Willkommen in der Wirklichkeit: Katerstimmung beim österreichischen
Filmfestival "Diagonale"
Im Kräftemessen mit dem Wiener Kunststaatssekretär
Franz Morak (ÖVP) hat sich die österreichische Filmszene
im Vorjahr mit einhelliger Widerständigkeit durchgesetzt.
Mit einem spontan aus dem Boden gestampften Gegen-Festival
zwang man Morak, der die erfolgreiche Diagonale-Intendanz
gefeuert hatte und dem Grazer Festival - am Höhepunkt
des österreichischen Filmbooms (mit Preisen in Cannes
und Venedig) - eine inhaltliche und kommerzielle Neuausrichtung
verordnen wollte, in die Knie. Ein Jahr später ist jetzt
der Rauch über den Grazer Kinos verzogen: Mit der "Diagonale
2005" konnte das neue Intendantenkollektiv erstmals wieder
mit vollem Budget und ohne Hektik ans Werk und das Festival
wieder in gewohnter Ruhe über die Bühne gehen.
Nach der Euphorie des Vorjahres hat sich jedoch auch allgemeine
Ernüchterung breit gemacht. Die neue Festivalleitung
hat ein schwieriges Erbe angetreten, und es war klar, dass
die Rückkehr zur Normalität nicht ohne Reibungsverluste
vor sich gehen würde. Dennoch geht die Kritik mit der
Diagonale im Jahr eins nach dem "Ausnahmezustand"
hart ins Gericht: Von "ästhetischer Aufweichung
und politischer Entschärfung" ist da die Rede ("Die
Presse") und davon, dass das Festival "programmatisch
unübersehbar ausgedörrt" und "schon ziemlich
zahnlos" geworden sei ("Der Standard").
Das Programmniveau ist in der Tat gegenüber früher
merklich abgesackt. Den Mangel an Spielfilmen und Höhepunkten
wollte man offenbar mit einem Überangebot an Kurzfilmprogrammen
wettmachen und hat dabei leider so manchen Fehlgriff riskiert.
In einer überschaubar kleinen Filmbranche wie der österreichischen
lässt es sich nicht so leicht kaschieren, wenn unter
den Produktionen des jüngsten Jahrgangs einmal keine
große Namen aufscheinen. Zudem hat es das ehemalige
Intendantenduo meisterhaft verstanden, im Spagat der verschiedenen
Formate, der zur Visitenkarte des Festivals geworden ist,
die Balance zu halten und Video und Avantgarde, Kurz- und
Langfilm, Dokumentar- und Erzählkino unter einen Hut
zu bringen; der neuen Leitung hingegen fehlt hier einfach
noch die nötige Trittsicherheit.
Besonders schmerzt der Vorwurf, die Diagonale, die sich als
regierungskritische Plattform an vorderster Front profiliert
hatte, habe mittlerweile den politischen Rückzug angetreten.
Mit der etwas unglücklichen Auswahl des Eröffnungsfilms
("Crash Test Dummies" von Jörg Kalt) hat man
tatsächlich die Chance zu einem politisch akzentuierten
Auftakt vertan und mit dem Festivalmotto "... und alle
dürsten nach Liebe!" (scheinbar) die Parole zur
Rundum-Entpolitisierung ausgegeben.
Dabei war die neue Intendanz spürbar bemüht, an
ihre von Morak aus dem Amt gejagten Vorgänger anzuknüpfen.
Nach wie vor bietet das Festival den Nachwehen des energischen
Politisierungsschubs, der Österreichs Filmschaffende
nach dem Rechtsruck Anfang 2000 erfasst hat, ein würdiges
Podium (dass sich hier allmählich Ermattung einstellt,
ist schließlich nicht der Diagonale-Leitung vorzuwerfen).
Und der - durchaus politisch verstandene - Blick über
die Grenzen, der diesmal, neben der bekannten Schlagseite
Richtung Ost- und Südosteuropa (von Albanien und Bulgarien
bis Polen und Litauen), sogar den Bosporus überquert,
bewahrt das Festival davor, zum belanglosen Familientreffen
der nationalen Filmszene zu verkommen, die ihre alljährliche
Nabelschau betreibt.
Die Entscheidung, anstelle der bewährten Werkschauen
internationaler Regiegrößen mit der Türkei
einem Filmland Aufmerksamkeit zu schenken, das an der äußersten
Peripherie der kinomatografischen Weltkarte liegt, mag zwar
zweifelhafte Qualität auf die Leinwände gebracht
haben, als Wagnis ist sie jedoch zu begrüßen. Der
Großteil der hierfür ausgewählten Produktionen
gewährt Einblicke in die Spannungen und Widersprüche
der türkischen Gesellschaft: die Kluft zwischen Großstadt
und ländlicher Traditionsverhaftung, die Landflucht,
die Generationen und Familien auseinander reißt, den
Konflikt in Kurdistan und Zypern und die staatliche Repression,
die, wie in Tayfun Pirselimoglus "Hiçbiryerde",
verzweifelte Mütter nach ihren verschwundenen Söhnen
suchen lässt.
In auffallend vielen Filmen des regulären Programms
wendet man sich den Lebensumständen der Roma und Sinti
zu: in der Slowakei ("Romane Apsa"), in Rumänien
("Dallas Pashamende") und in Österreich ("Stefan
Horwath - Zigeuner aus Oberwart"). Doch vor allem mit
zwei Dokumentarfilmen wird die Diagonale dem Anspruch auf
"schwierige, unbequeme Bilder", zumindest inhaltlich,
gerecht: In "Artikel 7 - Unser Recht" zeigen Thomas
Korschil und Eva Simmler das jahrzehntelange, vergebliche
Tauziehen um die Durchsetzung der - eigentlich bereits im
Staatsvertrag von 1955 verbrieften - Minderheitenrechte der
Kärntner Slowenen. Und in "Operation Spring"
breiten Angelika Schuster und Tristan Sindelgruber die Hintergründe
eines österreichischen Justizskandals rund um die gleichnamige
Polizeiaktion gegen afrikanische Asylwerber minutiös
und mit voller Wucht vor einem aus: ein Film, der bei einer
etwas mutigeren Auswahl für den angemessenen Knalleffekt
am Eröffnungsabend hätte sorgen können.
Roman Urbaner
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