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Zum letzten Mal wurde das Saarbrücker "Festival
Max Ophüls Preis" von Boris Penth geleitet. Jetzt
verlässt er aus privaten Gründen seine Position
- und hinterlässt seiner designierten Nachfolgerin ein
Festival, dem der Neuanfang aus einer schwierigen Startsituation
geglückt ist. In nur drei Jahren, nach spürbaren
Anfangsproblemen, gelang es dem bei Filmemachern wie Produzenten
schnell beliebten Penth, Saarbrücken wieder zu dem zu
machen, was es sein muss, um zu überleben: Ein Ort, an
dem möglichst viele wichtige deutschsprachige Filme,
auch abseits der wenigen Prestigeproduktionen Premieren feiern,
der auch für ausländische Fachbesucher attraktiv
ist, weil nur hier die breite Produktion des kommenden (Halb-)Jahres
früh zu sichten ist. Mit einem weitaus besseren Programm
als zuletzt in Hof und München, scheint die Zukunft des
kürzlich noch gefährdeten Festivals vorerst gesichert.
"Sicherheit ist jetzt absolut das große Thema
der Zukunft." - das sagt genau der Richtige: Marcel,
gespielt mit herrlicher Verve und Nervtöterei von Milan
Peschel, ist das Musterexemplar jenes Typus' mittelalter ostdeutscher
Männer, die, so scheint es, die großen Verlierer
der Wende von 1989 sind. Schon Edgar Reitz portraitierte in
HEIMAT 3 so einen Unglücksraben, jetzt steht er im Zentrum
von Robert Thalheims Film NETTO. Irgendwann lief Marcel die
Frau weg, natürlich mit einem reichen Wessi, von dem
sie jetzt ein Kind erwartet; Arbeit hat Marcel schon lange
keine, und so lebt er in seiner Wohnung am Prenzlauer Berg
zwischen wenig Hoffnung und viel Verzweiflung so in den Tag
hinein. Wenn er nicht seine Lieblingssongs von Peter Tschernig
hört, dem "Ostberliner Johnny Cash", träumt
er von einem Job als Personenschützer. Plötzlich
steht Sebastian vor der Tür, sein Sohn, der so genau
alt ist wie der Mauerfall, und will bei ihm wohnen. Bald fängt
Sebastian an, den Loser-Papa zu drillen, ihn mit altklugem
Gerede und Motivationstechniken aus dem Leistungskurs auf
Bewerbungsgespräche vorzubereiten, und man begreift schnell,
wie ähnlich sich beide im Grunde sind, in ihrer Art,
immer wieder um den heißen Brei herumzureden. Irgendwie
raufen sie sich aber schließlich zusammen, ohne dass
der Film bei aller Menschenfreundlichkeit suggeriert, dass
nun plötzlich alles gut wäre.
NETTO, gedreht ohne festes Drehbuch mit nur 4500 Euro in nur
12 Drehtagen - als Teil eines Filmschul-Experiments Rosa von
Praunheims - lässt für die Zukunft seines Regisseurs
Robert Thalheim sehr viel erhoffen: Eine herbe, stille, sehr
gut beobachtete und stellenweise auch ungemein witzige Komödie
über einen Mann am Rande des Nervenzusammenbruchs, die
immer ganz knapp an der Tragödie vorbeischrammt. Der
Film zu "Hartz IV", denn bei der kleinsten Enttäuschung
reißt das Sicherheitsnetz in Marcels Leben. Bei aller
Melancholie, die am Ende spürbar wird, bleibt der Film
doch irgendwie gut gelaunt. In Saarbrücken hatte NETTO
jetzt Premiere und gewann immerhin den Förderpreis, obwohl
allein schon seine herausragenden Darsteller mehr verdient
hätten - neben Peschel auch Sebastian Butz, der den Sohn
spielt und Stephanie Charlotta Koetz, als dessen Freundin
Nora. Die beiden haben eine wunderbare Szene, als sie einander
ihre Liebe gestehen wollen und es doch nicht wagen, und sich
Schweigen und Schüchternheit immer weiter hochschaukeln,
bis man es selbst als Zuschauer in seinem Sessel kaum noch
aushält.
Unter den deutschen Filmfestivals ist das von Saarbrücken
jenes mit der stärksten Konzentration auf den deutschen
Film, und hier wieder auf den Nachwuchs, der im Wettbewerb
um den angesehenen, mit 18.000 Euro dotierten "Max Ophüls
Preis" antritt. Daher ist Saarbrücken auch wie kein
zweites Festival abhängig vom jeweiligen Kino-Jahrgang.
Diesmal hatte man Glück. Zwar gab es keine Riesenüberraschung,
wie im Vorjahr MUXMÄUSCHENSTILL, dessen Erfolgsgeschichte
mit dem Wettbewerbssieg begann, doch sah man eine ganze Reihe
interessanter, guter Filme. Stärker, als noch vor wenigen
Jahren, stellen sich die jungen Filmemacher der Gegenwart,
beschäftigen sich mit der Welt, in der sie leben, und
finden in ihr auch Dinge, die nicht zum Komödienstoff
taugen. Es sind zwar immer wieder die Geschichten vom Erwachsenwerden,
dem Verhältnis zu den Eltern, erster Liebe und Kameradschaft
mit Gleichaltrigen - aber die Details der Stories, und die
Form, die man ihnen gibt, verändern sich kaum merklich
hin zu einem gebrocheneren Blick, der nicht mehr wegschaut,
wo es wehtut.
Das gilt mit gewissen Abstrichen auch für Lars Jessens
überraschenden Gewinnerfilm AM TAG, ALS BOBBY EWING STARB.
Eine stilistisch anspruchslose, nostalgiegetränkte Zeitreise
in die 80er, als "AKW nee"-Sticker auf dem Auto
klebten und man vor Atomkraft und Waldsterben Angst hatte.
Jessen verschmilzt private und öffentliche Geschichte,
und erzählt von einer Mutter, die mit ihrem Sohn in eine
Landkommune beim Kernkraftwerk Brockdorf zieht. Es ist lustig,
Peter Lohmeyer zuzusehen, wie er mit schulterlangen Haaren
in Ökoklamotten Windräder aufstellt und statt "imperialistischem"
Bohnkaffee ein Getreidegebräu trinkt. Als Provinzportrait
und Coming-of-age-Komödie mit überaus witzigem Set-Design
funktioniert der Ensemblefilm auch sehr gut - so politisch,
wie er gerne wäre, ist er aber nicht. Das inzwischen
auch im Kino gern praktizierte 68er-bashing mündet in
ein Plädoyer für das Unverbohrte, das am Ende etwas
recht Diffuses hat - als ob die 68er auch noch daran schuld
wären, dass heute alle unpolitisch sind.
Gelungener waren zwei andere Wettbewerbsfilme. Florian Schwarz
gewann den ebenfalls hochdotierten Drehbuchpreis für
seinen mit nur 80.000 Euro produzierten Noir-Thriller KATZE
IM SACK. Dabei war das komplizierte Script noch der schwächste
Teil an einem märchenhaften Film, der vor allem visuell,
mit herausragender Kamera, sehr gutem Schnitt und Musik sowie
ansprechenden Darstellern - der aus dem TV bekannte Walter
Kreye endlich einmal im Kino - überzeugt. Der Film verknüpft
unter ständigen Perspektivwechseln das Schicksal von
drei Personen, die sich in einer Nacht in Leipzig begegnen.
Am besten gelungen ist eine virtuos inszenierte Barszene,
in der alle drei aufeinander treffen, bevor jeder seiner Wege
zieht. Es geht um Einsamkeit, Grenzüberschreitung, vielleicht
auch Sehnsucht. KATZE IM SACK macht sogar noch die richtigen
Fehler, ist jederzeit wirkliches Kino, das sich von aller
Fernsehästhetik gelöst hat, und schon durch seinen
Mut, mit Konventionen zu brechen, Spaß macht. Im Einzelnen
nicht ohne kleinere Schwächen ist das Ganze ein großer
Wurf.
Das kann man auch von KOMBAT SECHZEHN von Mirko Borscht sagen,
der zum kleinen Skandalfilm wurde, weil sich Jurymitglied
(und Vorjahressieger) Markus Mittermeier daneben benahm und
unter Protest vieler Zuschauer bereits im Kinosaal für
alle hörbar über den Film echauffierte - ein peinliches
Fehlverhalten, der inhaltlich absolut deplaziert war - "Faschistische
Ästhetik" wetterte Mittermeier gegen den Film -,
und im nachhinein noch all jenen recht gibt, die schon im
letzten Jahr meinten, der Kopf hinter MUXMÄUSCHENSTILL
sei in Wahrheit nicht der Regisseur, sondern Hauptdarsteller
Henning Stahlberg. Als Mittermeier dann noch lauthals verkündete,
er werde verhindern, dass der Film einen Preis bekomme, fragte
man sich, ob denn am Ende nur einer entscheidet, und alle
anderen nach Mittermeiers Pfeife tanzen. Die Entscheidung
am Ende bestätigte diesen Eindruck.
Im Stil von AMERICAN HISTORY X taucht Borscht ein in die Jugendkultur
ostdeutscher Neonazis. Der Film, dessen Drehbuch übrigens
mit Jana Erdmann von einer Frau geschrieben wurde, zeigt -
glücklicherweise ohne voreilige Distanzierung und moralischen
Zeigefinger - Gewalt als Bestandteil heutiger Jugendkultur,
und nimmt sich ernsthaft und durchaus differenziert der Frage
an, warum ein 15jähriger zum Skinhead wird. Einige Taekwondo-Kampfszenen
sind hervorragend und elegisch gefilmt. Dabei ist KOMBAT SECHZEHN
ein Gegenstück zu einem Film wie "Napola",
der allen visuell unschönen Seiten seines Themas ausweicht,
oder sie durch Weichzeichner und Kitschmusik überspielt.
Borscht macht sich nicht mit der Szene gemein, ist in seinem
Urteil immer klar, aber er hat mehr Fragen als Antworten.
Trotzdem ging KOMBAT SECHZEHN ohne Preis aus - wohl auch weil
der vom ZDF mitfinanzierte Film zwar über weite Strecken
sehr gelungen inszeniert ist, aber doch ein paar Kolportageelemente
und überzeichnete Szenen den starken Gesamteindruck trüben.
Esther Gronenborn gelang einst mit ALASKA.DE ein bravouröses
Debüt. In ADIL GEHT stehen wieder Jugendliche, ihr Lebensgefühl
und ihre Musik im Zentrum. Diesmal sind es allerdings vor
allem Moslems und Roma aus dem Kosovo, die im thüringischen
Altenburg als geduldete Flüchtlinge leben. Der Alltag
ist von der Spannung zwischen Familientradition und deutscher
Wirklichkeit geprägt - auch Altenburg hat die Moderne,
haben Krise und Hartz IV. längst erreicht. Einen keinen
Fluchtpunkt bildet die HipHop-Musik, wo ein paar Jungs einen
gemeinsamen Breakdance-Wettkampf vorbereiten. Da erreicht
eine Familie der Abschiebungsbeschluß
Mit viel Sensibilität spürt Gronenborn ihren Figuren,
deren Sorgen und Träumen nach. Trotz unverhohlener Sympathie
schaut sie auch dort nicht weg, wo es unangenehm wird, ohne
aber ins Moralisieren zu verfallen. So zeigt sie, das zwiespältige
Verhalten der Jungs gegenüber ihren deutschen Freundinnen
- zwischen echtem Gefühl und Heuchelei, etwa wenn einer
seiner Freundin verheimlicht, dass er von seiner Familie längst
verheiratet wurde. Sehr nüchtern konstatiert Gronenborn
auch die Folgen die deutsches Recht auch unter liberalisierten
Bedingungen dort hat, wo seine Anwendung hautnah spürbar
wird: Mag es auch Gründe für die Abschiebung geben,
begreift der Zuschauer, das die betroffene Familie in ihrer
"Heimat" keine gute Zukunft hat. Immer wieder taucht
ADIL GEHT in das Lebensgefühl seiner Figuren ein, verliert
sich in der Musik, beweist viel Gefühl für Jugendkultur
- nur wirkt er Film insgesamt etwas illustrativer, weniger
aus einem Guß, als Gronenborns Erstling. Fast erzählt
sie zuviel auf einmal. Im Grunde will und muss man noch mehr
sehen, damit ADIL GEHT perfekt funktionieren würde. Zudem
ist die Tugend des Films - seine Nähe zu den Figuren
- auch ein Problem: Etwas mehr Abstand zu manchen Mythen von
Blut und Kameradschaft hätte gut getan, auch wenn jederzeit
klar bleibt, das dies vor allem großmäuliges Jungs-Gerede
ist, hinter dem sich - nur allzu berechtigte - Angst verbirgt.
Ein letztes Glanzlicht des Wettbewerbs kam aus Österreich.
HOTEL von Jessica Hausner (LOVELY RITA) taucht in den dunklen
Wald und, wie zuletzt manch anderer Film, in die Atmosphären
klassischer Märchen ein, dekonstruiert sie, und entdeckt
dabei den Horrorfilm neu als Sujet des Autorenkinos - was
die Jury ganz offenkundig überforderte. Irene (glänzend
gespielt von Franziska Weisz) kommt als Lehrling in ein Berghotel.
Bald häufen sich die Merkwürdigkeiten, und sie beginnt
dem Schicksal ihrer Vorgängerin nachzuspüren, die
wie sich herausstellt, spurlos verschwand. Hausners sehr präzise
Bilder rühren ans Unterbewusstsein des Zuschauers und
sperren sich gewollt jeder schnellen Aktualisierung. Dafür
erlebt man in Hotel ein Kino, das souverän mit mythischen
Erfahrungen und existentiellen Abgründen spielt, und
insofern über jede Gegenwärtigkeit hinaus und ohne
Verklärungen versucht, sich der Condition Humaine zu
stellen - ein Anliegen, dass der deutsche Film erst allmählich
wieder für sich entdeckt.
Rüdiger Suchsland
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