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20 Jahre Dok.Fest! Kaum zu glauben, wenn man bedenkt,
dass das Fest des Dokumentarfilms jedes Jahr aufs Neue mit
widrigsten Umständen zu kämpfen hat. Aber: Hurra,
wir leben noch! Und dem Dokumentarfilm geht es nicht schlecht
in den Zeiten von Moore, Sporlock und Co. Solche mainstreamigen
Straßenfeger wird man beim Dok.Fest freilich vergeblich
suchen.
Das Münchner Dokumentarfilmfest ist von Tradition her
(man denke an die Zeiten von Gudrun Geyer) eines des politischen
Bewusstseins und der kleinen Filme, die man sonst nicht zu
sehen bekommt. Dies hat sich zwar ein wenig geändert
mit der Leitung von Hermann Barth, der sein Festival als ein
ausgesprochenes Publikumsfestival begreift, das alljährlich
eine "Best of"-Auswahl des vergangen Jahrgangs nach
München holt. So sind viele Filme, die dieses Jahr beim
Festival laufen, auf anderen Filmfesten gesichtet worden,
in Amsterdam, Berlin, Marseille, Wien, Locarno. Dazu kommt
die große Zahl der Filmeinreichungen - dieses Jahr waren
es wieder über 800 - die das Auswahlkomitee sichtet,
was allen Filmen, auch denen unbekannter Regisseure, eine
gerechte Chance gibt, auf dem Festival gezeigt zu werden.
"Best of" also, nicht nur der großen Filmproduktionen,
sondern auch der kleinen, unabhängigen Werke, die es
wert sind, auf die Kinoleinwand zu kommen.
Dieses Jahr hat sich herausgestellt, dass trotz des Plakats,
das leichte Filme zu versprechen scheint, der thematische
Schwerpunkt doch eher ein ernster ist. Zahlreiche Dokumentationen
befassen sich mit den Aus- und Nachwirkungen von Kriegen,
so der erschütternde LOST CHILDREN von Oliver Stoltz
und Ali Samadi Ahadi über Kindersoldaten in Uganda, oder
AU RWANDA ON DIT
(IN RWANDA WE SAY
) von Anne Aghion
über den Versöhnungsversuch zwischen Hutu und Tutsi,
zehn Jahre nach dem Völkermord. Der israelische Film
THIS IS WHERE MY DOG IS BURIED von Nir Keinan über einen
Zwischenfall an der libanesisch-israelischen Grenze, greift
ein Thema auf, das seit Jahren auf dem Dok.Fest eine wichtige
Rolle spielt, dieses Jahr aber etwas zurückgehalten wurde.
Andere Länder sind diesmal stärker vertreten, so
der Iran mit einer ganzen Palette von erstaunlichen
Einblicken in die verborgene Seite des Gottesstaates. REGARDS
SUR LE VOILE (THE VEIL UNVEILED) von Vanessa Langer ist eine
vergnügliche Bestandsaufnahme der verschiedenen Möglichkeiten,
modischen und soziologischen, sich mit Kopftuch oder Schleier
zu bedecken, TABOU (ZOHRE & MANOUCHEHR) von Mitra Farahani
enthüllt die vorehelichen sexuellen Praktiken in einer
Gesellschaft, in der schon öffentliches Händchenhalten
als Sünde gilt.
Das Dok.Fest will immer auch den künstlerischen Dokumentarfilm
zeigen. Hier sieht man, wie sehr der Dokfilm dem Experimentellen
und Avantgardistischen zugeneigt ist, wie er Freiräume
schaffen kann für neue Formensprachen. Besonders erwähnenswert
sind hier zwei Filme, die im österreichischen Kontext
angesiedelt sind. Gustav Deutschs WELT SPIEGEL KINO ist ein
meisterliches Foundfootage-Werk, das mit historischen Dokumentaraufnahmen
aus den 10er und 20er Jahren und Ausschnitten aus Filmen,
die zu jener Zeit im Kino liefen, kleine Mikroerzählungen
entwirft über das Zusammenspiel von Kinomaschine und
Weltbewusstsein - ein Zusammenspiel, dass auch für Godards
HISTOIRE(S) DU CINEMA wesentlich ist. Ganz anders, aber nicht
weniger experimentell ist Gerhards Friedls HAT WOLFF VON AMERONGEN
KONKURSDELIKTE BEGANGEN? Hinter dem Film mit dem etwas sperrigen
Titel verbirgt sich ein erhellender Essay über den wirtschaftlichen
Auf- und Abschwung Deutschlands. In langsamen Kamerafahrten
schweift Friedl über anonyme Landschaften der Bundesrepublik:
Fußgängerzonen, Straßenzüge, Banken,
Baustellen und Werkhallen. Seine Bilder sind zugleich banal
und spektakulär, erfassen das deutsche Gewöhnliche
und die deutsche Extravaganz. Dazu erzählt aus dem Off
ein Sprecher in sonorer Tonlage von den Skandalgeschichten,
in die Flick, Strauß, Thyssen, Krupp und Wolff von Amerongen
verwickelt wurden. Sie häuften Kapital an, ihre Unternehmen
florierten mit Deutschlands Wirtschaftsblüte und expandierten,
dann kamen Fehlkalkulationen und der Ausverkauf der eigenen
Fabriken, mit ihm die Demontage der blühenden Landschaften
und die ganz persönlichen Abstürze.
20 Jahre Dok.Fest: Zu diesem Jubiläum gibt es erstmals
eine Retrospektive, "Best.Doks", mit einer
Auswahl von 20 Filmen aus den 20 Festivaljahren. Schon erstaunlich
und allemal ein lohnender Rückblick, was auf dem Festival
gezeigt wurde, auch unter schwierigeren Umständen. Ganz
besondere Glanzstücke aus der Dokumentarfilmgeschichte
sind Raymond Depardons SAN CLEMENTE über eine Psychiatrie
bei Venedig und Viktor Kossakovskys BELOVY (THE BELOVS) über
das lakonisch-melancholische Leben von Bauern in der UdSSR.
Die politischen Filme der Retrospektive zeigen, wie stark
auch diese Dokumentationen heute immer noch wirken und keinesfalls
ein verblasstes Phänomen der Zeitgeschichte sind. LES
VIVANTS ET LES MORTS DE SARAJEVO (DIE LEBENDEN UND DIE TOTEN
VON SARAJVO) von Radovan Tadic bespricht auf ergreifende Weise
den Balkankonflikt, DER SCHWARZE KASTEN von Tamara Trampe
und Johann Feindt, von denen der vielbeachtete Film WEISSE
RABEN über den Tschetschenienkonflikt im Wettbewerb läuft,
ist eine Bestandsaufnahme über die psychologischen Machenschaften
des Stasi-Apparats.
Zuletzt soll unbedingt noch auf die Filme aus Fernost
hingewiesen werden. Seit Jahren kommen aus dem asiatischen
Raum die interessantesten Spielfilme, nun zeichnet sich Stärke
auch beim Dokumentarfilm ab. THE CONCRETE REVOLUTION von Xiaolu
Guo ist ein wunderschöner Filmessay über die Urbanisierung
Pekings, das sich für Olympia 2008 rüstet, mit stilistischen
Anleihen bei den frühen Filmen Wong Kar-wais. JADE GREEN
STATION des chinesischen Lyrikers Yu Jian ist ein ruhiger,
fast schon meditativer Film über eine alte Bahnstation
auf der Strecke zwischen Yunnan und Kunming in Vietnam. Hier
wird der Kinozuschauer zum Beobachter: Der Film versinkt visuell
in die Gelassenheit des Dorfes, lässt sich ein auf die
Erzählungen der Bewohner, vertraut auf die Geräusche
des Ortes, die eine eigene, natürliche Musikalität
entwickeln. Ein Film, der ganz Antipode zu den rasanten Statements
von Moore und Co. ist und der die Qualität von Festivals
ausmacht, nämlich Filme zu sehen, die sonst nicht gesehen
werden können.
Eine runde Sache, das Dok.Fest dieses Jahr, auch wenn man
sich den einen oder anderen "abwegigen" Film dazugewünscht
hätte, wie beispielweise jüngst bei der Diagonale
in Graz. Aber - und das soll jetzt keine Publikumsbeschimpfung
sein -man muss beim Münchner Publikum auf das Machbare
setzen. Denn schließlich wollen wir - getreu der Plakate,
die ein süffiges Festival versprechen - mit einem zufriedenen
Publikum anstoßen können: Bei den Dok.Treffs
in den Kunstarkaden, täglich von 17:30 bis 19:30
in den Kunstarkaden (Sparkassenstr. 3), wo sich die Gelegenheit
bietet, mit den Regisseuren und den Machern des Festivals
ins Gespräch zu kommen.
Dunja Bialas
Die Autorin ist Mitglied des Dok.Fest-Auswahlkomitees.
DOK.ROUTER:
Zentraler Kartenvorverkauf: Sparkassenstr.
3, 11:00-20:00 Uhr
Karten auch an allen MünchenTicket-Verkaufsstellen.
Akkreditierungsbüro: Bürgersaal im Filmmuseum,
11:00-18:00 Uhr
Kinos: FILMMUSEUM, ATELIER, RIO, MAXIM, GASTEIG VORTRAGSSAAL
Filme auch in der PINAKOTHEK DER MODERNE , jeweils um 17:30
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