"Dieses Gottesgeschenk von einem Stanley..." -
der erste Eindruck traf schon ins Schwarze. Der Dramatiker
Tennessee Williams war es, der so in einem Brief seine Begeisterung
notierte, nachdem er Marlon Brando zum ersten Mal gesehen
hatte. Das war im August 1947. Der Regisseur Elia Kazan hatte
den jungen unbekannten Darsteller an seiner und Lee Strasbergs
"Actors School" entdeckt und sofort ein Treffen
mit seinem Freund Williams vermittelt. Schon ein Jahr später
spielte Brando am Broadway die Hauptrolle des egomanen, neurotischen
Stanley Kowalski in Williams' ENDSTATION SEHNSUCHT. Bis heute
wird er mit dieser Rolle identifiziert, die er mehrere hundert
Mal auf Bühne verkörperte und die ihn 1951 in Kazans
Verfilmung über Nacht zum Weltstar machte. Bis zum Ende,
seinem Tod am vergangenen Freitag galt auch Brando selbst
als die große Diva des Kinos, ein Mann voller Widersprüche
und Empfindlichkeiten, ein genialer Darsteller, der es liebte,
Hollywood zu hassen - "Affenkotze in Aspik" sagte
er einmal über die Traumfabrik -, dem die Frauen zu Füßen
lagen und der sie lange Zeit im vielfachen Dutzend vernaschte,
der sich immerzu launisch und unberechenbar gab, an dem nur
normal war, das nichts normal war. Wie kein zweiter Darsteller
war er - dem der vom Standpunkt mythischer Unversehrtheit
aus betrachtet nützliche frühe Tod (James Dean Symptom)
versagt geblieben war - schon zu Lebzeiten zur Ikone geworden
(erstarrt?), das männliche Pin-Up des Jahrhunderts, das
in allen unseren Köpfen und tatsächlich auch als
Poster an vielen Wänden hängt - die weibliche Variante
einer Marilyn Monroe.
Vor gut 80 Jahren, am 3. April 1924 wurde er in Omaha/Nebraska
als Sohn eines Farmers und einer Schauspielerin geboren. Nur
44 Filme hat er in den 53 Jahren seiner Karriere gemacht -
andere schufen in gleicher Zeit das Dreifache (Aber was für
Filme sind es!).
Dafür existieren mindestens doppelt so viele Anekdoten
vom muskulösen Sensibelchen, vom wilden Streit mit Regisseuren
- er war der einzige Darsteller, wegen dem Stanley Kubrik
je aus einem Film ausstieg -, und von der "wandelnden
Hormonfarbrik", einer, der Melonenkerne an die Wand spuckt,
und sich das weiße T-Shirt vom Körper streift,
um sich die behaarte Brust zu kraulen. Und doch sagte sein
väterlicher Freund Elia Kazan von ihm, Brando sei ein
"sanfter Mann".
Das, was einem vor allem zu Brando einfällt, ist seine
Körperlichkeit, ist Erotik und Sex. Nur wenige hatten
diese Ausstrahlung voller Narzissmus und Grandezza, und Brando
verstärkte sie noch bewusst, indem er in den prüden
50ern am liebsten mit engem T-Shirt - er war es, nicht James
Dean, der diese Mode begründete - und ebenso enger Lederjacke
auftrat: Der "eversexed Guy". Zugleich spürte
man immer latente Gewaltbereitschaft, die leicht in Selbstzerstörung
umkippen konnte.
Dazu kam sein Spiel: Entgegen allen Regeln nuschelte und stammelte
er - im Deutschen übrigens lange synchronisiert von Harald
Juhnke! -, verachtete die Regeln der klassischen Sprechausbildung
so wie seine Figuren die Frauen und die Werte. Die Lässigkeit,
mit der er sich bewegte, katzengleich durchs Bild schlich,
oder seinen Körper betont schwer zu Boden drückte,
dabei manchmal die Augen übertrieben rollte, mit dem
Mund grimassierte, und dabei doch immer subtil blieb, ließ
ihn endgültig zu einer einzigen Provokation werden. Schon
früh erkannten ihn manche als "schwarzen" Weißen,
als Darsteller, der zur Zeit des grassierenden Rassismus die
Ausstrahlung und den Geschmack des "black america"
in seine Rollen einfließen ließ und damit im Kino
eine ähnliche Revolution bewirkte wie der Jazz in der
Musik.
Seine vielleicht allerbeste Rolle spielte er - ebenfalls
unter Kazan - 1954 in ON THE WATERFRONT ("Die Faust im
Nacken"). Spätestens hier wurde er zum Modell einer
Generation und Prototyp des amerikanischen Rebellen, den alle,
schon James Dean, und immer noch Robert de Niro, Al Pacino
oder Brad Pitt auf die eine oder andere Art imitieren. Seine
größte Zeit hatte Brando in seinen jungen Jahren
bis Mitte der 60er, jener Ära, in der man im Kino genau
diese "halbstarken" rebellischen Jünglinge
sehen wollte, die mit der verklemmten Ordnung der Nachkriegszeit
aufräumten und deren Widersprüche auf die Spitze
trieben und zerplatzen ließen. Auch in THE FUGITIVE
KID ("Der Mann in der Schlangenhaut) spielt er dies 1956
noch einmal ganz groß und voller Charme gemeinsam mit
Anna Magnani. Disziplinlos wiederholte er diese Figuren aber
bis zur Selbstparodie, nicht zuletzt des schnellen Geldes
wegen in schwächeren Filmen wie SAYONARA (1957), ZWEI
ERFOLGREICHE VERFÜHRER (1964) und CANDY (1968).
Zu seinen großen Rollen gehören andere Typen:
Der Marc Antonius in JULIUS CAESAR (1953), der geniale Part
in Bernhard Wickis MORITURI (1959), der Fletcher Christian
in MUTINY ON THE BOUNTY (1961). Manch anspruchsvolles Angebot
lehnte er aber auch halsstarrig ab: Zum Beispiel LAWRENCE
OF ARABIA, BUTSH CASSIDY AND SUNDANCE KID und Kazans THE ARRANGEMENT.
Erst in der kurzen Zeit zwischen 1972 und 1979 erlebte der
Darsteller Brando noch einmal eine große zweite Blüte,
vielleicht ist sie sogar seine eigentliche: Unvergesslich
ist Brando in Bertoluccis LAST TANGO IN PARIS (1973) und zweimal
bei Coppola: THE GODFATHER (1973) und der traumatisierte Oberst
Kurtz in APOCALYPSE NOW. Danach sah man ihn nur noch in wenigen
kurzen Auftritten. Zweimal gewann er den Oscar, beim zweiten,
für den PATEN, ließ er sich durch eine Indianerin
vertreten. Der Kampf für die Indianer, sein aufrichtiges
Engagement für die Rechte vieler Minderheiten, dem er
sein Image ebenso in Dienst gestellt hat wie beträchtliche
Teile seines Vermögens, war seine letzte Rolle. Auch
hier wirkte er wie von einem anderen Stern: "Er hat die
Weisheit eines alten Indianers" sagte Bertolucci schon
1973, "Das Tibetanische an ihm und seiner Physis ist
außergewöhnlich."
Der größte Schauspieler unserer Zeit? Vielleicht.
Der beeindruckendste und unvergesslichste auf alle Fälle.
Rüdiger Suchsland
Zwei Bücher zu Brando:
"Marlon Brando. Portraits & Filmstills 1946-1995.
Mit einem Essay von Truman Capote." Hrsg. von Lothar
Schirmer, Schirmer/Mosel, München 2004, 184 Seiten, 7.80
Euro
"Marlon Brando" Marli Feldvoss/ Marion Loehndorf
(Hg.): Bertz Verlag, Berlin 336 Seiten, 19.90 Euro
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