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Zu schön, um wahr zu sein: Da schneit am Heiligen Abend die
Tochter Blair doch noch ins Haus, obwohl sie eigentlich dieses
Jahr während der Feiertage auf Friedensmission in Peru sein
sollte. Die Freude von Mutter Nora Krank kennt keine Grenzen,
die chaotische Vorbereitung ist vergessen. Vater Luther kommt
mit dem Trubel zwar noch nicht ganz klar, aber bald hat sich
die gesamte Nachbarschaft um den Weihnachtsbaum versammelt.
Gemeinsam wird ein fröhliches peruanisches Weihnachtslied
gesungen, hat doch Blair von der Reise nach Südamerika gleich
ihren Zukünftigen mitgebracht. So singen und musizieren schwarz
und weiß, US-Bürger und Ausländer, Priester und Polizisten
bei den Kranks in ihrem bunt beleuchteten Vorortshäuschen,
auf das ganz zart der Schnee rieselt. Das Fest der Liebe als
grenzenlose Erfüllung aller Träume, davon erzählt VERRÜCKTE
WEIHNACHTEN.
Alljährlich kommen zur Weihnachtszeit ganz besonders friedvolle
Familiengeschichten ins Kino. Mit beschaulichem Personal -
Menschen wie du und ich erleben die Tage rund um das Fest
- liefern sie gleichermaßen wunderbar gefilmte wie wohl überlegte
Bilder von Gesellschaft und Individuum. Dieses Jahr gibt es
zwei Werke dieses Genres, die unterschiedlicher nicht sein
können. Neben VERRÜCKTE WEIHNACHTEN von Joe Roth steht da
BAD SANTA von Terry Zwigoff. Dem Rothschen Konservatismus
scheint das obszöne Universum von Zwigoff erstmal komplett
zu widersprechen. Die Unterschiede in der Herangehensweise
und im Stil sind fundamental; beide Filme zeigen exemplarisch,
in was für zwei Richtungen sich der Weihnachtskomödie im Jahr
2004 bewegen kann. Beide stehen jedoch ebenso deutlich in
der Tradition harmonisierender Filme, die rund um Dickens'
EINE WEIHNACHTSGESCHICHTE immer wieder das gleiche Thema variieren:
ein mehr oder weniger mieser Charakter, manchmal auch eine
Vielzahl davon, zeigt sich zum heiligen Fest von seiner schlimmsten
Seite, wird dann von herzlichen Menschen zum Guten bekehrt.
Setzten die ersten Verfilmungen - 1935 Henry Edwards' SCROOGE,
dann vor allem 1951 A CHRISTMAN CAROL von Brian Desmond Hurst
- noch die Moral groß in Szene, hat sich die Thematik im Laufe
der Jahre publikumswirksam verselbstständigt. So auch beim
für die 90er Jahre vorbildhaften Weihnachts-Klamauk KEVIN
- ALLEIN ZU HAUS (1990) von Chris Columbus. Hier trägt das
Schlechte die Gesichter reuloser Einbrecher und auch das,
des frechen Kevin, der sich in seinem Ausschluss aus der Familie
sichtlich wohl fühlt, am Ende aber zu aller Zufriedenheit
wieder eingemeinschaftet wird. Unter dem Dach der Familie
sind alle sicher, so die simple Botschaft.
Jamie Lee Curtis und Tim Allen spielen in VERRÜCKTE WEIHNACHTEN
die Kranks, das typisch amerikanische Ehepaar. Nora ist Urtyp
aller Hausfrauen: eine begeisterte Köchin; eine leidenschaftliche
Supermarktgeherin; eine Frau, die auch ohne Job glücklich
ist, die abgöttisch ihre Tochter verehrt, zum Einschlafen
ein Buch liest, keinen eigenen Stil hat und zur neurotischen
Hysterie neigt. Luther ist Urtyp eines leitenden Angestellten:
geizig und herzlos; mürrisch bei der Arbeit; ein opferungsbereiter
Ehemann und ein liebevoller Familienvater. Jeweils Samstags
haben Nora und Luther Sex, leben ansonsten zufrieden in ihrem
Häuschen, mit ihrem kleinen Vorgarten und dem silbernen Auto.
Genauso wie alle in der Straße, die von Dan Aykroyds Vic Froymeyer
kontrolliert wird. Als Tochter Blair Krank in diesem Jahr
das Weihnachtsfest scheinbar nicht zu Hause verbringen wird,
stiftet Luther Nora zum Weihnachts-Boykott an, das letztjährige
Fest hat sie schließlich über sechstausend Dollar gekostet.
Nun lockt die Luxuskreuzfahrt für nur dreitausend Dollar.
Das Haus bleibt also ungeschmückt, die Kranks verbarrikadieren
sich gegenüber den Sternsingern, gehen lieber ins Solarium
und wehren die wütenden Proteste der Nachbarn im Stile eines
Häuserkampfes ab.
Das Lachen über das amerikanische Idyll soll natürlich schon
zu Beginn von VERRÜCKTE WEIHNACHTEN Sympathie für seine Charaktere
wecken, vor allem für diejenigen, die der Gleichförmigkeit
scheinbar den Rücken zukehren. Dass man Weihnachtsmuffel in
sein Herz schließt, darauf baut auch BAD SANTA, jedoch in
weit stärkerem Maße. Denn Billy Bob Thornton als abscheulicher
Kleinkrimineller Willie T. Stokes, der sich nur das Weihnachtsmannkostüm
über zieht, um mit seinem kleinwüchsigen Kumpanen Marcus die
Kaufhäuser auszurauben, ist mehr als ein Anti-Weihnachtsmann.
Er ist Einzelgänger, raucht, säuft, liebt Frauen mit dicken
Hintern, hasst Kinder und Geschenke; er flucht während eines
Adventstages mehr, als andere im ganzen Leben. Stokes stellt
keine bewusste Abkehr vom System Weihnachten und Gemeinschaft
dar. Er ist die personifizierte Asozialität, die mit bitterer
Ehrlichkeit die Oberfläche der weihnachtlichen Wohltätigkeiten
einreißt, damit zugleich eine Gesellschaft der Nächstenliebe
in Frage stellt. Stokes ist im Grunde ein spontaner Egoist,
dem Angestellten Luther Krank nicht unähnlich: er verschafft
sich Geld, wenn keiner aufpasst; er nistet sich in einem Haus
ein, wenn ihn dort der 8-jährige Thurman, dessen Mutter tot
und dessen Vater im Knast ist, als echten Weihnachtsmann verehrt;
er holt sich die Befriedigung, wenn ihm ein Weihnachtsmann-Groupie
über den Weg läuft. In seinem Alkoholismus ist Stokes letztlich
aber eine arme Gestalt, die der Zuschauer mit ihren Rüpeleien
gegen das Gut-Mensch-Sein ins Herz schließt.
Aufgrund des Protest-Themas mit BAD SANTA identisch, macht
jedoch VERRÜCKTE WEIHNACHTEN auf allen filmischen Ebenen von
Anfang an deutlich, dass es ihm nur um eine Stabilisierung
der scheinbar der Lächerlichkeit preis gegebenen Gesellschaft
geht. Auch wenn Luther beim Einkauf für seine Frau seine Unlust
an Festen entdeckt - das Hin und Her zwischen Auto und Laden
endet für ihn völlig durchnässt -, so ist dies hier als reiner
Slapstick inszeniert. Das Wasser spritzt von allen Seiten
wie bei SINGING IN THE RAIN, schöne Kameraeinstellungen machen
es zur herrlichen Unterhaltung. Ernsthaft bissig wird es nie.
Kein Zufall, da als Produzent für VERRÜCKTE WEIHNACHTEN Chris
Columbus in der Verantwortung steht, der außerdem noch das
Drehbuch nach einer Romanvorlage von John Grisham verfasst
hat. Die Nähe zu Columbus' eigener KEVIN-Reihe oder zu MRS.
DOUBTFIRE ist dagegen frappant, vor allem was den körperlich
vorgetragenen Humor angeht.
Im Gegensatz dazu macht BAD SANTA von Beginn an seinen schwarzen
Humor deutlich: Wenn zur Off-Stimme von Billy Bob Thornton
ein verträumtes Klavier spielt, haben auch hier die Produzenten
kräftig mitgewirkt. Und zwar die Coen-Brüder, die ihren THE
MAN WHO WASN'T THERE auch mit Thorntons Off-Stimme und mit
sehr ähnlicher Klaviermusik eröffnet hatten, was aber die
Einleitung zu einem zeitlupenhaften Schwarz-Weiß-Film mit
einem zurückhaltenden Thornton war, also das genaue Gegenteil
des schrillen BAD SANTA. Ein doppelter Boden ist hier mit
scharfer Ironie schon früh installiert.
VERRÜCKTE WEIHNACHTEN gefällt sich in der üblichen Gag-Inszenierung,
etwa wenn Nora auf dem Bauch durch die Horde Nachbarskinder
rutscht, die für das Aufstellen von Frosty, dem Schneemann,
protestieren. Dagegen führt BAD SANTA seinen Santa Claus da
hin, wo das Weihnachtsfest besonders weh tut: in die Shopping
Mall. Dort, wo der Geschenkidee Tempel erbaut sind, wo die
Kinder die Dominanz des Materiellen erfahren, da pisst sich
der lustig kostümierte Stokes wegen des Dauerkonsums von Hochprozentigem
in die Hose, da scheucht er angenervt die Kinder von seinem
Schoß, da schreit und spuckt er Mutter und Kind an, die doch
nur ihre Wünsche vortragen möchten - während ein Schlager
samtig: "It's the most wonderful time of the year" durch die
Hallen flötet. Der Zuschauer ist bei den ganzen verkitschten
Einfkaufsritualen längst auf der Seite des ungehobelten Fremdlings,
wenn er im Suff, von zahlreichen Kinderaugen beobachtet, in
ein paar Pappesel fällt, auf diese dann mit größter Zerstörungswut
eindrischt und sie in einer Gewaltorgie zerfetzt.
Die Fallhöhe zwischen herzlichem und herzlosem Charakter
ist bei BAD SANTA viel höher, als bei einer gut ausbalancierten
Komödie wie VERRÜCKTE WEIHNACHTEN. Natürlich soll auch Thornton
als übler Rabauke bekehrt werden, was durch den kleinen Thurmon
geschieht, der als dicker, rotznasiger Außenseiter am Ende
die Vatergefühle von Stokes weckt. Auch wenn er Stokes beim
Brettspiel - durch den geschickten Wechsel von verschieden
nahen Kameraeinstellungen als spannendes Duell gefilmt - mit
kindlicher Lust zur Weißglut bringt. Wo Thorntons Figur ab
der Filmhälfte ganz langsam immer gefühlvollere Züge zeigt,
sich stets eine gesunde Portion Unverschämtheit bewahrt, dreht
sich VERRÜCKTE WEIHNACHTEN zur gleichen Zeit plötzlich um
180 Grad. Die Vorbereitungen für das Blitz-Weihnachtsfest,
weil Tochter Blair nun doch nach Hause kommt, vereint die
Nachbarschaft wieder. Auch hier sind die Sympathien der Zuschauer
eigentlich auf der Seite der so aufopferungsvoll kämpfenden
Weihnachtsgegner Kranks. Umso schmerzlicher ist dann die Mühe,
mit der der Film seinen ersten Teil als scherzhafte Verirrung
darzustellen versucht. Die Nachbarn helfen auf einmal den
Kranks, weil doch Nora "schon mal alle Kinder gesittet" hat.
Und selbst der vorher noch so schön ungesellige Luther wird
bald zum großherzigen Wohltäter. Einigen Slapstick hat sich
VERRÜCKTE WEIHNACHTEN dann auch noch für die Szenen der Restaurierung
von Eintracht und Gemeinschaft aufgespart, die Wiederherstellung
des anfangs in Frage gestellten Systems der Konsum-Weihnacht
soll ja auch Spaß machen. Beide Filme handeln am Ende von
Nächstenliebe und Großzügigkeit, wobei Stokes bei einem Shoot-Out
und einer Verfolgungsjagd seine Wohltätigkeit fast mit dem
Leben bezahlt. Gegenüber diesen herrlich schroffen Filmzitaten
wirken die mit dickster Orchestermusik untermalten Barmherzigkeiten
von Luther und Nora fast irreal.
In beiden Filmen finden sich neue Paare, sogar kleine heilige
Familien. Hier das kinderliebende Weihnachtsmann-Groupie Sue,
das auf Stokes wartet und sich Thurmans annimmt. Dort die
blonde, jungfräulich erscheinende Tochter Blair mit ihrem
Enrique, zusammen das leere Abziehbild eines Panamerikanischen
Musterpärchens. Beide Filme feiern den Sieg von Gemeinschaft
und Tradition. Überall sind Verbrecher im Gefängnis gelandet,
hat das Rechtssystem ganze Arbeit geleistet. Bei BAD SANTA
ist es aber Stokes selbst, die geläuterte Hauptfigur, auf
dessen Rückkehr aus dem Knast hoffnungsfroh gewartet wird.
Zwigoff zeigt eine offene Gesellschaft, deren Protagonisten
gerade durch ihre ungehörigen Macken interessant sind. Dagegen
lässt VERRÜCKTE WEIHNACHTEN seinen Einbrecher kurz am Wohlstandsleben
Teil haben, dann aber von einem kleinen Jungen und dem Weihnachtsmann
persönlich wieder einfangen und abführen. Verbrechensbekämpfung
ist hier Kindersache. In dieser aalglatten Utopie einer (amerikanischen)
Gemeinschaft haben Gesetzesbrecher nichts verloren, die Nachbarn
feiern gemeinsam, nach Außen wird dicht gemacht.
Längst hat sich die Weihnachtskomödie denjenigen angekommen,
die aus dem Gewöhnlichen herausbrechen. Wer früher als unchristliche
Gestalt das unvorteilhafte Negativbeispiel abgab, wird nun
als Sympathieträger eingesetzt und steht im Mittelpunkt der
Geschichte. In welchem Maße er dann aber wieder in das Gesellschaftssystem
zurückfindet, oder wie er dorthin zurückgebracht wird, daran
zeigt sich die Ideologie und eigentliche Absicht des Films.
Der dreiste BAD SANTA steht da dem rührseligen VERRÜCKTE WEIHNACHTEN
deutlich gegenüber.
Thomas Schöffner
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