Innerhalb kurzer Zeit haben die Wochenzeitung DIE ZEIT, die
Süddeutsche Tageszeitung und das Magazin Der Stern jeweils
eine eigene DVD-Reihe mit einer Auswahl an Spielfilmen aufgelegt
(ZEIT und Süddeutsche mit je 50 Titeln, Stern mit 12).
Auch wenn man davon ausgehen muss, dass dieser auffälligen
Häufung vor allem Marketingüberlegungen zu Grunde
liegen, bieten die Reihen doch Anlass genug, sich einige Gedanken
über ihren (cineastischen) Sinn und Zweck zu machen.
Vorab muss man nüchtern feststellen, dass die Hauptmotivation
hinter allen drei Filmreihen eine rein wirtschaftliche ist.
In der heutigen Zeit verdienen Tankstellen das meiste Geld
mit Lebensmitteln, leben Kinos vom Erlös ihrer Snack-Bar,
verkaufen Baumärkte Bekleidung und Getränkemärkte
Elektrogeräte. Diese sogenannten Nebengeschäfte
haben auch die Zeitungen und Zeitschriften für sich entdeckt,
weshalb man in deren jeweiligen Shops vom Kaffeebecher bis
zum DVD-Player eine Vielzahl von nichtjournalistischen Produkten
erwerben kann.
Besonders erfolgreich war diesbezüglich im letzten Jahr
die (im Ausland bereits bewährte) Idee der Süddeutschen,
Literaturklassiker in einer einheitlich gestalteten Sammelreihe
unters Volk zu bringen. Angesichts des großen Erfolges
zog bald die Konkurrenz mit ähnlichen Projekten nach.
Eine Fortsetzung dieser Erfolge versprechen sich die Zeitungen
nun mit DVD-Serien, die einige (mal mehr, mal weniger) Klassiker
der Filmgeschichte vereinen.
Obwohl dieses Serien von filmkritischen Texten begleitet
bzw. vorgestellt werden, wollte doch keine der Zeitungen der
Eindruck erwecken, hier werde eine Art Kino-Kanon aufgestellt.
Vielmehr habe man Filme ausgewählt, die auf ihre Art
bahnbrechend, stilbildend oder sonstwie kinogeschichtlich
von Relevanz sind. Angesichts solch unbestimmter und vieldeutiger
Begriffe ist es dann auch unmöglich, die Auswahl der
Filme zu kritisieren. Tatsächlich finden sich unter ihnen
aber zahlreiche Meisterwerke, sehr viele gute Filme und der
Rest ist zumindest diskussionswürdig.
Was ist nun aber der cineastische Anspruch dieser Reihen
und was hat man als Filminteressierter davon?
Grundsätzlich sind diese Projekte zu begrüßen,
da sie in jedem Fall etwas zur Verbreitung und Vermittlung
der Filmkunst beitragen. Das ist wichtiger denn je, denn -
so paradox es auch klingen mag - trotz der Omnipräsenz
von Film und Kino, verschwindet die Filmkunst langsam aus
unserer Gesellschaft. Das Medium Film und damit auch seine
Berichterstattung und sein Einfluss auf unsere Gesellschaft,
leidet seit Jahren an einer inneren Spaltung, die zu dieser
widersprüchlichen Entwicklung führt.
So ist Film einerseits eine ernsthafte Kunstform mit dem
selben Anspruch wie etwa Literatur, Musik oder die Bildende
Kunst. Andererseits ist Film (bzw. Kino) aber auch Show, Unterhaltung
oder "Event". Das große Verhängnis besteht
nun darin, dass eigentlich jeder Film beide Aspekte enthält
(selbst wenn das Verhältnis 98 zu 2 ist), man aber beides
vollkommen voneinander getrennt betrachten kann bzw. soll
bzw. muss. Von der Allgemeinheit werden aber zunehmend nur
noch die Äußerlichkeiten wahrgenommen und diskutiert,
während die "inneren Wert", also die künstlerischen
Aspekte, immer mehr zu einem hermetischen Spezialgebiet (von
Kennern für Kenner) verkommt. So läßt sich
z.B. erklären, dass die Berichterstattung über Filmfestivals
wie in Berlin zwar große Aufmerksamkeit in den Massenmedien
und bei deren Publikum findet, dass aber die dort preisgekrönten
Filme bei ihrem Kinostart weit hinter den Besucherzahlen von
durchschnittlichen Mainstreamfilmen zurückbleiben.
Es stellt sich die Frage, ob die Sammelreihen von Süddeutsche
& Co. tatsächlich den ernsthaften (was keineswegs
gleichbedeutend mit akademisch-freudlos ist!) Umgang mit der
Kunstform Film fördern (wollen) oder ob sie ihrerseits
nur eine gehobene Form des kulturellen Devotionalienhandels
darstellen. Denn so lobenswert es ist, dass guten Filmen in
auflagenstarken Zeitungen in einem ansprechenden Rahmen und
mit intelligenten Texten eine neue Aufmerksamkeit beschert
wird, so fraglich ist es doch, wer sich davon angesprochen
fühlen soll und mit welchem Ergebnis.
Wer etwa glaubt, hier mit Hilfe der Meilensteine und Eckpfeiler
des Kinos einen Crashkurs in Filmgeschichte machen zu können,
der wird wohl enttäuscht werden. Ein Meilenstein singulär
betrachtet (selbst mit einem erklärenden Text als Hilfe)
bringt vielleicht ein cineastisches Erlebnis aber kaum einen
Erkenntnisgewinn über die Entwicklung des Kinos. Wenn
es wirklich so einfach wäre, könnte sich z.B. das
Münchner Filmmuseum seine umfangreichen Werkschauen und
Themenschwerpunkt sparen und nur noch die "Essenz"
zeigen.
Gerade beim Programm des Filmmuseums kann man lernen, dass
das Setzen von Schwerpunkten (in welcher Form auch immer)
in der Regel spannender und aufschlussreicher ist, als ein
kunterbuntes best-of Programm.
Nun kann man natürlich alle filmtheoretischen Überlegungen
hinter sich lassen und die Filme zum reinen Vergnügen
sammeln, schließlich ist z.B. Kubricks 2001 voranging
ein toller Film und eben darüber hinaus auch noch ein
bahnbrechendes Kunstwerk. Aber auch zur privaten Filmbibliothek
für schöne Heimkinostunden eignen sich die Filmreihen
nur bedingt, da sich (der unbestrittenen Qualität der
einzelnen Werke zum Trotz) durch die weit gestreute Auswahl
eine Genre-, Stil-, Sujetvielfalt ergibt, die selbst den Geschmack
von leidenschaftlichen Filmliebhabern streckenweise überfordert.
Womit man zu der Frage kommt, an welche Personengruppe sich
die Filmreihen richten. Cineastisch unbeleckte Menschen werden
von der anspruchsvollen Auswahl vermutlich überfordert,
echten Cineasten dagegen bieten sich hier kaum neue Erkenntnisse
oder Erfahrungen.
Am ehesten profitieren noch die moderaten und neugierigen
Kulturliebhaber, die ihre filmischen Kenntnisse vertiefen
wollen und verstärkt nach dem vielschichtigen Vergnügen
eines guten Filmes suchen. So ist es für Interessierte
dann wohl auch am sinnvollsten, weniger auf die gesamte Serie
abzuzielen, als vielmehr mit Hilfe der begleitenden Texte
einzelne Werke für sich (wieder) zu entdecken und so
einen ganz persönlichen Filmgeschmack zu entwickeln.
Dagegen das mit Abstand schlimmste Schicksal, dass die Film
der DVD-Reihen von ZEIT, Süddeutsche und Stern ereilen
kann, wäre es, wenn sie um der Vollständigkeit willen
oder aus kultureller Angeberei oder sonstigen niederen Gründen
gesammelt würden, um dann im Regal ungesehen zu verstauben.
Michael Haberlander
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