht hatte und LA ULTIMA SEQUENZA
über ein zwar gedrehtes, aber später aussortiertes
und vernichtetes alternatives Ende von 8 ½: Durch die
Montage einer Fotodokumentation von den Dreharbeiten und eines
zeitgenössischen Interviews mit Fellini, ergänzt
durch aktuelle Gespräche mit den damals Beteiligten,
wird die Atmosphäre des verlorenen Schlusses rekonstruiert.
Gewöhnungsbedürftig sind hier allerdings die per
Computer aus den alten Fotos errechneten "Bewegungen"
in ihrer deutlichen Künstlichkeit. Neben dem Avantgardefilm
IMITATIONS OF LIFE des Kanadiers Mike Hoolboom, in dem visuell
überwältigend in zehn Kapiteln die Entstehung der
Bilder reflektiert wird, wurde in diesem Zusammenhang auch
der italienische Spielfilm UN MONDO D'AMORE über den
jungen Pier Paolo Pasolini gezeigt, der zwar die Atmosphäre
der Kleinstadt und die Einsamkeit des Künstlers bei seinem
Neubeginn in Rom überzeugend darstellt, aber seine erste
Begegnung mit der Cinecitta nur am Rande behandelt.
Nebenreihen bei einem Festival mit einem so starken Wettbewerb
stellen einen immer vor die Frage, ob man sie eher als Ablenkung
vom Wesentlichen oder als Bereicherung empfindet. Einige Filme
waren vielleicht schon im Kino zu sehen (wie ein Teil der
Raoul-Ruiz-Filme), andere werden es noch sein (wie der deutsche
Film "NeuFundLand", der anrührend, komisch
und romantisch von der Entdeckung der fünf nicht mehr
so neuen Länder und der Unwiederbringlichkeit des Verlorenen
handelt und dessen Kinostart für den 15. Januar terminiert
ist). Bei vielen ist jedoch solch ein Festival die einzige
Gelegenheit, den Film jemals, wie es ihm angemessen ist, auf
der großen Leinwand zu sehen. So ein Filmfestival ist
eben immer zu kurz.
Svenja Alsmann
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