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05.05.2005
 
 
       

Die große Kunst der Dokumentation

Ein kleiner Einblick in das 20. Internationale Dokumentarfilmfest München (6.-14. Mai)

 
 
Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen ?
   
 
 
 
 

20 Jahre Dok.Fest! Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, dass das Fest des Dokumentarfilms jedes Jahr aufs Neue mit widrigsten Umständen zu kämpfen hat. Aber: Hurra, wir leben noch! Und dem Dokumentarfilm geht es nicht schlecht in den Zeiten von Moore, Sporlock und Co. Solche mainstreamigen Straßenfeger wird man beim Dok.Fest freilich vergeblich suchen.

Das Münchner Dokumentarfilmfest ist von Tradition her (man denke an die Zeiten von Gudrun Geyer) eines des politischen Bewusstseins und der kleinen Filme, die man sonst nicht zu sehen bekommt. Dies hat sich zwar ein wenig geändert mit der Leitung von Hermann Barth, der sein Festival als ein ausgesprochenes Publikumsfestival begreift, das alljährlich eine "Best of"-Auswahl des vergangen Jahrgangs nach München holt. So sind viele Filme, die dieses Jahr beim Festival laufen, auf anderen Filmfesten gesichtet worden, in Amsterdam, Berlin, Marseille, Wien, Locarno. Dazu kommt die große Zahl der Filmeinreichungen - dieses Jahr waren es wieder über 800 - die das Auswahlkomitee sichtet, was allen Filmen, auch denen unbekannter Regisseure, eine gerechte Chance gibt, auf dem Festival gezeigt zu werden. "Best of" also, nicht nur der großen Filmproduktionen, sondern auch der kleinen, unabhängigen Werke, die es wert sind, auf die Kinoleinwand zu kommen.

Dieses Jahr hat sich herausgestellt, dass trotz des Plakats, das leichte Filme zu versprechen scheint, der thematische Schwerpunkt doch eher ein ernster ist. Zahlreiche Dokumentationen befassen sich mit den Aus- und Nachwirkungen von Kriegen, so der erschütternde LOST CHILDREN von Oliver Stoltz und Ali Samadi Ahadi über Kindersoldaten in Uganda, oder AU RWANDA ON DIT… (IN RWANDA WE SAY…) von Anne Aghion über den Versöhnungsversuch zwischen Hutu und Tutsi, zehn Jahre nach dem Völkermord. Der israelische Film THIS IS WHERE MY DOG IS BURIED von Nir Keinan über einen Zwischenfall an der libanesisch-israelischen Grenze, greift ein Thema auf, das seit Jahren auf dem Dok.Fest eine wichtige Rolle spielt, dieses Jahr aber etwas zurückgehalten wurde.

Andere Länder sind diesmal stärker vertreten, so der Iran mit einer ganzen Palette von erstaunlichen Einblicken in die verborgene Seite des Gottesstaates. REGARDS SUR LE VOILE (THE VEIL UNVEILED) von Vanessa Langer ist eine vergnügliche Bestandsaufnahme der verschiedenen Möglichkeiten, modischen und soziologischen, sich mit Kopftuch oder Schleier zu bedecken, TABOU (ZOHRE & MANOUCHEHR) von Mitra Farahani enthüllt die vorehelichen sexuellen Praktiken in einer Gesellschaft, in der schon öffentliches Händchenhalten als Sünde gilt.

Das Dok.Fest will immer auch den künstlerischen Dokumentarfilm zeigen. Hier sieht man, wie sehr der Dokfilm dem Experimentellen und Avantgardistischen zugeneigt ist, wie er Freiräume schaffen kann für neue Formensprachen. Besonders erwähnenswert sind hier zwei Filme, die im österreichischen Kontext angesiedelt sind. Gustav Deutschs WELT SPIEGEL KINO ist ein meisterliches Foundfootage-Werk, das mit historischen Dokumentaraufnahmen aus den 10er und 20er Jahren und Ausschnitten aus Filmen, die zu jener Zeit im Kino liefen, kleine Mikroerzählungen entwirft über das Zusammenspiel von Kinomaschine und Weltbewusstsein - ein Zusammenspiel, dass auch für Godards HISTOIRE(S) DU CINEMA wesentlich ist. Ganz anders, aber nicht weniger experimentell ist Gerhards Friedls HAT WOLFF VON AMERONGEN KONKURSDELIKTE BEGANGEN? Hinter dem Film mit dem etwas sperrigen Titel verbirgt sich ein erhellender Essay über den wirtschaftlichen Auf- und Abschwung Deutschlands. In langsamen Kamerafahrten schweift Friedl über anonyme Landschaften der Bundesrepublik: Fußgängerzonen, Straßenzüge, Banken, Baustellen und Werkhallen. Seine Bilder sind zugleich banal und spektakulär, erfassen das deutsche Gewöhnliche und die deutsche Extravaganz. Dazu erzählt aus dem Off ein Sprecher in sonorer Tonlage von den Skandalgeschichten, in die Flick, Strauß, Thyssen, Krupp und Wolff von Amerongen verwickelt wurden. Sie häuften Kapital an, ihre Unternehmen florierten mit Deutschlands Wirtschaftsblüte und expandierten, dann kamen Fehlkalkulationen und der Ausverkauf der eigenen Fabriken, mit ihm die Demontage der blühenden Landschaften und die ganz persönlichen Abstürze.

20 Jahre Dok.Fest: Zu diesem Jubiläum gibt es erstmals eine Retrospektive, "Best.Doks", mit einer Auswahl von 20 Filmen aus den 20 Festivaljahren. Schon erstaunlich und allemal ein lohnender Rückblick, was auf dem Festival gezeigt wurde, auch unter schwierigeren Umständen. Ganz besondere Glanzstücke aus der Dokumentarfilmgeschichte sind Raymond Depardons SAN CLEMENTE über eine Psychiatrie bei Venedig und Viktor Kossakovskys BELOVY (THE BELOVS) über das lakonisch-melancholische Leben von Bauern in der UdSSR. Die politischen Filme der Retrospektive zeigen, wie stark auch diese Dokumentationen heute immer noch wirken und keinesfalls ein verblasstes Phänomen der Zeitgeschichte sind. LES VIVANTS ET LES MORTS DE SARAJEVO (DIE LEBENDEN UND DIE TOTEN VON SARAJVO) von Radovan Tadic bespricht auf ergreifende Weise den Balkankonflikt, DER SCHWARZE KASTEN von Tamara Trampe und Johann Feindt, von denen der vielbeachtete Film WEISSE RABEN über den Tschetschenienkonflikt im Wettbewerb läuft, ist eine Bestandsaufnahme über die psychologischen Machenschaften des Stasi-Apparats.

Zuletzt soll unbedingt noch auf die Filme aus Fernost hingewiesen werden. Seit Jahren kommen aus dem asiatischen Raum die interessantesten Spielfilme, nun zeichnet sich Stärke auch beim Dokumentarfilm ab. THE CONCRETE REVOLUTION von Xiaolu Guo ist ein wunderschöner Filmessay über die Urbanisierung Pekings, das sich für Olympia 2008 rüstet, mit stilistischen Anleihen bei den frühen Filmen Wong Kar-wais. JADE GREEN STATION des chinesischen Lyrikers Yu Jian ist ein ruhiger, fast schon meditativer Film über eine alte Bahnstation auf der Strecke zwischen Yunnan und Kunming in Vietnam. Hier wird der Kinozuschauer zum Beobachter: Der Film versinkt visuell in die Gelassenheit des Dorfes, lässt sich ein auf die Erzählungen der Bewohner, vertraut auf die Geräusche des Ortes, die eine eigene, natürliche Musikalität entwickeln. Ein Film, der ganz Antipode zu den rasanten Statements von Moore und Co. ist und der die Qualität von Festivals ausmacht, nämlich Filme zu sehen, die sonst nicht gesehen werden können.

Eine runde Sache, das Dok.Fest dieses Jahr, auch wenn man sich den einen oder anderen "abwegigen" Film dazugewünscht hätte, wie beispielweise jüngst bei der Diagonale in Graz. Aber - und das soll jetzt keine Publikumsbeschimpfung sein -man muss beim Münchner Publikum auf das Machbare setzen. Denn schließlich wollen wir - getreu der Plakate, die ein süffiges Festival versprechen - mit einem zufriedenen Publikum anstoßen können: Bei den Dok.Treffs in den Kunstarkaden, täglich von 17:30 bis 19:30 in den Kunstarkaden (Sparkassenstr. 3), wo sich die Gelegenheit bietet, mit den Regisseuren und den Machern des Festivals ins Gespräch zu kommen.

Dunja Bialas
Die Autorin ist Mitglied des Dok.Fest-Auswahlkomitees.

DOK.ROUTER:
Zentraler Kartenvorverkauf: Sparkassenstr. 3, 11:00-20:00 Uhr
Karten auch an allen MünchenTicket-Verkaufsstellen.
Akkreditierungsbüro: Bürgersaal im Filmmuseum, 11:00-18:00 Uhr
Kinos: FILMMUSEUM, ATELIER, RIO, MAXIM, GASTEIG VORTRAGSSAAL
Filme auch in der PINAKOTHEK DER MODERNE , jeweils um 17:30 Uhr

 

 

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