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Der Saal im Berliner Gropius-Bau ist gefüllt, die Atmosphäre
fiebrig. Eine lange Rednerliste, es sprechen zunächst
die üblichen Honoratioren, dann Kubricks mehrfacher Produktions-Designer
Ken Adams, dann Jan Harlan, Schwager und langjähriger
Produzent seiner Filme, schließlich Kubricks Witwe Christiane,
die der Ausstellung posthum den Segen ihres Mannes gibt: "Stanley
wäre stolz auf diese Ausstellung". Nicht nur, wie
sie unter Gelächter mitteilt, weil Kubrick froh gewesen
wäre, dass seine angehäuften Materialen endlich
"geordnet" würden, sondern um den Menschen
hinter den Legenden und hinter den Filmen wieder erkennbar
werden zu lassen. Die Fotografen knipsten, dann schoben sich
die Massen durch die Gänge.
Schon dieser feierliche Ritus ließ eine Vorahnung davon
aufkommen, dass hier nicht einfach eine Ausstellung eröffnet
wurde, sondern sich gleichsam eine Initiation vollzog: die
feierliche Eingemeindung des Außenseiters Kubricks in
die Reihe großer Filmkünstler, und die Einreihung
seines Werks in das Pantheon des allgemeinen Kulturbewusstseins.
Unmöglich, sich vorzustellen, dass Kubrick, der das "Licht
der Öffentlichkeit" konsequent scheute, selbst auf
so einer Veranstaltung erschienen wäre, schon weil es
ihm ein Graus gewesen wäre, sich in jenen Mark-und-Spencer-Anzug
zu zwängen, den er sich allein nur für die Hochzeit
einer seiner Töchter angeschafft hat.
Nun bestimmt sein Nachlass einen wesentlichen Teil dieser
"weltweit ersten Ausstellung" - der andere Teil
besteht aus Originalrequisiten und Filmausschnitten. Auf den
ersten Blick mag es wie ein Paradox wirken, ausgerechnet die
Annäherung an Filme, die doch fern jeder persönlichen
Äußerung und Botschaft zu sein scheinen, über
die Person vornehmen zu wollen. Aber selbstredend sind auch
diesmal Filme und ihr Regisseur aufs innigste miteinander
verbunden. Kunst ist, was immer sie sonst sein mag, Kommunikation,
Mitteilung; das Werk ist die Stimme aus dem Dunkel, und nichts
ist natürlicher als der Wunsch, die Person hinter den
Worten kennenzulernen. Anthony Burgess, Autor von "A
Clockwork Orange", schrieb einmal, hätten wir die
Wahl zwischen einem neuentdeckten Stück Shakespeares,
und einem Waschzettel, auf den Shakespeares Namen stünde,
der uns endlich seine historische Existenz beweisen würde,
wir würden ohne Zögern den Waschzettel wählen.
In dieser Feststellung steckt eine tiefere Wahrheit, als in
dem neo-romantischen, und völlig nutzlosen Versuch der
französischen Post-Strukturalisten, den lästigen
Autor ganz aus dem Weg zu schaffen oder zum bloßen Beiwerk
des Textes zu erklären.
So ist es ein sehr erfreuliches Vorhaben dieser Ausstellung,
einen besseren Zugang zur Person Kubrick zu ermöglichen,
die kaum bekannter ist, als die Person Shakespeares. Angesichts
der Erwartung, dass Schöpfer großer Werke uns nur
als Wahnsinnige gegenüber treten könnten, und ähnlicher
Vexierbilder ist es eine große Freude, sich anhand der
Set-Fotos zu den Dreharbeiten zu BARRY LYNDON, SHINING, und
DR.STRANGELOVE der irdischen Existenz Kubricks vergewissern
zu können. Man sieht einen sehr freundlichen und sehr
konzentrierten Mann, dessen stets nachlässige Kleidung
verrät, dass es ihm auf den äußeren Eindruck
nicht ankommt. Doch am stärksten kommt die Persönlichkeit
Kubricks in den Zeugnissen seiner Arbeit zum Ausdruck.
Ein Regisseur auf der Suche nach sich selbst
Hier geraten zunächst die Kopien der Original-Drehbücher
in den Blick. Sie nehmen sich im Verhältnis zu den Filmen
ausgesprochen dünn aus. Was gänzlich in ihnen fehlt,
ist jeder Hinweis auf die visuelle Umsetzung. Weder finden
sich Kameraanweisungen, noch Hinweise auf Perspektiven. Nicht,
weil Kubrick sie schon im Kopf gehabt hätte und sie deswegen
nicht mehr hätte aufschreiben müssen, sondern weil
er sie vielmehr nicht im Kopf hatte. Kubrick war nicht in
erster Linie Regisseur, in erster Linie war er ein Suchender.
Zu Kubricks Konzept von Wahrheit und Wahrhaftigkeit gehörte
es, erst den Inhalt eines Films, einer Szene möglichst
ausführlich und prägnant zum Tragen kommen zu lassen,
dazu gehörte die Geschichte, aber auch das Spiel der
Darsteller. Erst am Schneidetisch, so schrieb sein kenntnisreicher
Vertrauter, der britische Filmkritiker Alexander Walker, bemühte
sich Kubrick zu verstehen, was er gedreht hatte, und hier
offenbart sich, welche Art von Künstler er war: Kein
ästhetischer Schmock, der seine visuellen Versionen über
jedweden Inhalt stellt, und daher mit manchen fragwürdigem
Inhalt verband; kein Prediger, der seine Wahrheiten immer
schon außerfilmisch für sich deklamieren konnte,
sondern ein Suchender. Seine Filme sind Resultate eines Suchens
nach sich selbst. Ein Drehbuch war höchstens eine grobe
Skizzierung des Weges. Manchmal fehlte es an einem Drehbuch,
wie im Fall der nicht verwirklichten Verfilmung von Louis
Begleys "Wartime Lines", sogar gänzlich. Es
gehört zur Logik des Suchens, dass nach dem beendeten
Film - im Genre, im Thema, in der Wahl der Darsteller - der
radikale Neuanfang stand. Die Angst Kubricks, sich zu wiederholen,
war nicht einer Originalitätssucht geschuldet, sondern
entsprang dem Drang der Suche nach sich selbst.
Der "Sucher" Kubrick wird noch sichtbarer an jenem
Gegenstand, der mit Recht zum Stolz der Ausstellung zählt:
Der ominöse, geheimnisumwitterte Karteischrank zu dem
berühmtesten aller nicht gedrehten Filme: Dem Napoleon-Film,
den Kubrick über Jahre verfolgt, und bis zur Drehreife
entwickelt hat, und den er dennoch nicht hatte drehen können.
Auch das Napoleon-Projekt war eine Suche, eine Suche nach
dem Genie, und der Ursachen der Fehlbarkeit selbst eines Genies
wie Napoleon. Über die Gründe des Scheitern dieses
Projekts mag man spekulieren, da hat vordergründig der
Zufall eines kurz vorher gefloppten Napoleonfilms Ausschlag
gegeben, der die Produzenten die Gelder zurückziehen
ließ.
Aber ein tieferer Grund mag auch daran liegen, dass der Spiegel
"Napoleon" für Kubrick zu identifikatorisch
war. Kubrick drehte nicht einfach Filme (wie andere Filme
drehen, in regelmäßigen Abständen), sondern
er "schuf" Filme, wobei der Schöpfungsprozess
durch den harten, gefrorenen Boden der Tatsachen ging. Hier
zeigt sich der Unterschied sogar zum späten Scorsese,
oder zu Spielberg: Ihr Blick, ihre Herangehensweise ist von
vornherein "filmisch". Das führt zu manchmal
genialischen Ergebnissen, aber in allem Genialischen stellt
sich doch wieder ein Gefühl der Redundanz ein. Wie sie
filmen, ist manchmal neu und frappierend, aber was sie filmen,
ist, was wir bereits schon von der Welt zu wissen meinen.
Kubricks Genie bestand darin, dass er die Welt auch vom Inhalt
her aufbrach. Ein Großteil seiner über Jahre sich
hinziehenden Arbeit an einem Film bestand nicht darin, schon
nach (filmischen) Lösungen zu suchen (die er dann relativ
schnell fand), sondern Probleme erst überhaupt zu schaffen
und anzuhäufen, weil erst, wo es neue Probleme gibt,
es auch neue Lösungen geben konnte.
Allein, um sich das Sujet als Problem zu denken, benötigte
Kubrick seine jahrelange Vorbereitung. Dass Kubrick auch auf
der filmischen und technischen Seite derart erfindungsreich
und innovativ war, von der Zentrifuge in "2001"
bis hin zur Steady-Cam in SHINING (die wir, teils in Modellen,
auf der Ausstellung bewundern können), bis hin zu ästhetischen
Neuerungen (dem 2-Akt-Film bei FULL METALL JACKETT, des Gefrierens
von Zeit in BARRY LYNDON) lag eben vor allem daran, dass Kubrick
nicht nur die Welt aufbrach, sondern sich diese wiederum neu
erfand, und als Neuerfinder sich wie ein Schöpfer verhalten
musste, woher sich auch seine Akribie und seine Detailversessenheit
erklärt. Wie hätte sich aber Kubrick die Welt eines
Genies bauen können, die soviel ähnliche Züge
mit seiner eigenen Welt besaß, und die daher im Grund
schon existierte? Wenn die Suche auch nach Napoleons Scheitern
eine Suche nach sich selbst war, wie hätte sich Kubrick
dann darin finden können, und - was hätte er gefunden?
Vielleicht mag ein mythologischer Grund des Scheitern des
Napoleons-Films darin bestehen, dass Kubrick ahnte, dass dieser
"beste Film alle Zeiten" ein napoleonisches Vorhaben
war, das für ihn auch in dem Desaster eines Russland-Feldzuges
hätte enden können.
Die Fotos, die Drehbücher, der Karteikasten, in dem
sich wie in einem Aggregatzustand seine Arbeitstätigkeit,
sein manisches Suchen, materialisiert hat, all diese Gegenstände
laden dazu ein, sich tiefer in Werk und auch in die eigene
Erinnerung der einst gesehenen Filmbilder zu versenken. Hätte
es die Ausstellung dabei belassen, solches Anschauungsmaterial
vor Augen zu stellen und hätten sie sich damit begnügt,
uns weitere sachdienliche filmanalytische Hilfen zu geben,
wie etwa dem gelungenem halbstündigen Zusammenschnitts
von Filmszenen, in dem uns an ausgewählten Beispielen
eine Vorlesung über die Kubricks Behandlung der Musik
gegeben wird, es wäre eine große Ausstellung zu
einem großen Filmkünstler geworden.
Leider aber bescheiden sich die Ausstellungsmacher nicht
in ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu ihrem Gegenstand, sondern
entwickeln den fatalen Ehrgeiz, sich sozusagen gleich zu gleich
zu setzen, wodurch die Ausstellung einen Beigeschmack bekommt,
aus dem man erst mit der Zeit die Geschmacksrichtung herausschmeckt.
Diese geheime intentionale Ausrichtung zeigte sich dort, wo
über die bloße Anordnung des Nachlasses hinausgegangen
wird, und die Ausstellungsmacher zu inszenieren beginnen.
Das Konzept der Ausstellung, zu je einem Film einen Raum zu
schaffen und dort die entsprechenden Gegenstände, Drehbücher,
Filmausschnitte der jeweiligen Filme zu zeigen, ist zunächst
so schlicht wie schlüssig. Auch spricht nichts dagegen,
die Originalrequisiten in den Räumen unterzubringen -
außer vielleicht, dass Original-Requisiten an sich schon
desillusionierend wirken. Die Axt aus SHINING, die Kostüme
aus BARRY LYNDON, die Puppe des Sternenkinds aus "2001",
der Nachbau der Sitzmöbel der Milchbar aus CLOCKWORK
ORANGE, all diese Gegenstände fallen, entkleidet, von
Farbe, Licht, Musik und ihrer innerfilmischer Bedeutung wieder
auf sich selbst zurück. Die Ansammlung dieser Requisiten
wirkt so, als würde man die Geraderobe eines Zauberers
plündern, ohne in den sinnfälligen Genuss seiner
Tricks kommen zu können.
Aber auch eine solche Desillusion macht ja wiederum lehrhaft
Sinn, sie offenbart die Lücke, die zwischen der Gegenständlichkeit
der Welt und der Verzauberung durch die Imagination klafft,
und lässt damit die Abwesenheit des Zauberers schmerzlich
sichtbar werden.
Das Fatale besteht nun darin, dass die Ausstellungsmacher
diese Lücke selbst meinen schließen zu können,
ja zu müssen. Keine Ausstellung, so heißt es im
Katalog, könne es vermeiden, ihren Gegenstand zu kommentieren.
Nach dem Motto, was sich nicht vermeiden lässt, tun wir
erst recht, heißt es weiter: "Doch fordert ein
Regisseur wie Kubrick, der im eigenen Kino der Erzählung
und dem sprachlichen Kommentar zum eigenen Werk derart misstrauisch
gegenüberstand, dazu auf, die in der Deutung gewählten
Mittel eigens zu reflektieren. Weil sich des Regisseurs ästhetischer
Einsatz gänzlich auf die evokative Macht der eigenen
Bilder verlässt, setzt die Ausstellung auch auf deren
Verdichtung in szenischen Installationen".
Dies ist in der Tat ein Kommentar, der Misstrauen verdient
hat. Wieso hätte Kubrick, der Fortentwickler des klassischen
Geschichtenerzählens, der Erzählung misstrauen sollen?
In mindestens zwei seiner Filme lässt er einem Off-Erzähler
breitesten Raum. Wieso hätte Kubrick vom Wissenschaftler
verlangt, selbst statt eines informativen Kommentars auf die
"evokative Macht" von Bildern zu setzen?
Natürlich ist das alles nicht "so" gemeint,
denn natürlich lassen sich die Kuratoren bei aller scheinbaren
Distanz zum Wort nicht davon abhalten, im Katalog höchst
wort- und kommentarreich ellenlange Bedeutungs-Exegese zu
betreiben. Aber dieser Kommentar dient nur der Selbsteinladung,
es Kubrick praktisch gleich zu tun. "Verdichtung"
ist ja nun mal kein erkenntnishafter, sondern ein künstlerischer
Vorgang, und Ziel ist es, Kubricks Filme in "räumlichen
Allegorien" zu verdichten.
Konkret sieht das so aus, dass beispielweise der Raum zu
BARRY LYNDON mit einem Requisiten-Fundus, den man in jedem
Stadttheater findet - Reisetruhe und Samtvorhängen -,
ausgestattet wird, wodurch ein Verdichtungseffekt entsteht,
der sich zu BARRY LYNDON verhält, wie Bad Segeberg zu
den Karl-Filmen verhält (aus der Erlebniswelt eines 7jährigen
gesehen). Manifest wird die Abkehr von wissenschaftlicher
Analyse und hin zur freien Entfaltung künstlerischer
Energien in einer Art besonders kreativen Einfalls: In BARRY
LYNDON hat Kubrick bekanntlich die Landschaften nach dem Vorbild
der Landschafts- und Porträtmalerei des 18. Jahrhunderts
nachgestaltet, ein Stilmittel, dass unter anderem für
den Eindruck der Distanz verantwortlich ist, in der uns die
Menschen des Films entrückt scheinen. Anstatt nun also
das zu tun, was aus wissenschaftlicher Sicht spannend und
aufschlussreich wäre, nämlich die Kopien der Gemälde
von Malern, die Kubrick sich zum Vorbild bei seinen Bildkompositionen
erhoben hat, neben Szenenfotos zu hängen, werden nun
vergrößerte Szenenbilder aus BARRY LYNDON einfach
in Goldrahmen gesteckt, wodurch diese, wie die Kuratoren sich
erhoffen, "wie Ölgemälde" wirken. Selbst
wenn sie so wirken würden, so würden sie doch nur
so wirken, wie sie in BARRY LYNDON bereits schon auf jeden
Zuschauer wirken, und wie sie auch jeder Zuschauer an sich
beschreiben kann, und zwar gänzlich ohne die zusätzliche
und lächerliche Kommentierung durch die Einrahmung in
Gold.
Zu allem Überfluß verfälschen die Goldrahmen
die Wirkung der Filmkompositionen, da diese die Bilder hin
zu "Gemälden" vereindeutigen, wohingegen der
suggestive Zauber der Szenenbilder in Kubricks Film gerade
in deren Doppelwertigkeit liegt, zugleich "wie ein Gemälde",
wie aber in filmillusionistischer Hinsicht "echt",
abgefilmte Natur zu sein. Das Ganze ist so bar jeden Sinns,
bar jeder Reflektion, und überdies von einer derart geschmacklichen
Fragwürdigkeit, dass man sich am liebsten mit dem Kinderlied
"Die Wissenschaft hat festgestellt, festgestellt, festgestellt...."
ablenken würde.
Dies ist nun keine einmalige Entgleisung, sondern System.
Es dominiert nicht allein die Absicht, die Grenzen zwischen
Kunst und Wissenschaft zu verwischen, sondern der Wunsch,
sich über diese Verwischung das Werk Kubricks möglichst
ohne Umwege, ohne inhaltliche und moralische Rückbestände
einzuverleiben. Indem man sich zur Ästhetik Kubricks
nicht mehr aufklärerisch, kommentierend, analytisch,
sondern in der Hauptsache nur noch ästhetisch verhält,
trivialisiert man nicht nur umgekehrt dessen eigene Ästhetik
- denn alle Nachahmerei muss ja hinter Kubrick selbst notgedrungen
zurückbleiben -, sondern man raubt der ästhetischen
Form auch Inhalt und Wirkung, von deren Sprengkraft doch die
reiche Rezeptionsgeschichte Zeugnis ablegt.
Es ist bezeichnend für den Versuch, sich die Ästhetik
Kubricks einzuverleiben, dass in der Ausstellung von den Erschütterungen,
die die Filme Kubricks regelmäßig ausgelöst
haben, so gut wie gar nichts mehr zu sehen ist. Natürlich
vergisst man nicht, den Skandal um CLOCKWORK ORANGE zu erwähnen,
und im Raum zu LOLITA findet man zwei Briefe christlicher
Fundamentalisten, die ihre moralischen Bedenken anmelden.
Aber dies sind natürlich Reaktionen aus Lagern, die schon
damalige Intellektuelle und Filmschaffende eher müde
lächeln ließen.
Was aber unterschlagen wird, ist die Tatsache, wie groß
die moralische und ästhetische Provokation der Filme
auch für die Intelligenzija war. Hat es das Werk Kubricks
nicht verdient, auch mit den kritischen Stimmen aus dem aufgeklärten
Publikum "ausgestellt" zu werden, weil diese doch
zeigen, dass die Filme Kubricks eine ernsthafte Auseinandersetzung
wert sind? Warum keine Pauline Kael erwähnen, die im
"New Yorker" gegen BARRY LYNDON Kubrick Kälte
gegenüber seinen Figuren vorwarf, und die Blutleere und
Langeweile des Films beklagte? Warum nicht den feingeistigen
Kritiker und Drehbuchautor Reinhold Baumgart erwähnen,
der CLOCKWORK ORANGE ernstlich mit Postfaschismus in Verbindung
brachte? Oder das Urteil eines Ulrich Gregor, Begründer
des "Jungen Forums" der Berlinale, der denselben
Film in seiner "Geschichte des Films ab 1960" als
ein, "prätentiöses, soziologisches Traktat,
angereichert mit unnötigen Grausamkeiten und Monstrositäten"
beurteilte? Hätten es diese und andere zeitgenössische
Kritiker nicht verdient, auch vor den Ohren und Augen heutiger
Kubrick-Fans herbeizitiert zu werden, schon um zu zeigen,
in welchem Ausmaß die Ästhetik dieser Filme auch
manche intelligenten Zeitgenossen herausforderte, die im Umgang
mit Kunst und Ästhetik doch sicherlich geübt waren?
Anstatt die Ikonographisierung der Ästhetik Kubricks
zu betreiben, wäre vielleicht mit Hilfe dieser Stimmen
noch mal bewusst geworden, in welchem Ausmaß die Filme
Kubricks nicht nur damals, sondern auch heute noch eine Zumutung
für ein alltägliches Verständnis der Welt sind,
und sich daher jeder profanen Einverleibung widersetzen. Denn
was Kubrick tatsächlich zum Genie macht, ist eben nicht
eine leere Virtuosität, sondern die Außergewöhnlichkeit
seiner Sichtweise, und die Konsequenz, diese Sichtweise in
eine rein ästhetische Form umzusetzen. Der Form aber
hängt ein bestimmter Blick auf das Leben an, der dafür
Sorge trägt, dass wir mit unserer alltäglichen Sichtweise
über Kreuz geraten.
Deshalb werden diese Filme immer einen inneren Skandal in
unserem Gefühls- und Moralhaushalt auslösen: Die
Landschaften in BARRY LYNDON nach Gemälden zu komponieren,
gehorcht nicht einer schönen, hübschen Ausstattungsidee,
wie es die "Installation" der Ausstellungsmacher
suggeriert, sondern birgt als ihren Inhalt die desillusionierende
und schwer zu tragende Einsicht in die Entfernung und damit
der Uneinholbarkeit der Vergangenheit, und damit in die Unüberwindbarkeit
des Todes (womit Kubrick die übliche Illusion eines Historienfilms
geradezu ins Gegenteil verkehrt). LOLITA ist trotz, oder vielleicht
gerade wegen der Entbehrung eines Sex-Skandals eine Einübung
in die Einsicht in den unauslöslichen Zusammenhang von
Lust und Zerstörung. Selbst DR.STRANGELOVE, der sich
in seiner satirischen Darstellung der Atomkriegs-Gefahr mit
seinem Publikum wie kaum ein anderer Film einig wissen konnte
(und sofort ein Kassenschlager war), fordert uns nicht nur
selbst ein doch ziemlich groteskes Lachen ab, sondern nötigt
uns in dem suggestiven Zusammenspiel von sanfter, verführerischer
Melodie und der Explosion der Atombombe auch die Einsicht
in die Schönheit des zerstörenden Atomplizes ab.
SHINING und EYES WIDE SHUT schließlich sind, sofern
man dies überhaupt auf einen solchen allgemeinen Punkt
bringen will, Reisen in die Macht des Unbewussten und der
eigenen Irrationalität.
Schließlich CLOCKWORK ORANGE: Ich glaube, dass die
eine Seite der Morallehre dieses Films mittlerweile allgemeine
Akzeptanz gefunden hat, nämlich die, dass es besser ist,
das Böse zu akzeptieren, statt Menschen zu schaffen,
die dieser Wahlmöglichkeit beraubt sind; eine Lehre,
die immerhin die Einsicht in das Vorhandensein und die Notwendigkeit
des Bösen in der Welt einfordert. Die andere, düstere
Seite der Morallehre dieses Films ist meiner Ansicht nach
die aber noch völlig verdrängte Lehre über
die Ursache des Bösen. Das Böse kommt in CLOCKWORK
ORANGE nicht etwa aus der Gesellschaft (die ja im Zweifelsfall
immer die "Hölle der anderen" ist), sondern
speist sich aus derselben Quelle, wie das Gute. Die Gewalt
entspringt der Liebe zur Gewalt, so wie die Liebe zu "Ludwig
Van" der Liebe zur Musik entspringt. Das Böse wie
das Gute entspringen der Lust zum Leben, das Böse hat
keine andere Ursache ("Sie fragen ja auch nicht nach
der Ursache des Guten", wie Burgess seinen Helden Alex
in seinem Roman hämisch die vergeblichen Bemühungen
des Sozialarbeiters kommentieren lässt). Obwohl der Film
(wie der Roman) die Verbindung von Gewalt und Schönheit
gewissermaßen am Zuschauer selbst vorexerziert, indem
er den Zuschauer mittels seiner ästhetischen Mitteln
dazu überredet, seine moralische Abscheu vor den Vergewaltigungen
des Helden zumindest ein bisschen vergessen zu lassen, ist
es eben die verdrängte Lehre des Films, die sich bis
heute der Kanonisierung der "schönen Form"
dieses Films sperrt.
Man mag an diesem kurzen Abriß sehen, worin der immerwährende
"Skandal" der Filme Kubricks liegen wird. Es sind
nicht einfach "Kontroversen", die Wellen der Aufgeregtheit
auslösen, die mit der Zeit wieder verebben, es ist nicht
einfach eine allgemeine "Umstrittenheit", die sich
im Laufe der Jahre in Wohlgefallen auflösen lassen könnte,
es sind die sozusagen ontologischen Qualitäten der Filme
selbst, die ihnen in ihrer ästhetischen Form anhaften,
die keine Botschaften, aber Sichtweisen auf das Leben sind,
die uns in unserem alltäglichen Verhaftetsein in notwendigen
Illusionen immer wieder von Neuem erschüttern werden.
Dass Lust und Tod einen unauflösbaren Zusammenhang bilden;
dass von den Bildern der Zerstörung Schönheit ausgehen
kann; und dass umgekehrt aus der Liebe zu Schönheit auch
Gewalt entsteht; dass die Vergangenheit uneinholbar und der
Tod unüberwindbar sind, und dass wir letztlich von Mächten
bestimmt werden, die außerhalb der kontrollierenden
Funktionen der Vernunft liegen, sind Erkenntnisse, die man
wohl noch mit mancher wohlkredenzter Formulierung herunterzuspülen
vermag, die aber der Mensch in seiner Alltäglichkeit
kaum wirklich leben kann, und die er deshalb notwendigerweise
verdrängen muss. Um so mehr bedürfen wir Filme,
wie denen von Kubrick, um diese Erfahrung in unser Leben zurückholen
zu können. Das ist der Wert von Kunstwerken im Allgemeinen
und der Filme Kubricks im Besonderen.
Daher ist der wenn auch dilettantische Versuch der Inthronisierung
einer Ästhetik schon eine Aushöhlung der Ästhetik
selbst, und der eigentliche geheime Skandal der Ausstellung.
So wunderbar es ist, nun hinter all den Legenden und Filmen
auch den Charakter und der Persönlichkeit Stanley Kubricks
kennenzulernen, seine Freundlichkeit, seine Disziplin, aber
auch seine Unerbittlichkeit, mit der er seinen Produktionsdesigner
Ken Adams (und ihn wohl nicht als einzigen) fast in den Wahnsinn
trieb, so fatal kommt einem der Versuch vor, auch seine Filme
für unser Bewusstsein zu "verhäuslichen"
und damit aber jenen Werts zu berauben, der sie doch auszeichnet,
nämlich uns eine andere Sicht auf das Leben zu ermöglichen.
Dann doch lieber wieder das Lügenbild von Kubrick als
Wahnsinnigen, als einen Kubrick, der alle Sichtweisen erfüllt,
die der Filmanalytiker schon in seinen Begriffen und im Katalog
ausgebreiteten Allgemeinplätzen wie probat zur Verfügung
stehen. Die kurze Rede einer Vortragsrednerin bei der Eröffnung,
die in der Traube der Menschen gesichtslos zu mir schallte,
Kubrick hätte einen "Spagat" zwischen den populären
Film und den Kunstfilm versucht, womit sie zeigt, dass sie
ihr eigens kategoriales Denken auf Kubrick ohne Not projiziert,
sprach jedenfalls Bände.
Dennoch, trotz dieser Tendenzen der Ausstellung, setzen sich
die Filme Kubricks gegen solche Versuche zur Nivellierung
und Eingemeindung fast ohne Mühe zur Wehr. Schon wer
die kurzen Sequenzen der Ausstellung wahrnimmt, spürt,
welche Kraft diesen Filmen innewohnt; sie lassen sich nicht
einverleiben, jedenfalls nicht ohne die Lust, sich ihrer Sichtweise
auf das Leben hinzugeben. Daher braucht man vor dem Besuch
der Ausstellung nicht zu warnen - im Gegenteil: Wem die Filmbilder
Kubricks vertraut sind, wird sie die Ausstellung ohne Mühe
wieder lebendig werden lassen. Noch wissen sich die Filme
Kubricks solcher Einverleibung zu erwehren. Zu sehen, dass
die Filme diese Probe auf Exempels bestanden haben, ist ja
auch eine Erkenntniss, mit der man beruhigt nach Hause gehen
kann. Das ausgestellte Genie wehrte sich seiner Ausstellung.
Frank Müllers
P.S. Der Katalog zur Ausstellung ist leider nur bedingt empfehlenswert.
Zwar finden sich zum Hintergrund von Kubrick einige interessante
Texte; so z.B. ein Interview mit Ken Adam, ein weiteres mit
Chris Baker, dem Zeichner der Entwürfe zu "A.I.",
dazu einige durchaus informative Texte und Analysen, wie den
Aufsatz zu den Filmformaten und Kameras von Kubrick. Ansonsten
finden sich Beiträge die für die Selbstreferentialität
der Wissenschaft vielleicht hübsch sind (Moderne/Postmoderne
etc.), und die üblichen psychoanalytischen, soziologischen
Deutungen enthalten, aber erstaunlich wenig zum Verständnis
von Kubricks künstlerischem Schaffen beitragen. Beiträge
dieser Art lassen sich anderswo besser nachlesen. Empfohlen
sei dafür das von Alexander Walker, Sibil Taylor und
Ulrich Ruchti herausgegebenen Buch: Stanley Kubrick - Leben
und Werk (Henschel-Verlag). Ansonsten sollten Berliner Leser
die Filmreihe zur Ausstellung nutzen, die Termine sind auf
der Webseite zur Ausstellung www.stanley-kubrick.de
abrufbar.
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