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Die Nase. Sie ist es, die einem als erstes auffällt,
wenn man Sofia Coppola begegnet. Wenn sie da so vor einem
sitzt, in den zurückhaltend designten, wohl temperierten,
dezent anonymisierten Räumen eines Wiener Hotels, rückt
der Blick immer wieder weg von den anderen Partien ihres Gesichts,
dem vollen Mund, den dunklen, von schweren Liedern bedeckten
Augen, zurück zu ihrer Nase. Groß und schön,
hakenförmig geschwungen, wirkt sie wie der elegante Schnabel
irgendeines exotischen Vogels, und man würde trotzdem
kein großes Aufheben um diese Nase machen, stünde
sie nicht in so auffallendem Kontrast zum Rest der Person.
"Ich hab auch noch 'nen Jet Lag..." beginnt sie
das Gespräch. Will sagen: Ich bin normal, bin auch nicht
anders, als Du. Will auch sagen: Vorsicht, fangen wir mal
ganz ruhig und langsam an. Und führt doch in gewissem
Sinn direkt zu ihrem neuen Film, in dem das Jet-Lag-Gefühl,
das Herausgerissen-sein aus der Zeit die Atmosphäre bestimmt,
sozusagen das heimliche Grundgefühl bildet. Sofia Coppola
wirkt bescheiden, zurückhaltend, sieht einen eher selten
direkt an, und in manchen Gesten hat sie fast etwas Verhuschtes,
oder besser Verträumtes. Immer wieder beginnt sie ihre
Sätze mit einem "Oh...", oder "Yeah...",
dann erst mal Pause, bevor die Gedanken sich entschließen,
doch noch zum Satz zu werden. Mehr als das aber ähnelt
sie noch den unerbittlich-romantischen Mädchen, aus ihrem
ersten Film THE VIRGIN SUICIDES, den fünf Lisbon-Schwestern,
die so unglaublich verträumt und kreativ, so undurchschaubar
und überlegen und letztlich unberührbar sind, dass
man nie ganz genau weiß, ob man sich das alles nur einbildet,
oder ob diese Wesen wirklich existieren.
Ihre Hände, ihre Arme, der ganze Körper erscheint
feiner und zerbrechlicher, irgendwie verletzlicher, als in
den Fernsehbildern, auf denen sie in Venedig an der Seite
ihrer Hauptdarsteller Bill Murray und Scarlett Johannsson
über den roten Teppich ging, bei den Filmfestspielen
am Lidostrand, wo ihr neuer Film LOST IN TRANSLATION seine
Weltpremiere hatte. "Venedig war schön." meint
sie "alle waren so positiv, mochten den Film. Damit hatte
ich nicht gerechnet."
Man glaubt, so vieles über sie zu wissen: Sofia Coppola,
die Tochter des großen Filmmaniac und New-Hollywood-Helden
Francis Ford Coppola; eine der jüngsten Filmautorinnen
der Welt, die 1988 mit 17 ein Script für ihren Vater
schrieb; die Schauspielerin, die schon als Baby ihren ersten
Auftritt vor der Kamera hatte, natürlich in einem Film
ihres Vaters, in DER PATE (1972); die dann 1991 im dritten
Teil des PATEN eine Hauptrolle als Al Pacinos Tochter spielte,
für die sie von der in solchen Dingen nicht gerade zartfühlenden
amerikanischen Presse dermaßen überhart und ungerecht
kritisiert wurde, dass es von da an mit ihrer Darsteller-Karriere
vorbei war; die höhere Tochter, die zwischen Filmsets
und Prominenten aufwuchs, die gemeinsam mit ihrer Freundin
Zoe Cassavettes, der Tochter des Regisseurs John Cassavettes
ein Jahrzehnt später vor allem in den Klatschspalten
der New Yorker Partypresse auftauchte, ein nettes nichtsnutziges
Glamour-Girl mit zu großer Nase.
Dies und das hat sie probiert, Malerei studiert, Kleider entworfen,
als Photographin gearbeitet, irgendwann Mitte der 90er sogar
zusammen mit Zoe Cassavettes eine TV-Show moderiert, die in
erster Linie daraus bestand, dass beide mit einem Cabrio in
L.A. herumfuhren und gemeinsame Freunde interviewten - und
diese spätpubertäre ich-weiß-nicht-was-ich-tun-soll-am-liebsten-würd-ich-erstmal-Urlaub-machen-Phase
hat bei ihr schon ziemlich lang gedauert. Doch schnell merkt
man, dass man das alles trotzdem gleich wieder vergessen kann.
Informationen dieser Art bringen einem Sofia Coppola nicht
wirklich näher.
Einen besseren Ort, sich mit Sofia Coppola zu treffen, als
ausgerechnet ein Hotel, kann es gar nicht geben, denkt man.
Denn nicht nur ihr neuester Film spielt zu 80 Prozent in einem
Hotel, dem Park Hyatt von Tokio, schon bei ihrem ersten Drehbuch
handelt es sich um einen Hotelfilm. LIFE WITHOUT ZOE heißt
das Stück dass sie zu dem Episodenwerk NEW YORK STORIES
beisteuerte, eine dreiteilige Ode an das Big-Apple-Lebensgefühl,
dessen andere Beiträge von Martin Scorsese und Woody
Allen stammen. Ihr Vater Francis Ford drehte den Mittelteil
nach dem Buch der Tochter. Es lohnt sich, ihn heute wiederzusehen,
denn schon in diesem kurzen Film findet man eine ganze Menge
Sofia Coppola: Ein kleines, reiches Mädchen, das ihr
Leben allein in einer luxuriösen Suite verbringt, während
ihre Eltern - der Vater ist Künstler - auf Reisen sind.
Vom Butler liebevoll bedient, scheint es ihr gut zu gehen:
eine verwöhnte Prinzessin, die mit Chanel-Klamotten in
ihre Nobelschule geht, viele Freundinnen hat, und doch irgendwie
auch sehr einsam ist. Am Anfang des Films denkt man, dass
sie ihre Mutter gar nicht mag, den Vater dagegen anbetet.
Am Ende hat sie sich mit der Mutter versöhnt, und verlässt
die Suite, geht mit auf Reisen und betritt damit endlich auch
die Welt des geliebten Daddy.
Verräterisch? Über den großen Schatten, den
ihr Vater wirft, über die Schwierigkeiten, sich als Tochter
eines derartigen Regie-Giganten überhaupt in den Filmberuf
zu wagen, ist viel geschrieben worden. Viel weniger allerdings
darüber, dass ein Schatten auch beschützen kann,
dass er einen im Angenehm-Unsichtbaren hält. Von den
Vorteilen, Francis Ford Coppola zum Vater zu haben, wollten
die Kritiker dann aber wieder nur die schmutzige hässliche
Seite zeigen: Als Sofia plötzlich, nach einem Beginn
als Kostümdesignerin in zwei anderen Filmen, in den späten
90ern damit begann, selbst auch Regie zu führen, waren
die Reaktionen zunächst alles andere, als freundlich:
LICK THE STAR hieß ihr erster Kurzfilm. Dass er seine
Weltpremiere beim Festival von Venedig hatte, provozierte
umgehend böse Gerüchte, der Vater habe seine Finger
mit im Spiel gehabt. Dabei hätte es genügt, sich
diese 14-minütige Geschichte über eine Gruppe Schulkinder
nur einmal anzusehen, um zu wissen, dass der Film einfach
viel besser ist als viele andere und seiner Regisseurin ganz
verdientermaßen den Weg zum ersten Spielfilm ebnete.
"Heute mag ich LICK THE STAR nicht mehr sehr", erinnert
sie sich, "er ist unreif und hat viele Fehler. Ich bin
nicht wirklich stolz darauf." Aber das es sich um ihre
ureigene Kreation handelt, daran läßt sie keine
Zweifel. Mag man auch die Unsicherheit der Debütantin
sehen, so spürt man doch ebenso eine starke eigene Handschrift,
einen Stilwillen, und heute, nach zwei langen Spielfilmen,
sieht man sofort, dass es sich um einen Film Sofia Coppolas
handelt: Nicht nur weil schon dieses Werk von der gleichen
irreal hellen, pastelligen, irgendwie träumerischen und
ein bisschen mädchenhaften Stimmung geprägt ist,
weil sie hier bereits mit ihrem Kameramann Lance Acord zusammenarbeitete,
der seither in allen ihren Filmen die Bildgestaltung übernahm,
sondern mindestens ebenso sehr, weil sie schon in LICK THE
STAR eine tiefemotionale Geschichte erzählt, in der man
die persönliche Anteilnahme der Regisseurin in jeder
Kameraeinstellung spürt, in der noch jedes Accessoir
eine persönliche Bedeutung besitzt.
Aber wie kam es überhaupt, dass sie plötzlich begann,
Regie zu führen? "Ich lasse mich nicht gern herumkommandieren.
Darum wollte ich schon vor DER PATE III nie Schauspielerin
werden. Regisseurin zu sein, das ist eine der wenigen Möglichkeiten,
einfach einmal tun zu können, was man will, zu bestimmen,
wie die Welt um einen herum sein soll. Und es funktioniert.
Ich liebe das. Und außerdem verbindet es so viele andere
Dinge, die ich liebe: Photographie, Design und Musik."
Um ein bisschen mehr als nur um eine angenehme Beschäftigung
scheint es sich trotzdem auch für Sofia Coppola schon
immer gehandelt zu haben. Als 1999 ihr erster Spielfilm THE
VIRGIN SUICIDES zuerst auf Festivals und dann im Kino zu sehen
war, war dem eine jahrelange hartnäckige Arbeit voran
gegangen: Auch hier bewies Coppola ihren Geschmack: Heute,
nach dem Welterfolg seines neuen Romans "Middlesex"
kennt Jeffrey Eugenides die ganze Welt, damals, Mitte der
90er, war er nur einer von vielen begabten, jungen US-Schriftstellern,
der mit "The Virgin Suicides" ein vielversprechendes
Debüt veröffentlicht hatte. Coppola war, nachdem
ein Freund ihr das Buch zu lesen gegeben hatte, sofort fasziniert,
erkannte das Potential, das in der Geschichte vom Selbstmord
der fünf schönen Schwestern lag. Ohne die Filmrechte
zu besitzen, schrieb sie einen ersten Drehbuchentwurf. Und
als sie den Film dann machen konnte, bewies sie einen erstaunlich
treffsicheren Instinkt für die Wahl der richtigen Schauspieler:
Kirsten Dunst, bis dahin nur bekannt durch einen intensiven
Kuss mit Brad Pitt in INTERVIEW MIT EINEM VAMPIR, bekam hier
ihre erste Hauptrolle, und dem völlig unbekannten Josh
Hartnett gab sie den wichtigsten männlichen Part des
routinierten Provinzverführers, der plötzlich ins
Herz getroffen wird. Und ihre Darsteller gaben das Vertrauen
zurück, schwärmten in den höchsten Tönen
von der Arbeit mit der damals 28jährigen. James Woods,
weißgott kein Darsteller, mit dem die Regisseure es
leicht haben, pries sie: "Eine der fünf besten Filmemacher,
mit denen ich je gearbeitet habe - neben Sergio Leone, Martin
Scorsese, Oliver Stone und Harold Becker."
Was an THE VIRGIN SUICIDES aber vor allem begeistert, und
ihn zu einem der merkwürdigsten, auch bemerkenswertesten
Filme der Spätneunziger macht, ist sein Ton, seine Atmosphäre,
die Tatsache, dass er damit etwas sehr Typisches von der Generationenstimmung
der heute Anfang 30jährigen einfängt. Selten war
eine Kindheit so traurig wie in diesem Debüt, und trotzdem
gelang es Coppola, dass der Film eine Komödie blieb.
Es gelang ihr, Leinwandbilder für das Mysterium des weiblichen
Erwachsenwerdens zu finden, und dafür, wie Jungs in einem
bestimmten Alter auf Mädchen gucken. Ein Film über
den Einbruch der Realität in jenen Traum, den man Jugend
nennt, lustig, klug, wunderschön. Rosa Melancholie. Und
das vielleicht Interessanteste an allem war, dass hier eine
junge Frau eine Geschichte über junge Frauen aus der
Perspektive einer Gruppe junger Männer erzählt.
Doch viele blieben auch jetzt immer noch reserviert. Wieder
holte sie ihr Name ein, als ob es das nicht geben dürfte,
dass sich Talent vererbt. Und als ob nicht offensichtlich
wäre, dass Sofia Coppola ganz andere Filme macht als
ihr Vater, dass sie dort, wo dieser das Schicksal von Generationen
und Epochen in epischer Breite, mit nicht weniger als geschichtsphilosophischem
Anspruch ins Kino bringt, ganz private, intime Stoffe erzählt,
"kleine" Geschichten.
Merkwürdigerweise haben die gleichen Leute, die Sofia
immer wieder zu Vaters Tochter machen wollen, nie einen ähnlichen
Einfluß ihres Mannes unterstellt. Seit 1999 ist sie
nämlich mit Spike Jonze verheiratet, dem Regisseur von
BEING JOHN MALKOVICH und ADAPTATION. "Wir sind sehr verschieden,
wir unterhalten uns über unsere Filme, aber wir können
nicht zusammenarbeiten.", erläutert sie. Auch über
diesen Aspekt ihres Lebens erfährt man aus dem Gespräch
wenig, um so mehr, wenn man sich verdichtenden Gerüchten
glauben darf, aber aus ihrem neuen Film.
Scarlett Johannsson spielt in LOST IN TRANSLATION Charlotte,
eine Frau, deren Ehe nach zwei Jahren schon in Routine erstarrt
ist. Der Mann, ein Fotograf (Giovani Ribisi), ist ein vor
allem abwesender Workaholic, seine Frau verbringt die Zeit
dösend, lesend, gelangweilt im Hotelzimmer. Dort mitten
in Tokio trifft sie an der Bar auf Bob, und einmal mehr nimmt
die nur scheinbar abgegriffene Geschichte vom alten Mann und
dem Mädchen ihren Anfang, aber ganz neu und frisch, dabei
keusch und in atemberaubend schönem Stil. Komiker Bill
Murray glänzt in einer melancholischen Rolle als desillusionierter
US-Filmstar, der einen Whiskey-Spot drehen muss, ein trauriger
Clown, der sich selbst abhanden kommt.
LOST IN TRANSLATION ist so zart und versponnen, reserviert
und scheu, ohne jede Hybris, wie die Regisseurin. Dass sie
keine Angeberin ist, zeigt am besten die Anekdote, wie es
ihr gelang, den praktisch unerreichbaren Bill Murray für
ihren Film zu gewinnen: "Ein Freund hat mir geholfen
ihn kennenzulernen", sagt sie, ohne zu erwähnen,
dass es sich um Wes Anderson handelt, der auch spätestens
seit seinem Spielfilm THE ROYAL TENNENBAUMS ebenfalls zu den
angesagtesten Jungregisseuren im US-Filmbusiness gehört.
"Als ich das Script schrieb, hatte ich Murray im Kopf.
Ich wollte nur ihn. Es hat fünf Monate gedauert."
Dann endlich traf sie Murray bei einem Abendessen persönlich
- und gewann ihn noch am gleichen Abend. "Kaviar..."
sagt sie, und lacht...
Gedreht wurde der Film in Tokio. "Ich habe dort einige
Wochen gelebt" begründet sie, "wollte meine
eigenen Erfahrungen dieser einzigartigen Fremdheit in Bilder
fassen." Das eigentliche Thema ist die Einsamkeit inmitten
des modernen Lebens. Wie Schlafwandler verbringen Charlotte
und Bob, gequält von Jet Lag und Isolation, ihre Nächte
in der Hotelbar, verlieren und verlieben sich. Tokio wird
ihnen zum seltsamen Wunderland. "Ich wollte ihre Beziehung
genau in der Mitte platonischer Freundschaft und Love-Affair
belassen. So etwas passiert doch oft im Leben, oder?"
LOST IN TRANSLATION ist ein Kammerspiel über Ennui, voller
Gefühl für die Nuancen der Empfindungen. Der Film
beschreibt ein in romantische Melancholie getränktes
Lebensgefühl, und amüsiert zugleich, denn er ist
in aller Tiefe doch auch eine sehr gelungene Satire auf das
Verhältnis des Westens zu Japan. Ein wenig fragt sich
der Zuschauer am Ende allerdings, an wen die Regisseurin bei
alldem eigentlich mehr denkt? An sich selbst und ihre eigenen
Erfahrungen, oder handelt es sich gar um eine romantische
Phantasie über das Dasein ihres oft so lange abwesenden
Vaters Francis Ford?
Und plötzlich lieben alle die 32jährige. Plötzlich
ist sie eine der angesagtesten Regisseurinnen, loben alle
die Intelligenz, die Reife und Sensibilität dieser Überfliegerin,
und man sieht ihre Filme noch mit anderen Augen: Rückblickend
erscheinen sie mit ihren Charakteren, die zwischen Vergangenheit
und Zukunft, zwischen zögerndem Welt- und Selbstentdecken
und den von der Außenwelt auferlegten Verpflichtungen
hin- und hergerissen sind, fast als eine metaphorische Autobiographie.
Mit schlafwandlerischer Sicherheit, auch darin ihren Figuren
verwandt, geht sie ihren Weg. Man freut sich auf die nächsten
Etappen.
Rüdiger Suchsland
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