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"Ich glaube, der Leser will alles, was gut ist."
Auf der Suche nach der Filmkritik - ein Protokoll
An diesem Donnerstag beginnt das 53. Internationale Filmfestival
Mannheim. Ein Newcomer-Festival, das Regisseure wie François
Truffaut, Wim Wenders, Rainer Werner Fassbinder, Agnès
Varda, Lars von Trier entdeckte. Ein guter Anlass, sich über
die Rolle als Filmkritiker Gedanken zu machen, über die
Verantwortung gegenüber Filmen und Publikum, über
das journalistische Funktionieren im Tagesgeschehen der Zeitungsberichte.
Zum Thema "Journalismus zwischen Kritik und Kommerz"
diskutierten dort bereits im November 2003 auf einem informellen
Seminar des "Verband der deutschen Filmkritik" (VdFk)
Journalisten und Filmemacher zum Thema "Film-Journalismus
zwischen Kritik und Kommerz". Teilnehmer waren unter
anderem der in Berlin lebende Regisseur Christoph Hochhäusler,
dessen gefeiertes Spielfilmdebüt MILCHWALD seit kurzem
in deutschen Kinos zu sehen ist, der Weinheimer Regisseur
und Kinobetreiber Zoltan Paul (GONE), der Kölner Filmkritiker
Josef Schnelle, sowie Dunja Bialas und Rüdiger Suchsland
(der auch die Moderation übernahm) für artechock.
Weitere einzelne Teilnehmer und Fragesteller sind direkt bei
ihren Wortmeldungen aufgeführt.
Praktisches Ziel des Gesprächs war das Sammeln von Fragen
an die gegenwärtige Filmkritik, die einer Vertiefung
wert sein könnten.
Aus Anlaß der Eröffnung des Festivals Mannheim-Heidelberg
am kommenden Donnerstag veröffentlichen wir hier lange
Auszüge aus dem Gespräch - zugleich Auftakt für
eine Diskussion über Sinn und Unsinn, Praxis und Theorie
einer gegenwärtigen Filmkritik, die, wie das Gespräch
zeigte, zwischen Anschmiegung und Gefangenschaft in pragmatischen
Schleifen ein wenig diffus flaniert. In einem Special zum
Thema Filmkritik wollen wir das Thema weiterverfolgen.
Protokoll und redaktionelle Bearbeitung: Rüdiger
Suchsland
*Nachtrag:
Nach der Veröffentlichung des Mannheimer Gesprächs
erreichte uns eine Zuschrift von Christina Nord von der taz,
die in einer Äußerung von Rüdiger Suchsland
erwähnt wird. Sie wendet sich mit einem korrigierenden
Einwand gegen die Darstellung ihrer Redaktionstätigkeit.
Wir begrüßen die Ergänzung des in Mannheim
stattgefundenen Gesprächs und erweitern die Runde virtuell
mit dem Statement von Christina Nord. Es wurde im Wortlaut
als Replik auf die sie betreffende Äußerung ins
Gespräch integriert.
Rüdiger Suchsland: Zum Auftakt eine Geschichte:
Die Filmkritikerin Claudia Lenssen schreibt derzeit an einem
Buch über Frida Grafe. Im Gespräch berichtete sie
neulich, Grafe habe sich mit den Jahren zunehmend in sich
selbst zurückgezogen, sei esoterischer geworden. Lenssen
hat das verglichen mit Wolfram Schütte und dessen Generation
von Kritikerpäpsten, die den Neuen Deutschen Film in
den 60er und 70er Jahren nicht nur groß gemacht haben,
sondern ihn dann auch in irgendeiner Form aktiv verteidigt
haben. Die also wie gut organisierte und disziplinierte Soldaten,
auch gesagt haben: Wir begreifen uns als Parteigänger
eines Films, wir verteidigen den, und gehen dafür in
die Schützengräben. Und greifen auch an natürlich.
Lenssen erzählte dann von Rundmails von Alexander Kluge
in den 60er, 70er Jahren. Da ging es dann darum: Welchen Kritiker
bringen wir in dieses Gremium, welchen in jenes? Und was machen
wir um diesen Film zu pushen, für dies und jenes muss
man etwas tun. Also: es gab einfach ein klares Parteigängertum
der Filmkritik. Ein Gemeinschaftsgefühl.
Aus meiner persönlichen Sicht ist das etwas, was ich
einerseits als historische Erzählung wahnsinnig verführerisch
und attraktiv finde. "Ich möchte Teil einer Jugendbewegung
sein" heißt ein aktueller Song, und ich frage mich
dann: Warum geht das heute nicht auch? Warum mache ich so
etwas nicht? Sollte ich so etwas machen?
Andererseits denke ich: Vielleicht sind das naive Träumereien.
Ein wenig auch wie die Geschichten, die die Eltern und Großeltern
vom Krieg erzählt haben. Vielleicht geht das auch heute
gar nicht mehr so. Und vielleicht ist es auch ganz gut, dass
es nicht mehr so geht. Vielleicht muss man als Filmkritiker
auch mehr Distanz haben zu Regisseuren und Produzenten, und
darf sich nicht mit denen verwechseln.
Josef Schnelle: Man kann es - da wir hier eine gemischte
Runde sind, Filmemacher und Kritiker, noch zuspitzen: Gab
es schon mal einen anderen Zusammenhang zwischen Filmemachern
und Filmkritik? Ein gemeinsameres Generationsverständnis?
Ist das wieder wünschenswert und möglich, so einen
Diskurs zu beginnen? Oder geht das nicht, weil es gar keinen
gemeinsamen Kulturbegriff mehr in der Gesellschaft gibt?
Christoph Hochhäusler: Anstatt darüber zu reflektieren,
was mal war, und ob das eine Legende ist, müsste man
sich besser darüber verständigen, was man will.
Ich habe die Sehnsucht nach einer anderen Filmkritik. Diese
Sehnsucht wird gar nicht erfüllt. Ich sehe drei große
Defizite der deutschen Filmkritik: 99 Prozent besteht aus
Service, aus falscher Gnade und aus Impressionismus.
Was meine ich mit Service? Zwei Daumen hoch, Sternchen, im
weitesten Sinne jede Art von Eventberichterstattung und Infohäppchen,
die sich auf die Frage zuspitzen: Soll ich in den Film gehen,
oder nicht? Diese Art von Service verachte ich. Sie hat nichts
mit Kino und Filmkritik zu tun.
Um die falsche Gnade kurz zu erläutern: ich habe ein
Gespräch gehabt mit dem Filmkritiker Tobias Kniebe (Süddeutsche
Zeitung). Der hat gemeint: "Wir dürfen ja alle nicht
schreiben, was wir denken, sonst gäbe es den deutschen
Film nicht mehr." Schlimmeres kann ich mir nicht vorstellen!
Das finde ich wirklich schrecklich. Diese falsche Gnade haben
wir Filmemacher nicht verdient. Und wenn wir uninteressante
Filme machen, dann schreibt halt nicht drüber. Das ist
völlig ok. Ich finde ganz wichtig, dass ein Kritiker
eine Passion hat. Die kann im Verriß wie im Lob sein,
und wenn die nicht hat, dann muss man nicht schreiben. Und
so frei muß man sich dann eben auch kämpfen in
dem Medienzusammenhang, dass man sagen kann: Über den
Film kann ich nicht schreiben, oder dann muss ich einen Verriß
schreiben. Diese falsche Gnade hat auch deshalb keiner verdient,
weil dafür das Filmemachen zu anstrengend ist, dass man
dann gesagt bekommt: Ja für 'nen deutschen Film
,
und dafür, dass er billig war
, und bla bla bla
- davon haben wir nichts!
Das dritte, der Impressionismus ist etwas komplizierter. Mein
Eindruck ist, dass die besseren Leute - eine Art Rollenmodell
für viele von Euch Kritikern ist da ja wohl Michael Althen
(FAZ) -, zu sehr aus einer persönlichen Impression heraus
schreiben. Das heißt sie reflektieren über - das
Extrembeispiel ist wieder Tobias Kniebe - die Sandalen im
Sand, und wie es ihnen geht an diesem Tag und darüber
dass sie von einer Szene irgendwie ganz persönlich betroffen
sind, uns so weiter
Ihren Eindruck malen sie dann unter
Umständen sprachlich ganz brillant in sehr schillernden
Farben aus. Was ich daran aber schwierig finde, ist dass daraus
kein Zusammenhang entsteht, und keine Herausforderung.
Meine Idee von Filmkritik wäre aber Herausforderung.
Und zwar Herausforderung in alle Richtungen: an den Leser,
an den Filmemacher, aber eben auch an andere Kritiker.
Also eigentlich geht es schon darum, zu versuchen, größere
Perspektiven herzustellen, die dann auch ins Gesellschaftliche
gehen.
Zum Beispiel: Wir haben eine Filmwirtschaft, die eine Subventionswirtschaft
ist. Da geht es offensichtlich um einen Kulturbegriff. Es
gibt also einen Kulturbegriff, der dem zugrunde liegt. Der
ist zumindest implizit vorhanden. Und deshalb muss man die
Frage diskutieren: Warum sollen wir fördern? Und was?
Das ist sozusagen der filmpolitische Aspekt davon. Darüber,
über diesen Kulturbegriff muss diskutiert werden. Absolut.
Und darüber kann man nur diskutieren im Streit. Und diesen
Streit muss man führen.
Das sind alles Dinge, die ich vermisse. Woran das liegt, kann
ich nicht genau beurteilen. Es fehlt zum Teil an Publikationen,
zum Teil an der Hausmacht in gewissen Zeitungen. Aber klar
ist auch, dass die Kritiker das längerfristig auch selbst
ändern könnten.
Josef Schnelle: Ich finde das sehr interessant. Man
muss natürlich dabei bedenken, dass sich diese Entwicklung
einbettet in die Entwicklung des Kulturjournalismus insgesamt.
Man kann eigentlich über Filme nur noch auf zweierlei
Art berichten: Entweder impressionistisch, wie Du beschreibst:
Der Text über Film als Schmankerl. Oder der Film hat
einen politischen Aufhänger. Dann wird er wahrgenommen.
Aber wenn er keinen hat, sondern einfach nur interessant und
gut ist, und man will sich mit ihm auseinandersetzen - dafür
gibt es in vielen Medien gar keinen Ort und keinen Zugang
mehr.
Die Süddeutsche Zeitung hat halt diesen Stil, nach dem
der Schreiber der Star ist, über Jahre besonders entwickelt,
und die Sonntags-FAZ geht jetzt auch in diese Richtung. Dahinter
verschwindet natürlich Filmkritik.
Christoph Hochhäusler: Für mich war so ein Wendepunkt
zum Schlechten, als Andreas Kilb damals in der ZEIT einen
Text geschrieben hat: "Im Kino gewesen, geweint."
Also: Kafka
, er selbst wird Kafka
, sein Eindruck
ist wichtiger als eine Auseinandersetzung.
Und das ist - auch wenn es andersrum klingt - letztendlich
ein Minderwertigkeitskomplex. Ich finde ja, eine Kritik, die
auch eine gesellschaftliche Perspektive herstellt, ist selbstbewusster,
als diejenige, die nur schreibt: "Ich hab mich da so
und so gefühlt."
Rüdiger Suchsland: Ich stimme Dir in fast allem
zu. Nur zu diesem Punkt: wie persönlich darf Filmkritik
sein, Impressionismus
, habe ich ein paar Anmerkungen:
Erstens: Ich finde tatsächlich, dass Festivalberichte,
wie sie unter anderem von Tobias Kniebe, den ich sehr schätze
als Autor, stammen, in denen er mehr als die Hälfte des
Textes damit verschwendet - wie ich es empfinde -, dass er
dann über die Palmen von Cannes, nicht die goldenen,
sondern die grünen, räsoniert und über die
Frauen, die darunter flanieren. Oder über die kleine
Treppe in Venedig, und die Filme, die ihm einfallen, wenn
er irgendwas gesehen hat - er hat mal aus Venedig so einen
Text geschrieben, über das Hotel, das ihn an eine Szene
aus irgendeinem alten Film erinnert hat, und dann hat er sich
so entlang gehangelt an Assoziationen, die irgendwie mit Film
was zu tun hatten, und ganz geistreich waren, aber doch nichts
zu tun hatten mit den Filmen, die wir auf diesem Festival
gesehen haben, und insofern, wie ich es wahrgenommen habe,
auch nichts mit der Atmosphäre, damit wie es ist, auf
diesem Festival zu sein. Das ist schlechter Impressionismus.
Es gibt aber auch guten. Der hat dann was damit zu tun, wie
es ist, auf dem Festival zu sein, der interessiert sich primär
für Phänomene und nicht primär für Empfindungen.
Michael Althen ist von Venedig aus mal zur Biennale gefahren,
und hat die Filme, die er gesehen hat in Beziehung gesetzt
mit den Kunstwerken der Biennale. Das finde ich durchaus legitim.
Da könnte man auch sagen: Mei, der soll halt lieber noch
über drei Filme schreiben, von der Biennale beichtet
eh' der Kunstredakteur. Aber das, was einen starken Autor
ausmacht, ist der persönliche Zugang. Also: Es gibt legitimen
Impressionismus.
Gerade in Tageszeitungen. Tageszeitungsjournalismus ist auch
noch mal etwas anderes, als der für Fachzeitungen und
Magazine. Und Festivalberichte sind etwas anderes, als eine
Filmkritik.
Zudem: Heute muss man von Festivals täglich berichten.
Völliger Unsinn! Ein Wolfram Schütte hat maximal
drei Berichte über ein zweiwöchiges Festival geschrieben.
Aber er ist trotzdem die volle Zeit da gewesen, die Zeitung
hat das finanziert, und keiner hat gefragt, warum er nicht
da ist, um Redaktionsdienst zu schieben. Vielleicht kommt
aus diesem täglichen Schreibzwang auch ein verstärkter
Impressionismus.
Es gibt natürlich die moralische Forderung, dass ein
Text irgendetwas mit dem Festival zu tun haben sollte. Das
ist dann eine Frage der Gewichtung, an der sich die Moral
entscheidet.
Ein zweiter Punkt: Wir alle - längst nicht nur die Filmkritik
- leiden doch unter dem Problem, dass es so etwas wie gültige
Weltanschauungen und Philosophien - also einen Kanon, also
bestimmte feste Bewertungsmaßstäbe, an denen wir
einen Film objektiv messen könnten - nicht gibt. Oder
es scheint ihn nicht zu geben.
Das heißt: Jeder Kritiker trägt allenfalls einen
Kanon in sich. Der Kritiker ist selbst das Medium, durch den
der Film zur Sprache kommt. Durch den der Film sich in Worte
verwandelt, die dann der Leser liest, um dann bestenfalls
irgendwas davon zu haben. Ich glaube, dass es besser ist,
diesen Charakter der Filmkritik - dass Filmkritik subjektiv
ist. Dass wir als Kritiker gar nicht anders können, als
unsere eigenen Empfindungen, ganz persönliche Vorlieben,
die Tatsache, dass man einen Film vielleicht nur mag, weil
man auf die Hauptdarstellerin steht - reinzubringen in die
Filmkritik. Weil man nur dann dem Leser auch die Möglichkeit
zu Distanz, natürlich auch umgekehrt zur Affirmation,
gibt.
Christoph Hochhäusler: Ich stimme Dir völlig
zu, dass das auftauchen muss. Ich glaube auch, vor einem gewissen
Hintergrund war diese persönliche Filmkritik ein Fortschritt.
Nur ich finde eben, dass das nicht ausreicht. Man darf da
nicht stehen bleiben.
Und was die These betrifft, es gäbe keinen Konsens mehr,
was Kultur und Wertmassstäbe angeht - das habe ich so
oft gehört, dass ich es stark bezweifle. Denn Ideologie
ist immer präsent. Es gibt keine ideologiefreie Zeit.
Jede Zeit verkörpert sich selbst. Und insofern kann man
sagen: Wir leben in einem großen Konsens. Der heißt
Kapitalismus. Der vielleicht gerade an ein paar Rändern
bröckelt.
Dieser Kapitalismus ist sehr wohl ideologisch. Und dieser
Individualismus ist ja Teil dieser Ideologie des Kapitalismus:
Der einzelne Egoismus, der zum Gemeinwohl führt ist ja
die Ideologie in der wir leben.
Also, wie Du sagst: Es scheint (!) so, als gäbe es keine
Ideologie. Aber es kann nicht sein, dass es keine gibt.
Klaus Wecker (AP, strandgut Frankfurt): Diese Kapitalismuskritik
interessiert mich nicht so. Es gibt natürlich einen objektiven
Grund für den subjektiven Stil. Nämlich, dass jeder
sich als Autor am besten verständlich macht, indem er
auch etwas von sich preisgibt. Es ist nur ehrlich, wenn man
seine Meinung - nicht sein Empfinden - offen darlegt, und
es nicht mit objektivierenden Floskeln verbrämt.
Zum Kanon: Was ich bei vielen Kollegen vermisse, ist, dass
sie alte Filme sehen. Ich finde es unmöglich, dass Leute
über Filme schreiben, die Murnau nicht kennen. Das führt
dazu, dass viel zu positive Kritiken erscheinen. Die Leute
jubeln irgendeinen Mist hoch, weil sie keine Massstäbe
haben. Das finde ich ein ganz großes Manko.
Christoph Hochhäusler: Ich gebe Dir völlig recht.
Allerdings ist es ein Missverständnis, wenn Du glaubst,
meine Kritik am Impressionismus bedeute, dass man sich "objektivierender
Floskeln" bedienen soll.
Um ein Beispiel zu geben: Wen ich sehr schätze, ist Frida
Grafe, ohne dass ich sie noch persönlich erlebt hätte,
ich kenne sie nur aus ihren Texten. Sie hat sehr persönlich
geschrieben. Aber sie war immer in der Lage, die Grundlagen
ihrer Reflexion, und den gesellschaftlichen und theoretischen
Zusammenhang in den Text mit einzubringen. Das meine ich.
Aber wenn man das alles weglässt, und sagt: Mir geht
es so und so, und wenn man den dann noch kennt, dann kommt
irgendetwas irgendein Gefühl heraus, aber es ist unangreifbar.
Die Filmgeschichte zu kennen ist zum Beispiel ein Referenzsystem,
das auch hilft, eine Kritik zu verorten. Was aber auch unter
Filmemachern nicht stattfindet.
Rüdiger Suchsland: Klar, auf den Satz "Es wäre
gut, wenn Filmkritiker historisches Wissen hätten",
können wir uns alle einigen. Auf der anderen Seite: Jeder
fängt mal an. Kann zu diesem Zeitpunkt gar nicht alles
gesehen haben. Und ich glaube, keiner von uns hier am Tisch
hat alles, was wir hätten sehen sollen, wirklich gesehen.
Wir kennen auch Filmemacher, die wenig historisches Wissen
haben. Die machen nicht immer schlechte Filme. Dann glaube
ich auch, dass es Filmkritiker gibt, die nicht viel von diesem
Wissen haben, und trotzdem gute Filmkritiker sind. Ich glaube,
das ist nicht das Entscheidende.
Entscheidend scheint mir zu sein: Eine Haltung, mit der man
Filme bespricht. Auch eine Idee, was man eigentlich will im
Kino. Also warum man sich Filme anguckt. Dass man insofern
qua definitionem eine implizite Vorstellung von einem idealen
Film, oder mehreren idealen Filmen im Kopf hat, anhand derer
man die Filme, die man sieht, befragt. Und dann sieht: Das
klappt und dies klappt nicht. Und weiß warum er einem
gefällt, oder warum nicht.
Sicherlich ist es dann auch eine ganz wichtige Frage, wie
nahe man eigentlich dem Film und den Filmemachern kommen darf.
Weil ja immer eine Voraussetzung unserer Tätigkeit eben
einerseits Nähe ist, andererseits Unabhängigkeit.
Was macht man, wenn man sie kennt, mag, und soll dann wieder
einen Film von denen besprechen. Darf man das? Oder nicht?
Christoph Hochhäusler: Mein Bild von Freundschaft
ist, dass man sich, weil man befreundet ist, möglichst
gut, weil schonungslos kritisieren kann. Wenn das nicht der
Fall ist, dann ist es keine Freundschaft. Natürlich stellt
sich die Nähe-Frage, wenn es um Abhängigkeiten geht,
a la: Der kennt mich und dadurch kenn ich den
Das ist
gefährlich, und wir alle kennen ja auch Beispiele, die
so in der Grauzone liegen.
Ich glaube, dass wir insgesamt mehr Konflikt brauchen und
vertragen können. Und dass diese Konflikte auch gut innerhalb
von Freundschaften sein können.
Generell ist es wahrscheinlich so, dass der eine Kritiker
nicht befreundet sein darf mit Filmemachern, weil er dann
nicht gut schreiben kann, und der andere kann das. Ich glaube
es gibt einfach beides. Ich glaube nicht, dass man grundsätzlich
sagen kann: Man muss die meiden, wie der Teufel das Weihwasser.
Zoltan Paul: Man kritisiert sich ja auch mit einem gewissen
Vorbehalt. Man sagt nicht zueinander: Du, Dein Film ist ja
eine Riesenscheiße. Man ist einfach menschlich zueinander.
Jetzt ist die Frage, ob ein Kritiker denn menschlich sein
muss, wenn er den Film nicht gut findet. Inwieweit eine Redlichkeit
stattfinden muss. Man muss doch das, was man schreibt, vor
sich selber verantworten können, mit absoluter Übereinstimmung
mit dem Eindruck, den man hat.
Christoph Hochhäusler: Ja klar. Aber man diskutiert
ja nicht den Menschen. Das muss man einfach sehen. Das muss
ja jeder auch begreifen. Man kann einen Film in Grund und
Boden stampfen, wenn es gut begründet ist. Das lese ich
gern. Damit kann ich persönlich leben. Kein Problem -
wenn es gut gemacht ist, wenn es begründet ist, habe
ich überhaupt kein Problem damit.
Aber das hat nichts mit dem Menschen zu tun. Natürlich
drückt sich der Mensch durch den Film aus. Aber schauen
wir in die Filmgeschichte: Es gibt so schlechte Filme von
so guten Regisseuren. Die haben die Kritik verdient. BRINGING
OUT THE DEAD muss man verdammen, obwohl Scorsese ein paar
gute Filme gemacht hat.
Josef Schnelle: Ich höre ja oft das Argument:
Ja, aber die Franzosen
die haben eine ganz andere Filmkritik.
Wenn bei uns über Kritik geredet wird, dann ist da immer
noch viel Urteil und Systematik drin. In Frankreich ist die
Filmkritik zum Großteil keine kritische Kritik in dem
Sinne. Sondern sie beschäftigt sich sehr ausführlich,
sehr zugewandt und sehr genau einfach mit dem Film und spitzt
da keine Urteile zu.
Ich höre oft von Regisseuren, dass die sich mehr Eingehen
auf den Film wünschen. Klar, es muss irgendwie diese
Abteilung Filmkritik geben, wo es Urteile gibt, man klar wertet.
Aber vielleicht bräuchten wir mehr von dem - erstmal
- freundlichen Applaus. Das sind jetzt nicht alles meine Argumente
- aber ich versuche mal die Position zu verteidigen. Im Theater
macht man es ja auch so: Die Vorstellung ist zuende, und dann
gibt es erstmal Applaus. Danach bei der Premierenfeier wird
dann differenziert geredet. Das sind zwei verschiedene Abteilungen.
Christoph Hochhäusler: Aber applaudieren ist Sache
des Publikums. Das hat mit Kritik überhaupt nichts zu
tun. Ich finde auch dass diese groben Urteile nicht weiter
führen. Es geht schon um eine möglichst differenzierte
ästhetische Debatte.
Aber Applaus
von der Kritik
ich weiß nicht
Josef Schnelle: Naja ich dachte an Applaus in Anführungsstrichen.
Vielleicht verdient der eine oder andere Film einfach eine
Auseinandersetzung auf zehn Seiten anstelle einer Kritik
Rüdiger Suchsland: ein Auffächern, Entfalten
des Films
Josef Schnelle: Ja. Natürlich gibt es für so
etwas gar nicht so richtig die Medien. Am ehesten wäre
das noch der Filmdienst. Die hätten die Möglichkeit.
Im Vorderteil, wo längere Artikel sind, da kann man ganz
anders mit Film umgehen. Und manchmal findet man dort einen
Text, der sich anschmiegt an den Film. Und hinten gibt es
eine Kritik, die sich mehr auseinandersetzt.
Aber vielleicht wäre das auch Diskussionsthema: Kann
es bei uns diese beiden Formen von Kritik nebeneinander geben?
Ist beides sinnvoll? Jedenfalls höre ich in Diskussionen
mit Regisseuren oft das Argument: Ihr setzt Euch gar nicht
mehr differenziert mit uns auseinander. Ihr nehmt uns gar
nicht wichtig genug, das erst mal genau anzuschauen.
Natürlich: Wenn sie dann auch noch über sich lesen
wollen, wie teuer der Film war, und wie schwierig die Dreharbeiten
im Schlamm waren, oder so - das geht dann zu weit. Das meine
ich nicht.
Christoph Hochhäusler: Klar, die größte
Ehre ist, lang vorzukommen. Egal was da drin steht. Von den
Kritiken, die ich auf meinen Film MILCHWALD bekommen habe
- gefreut hat mich erst mal: Da schreibt jemand viel darüber.
Ganz egal, was er schreibt. Und dann natürlich hoffentlich
genau. Weil es ja darum geht: Man versucht, sich zu erkennen.
Das ist finde ich der schwierigste Prozeß am Filmemachen:
Zu verstehen, was man gemacht hat. Man weiß das oft
auch danach noch nicht. Da kann einem die Kritik unter Umständen
helfen.
Das betrifft jetzt nur die die Beziehung zwischen Filmemachern
und Kritikern, die ja nur eine Nebenbeziehung ist. Das hat
auf jeden Fall mit Platz zu tun. In einer kleinen halben Spalte
kann man eine Szene schildern und ein Urteil unterbringen.
Das war's dann. Daraus ziehe ich weder als Zuschauer, noch
als Regisseur viel.
Rüdiger Suchsland: Aber für wen macht man
das? Du, Christoph bist ja in dem Sinn auch Filmkritiker,
dass Du mit mehreren Freunden die Filmzeitschrift "revolver"
machst, und dafür dann auch von der anderen Seite aus
Gespräche mit Regisseuren und Kameraleuten führst,
und in Texten über Filme schreibst: Und mein Eindruck
ist, dass Euer Selbstverständnis da eines ist, auch Filmkritiker
zu sein.
Für wenn machst Du das?
Man hat ja irgendwelche Leute vor Augen. Man muss sich dann
wie mir scheint schon vorstellen, was man dem Publikum zumuten
kann, zumuten will, auf welcher Ebene man es ansprechen will,
inwieweit man es erziehen will
Christoph Hochhäusler: Wir nennen das nicht Filmkritik.
Es hat auch nichts damit zu tun. Wir schreiben nicht "über
Filme". Unser Publikum ist ein ganz anderes, als das,
was ihr habt. Wir versuchen ein Forum zu sein für Leute,
die Filme machen. Oder die sich so eng mit Film beschäftigen,
dass man da anders diskutieren kann. Es geht eigentlich nur
um Selbstzeugnis. Insofern ist es deutlich etwas anderes.
Wobei ich gerne so was in Deutschland machen würde, wie
das, was den Ruhm von den "Cahiers" in Frankreich
begründet hat - das fehlt bei uns.
Aber weil Du fragst: Will das der Leser überhaupt? Ich
glaube, der Leser will alles, was gut ist. Das ist natürlich
naiv, aber die Frage ist eher: Lässt man Euch machen?
Oder erobert Ihr Euch die Macht, das zu schreiben. Denn einen
Aufsatz von Bazin oder der Grafe kann man immer noch lesen.
Solch ein Text bereichert das Leben. Natürlich kann nicht
alles so sein. Aber die Spitzen sollten so sein.
ZWEITER TEIL:
Rüdiger Suchsland: Was habt Ihr als Kritiker für
Leser vor Augen? Für Wünsche und Interessen? Man
könnte ja auch sagen: Ich schreibe für die Filmemacher,
versuche mich mit denen auseinanderzusetzen und bedient den
Rest so nebenbei.
Es gibt natürlich auch Filmkritiker, die - die sagen
das auch selber -, die Filmkritiken nur für sich selber
schreiben. Oder für die jeweiligen Redakteure.
Zoltan Paul: Wie ist das eigentlich? Wie sind die Strukturen?
Kann man sich die Filme aussuchen? Oder wird man losgesendet?
Und gibt es da eine Reglementierung, eine Zensur der Filmkritik?
Rüdiger Suchsland: Das ist sehr verschieden. Ich
weiß zum Beispiel von Cristina Nord, die Filmredakteurin
der taz ist, dass sie sagt: Sie lässt nur Leute schreiben,
die den Film so finden, wie sie. Das ist das Kriterium. [Lachen]
Nein - ich halte das für legitim. Es ist sehr
scharf, aber völlig legitim. Dass man sagt: Ok, ich bin
derjenige, der muss das letztlich verantworten, was da im
Blatt steht, auch politisch. Auch philosophisch. Und darum
möchte ich auch die Urteile im Blatt haben, die ich verantworten
kann und angemessen finde.
Genau, wie man den Platz festlegt. Und dann haben Redakteure
so eine Haltung, dass sie sagen: Der und der Film ist etwas
für den und den Kritiker. Weil der Autor entweder ein
Experte ist, oder weil er damit atmosphärisch was anfangen
kann. Die Redakteure haben ja die Filme auch nicht in jedem
Fall gesehen, das ist ein großer Nachteil. Die sitzen
in ihrem Büro, müssen den ganzen Tag Texte redigieren,
auf langweilige Konferenzen zu gehen, und haben keine Zeit
fürs Kino.
Christina Nord*: So betreibe ich meine Redaktionsarbeit
überhaupt nicht; im Gegenteil. Es kommt recht häufig
vor, dass jemand zu einem anderen Schluss kommt als ich, und
oft kommt es auch vor, dass ich den entsprechenden Film noch
gar nicht gesehen habe, wenn die Rezension erscheint, dass
ich mir also noch gar kein Urteil gebildet haben kann. Wenn
es etwas Verbindliches gibt, dann dass ich mir ein paar Sachen
wünsche: dass die Autoren und Autorinnen einen scharfen
Blick und analytisches Geschick an den Tag legen, dass sie
sich nicht nur für Mainstream interessieren, dass sie
offen und neugierig sind und auch ein bisschen theorie-affin.
Und okay, eine positive Besprechung von DER UNTERGANG würde
nicht ins Blatt kommen, genausowenig wie ein Verriss von 2046
oder SPRICH MIT IHR; doch das hat etwas mit Haltung und im
zweiten Fall auch mit Liebe zu tun und nichts mit Zensur.
Josef Schnelle: Wir wollen ja nur mögliche Themen
anreißen, sammeln. Wenn ich darüber nachdenke:
Eine große ausführliche Auseinandersetzungen mit
Film, eine anschmiegende Filmkritik ist ja nur in einer idealen
Welt möglich. Wenn man die Schablone der wirklichen Welt
darüberlegt, sieht man: es gibt ein paar gute Zeitschriften,
wo das möglich ist. Aber die haben eigentlich kaum Geld.
Das muss man dann als Liebhaberei betreiben, und mit seinen
anderen Tätigkeiten so viel Geld verdienen, dass man
das denen schenken kann.
Hinter einem ausführlichen Artikel ist ja eine gewisse
Denk- und Recherchearbeit dahinter. Etwa wenn der Filmdienst
ein Themenheft über "Die Farbe Blau" macht,
und ich einen Text über das Meer im Kino schreibe, dann
sehe ich das als Mäzenatentum. Ich schenke dieser Zeitschrift
ziemlich viel Geld. Und so wird das auch von allen anderen
betrieben. Man knappst sich die Zeit ab von der Tätigkeit,
für die man dann wirklich bezahlt wird.
Das ist der Bereich, wo es kommerziell zugeht: Wenn man für
Zeitungen schreibt, und davon leben will, muss man ziemlich
viel schreiben. Oder für ziemlich viele Zeitungen.
Viele Zeitungen leisten sich schon gar keine Filmkritiker
mehr, sondern drucken Agentur ab. Die Dame mit der Magisterarbeit
in Marburg ist ja auf die Irrsinnszahl von 5000 Zeitungen
in Deutschland gekommen. Davon kann man aber gleich schon
mal über 3000 Zeitungen wegstreichen, die nur Pressematerial
abdrucken.
Dann gibt es den Bereich von ernstzunehmenden Regionalzeitungen.
Das ist schlecht bezahlt, aber wenn man da einige von beliefert,
kann man einen schlecht bezahlten Beruf daraus machen. Und
dann gibt es ein paar überregionale Zeitungen mit festen
Redakteuren, die relativ gut bezahlen.
Und Radio, das sind andere Formen. Da muss man eine Stimme
haben, O-Töne haben, ist abhängig von den Verleihern.
Und dann gibt's noch die Fernsehanstalten, da findet kaum
etwas statt.
Dunja Bialas: Das große Problem ist, dass sich
fast alles, was veröffentlicht wird, äußerlichen
Kriterien zu beugen hat. Sprich: Wie groß kommt der
Film heraus? Kleinere Filme können dann nicht besprochen
werden, weil zu wenig Platz ist. Ich würde schon stärker
differenzieren zwischen dem, was als Dienstleistung erfüllt
wird, aber diese Dienstleistung gehorcht dem Markt. Deswegen
braucht es eine Filmkritik, die abseits der alltäglichen
journalistischen Arbeit stattfindet. Aber die - in anspruchsvolleren
Magazinen - wird dann wieder nur vom interessierten Publikum
wahrgenommen, dass sowieso bereits informiert ist. Also: Ein
rein pragmatisches Verständnis von Filmkritik greift
nur bedingt.
Es ist tatsächlich ein zentrales Problem, dass die Filmkritik
zu stark auf die Geschichten des Films abhebt, und die filmischen
Aspekte außer Acht lässt. Also: Keine Filmanalyse
im Sinne von Filmsprachenanalyse. Was sagt mir der Film durch
seine Bildsprache, Kameraführung, etc.?
Dieser ganze Impressionismus der Filmkritik, wie wir ihn heute
haben, kommt auch ein bisschen aus der Not heraus, dass wir
zu viele Geschichten haben, die wir irgendwo schon mal erzählt
bekommen haben, sodass wir gar nicht so recht wissen, warum
sie uns jetzt schon wieder interessieren sollen. Dann pickt
man sich irgendein kleines Detail heraus, und entdeckt das
für sich und führt das vielleicht in andere Strukturzusammenhänge
über - aber man bleibt dabei immer noch auf dieser Geschichten-Ebene
des Films, und hat noch lange nicht das Filmspezifische entdeckt.
Meines Erachtens sollte ein Auftrag der Filmkritik sein: Den
Leser an den Film als Film heranzuführen, als Kunstform.
Man wird in der Kunstgeschichte kaum eine Bildbeschreibung
sehen, die nur auf den dargestellten Inhalt abhebt. Da wird
es auch immer um kunsthistorische Aspekte gehen.
Bodo Schönfelder (freier Kritiker): Wenn man sich
Feuilletonseiten auch abseits von Film anguckt, dann läuft
das ähnlich ab. Dazu kommt: Es gibt keinen Platz. Aber
auch das Selbstverständnis der Autoren ist nicht entwickelt.
Was machen Sie, schreiben sie über Film, oder machen
sie Filmanalyse? Man kann auch etwas ganz Subjektives machen:
"Ich habe gefühlt." Oder mache ich eine Analyse?
Oder was Historisches? Aber da muss dann eben der Autor auch
bei der Arbeit an dem Text ein Selbstverständnis entwickelt.
Das fehlt mir eben häufig. Da muss man 6000 Zeichen abliefern,
dann werden die abgeliefert, egal in welchem Bereich.
Dunja Bialas: Aber das hat ja auch etwas zu tun mit
der Verantwortung gegenüber dem Film. Und was Du, Rüdiger
vorhin fragtest: "Welche Leser schreibt ihr denn vor
Augen?" Das verdoppelt ja doch nun schon wieder die Kritikerperspektive.
Sprich: Für welches Publikum ist der Film gemacht? Und
für welches Publikum schreibe ich als Kritiker in Bezug
auf das Publikum, was sich für den Film interessiert.
Also: Du bist da in einer totalen pragmatischen Schleife verfangen.
Letztlich sollte man doch über den Film als Film schreiben,
also sich dem Film annähren. Und das Publikum meinetwegen
bedenken in Wortwahl und Art der Darstellung. Letztlich ist
doch der Film das Ausschlaggebende.
Rüdiger Suchsland: Dass man versuchen muss, den Film
als Film zur Sprache zu bringen und nachzuerzählen ist
natürlich richtig - man kann ja auch Bilder nacherzählen,
Schnitte, Rythmen, oder in irgendeiner Form Atmosphären
nacherzählen.
Aber zur "pragmatische Schleife": Zumindest mein
eigenes Selbstverständnis sieht dann so aus, dass ich
zunächst mal einen Text schreibe. Der als Text funktionieren
soll, gut sein muss. Ich mache keinen Film. Ich schreibe einen
Text, und der hat unter Umständen den Film zum Gegenstand.
Unter Umständen ist der Film aber auch nur Anlaß
für anderes, zum Nachdenken über verschiedene Dinge.
Die Tatsache, dass man, wenn dieser Text eine Filmkritik ist,
also mit der Aufforderung von einer Redaktion verbunden, diesen
Film jetzt irgendwie zu bewerten, dann steht natürlich
diese Bewertung im Vordergrund. Und die Aufgabe ist damit
auch gewissen Beschränkungen unterworfen; oder sagen
wir besser Vorgaben.
Die allererste Vorgabe, die man hat, ist der Platz. Das ist
ganz wichtig. Es ändert vollkommen das Schreibverhalten,
wenn ich weiß: ich habe gerade mal 60 Zeilen beim "Münchner
Merkur", oder ich kann über den Film im "Filmdienst"
relativ groß schreiben. Oder ich habe bei artechock
im Internet sogar Platz, der völlig unbegrenzt ist. Das
verändert dann meine Sprache, auch meine Art überhaupt
über den Film nachzudenken.
Dann ist es schon so, dass ich mich frage - und ich finde
es auch ignorant, wenn man das nicht tut -, für wen ich
schreibe. Es kann vielleicht Gründe für diese Ignoranz
geben, aber darüber müssten wir dann diskutieren.
Ich glaube schon, dass man einen Leser vor Augen haben muss.
Das können sehr verschiedene sein. Das kann der beste
Freund, die beste Freundin sein. es kann der Redakteur sein.
Es können aber auch mögliche Kinogänger sein.
Und wenn ich in einer bestimmten Zeitung schreibe, scheint
mir das ein legitimes Anliegen zu sein, dass man sich auch
auf die Leser dieser Zeitung einstellt. Aber auch da geht
es gleich noch mit einer anderen Frage los: Schreibe ich nun
für die die den Film gesehen haben, denen ich nun sozusagen
einen Mehrwert zusätzlich zum Kinobesuch gebe, Handwerkszeug,
Ideen, Maßstäbe gebe, um den Film noch anders zu
beurteilen. Oder einfach Einfälle von mir, zu denen ich
sagen würde: Die sind zumindest als Einfälle interessant.
Da wabert mir etwas im Kopf herum, auch noch Tage danach,
und insofern teile ich das jetzt mal anderen mit - sozusagen
eher als Experiment, als Anregung zum Weiterdenken, auch dagegen-andenken.
Man gibt ihnen etwas Zusätzliches, mit dem sie jetzt
auf diesen Film auch noch anders schauen, auch anders darüber
nachdenken.
Oder sind es Leute, denen ich sagen will, ob sich der Kinobesuch
FÜR SIE lohnt? Was ich auch für ein legitimes Anliegen
halte.
Oder will ich für den Filmemacher was tun? Oder gegen
den Filmemacher? Ich will gar nicht darumherumlügen,
dass nicht auch dies beides der Fall ist. Es gibt Filme, die
sind mir aus irgendeinem Grund sympathisch, oder die, die
den gemacht haben. Da gibt es dann Gründe, warum ich
finde: Es sollten mehr Leute in diesen Film hineingehen. Oder
ich denke: Hoffentlich geht da niemand rein. Das ist alles
Dreck und es wäre am besten, wenn das gar nicht gezeigt
würde.
Solche Haltungen können auch Motivationen sein, überhaupt
einen Text zu schreiben.
Dann ist es so, dass sich der Text dadurch verändert,
in was für einem Ort man schreibt. Bei den Lesern des
Münchner Merkur - wo ich die Leserstruktur ungefähr
kenne, sie mir auch immer wieder von den Redakteuren bewusst
gemacht wird - scheint es mir nötig zu sein, bestimmte
Dinge zu erklären, zu erläutern, die der Leser der
"Frankfurter Rundschau" einfach weiß, weil
er im Schnitt gebildeter ist. Oder der Leser des "Filmdienst",
weil er cineastischer ist.
Beim Münchner Merkur" bediene ich mich auch einer
Sprache, die einfacher ist: Kürzere Sätze, weniger
Latinismen, weniger komplizierte Gedanken, weniger Subtext.
Das Ergebnis ist dann natürlich ein anspruchsloserer
Text.
Es wäre ist die große Illusion, zu glauben, man
könne alles immer "auch ganz einfach sagen".
Nein!
Wenn es mal nicht so ist, dann weil ich nicht immer Lust habe,
mich dem anzupassen, weil ich denke: Die sollen sich auch
mal an mich anpassen. Aber vielleicht ist das arrogant.
Wenn ich mich ganz an den Lesern orientiere, dann würde
ich beim "Münchner Merkur" immer Vereinfachungen
vornehmen, die ich bei anderen Zeitungen nicht vornehmen würde,
Dinge erklären, die ich woanders einfach voraussetzen
kann.
Dafür muss ich bei der "Frankfurter Rundschau"
vielleicht andere Dinge erklären: Da muss ich zum Beispiel
meine Urteile und wie ich zu ihnen komme, viel genauer begründen,
wofür ich beim "Münchner Merkur" überhaupt
nicht den Platz habe, und das Urteil einfach hinhaue: Das
ist jetzt so und so.
Dunja Bialas: Wir haben ja gesagt: Filmkritik kann
in zwei Teile zerfallen: Eine, die sich an den Film anschmiegt,
und eine, die sich mit dem Film kritisch auseinandersetzt,
aber auch im Sinne einer gewissen Pragmatik. Du repräsentierst
letztendlich klar den zweiten Teil.
Es ist wahrscheinlich tatsächlich so, dass wir in Deutschland
tatsächlich nicht das Medium haben, wo ersteres möglich
wäre. Es sei denn ein Beispiel wie Helmut Färber,
der seine Texte ja größtenteils im Selbstverlag
veröffentlicht hat. Das ist auch unheimlich traurig.
Josef Schnelle: Ja. Vieles von Frieda Grafe ist auch nur in
entlegenen Zeitschriften veröffentlicht, und nicht als
"Filmkritik" sondern eher als Cinephilie oder Cinefolia
oder wie auch immer zu verstehen.
Das wäre auch mal eine interessante Tagung: Wenn man
verschiedene Länder vergleichen würde. Und die Auffassung
der Filmkritik in den verschiedenen Ländern: Da gibt
es einerseits filmhistorische Traditionen, die sehr unterschiedlich
sind - wie Filmkritiker aufgewachsen und künstlerisch
sozialisiert sind.
Es gibt aber auch sprachliche Unterschiede. Das Französische
neigt auch eher zu dieser Art von Blumensträußen.
Das Deutsche verfällt immer ins Urteil. Deutsche Philosophen
waren auch immer die, die Systeme entwickelten. Und so ist
das eben auch bei der vorigen Filmkritikergeneration - Wolfram
Schütte oder Peter Buchka - gewesen: Die haben versucht,
kritische Systeme zu entwickeln.
Die angelsächsische Filmkritik ist wieder anders: es
gibt dort kaum Kritik, die nicht darauf Rücksicht nimmt,
wie der Film ökonomisch funktioniert. Hinzu kommt noch
diese gewisse Formelhaftigkeit der Sprache, die Urteile ineinander
verdrechselt, sodaß sie sehr kurz und pointiert gesetzt
werden. Diese verschiedenen Stile haben auch damit zu tun.
In Amerika gibt es ja noch nicht mal ein Feuilleton. Da heißt
das Entertainment. Darin gehen dann die anderen filmjournalistischen
Formen in eins über.
Rolf-Rüdiger Hamacher (freier Kritiker): Das Problem
dieser Runde ist meiner Meinung nach, dass hier nur Leute
sitzen, die sich der vertiefenden Filmkritik verschrieben
haben. Wir haben keinen Kollegen hier, der sich der Werbekritik
verschrieben hat. Die halten sich trotzdem für Filmkritiker.
Bei ganz vielen Zeitungen haben wir nur die Spitze hier behandelt.
Bei den meisten Zeitungen aber verstehen sich die Redakteure
schon als Quotenrichter. Die wollen Quote haben.
Und die frühere Verantwortung gegenüber dem deutschen
Film ist auch bei denen, die noch eine funktionierende Filmseite
haben, wie die "Süddeutsche" und der "Kölner
Stadtanzeiger", heute einfach nicht mehr da. Ich bin
da immer ganz erschrocken. Vor zwei Wochen zum Beispiel schlage
ich den Kölner Stadtanzeiger auf, da sind dann zwei Filme,
die völlig unwichtig sind, sehr negativ besprochen, aber
sie nehmen die Hälfte der Seite ein. Und WOLFSBURG von
Christian Petzold und SIE HABEN KNUT, die beide beachtenswert
sind, und in der gleichen Woche starteten, werden dann auf
zwei Sätzen abgehandelt.
In der "Süddeutschen" lese ich dann Elogen
über Schauspielerinnen und ein kleiner deutscher Film
ist einfach nicht vorhanden. Oder dass Frau Nord in der taz
ihren Massstab zum Mass der Dinge macht, finde ich auch problematisch.
Wenn das woanders wäre, dann dürfte man nur noch
amerikanische Renner positiv besprechen. Das ist sehr sehr
problematisch, wenn man das macht.
Da ist man als Schreiber in Abhängigkeit von einem Redakteur
- das finde ich schon eine Diktatur des Schreibens.
Josef Schnelle: Ich muss dies etwas verteidigen. Wenn
da in der Woche 12 Filme starten, dann kann man nicht mehr
eine Filmseite der alten Art machen, auf der alle Filme besprochen
werden.
Hamacher: Doch, man kann dann die schlechten Filme,
die den Leser sowieso nicht interessieren, klein auf zwei
Zeilen besprechen. Erzähl mir nicht, dass die Leser des
"Kölner Stadtanzeiger" nur in amerikanische
Komödien gehen.
Josef Schnelle: Aber Du kannst 12 Filme da nicht angemessen
unterbringen.
Hamacher: Davon reden wir nicht, wir reden nur von
der Gewichtung.
Zoltan Paul: Ich glaube auch, dass die Filmkritik eine
Riesenverantwortung gegenüber dem heimischen Filmschaffen
trägt.
Josef Schnelle: Wenn es eine kleine Zeitung ist, dann
bekommt er 15 Euro. und dafür soll er auch noch eine
Riesenverantwortung tragen?
Zoltan Paul: Das muss ja ins Bewusstsein der Kritiker
reingehen, dass eine heimische Filmproduktion nur mit Pflege
der heimischen Präsenz gestützt werden kann.
Rüdiger Suchsland: Filmkritiker sind keine Landschaftspfleger.
Schon gar keine patriotischen Landschaftspfleger. Und ich
verstehe meine Aufgabe überhaupt nicht so, dass ich dem
deutschen Film irgendwie anders verpflichtet wäre, als
irgendeinem anderen national oder regional oder religiös
unterschiedenen Film. Ich bin "dem" Film verpflichtet.
Zoltan Paul: Das ist jetzt nicht als "falsche Gnade"
gemeint. Sondern dass stilistische Tendenzen erkannt und klar
definiert werden.
Rüdiger Suchsland: Jetzt muss ich schon Cristina
Nord verteidigen - auch wenn ich es wahrscheinlich als Redakteur
etwas anders machen würde: Ich halte es für sehr
legitim, dass man eine Filmseite als verantwortlicher Redakteur
nach seinen eigenen, höchstpersönlichen Vorstellungen
gestaltet, seine eigenen Prioritäten zugrunde legt. Was
denn sonst?
Es ist genau das, was gute, prägnante Filmkritik vom
Durchschnitt: Dass man es nicht diffus wabern lässt.
Sondern dass man bestimmte Vorstellungen und eine klare Haltung
hat. Dass kann dann auch die sein, dass man besonders viel
deutsche oder europäische Filme groß bespricht,
oder dass man deutsche Filme nur positiv bespricht, oder dass
man das gut bespricht, was das Volk will. Diese Haltung kann
man dann kritisieren - aber ohne Haltung geht es gar nicht.
Ich finde es einen sehr guten Ansatz, dass ein Filmredakteur
sagt: Meine Autoren sollen die Filme ungefähr so finden,
wie ich. Das heißt ja nicht, dass die gegen ihre eigene
Meinung schreiben wollen. Sondern sie fragt vorher ab: Wie
fandest Du den Film? Und man sagt: mir hat er gefallen, ich
fand das und das daran wichtig. Und wenn sie dann merkt, dass
sie das ganz anders sieht, dann sucht sie einen Autor, der
mehr auf ihrer Wellenlänge liegt, und der betreffende
Kollege schreibt dann andere Texte. Natürlich ist die
Gefahr da, den Redakteuren in diesem Fall nach dem Mund zu
reden. Aber das würde ich niemandem unterstellen wollen.
Der andere Ansatz ist, dass Peter Körte, als er noch
"Frankfurter Rundschau"-Redakteur war, gemeint hat,
er will im Prinzip keine Verrisse drin haben. Nur in wenigen
Fällen fand er, das sei nötig, und manchmal hat
er auch niemanden gefunden, der das gut fand. Aber im Prinzip
sollen Leute schreiben, die einen Film gut finden - selbst
wenn er den nicht so gut fand. Das ist ja heute auch ein bisschen
das Prinzip bei der "Süddeutschen".
Die Idee, die dahinter streckt, ist einfach: Es ist die, dass
sowieso Kino in der Defensive ist, und dass man es zu verteidigen
hat. Dass man für das Kino an sich, für ein sich-einlassen
zu werben hat. Und dass es auch bei schwächeren Filmen
meist Dinge gibt, die ganz gut sind, und dass man als Filmkritiker
die herauszuarbeiten hat. Weil man Kino liebt.
Da steht die Kinoliebe am Anfang, Auch das ist ein legitimer
Ansatz.
Zoltan Paul: Man muss aber auch das Vorurteil abzubauen,
dass deutsche Filme nicht besuchenswert sind.
Josef Schnelle: Das ist doch gar nicht so. Es wird
doch unglaublich viel über deutsche Filme geschrieben.
da hat sich sehr viel getan.
Rüdiger Suchsland: Wenn man amerikanische Filme,
auf kleinen Größen bespricht, weil sie schwach
sind, sagt keiner was - ist ja nur Hollywood. Wenn wir einen
deutschen Film, der genauso schwach ist, auf der gleichen
Größe bespricht, dann sind wir immer gleich Verräter
am nationalen Kulturgut.
Wenn ich mir anschaue, wie schwach tolle Filmländer wie
Frankreich, Spanien, China, wo im Schnitt pro Jahr mehr gute
Filme entstehen, als in Deutschland, bei uns vertreten sind
- in Filmzahlen ebenso wie im Hinblick auf Aufmerksamkeit,
dann denke ich: Wenn man für jemanden etwas in den Feuilletons
offensiv tun muss, ist es nicht der deutsche Film. Der deutsche
Film ist überrepräsentiert.
Josef Schnelle: Diese Diskussionen hab ich schon oft
geführt, wirklich
Man kann ja, wenn Regisseure
sagen: mein Film müsste mehr beachtet werden, das übersetzen
in den Klartext: "na wir haben nicht genug Geld für
'ne vernünftige Werbung, die Prothese dafür sind
dann die Filmkritiker, die sollen jetzt mal gut und schön
und ausführlich schreiben. Und das haben di gefälligst
zu machen."
Und dann gibt es dann noch diese Argumentation mit dem einen
Boot, in dem wir alle sitzen. Da möchte man gerne die
Filmkritiker funktionalisieren.
Es ist doch klar, dass alle, die einigermaßen Grips
im Kopf haben, und ihre Arbeit ernst nehmen, sich dagegen
wehren. Wir wollen schon frei im Urteil sein.
Ich finde darum auch die Kriteriendiskussion immer so unselig:
Wieso sind diese Filme jetzt gut, wieso läuft dies und
das im Wettbewerb eines Festivals? Was sind denn die Kriterien?
Wenn man klare Kriterien hätte, dann könnte man
irgendwelche Hilfskräfte dran setzen, denen gibt man
'ne Liste mit Kriterien und die haken sie dann ab.
So leicht ist es aber nicht. Das Kriterium ist der ganze Mensch.
Beim Radio gibt es so ein "gerichtetes Mikrophon",
in das ich dann reinspreche, das nimmt nur sehr schematisch,
systematisch auf. Es gibt aber auch Kunstkopf-Mikrophone,
die nehmen alles auf. Dann bekommt man die Geräusche,
so wie sie im Kopf aus allen Richtungen ankommen. Jeder von
uns, der das über viele Jahre macht, hat sich so einen
eigenen Kunstkopf zugelegt. Die sind sehr unterschiedlich
und manchmal sehr schräg. Die Lebenserfahrung gehört
auch dazu. Es mal einer gesagt, unter 30 sollte man gar keine
Filmkritiken schreiben, denn man hat zu wenig erlebt.
Weil man ja mit jedem Film auch eine neue Lebenswelt erfährt.
Deinen Film, Zoltan Paul, kann man doch mit 20 Jahren noch
nicht verstehen, das ist doch klar.
Diese Kriteriendiskussion kommt immer wieder. Es gibt aber
riesige Unterschiede, es gibt Filme, die nichts tun, als das
sie etwas über den Zustand der Gesellschaft verraten.
Da trifft dann Kracauers Aussage zu: "Filmkritik von
rang kann nur als Sozialkritik verstanden werden." Dann
schreibe ich natürlich einen Text, der sich daran orientiert.
Das ist oft bei Mainstreamfilmen der Fall.
Es gibt Filme, die nur ihre Ästhetik vor sich hertragen,
dann schreibe ich eben darüber. Und dann gibt es Filme,
die sich an einen Star hängen. Dann steht das im Vordergrund.
Wieso soll das nicht alles möglich sein?
Rüdiger Suchsland: Es hat noch einen ganz anderen
Grund, warum über Hollywood-Filme und deutsche Filme
überproportional berichtet wird: Die Frage: was ist besonders
wichtig für uns? Dafür gibt es diese Formel vom
gesellschaftlichen Ereignis.
Zum Beispiel MATRIX RELOADED. Ich hatte ein Gespräch
mit Jan schulz-Ojala vom "Tagesspiegel" in Cannes,
der stöhnte, weil er den Film gleich im Anschluß
an die erste Pressevorführung für den nächsten
Tag besprechen musste. Auf vier Spalten. Obwohl er ihn schlecht
fand.
Ich frage: "Warum macht ihr das nicht nur auf 60 Zeilen?
Das reicht doch auch." Und er meinte, ja, das wäre
lustig, aber das kann er nicht machen, weil der Film eben
zu wichtig ist.
Und irgendwie muss ich ihm da auch recht geben. es wäre
nur ein Scherz, den Film wie irgendeinen abgelegenen Dreck
zu besprechen. Und da auf einen Kontrapunkt zu dem zu setzen,
was alle anderen machen - die ja alle MATRIX RELOADED mit
Bild auf vier Spalten als Aufmacher besprochen haben.
Nur: Andererseits kann man es dann irgendwie doch nicht. Weil
es tatsächlich viele Leser giubt, die mehr drüber
lesen wollen. Und weil der erste MATRIX tatsächlich ein
sehr guter und sehr interessanter Film war. Und man was über
das Verhältnis dieser Filme schreiben muss.
Das alles, was wir diskutieren, kann man zu der Leitfrage
bündeln: Was interessiert eigentlich am Film?
Wie sich die verschiedenen Interessen zusammenfassen lassen.
Den anderen Punkt sehe ich in dieser sehr sehr guten Unterscheidung
zwischen anschmiegender Filmkritik und pragmatischer Filmkritik.
Was genau anschmiegende Filmkritik ausmacht, ist noch etwas
nebulös, aber das muss es vielleicht sein.
Sie schmiegt sich jedenfalls an den Film an, während
die pragmatische Filmkritik versucht, alle verschiedenen Interessen
auszubalancieren.
Dabei kommt dann eben manchmal der Umschlag in das, was Christoph
Hochhäusler Impressionismus nennt: dass man aus diesen
vielen Interessen nur ganz persönlich das auswählt,
was einen gerade sehr subjektiv interessiert, wozu man gerade
Lust hat.
Ich frage mich nur, ob es nicht bei der anschmiegenden Filmkritik
einen Impressionismus anderer Art gibt. Im Idealfall würde
"anschmiegende Filmkritik" heißen: Den Film
in Sprache zu verwandeln, ohne ihm den Filmcharakter zu nehmen.
Aber wie soll das konkret gehen? Wie funktioniert das Anschmiegen,
wie unterscheidet es sich vom Besinnungsaufsatz?
Josef Schnelle: Dafür gibt es die schöne
Definition von André Bazin: Den Choc des Kunstwerks
zu verlängern in diese literarische Gattung namens Filmkritik.
Das ist es. Da geht es nicht um Kriterien.
Man muss auch mal fragen, ob nicht das Feuilleton entfeuielletonisiert
wird. Da versandet alles. Wo ist denn noch das Feuilleton?
Das ursprüngliche Feuilleton ist eines, das Themen setzt.
Heute gibt es nur noch ein Rezensionsfeuilleton. Aber wo ist
das richtige Feuilleton, das im Wortsinne: schön geschriebene?
Die besten Feuilletons stehen heute im Sportteil.
Aber warum ist das so? Weil wir die faktische Information
längst durch das Radio und Fernsehen bekommen haben.
Also gibt es nur ein Bewertungsdefizit und ein Erlebnisdefizit.
Und das deckt das Feuilleton. Vielleicht müssen wir uns
daran orientieren, die Filme als Fußballspiele sehen:
Auch ein Film dauert 90 Minuten.
Schönfelder: Es gibt ja noch die andere Tendenz:
Dass Print-Magazine nur dadurch überleben, dass sie im
Internet existieren. Vielleicht ist das die Zukunft der ernsthaften
Filmkritik? Da kann man lange schreiben.
Rüdiger Suchsland: Aber im Kapitalismus gilt: Was
nichts kostet, ist nichts wert. Artechock, das kein Print-Pendant
hat, verbindet Information und Filmkritik. Wir haben mit monatlich
20.- 30.000 Lesern locker mehr Leser, als der Filmdienst.
Wir könnten also theoretisch auch als Druckerzeugnis
überleben, und selber Geld verdienen. Aber ich weiß
nicht, wieviel wir hätten, wenn das Geld kosten würde.
Josef Schnelle: Abgabe auf Kinokarten - wie wär denn
das? 2 Cent auf jede Kinokarte - da kann man drei Zeitschriften
und fünf Internetmagazine vernünftig von finanzieren.
Das Internet hatte ich jetzt vergessen: Tatsächlich gibt
es da neue Möglichkeiten. Aber in dem Moment, wo es nicht
bezahlt wird, ist es dann wieder Liebhaberei -und leidet dementsprechend.
Wenn ich für den Filmdienst schreibe, und kaum Geld verdiene,
dann tickt irgendwann bei mir die Uhr, und ich muss anfangen
Geld zu verdienen.
Gut: Die Filmemacher sind auch arm. Also sind hier arme Leute,
die sich gegenseitig ihr Leid klagen.
Zoltan Paul: Ja, Filmemachen ist Liebhaberei. Man nagt
am Hungertuch, opfert Zeit und Energie. Die Welt ist ungerecht.
Josef Schnelle: Wenn ich dann höre, dass der Regisseur
Jan Schütte, der in Mannheim in die Jury gesollt hätte,
das gerne gemacht hätte, aber es sich einfach nicht leisten
kann, dort zwei Wochen zu verbringen, bei denen er nur die
Reisekosten und das Hotel erstattet bekommt. Das wäre
mal was für unsere Kulturministerin Weiss.
Ich will Euch nicht nerven mit der Akademie und dem Filmförderungsgesetz:
Eigentlich müsste sich so eine Gesellschaft Euch Filmemacher
leisten können. Und uns eben auch. Das muss man auch
fordern können. Denn die Folge der jetzigen Zustände
ist ein Verlust der Möglichkeiten kultureller Identitätsbildung.
Rüdiger Suchsland: Hier sitzen wir dann - Filmemacher
und Filmkritiker - tatsächlich in einem Boot. Nicht ästhetisch,
aber politisch. Weil man gewisse gemeinsame Interessen hat
- zumindest an den Strukturen, in denen überhaupt Film
stattfindet.
Und zu diesen Strukturen gehört wie Vertriebswege und
Förderung auch die Art, wie ein fertiger Film an das
Publikum herangetragen wird. Also auch das Vermögen oder
fehlende Vermögen des Publikums, sich damit auseinander
zu setzen. Wenn man für schwierige Filme - nicht abwertend
gemeint - ein kompetentes Publikum will, dann muss man natürlich
darüber sprechen: Wie kommt denn diese Kompetenz zustande?
Durch einen Kanon, durch Filmbildung an den Schulen, die meiner
Meinung nach absolut im Interesse von Filmkritik liegt, und
auch gefördert werden müsste, weil wir damit auch
langfristig eine Erziehung unserer Leser erhalten - aber es
muss dann eben auch eine Erziehung des älteren und nicht
mehr schulpflichtigen Publikums sein.
Darum muss sich Filmkritik auch selber in irgendeiner Form
als Erziehung verstehen. Damit ist nicht gemeint, dass wir
wieder die Prügelstrafe verhängen wollen, das ist
nicht so autoritär gemeint, wie es klingt, eher in dem
Sinn, in dem bei Schiller von "ästhetischer Erziehung"
die Rede ist.
Josef Schnelle: Wenn ich das richtig verstehe, ist
diese Erziehung ja im Sinne von Geschmacksbildung gemeint.
wenn man ein bisschen mehr weiß, dann kann man auch
kompliziertere Dinge schätzen. Wenn man immer nur Aldi-Wein
trinkt, dann sind einem manche weine nicht zugänglich.
Jedes Kino zieht sich sein Publikum heran. Man muss etwas
wissen, um bestimmte Dinge schätzen zu lernen. Und im
Bereich dieser Geschmackserziehung haben die Programmkino-Betreiber
gesündigt.
Ich kann jetzt wie im Märchen anfangen: Es war einmal
es gab mal eine Zeit, da haben sich drei Leute in Köln
einen VW geteilt und sind nach Paris gefahren, um bestimmte
Filme zu sehen - da war ich nicht dabei. So alt bin ich auch
nicht Rüdiger.
Aus diesen Paris-Fahrten sind dann Bemühungen geworden,
Filmklubs zu gründen, Diskussionen anzufangen. Programmkinos
sind daraus geworden, wo man Gespräche über Film
anzettelt und die Filme den Leuten nahe bringt.
Jetzt geht das Märchen leider traurig weiter: Die Programmkinos
waren in Deutschland richtig stark. Noch vor 15 Jahren war
das eine blühende, vollentwickelte Landschaft. Da fanden
Filme ihr Publikum, die man hheute nirgendwo mehr im Kino
unterbringen kann. Ich weiß nicht, was dann passiert
ist: Da hat es einen Größenwahn gegeben. Alle wollten
groß werden, Vollprogramme zeigen. Und plötzlich
waren drei Viertel der Filme in Programmkinos auch nur US-Major-Filme.
Das hat eine Weile Erfolg gehabt, aber um ihr Publikum haben
sie sich nicht mehr gekümmert. Die sitzen heute vor dem
Fernseher. Eine neue Generation haben sie sich aber nicht
geschaffen. Und können heute Filme von zum Beispiel Tsai
Ming-liang nicht mehr zeigen. Die Programmkinos sind weggebrochen.
Es gibt sicher auch strukturelle Gründe, aber zum Teil
sind die selber schuld. Die müssen wieder anfangen mit
der Publikumsbindung. Das müssen Filmemacher von denen
auch fordern.
Zur Zeit gibt es ja schon die ungekehrte Tendenz: Die Multiplexe
stehen leer, die versuchen jetzt Programmkino zu werden. Das
betrifft die großen Städte: In der Fischwirtschaft
nennt man das Überfischung. Da sagen sie: Machen wir
jetzt Programmkino. Aber sie wissen gar nicht, was sie da
machen können. Aber den kleinen Kinos, die noch übrig
geblieben sind, werden die Filme entzogen.
Rüdiger Suchsland: Damit das sich ändert,
muss natürlich auch beim Publikum das Bewusstsein anders
sein. Was in den Institutionen passiert, ist ja nur der Reflex
von dem, was in der Gesellschaft passiert. Und wenn man dort,
wenn man bei der famosen Kulturstaatsministerin Christina
Weiss eine Verachtung des Films als Kulturgut gibt, dann ist
das eine Verachtung, die in der ganzen Gesellschaft stattfindet,
die beim Publikum stattfindet. Man muss nicht immer das Publikum
verteidigen. Als ob die immer recht hätten. Das Publikum
in Deutschland ist ganz schön blöd.
Josef Schnelle: Weiß ich nicht. Es gibt natürlich
auch beim Publikum diesen Irrglauben: Was hat Erfolg? Das
muss gut sein, das will ich auch sehen. Aber ich bin immer
wieder überrascht, welche Karriere kleine gute Filme
machen, von denen ich fürchtete, dass das keiner sehen
will. Es gibt vielleicht auch dummes Publikum.
Zoltan Paul: Aber Filmkritik muss solche Programmkinos
auch stützen. Es ist einfach eine Tatsache, dass die
kleinen Filme keine Möglichkeit haben, richtig zu werben.
Ein Film wie HIERANKL bekam immerhin 30.000 Zuschauer, weil
die Presse wirklich dahinter stand.
Rüdiger Suchsland: Aber man sollte Filmkritik auch
nicht überfordern. Nehmen wir BUNGALOW, ein toller deutscher
Film. Der wurde zum Start sehr positiv besprochen, kam aber
erst nach Monaten in Städten wie München und Frankfurt
ins Kino.
Und wenn ich höre: HIERANKL hat 30.000 Zuschauer - dann
denke ich: DAS WUNDER VON BERN, der von vielen verrissen wurde,
hat 2 Millionen. Also ist das ein Erfolg, wenn ein Film, der
weißgott besser ist, 30.000 bekommt?
Man muss sich klar machen, was da unsere eigene Rolle ist.
Die eigene Rolle ist vielleicht nicht die, die Zuschauer ins
Kino zu treiben, oder zu verhindern, dass sie reingehen.
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