Jesus war schon immer ein Superstar - jedenfalls im Kino.
Mel Gibsons heftig umstrittener Film THE PASSION OF THE CHRIST,
der seit einer Woche mit nicht ganz dem erwarteten Erfolg
auch in Deutschland zu sehen ist, und in den vergangenen Monaten
in den USA einen regelrechten Kulturkampf - "Jesuskrieg"
schrieb der "New Yorker" - entfesselt hat, ist nur
das letzte Glied in einer langen Kette filmischer Jesusdarstellungen.
Auch in diesem Fall übernimmt das Kino die Rolle, die
bis dahin der Malerei vorbehalten war: Ideen in Bilder zu
fassen, den Menschen Vorstellungsangebote zu machen.
Der älteste Film-Jesus kam schon kurz nach der Erfindung
des Kinos 1897 auf die Leinwand und stammt von den Erfindern,
den Brüdern Lumière persönlich. Seitdem haben
sich dem Stoff zwar auch europäische Autorenfilmer wie
Pier Paolo Pasolini (DAS 1. EVANGELIUM MATTHÄUS, 1966)
angenommen. Doch vor allem im Hollywoodfilm finden sich in
jedem Jahrzehnt gleich mehrere Kinoauftritte Jesu.
In vielen Fällen blieben ihm dabei nur kleine Nebenrollen
vorbehalten: So taucht in nahezu jedem zweiten der ungezählten
"Sandalenfilme" der 40er und 50er Jahre eine Christusgestalt
auf: Zottelbärtig, langhaarig und mager sieht man ihn
gelegentlich predigend am Wegesrand, öfter hängt
er sterbend am Kreuz. Mit gütigem Blick spendet er dann
armen Frauen Trost, stärkt einen zweifelnden Helden und
verwandelt tapfere Römeroffiziere in zerknirschte Pazifisten.
Die vielfach preisgekrönten BEN HUR und DAS GEWAND sind
die prominentesten Beispiele dieses Genres - gleichermaßen
ein Herrgottswinkel des Kinos und Ausdruck des Zivilisierungsprozess,
den die Nachkriegsgesellschaft des Westens vollzog.
Doch schon 1912 gab es den ersten "richtigen" Jesusfilm:
FROM THE MANGER TO THE CROSS von Sidney Olcott war eine frühe
Großproduktion. Unter großem Aufwand an Originalschauplätzen
im heiligen Land gedreht, handelt es sich vor allem um eine
brave Illustration bekannter Bibelstellen. Doch bereits dieser
Film sorgte schnell für heftigen Streit, Olcot hatte
ihn nämlich mit der Kreuzigung enden lassen. Dafür,
dass die Auferstehung ungezeigt blieb, handelte er sich heftige
Kritik aus Kirchenkreisen ein. Bereits hier zeigte sich, wie
sensibel das Christus-Thema ist. Wo die innersten Vorstellungen
von Gläubigen wie Ungläubigen berührt werden,
gelingt es nur selten, es allen recht zu machen. Zudem blieb
immer umstritten, wie "realistisch" die Darstellung
von Wundern, Engeln und gegebenenfalls der Auferstehung ausfallen
dürfte, wie eng sich ein Jesus-Film an die Bibel zu halten
habe. War im einen Fall schrifttreue Glaubensvermittlung das
Ziel, ging es im anderen Fall um freie Interpretation oder
zeitgemäße Aktualisierung.
Zu den herausragenden Christusfilmen der folgenden Jahrzehnte
gehört fraglos KING OF KINGS (1927) von Cecil B. DeMille
und dessen 1961er-Remake von Nicholas Ray. Typisch für
diese beiden Filme, wie auch für DIE GRÖßTE
GESCHICHTE ALLER ZEITEN (1965) von George Stevens war, dass
es sich um mehr oder weniger plumpe Heldenstorys handelt.
John Wayne spielt eine Nebenrolle als römischer Centurio
und Max von Sydows Jesus ist hier ein nicht wirklich sympathischer
Rechthaber und Besserwisser, der den Pharisäern ordentlich
die Meinung geigt, ab und an lässig ein Wunder tut und
sich weder von verführerischen Damen - Salome, Maria
Magdalena - noch von Pontius Pilatus vom rechten Weg abbringen
lässt. Die Rechthaberei und den beflissenen Glaubenseifer
teilen diese Christusfiguren mit der fast zeitgleich entstandenen,
sich exakt an den Bibeltext anlehnenden Darstellung Pasolins:
Ungleich asketischer als in Hollywood ist dessen Christus
doch auch ein von sich selbst eingenommener antiintellektueller
Tatmensch - "Weh euch, ihr Schriftgelehrten!" -
ruft er wieder und wieder aus, und in seinem gnadenlosen Furor
spiegeln sich bereits die zukünftigen Exzesse der Studentenrevolte,
die Möglichkeit ihres Abgleitens in esoterische oder
terroristische Extreme.
Seit dieser Zeit kam es dann zu unterschiedlichsten Formen
einer Modernisierung des Themas. Ob als Flower-Power-Musical
- Norman Jewison's JESUS CHRIST SUPERSTAR, 1973 -, ob als
postmodernes Identitätsdrama - JESUS VON MONTREAL von
Dany Arcand, 1990 - oder als sehr direkt-humane Passionsgeschichte
in Scorseses DIE LETZTE VERSUCHUNG CHRISTI (1988): Plötzlich
ist Jesus im Kino tatsächlich zum Mensch geworden, "einer
von uns". Alle diese Filme, vor allem der von Scorsese
lösten heftige Kontroversen aus. DIE LETZTE VERSUCHUNG
CHRISTI betont die menschlichen Seiten des Gottessohns, lässt
ihn an seiner Mission zweifeln und deutet ein Liebesverhältnis
mit Maria Magdalena an - damals von der Kirche geächtet,
gilt der Film bereits heute als eine der wichtigsten - und
glaubensstärksten - Christusdarstellungen der Filmgeschichte.
Der erfolgreichste Jesusfilm vor Mel Gibson ist einer der
umstrittensten: DAS LEBEN DES BRIAN der Monty Pythons ist
grandiose Komödie und provoziert in der lässigen
Albernheit, in der er sich jedem Glaubensernst verweigert,
bis heute zumindest alle Gläubigen.
Ähnlich in Herbert Achternbuschs bayerischer Variante:
DAS GESPENST erzählt von einem Jesus, der in einem bayerischen
Kloster plötzlich vom Kreuz herunterklettert, und in
der Begegnung mit einem Bischof, der Polizei und Münchner
Bürgern einen zweiten Kreuzweg erfährt. Das erzürnte
1982 die Gemüter, allen voran den frischgekürten
CSU-Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann, der von "Gotteslästerung"
sprach und Achternbusch den Bundesfilmpreis verweigerte.
Besonderes Augenmerk gilt in all diesen Filmen seit jeher
den Hauptdarstellern: Immer gutaussehend waren sie oft wie
der "Malibu Jesus" Jeffrey Hunter (KING OF KINGS),
wie Max von Sydow, wie Willem Dafoe (LETZTE VERSUCHUNG) blond
und blauäugig. Wer die Geschichte von über 100 Jahren
Kino verfolgt, kann dabei allerdings auch auf eine merkwürdige
Tatsache stoßen. Denn die Statistik aller Jesusfilme
zeigt: Je dunkelhaariger der Christusdarsteller, desto erfolgreicher
der Film. Auch im Fall Gibson scheint sich das zu bestätigen:
Jim Caviezel, sein Hauptdarsteller, hat zwar blaue Augen,
aber dunkelbraune, fast schwarze Haare.
Rüdiger Suchsland
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