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25.03.2004
 
 
       

Im Herrgottswinkel des Kinos
Ob blond, ob braun - ein Streifzug durch die Jesusdarstellungen der Filmgeschichte

 
 
Jesus auf dem Set
   
 
 
 
 

Jesus war schon immer ein Superstar - jedenfalls im Kino. Mel Gibsons heftig umstrittener Film THE PASSION OF THE CHRIST, der seit einer Woche mit nicht ganz dem erwarteten Erfolg auch in Deutschland zu sehen ist, und in den vergangenen Monaten in den USA einen regelrechten Kulturkampf - "Jesuskrieg" schrieb der "New Yorker" - entfesselt hat, ist nur das letzte Glied in einer langen Kette filmischer Jesusdarstellungen. Auch in diesem Fall übernimmt das Kino die Rolle, die bis dahin der Malerei vorbehalten war: Ideen in Bilder zu fassen, den Menschen Vorstellungsangebote zu machen.
Der älteste Film-Jesus kam schon kurz nach der Erfindung des Kinos 1897 auf die Leinwand und stammt von den Erfindern, den Brüdern Lumière persönlich. Seitdem haben sich dem Stoff zwar auch europäische Autorenfilmer wie Pier Paolo Pasolini (DAS 1. EVANGELIUM MATTHÄUS, 1966) angenommen. Doch vor allem im Hollywoodfilm finden sich in jedem Jahrzehnt gleich mehrere Kinoauftritte Jesu.

In vielen Fällen blieben ihm dabei nur kleine Nebenrollen vorbehalten: So taucht in nahezu jedem zweiten der ungezählten "Sandalenfilme" der 40er und 50er Jahre eine Christusgestalt auf: Zottelbärtig, langhaarig und mager sieht man ihn gelegentlich predigend am Wegesrand, öfter hängt er sterbend am Kreuz. Mit gütigem Blick spendet er dann armen Frauen Trost, stärkt einen zweifelnden Helden und verwandelt tapfere Römeroffiziere in zerknirschte Pazifisten. Die vielfach preisgekrönten BEN HUR und DAS GEWAND sind die prominentesten Beispiele dieses Genres - gleichermaßen ein Herrgottswinkel des Kinos und Ausdruck des Zivilisierungsprozess, den die Nachkriegsgesellschaft des Westens vollzog.

Doch schon 1912 gab es den ersten "richtigen" Jesusfilm: FROM THE MANGER TO THE CROSS von Sidney Olcott war eine frühe Großproduktion. Unter großem Aufwand an Originalschauplätzen im heiligen Land gedreht, handelt es sich vor allem um eine brave Illustration bekannter Bibelstellen. Doch bereits dieser Film sorgte schnell für heftigen Streit, Olcot hatte ihn nämlich mit der Kreuzigung enden lassen. Dafür, dass die Auferstehung ungezeigt blieb, handelte er sich heftige Kritik aus Kirchenkreisen ein. Bereits hier zeigte sich, wie sensibel das Christus-Thema ist. Wo die innersten Vorstellungen von Gläubigen wie Ungläubigen berührt werden, gelingt es nur selten, es allen recht zu machen. Zudem blieb immer umstritten, wie "realistisch" die Darstellung von Wundern, Engeln und gegebenenfalls der Auferstehung ausfallen dürfte, wie eng sich ein Jesus-Film an die Bibel zu halten habe. War im einen Fall schrifttreue Glaubensvermittlung das Ziel, ging es im anderen Fall um freie Interpretation oder zeitgemäße Aktualisierung.

Zu den herausragenden Christusfilmen der folgenden Jahrzehnte gehört fraglos KING OF KINGS (1927) von Cecil B. DeMille und dessen 1961er-Remake von Nicholas Ray. Typisch für diese beiden Filme, wie auch für DIE GRÖßTE GESCHICHTE ALLER ZEITEN (1965) von George Stevens war, dass es sich um mehr oder weniger plumpe Heldenstorys handelt. John Wayne spielt eine Nebenrolle als römischer Centurio und Max von Sydows Jesus ist hier ein nicht wirklich sympathischer Rechthaber und Besserwisser, der den Pharisäern ordentlich die Meinung geigt, ab und an lässig ein Wunder tut und sich weder von verführerischen Damen - Salome, Maria Magdalena - noch von Pontius Pilatus vom rechten Weg abbringen lässt. Die Rechthaberei und den beflissenen Glaubenseifer teilen diese Christusfiguren mit der fast zeitgleich entstandenen, sich exakt an den Bibeltext anlehnenden Darstellung Pasolins: Ungleich asketischer als in Hollywood ist dessen Christus doch auch ein von sich selbst eingenommener antiintellektueller Tatmensch - "Weh euch, ihr Schriftgelehrten!" - ruft er wieder und wieder aus, und in seinem gnadenlosen Furor spiegeln sich bereits die zukünftigen Exzesse der Studentenrevolte, die Möglichkeit ihres Abgleitens in esoterische oder terroristische Extreme.

Seit dieser Zeit kam es dann zu unterschiedlichsten Formen einer Modernisierung des Themas. Ob als Flower-Power-Musical - Norman Jewison's JESUS CHRIST SUPERSTAR, 1973 -, ob als postmodernes Identitätsdrama - JESUS VON MONTREAL von Dany Arcand, 1990 - oder als sehr direkt-humane Passionsgeschichte in Scorseses DIE LETZTE VERSUCHUNG CHRISTI (1988): Plötzlich ist Jesus im Kino tatsächlich zum Mensch geworden, "einer von uns". Alle diese Filme, vor allem der von Scorsese lösten heftige Kontroversen aus. DIE LETZTE VERSUCHUNG CHRISTI betont die menschlichen Seiten des Gottessohns, lässt ihn an seiner Mission zweifeln und deutet ein Liebesverhältnis mit Maria Magdalena an - damals von der Kirche geächtet, gilt der Film bereits heute als eine der wichtigsten - und glaubensstärksten - Christusdarstellungen der Filmgeschichte.
Der erfolgreichste Jesusfilm vor Mel Gibson ist einer der umstrittensten: DAS LEBEN DES BRIAN der Monty Pythons ist grandiose Komödie und provoziert in der lässigen Albernheit, in der er sich jedem Glaubensernst verweigert, bis heute zumindest alle Gläubigen.

Ähnlich in Herbert Achternbuschs bayerischer Variante: DAS GESPENST erzählt von einem Jesus, der in einem bayerischen Kloster plötzlich vom Kreuz herunterklettert, und in der Begegnung mit einem Bischof, der Polizei und Münchner Bürgern einen zweiten Kreuzweg erfährt. Das erzürnte 1982 die Gemüter, allen voran den frischgekürten CSU-Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann, der von "Gotteslästerung" sprach und Achternbusch den Bundesfilmpreis verweigerte.

Besonderes Augenmerk gilt in all diesen Filmen seit jeher den Hauptdarstellern: Immer gutaussehend waren sie oft wie der "Malibu Jesus" Jeffrey Hunter (KING OF KINGS), wie Max von Sydow, wie Willem Dafoe (LETZTE VERSUCHUNG) blond und blauäugig. Wer die Geschichte von über 100 Jahren Kino verfolgt, kann dabei allerdings auch auf eine merkwürdige Tatsache stoßen. Denn die Statistik aller Jesusfilme zeigt: Je dunkelhaariger der Christusdarsteller, desto erfolgreicher der Film. Auch im Fall Gibson scheint sich das zu bestätigen: Jim Caviezel, sein Hauptdarsteller, hat zwar blaue Augen, aber dunkelbraune, fast schwarze Haare.

Rüdiger Suchsland

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