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15.07.2004
 
 
       

Gedanken an die Erstkommunion

Sea of Silence (Verder dan de maan, Regie: Stijn Coninx) & Der Schönste Tag in meinem Leben (Il più bel giorno della mia vita, Regie: Christina Comencini)

 
 
DER SCHÖNSTE TAG IN MEINEM LEBEN
 
 
 
 
 

Die neunjährige Caro (Neeltje de Vree) ist gedanklich bei ihrer Erstkommunion in zwei Monaten, nicht bei der Schweinefarm ihrer Eltern im belgischen Hinterland, nicht bei der bevorstehenden Mondlandung von Apollo 11, und auch nicht beim Schwimmunterricht. Das Leben zuhause nimmt sie hin, wie es ist. Ihre vier Geschwister und ihre Mutter Ita (Johanna ter Steege) haben sich mit dem Umstand arrangiert, daß Familienvater Mees (Huub Stapel) dem Alkohol verfallen ist, und sie tragen ihn gutmütig die Stufen in sein Schlafzimmer nach oben. Das Wichtige in Caros Leben ist ihre Auseinandersetzung mit der großen Veränderung, die kommen wird, wenn sie erst einmal "Jesus' Braut" geworden ist. In der Schule macht sie ihren weltraumbegeisterten Lehrer darauf aufmerksam, dass Gott die Mondlandung nicht zulassen werde, und auf entsprechende Rückfrage erklärt sie, dass sonst doch noch mehr Menschen auf die Idee kommen würden, und die würden früher oder später versuchen, im Himmel zu landen. Wo denn der Himmel sei? Weiter als der Mond, sagt Caro und gibt dem Film damit seinen Originaltitel.

Die achtjährige Chiara (Maria Luisa de Crescenzo) ist gedanklich bei ihrer Erstkommunion in zwei Wochen, die eskalierende Verwirrung ihrer Umgebung bekommt sie nur am Rand mit. Ihre Grossmutter Irene (Virna Lisi) ist eine noch sehr jugendliche ältere Dame, die allein in ihrer großen Villa voller Erinnerungen lebt. Für sie ist der Zusammenhalt der Familie alles. Leider ist es ihr nicht gelungen, diese Liebe ihren drei Kindern zu übertragen: Rita (Sandra Ceccarelli) scheint ihre Vorzeigetochter zu sein, doch ihre Ehe ist vor dem Zerbrechen - mit ihrer Jugendliebe, dem Arzt Davide (Jean-Hugues Anglade) betrügt sie ihren Mann. Dieser (Marco Baliani) versucht vergeblich, seiner Frau und seiner Ehe zu helfen. Sara (Margherita Buy), die älteste Tochter, verbringt ihre Abende allein zu Hause. Ihren Sohn Marco droht sie durch Überbehütung zu verstoßen. Als ein Unbekannter eines Nachts anruft, der sich scheinbar verwählt hat, verwickelt sie sich in lange Telefonate mit ihm. Der jüngste Sohn, Claudio (Luigi Lo Cascio), ist Anwalt, ist bemüht, seinen Freund Luca und seine Homosexualität vor der Familie geheimzuhalten. Die kleine Chiara nimmt diese Welt so hin wie sie ist und kommentiert sie aus dem Off mal fragend, mal lakonisch.

Familie existiert für eine immer größer werdende Zahl Menschen nur noch als Kindheitserinnerung, und deswegen wundert mich die ähnlich erscheinende Konstellation der Filme aus Belgien und Italien wenig. Beide Filme nehmen trotz der Einführung durch eine kindliche Heldin vor der Kommunion eine "allwissende" Perspektive ein und versuchen, ihren Sinn in der bilderbogenartigen Vorführung des Zerbrechens einer Familienstruktur wiederzugeben. Stijn Coninx stellt dabei die letztendlich unerschütterliche Lebensenergie einer Großfamilie in den Vordergrund, die erst durch den unerwarteten Tod des Vaters sich neu orientieren muß, Christina Comencini weicht der Frage nach der Relevanz der Familie letztendlich aus und stellt das Gefühlsleben der einzelnen Familienmitglieder in den Vordergrund: Liebe, Treue und Begehren. Chiara hat noch keinen Bezug zur Familie entwickelt und schaut ihrer Zukunft angesichts getrennter Eltern gelassen entgegen, Caro hat durch die Tragödie erschüttert ihre Ehe mit Jesus abgesagt und versteht nicht, weswegen ihr Vater trotz "richtigen Verhaltens" gehen mußte.

Was macht diese Filme interessant? Beide sind letztendlich natürlich prädestiniert für das Arthousekino, und beide zeichnen sich durch ruhig-klassische Erzählweise aus. In typisch italienischer Erzähltradition mäandert der "schönste Tag" und setzt ein Erzählbild zusammen, das "Meer der Ruhe" (englischer Titel: "Sea of Silence") orientiert sich stärker an internationalen Erwartungen und zeigt sich sehr stilsicher in seinen Umschwüngen von Unglück zu Glück und umgekehrt. Beide Filme zeigen ihre Stärken in der Personenzeichnung und ihren Schauspielern (Lob an Marco Baliani, Margherita Buy, und das Ehepaar Huub Stapel und Johanna ter Steege). Beide verlieren für meinen Geschmack zu oft ihre Heldin als Beobachterin aus den Augen. Beide Filme wirken einerseits antiquiert und andererseits aktuell: vielleicht findet die Generation der Filmemacher gerade heraus, was sie selbst in den letzten 30 Jahren in ihrem Familienumfeld verloren oder vernachlässigt hat. Vielleicht versucht sie zu erklären, wie es so kommen konnte. Wenn ich an die beiden Heldinnen in zehn oder fünfzehn Jahren ihres Lebens denke, gruselt es mich. Werden sie irgendwo Halt finden? Werden sie bindungsfähig sein? Werden sie glücklich werden können?

Wen diese Fragen nicht abschrecken, wird vom Besuch der Filme sicher nicht enttäuscht: "Der schönste Tag in meinem Leben" startet in München am 15. Juli 2004, "Sea of Silence" ist noch in Verhandlung, aber für einen Start im Herbst 2004 avisiert.

Balthasar v. Weymarn

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