Die neunjährige Caro (Neeltje de Vree) ist gedanklich
bei ihrer Erstkommunion in zwei Monaten, nicht bei der Schweinefarm
ihrer Eltern im belgischen Hinterland, nicht bei der bevorstehenden
Mondlandung von Apollo 11, und auch nicht beim Schwimmunterricht.
Das Leben zuhause nimmt sie hin, wie es ist. Ihre vier Geschwister
und ihre Mutter Ita (Johanna ter Steege) haben sich mit dem
Umstand arrangiert, daß Familienvater Mees (Huub Stapel)
dem Alkohol verfallen ist, und sie tragen ihn gutmütig
die Stufen in sein Schlafzimmer nach oben. Das Wichtige in
Caros Leben ist ihre Auseinandersetzung mit der großen
Veränderung, die kommen wird, wenn sie erst einmal "Jesus'
Braut" geworden ist. In der Schule macht sie ihren weltraumbegeisterten
Lehrer darauf aufmerksam, dass Gott die Mondlandung nicht
zulassen werde, und auf entsprechende Rückfrage erklärt
sie, dass sonst doch noch mehr Menschen auf die Idee kommen
würden, und die würden früher oder später
versuchen, im Himmel zu landen. Wo denn der Himmel sei? Weiter
als der Mond, sagt Caro und gibt dem Film damit seinen Originaltitel.
Die achtjährige Chiara (Maria Luisa de Crescenzo) ist
gedanklich bei ihrer Erstkommunion in zwei Wochen, die eskalierende
Verwirrung ihrer Umgebung bekommt sie nur am Rand mit. Ihre
Grossmutter Irene (Virna Lisi) ist eine noch sehr jugendliche
ältere Dame, die allein in ihrer großen Villa voller
Erinnerungen lebt. Für sie ist der Zusammenhalt der Familie
alles. Leider ist es ihr nicht gelungen, diese Liebe ihren
drei Kindern zu übertragen: Rita (Sandra Ceccarelli)
scheint ihre Vorzeigetochter zu sein, doch ihre Ehe ist vor
dem Zerbrechen - mit ihrer Jugendliebe, dem Arzt Davide (Jean-Hugues
Anglade) betrügt sie ihren Mann. Dieser (Marco Baliani)
versucht vergeblich, seiner Frau und seiner Ehe zu helfen.
Sara (Margherita Buy), die älteste Tochter, verbringt
ihre Abende allein zu Hause. Ihren Sohn Marco droht sie durch
Überbehütung zu verstoßen. Als ein Unbekannter
eines Nachts anruft, der sich scheinbar verwählt hat,
verwickelt sie sich in lange Telefonate mit ihm. Der jüngste
Sohn, Claudio (Luigi Lo Cascio), ist Anwalt, ist bemüht,
seinen Freund Luca und seine Homosexualität vor der Familie
geheimzuhalten. Die kleine Chiara nimmt diese Welt so hin
wie sie ist und kommentiert sie aus dem Off mal fragend, mal
lakonisch.
Familie existiert für eine immer größer werdende
Zahl Menschen nur noch als Kindheitserinnerung, und deswegen
wundert mich die ähnlich erscheinende Konstellation der
Filme aus Belgien und Italien wenig. Beide Filme nehmen trotz
der Einführung durch eine kindliche Heldin vor der Kommunion
eine "allwissende" Perspektive ein und versuchen,
ihren Sinn in der bilderbogenartigen Vorführung des Zerbrechens
einer Familienstruktur wiederzugeben. Stijn Coninx stellt
dabei die letztendlich unerschütterliche Lebensenergie
einer Großfamilie in den Vordergrund, die erst durch
den unerwarteten Tod des Vaters sich neu orientieren muß,
Christina Comencini weicht der Frage nach der Relevanz der
Familie letztendlich aus und stellt das Gefühlsleben
der einzelnen Familienmitglieder in den Vordergrund: Liebe,
Treue und Begehren. Chiara hat noch keinen Bezug zur Familie
entwickelt und schaut ihrer Zukunft angesichts getrennter
Eltern gelassen entgegen, Caro hat durch die Tragödie
erschüttert ihre Ehe mit Jesus abgesagt und versteht
nicht, weswegen ihr Vater trotz "richtigen Verhaltens"
gehen mußte.
Was macht diese Filme interessant? Beide sind letztendlich
natürlich prädestiniert für das Arthousekino,
und beide zeichnen sich durch ruhig-klassische Erzählweise
aus. In typisch italienischer Erzähltradition mäandert
der "schönste Tag" und setzt ein Erzählbild
zusammen, das "Meer der Ruhe" (englischer Titel:
"Sea of Silence") orientiert sich stärker an
internationalen Erwartungen und zeigt sich sehr stilsicher
in seinen Umschwüngen von Unglück zu Glück
und umgekehrt. Beide Filme zeigen ihre Stärken in der
Personenzeichnung und ihren Schauspielern (Lob an Marco Baliani,
Margherita Buy, und das Ehepaar Huub Stapel und Johanna ter
Steege). Beide verlieren für meinen Geschmack zu oft
ihre Heldin als Beobachterin aus den Augen. Beide Filme wirken
einerseits antiquiert und andererseits aktuell: vielleicht
findet die Generation der Filmemacher gerade heraus, was sie
selbst in den letzten 30 Jahren in ihrem Familienumfeld verloren
oder vernachlässigt hat. Vielleicht versucht sie zu erklären,
wie es so kommen konnte. Wenn ich an die beiden Heldinnen
in zehn oder fünfzehn Jahren ihres Lebens denke, gruselt
es mich. Werden sie irgendwo Halt finden? Werden sie bindungsfähig
sein? Werden sie glücklich werden können?
Wen diese Fragen nicht abschrecken, wird vom Besuch der Filme
sicher nicht enttäuscht: "Der schönste Tag in meinem Leben"
startet in München am 15. Juli 2004, "Sea of Silence" ist
noch in Verhandlung, aber für einen Start im Herbst 2004 avisiert.
Balthasar v. Weymarn
|