Nein, eine Überraschung waren die Entscheidungen bei der Vergabe des Deutschen Filmpreis' am Wochenende nicht. Dass Dani Levys Film ALLES AUF ZUCKER gehörig absahnen würde - damit konnte man schon nach Bekanntgabe der Nominierungen vor wenigen Wochen rechnen. Nun hat Levy nicht nur den angeblich besten deutschen Film des letzten Jahres gedreht, sondern auch das beste Drehbuch geschrieben, und die beste Regie geführt. Alles auf den größten Haufen - diese Tendenz zur Entdifferenzierung eines Preises musste man erwarten. Denn bei einer Massenabstimmung unter künstlerisch völlig unterschiedlichen Filmemachern die ohne jede geschmackliche oder inhaltliche Diskussion einfach für einen Filmtitel stimmen, muss sich naturgemäß der kleinste gemeinsame Nenner durchsetzen - in diesem Fall eben die harmlos nette Komödie ALLES AUF ZUCKER. Zwischenfrage: warum muss "der beste film" eigentlich zwangsläufig auch den besten Regisseur oder das beste Drehbuch haben? Ist nicht ein Regisseur, der aus einem schwachen Buch was macht, der bessere? Nur zum Beispiel.
ALLES AUF ZUCKER war eigentlich fürs Fernsehen entstanden - und dies ist die zweite Tendenz der diesjährigen Preisvergabe: Das Fernsehen dominiert das Kino stärker denn je. Ohne die meist namenlosen Redakteure der gebührenfinanzierten Anstalten geht fast nichts mehr im deutschen Film. Der eigentliche Sieger ist damit der WDR, der ironischerweise lange dagegen angekämpft hatte, dass Levys Film überhaupt im Kino gezeigt wurde.
Was schon an den Nominierungen überraschte, setzte sich auch beim Preisentscheid fort: Bernd Eichinger ist offenbar bei einem Großteil der deutschen Filmschaffenden nicht sehr beliebt. Denn "die Branche", auf die sich der Münchner Produzent so gern beruft, versagte Eichingers Herzensprojekt, dem Hitler-Melo DER UNTERGANG selbst den Schauspielpreis für Hauptdarsteller Bruno Ganz, mit dem man fest gerechnet hatte.
Insofern hat es zumindest auf den ersten Blick den Anschein, als hätte sich Eichingers zweites Lieblingskind, die Ausrichtung des Filmpreises durch die Deutsche Filmakademie, als Flop erwiesen. Nach jahrelanger harter Lobbyarbeit hatte Eichinger diese Akademie vor zwei Jahren mit Hilfe der schwachen, filmpolitisch völlig unbeleckten Kulturstaatsministerin gegen wichtige Stimmen der Filmbranche durchgesetzt. Sein offen benanntes Ziel war es gewesen, die unbequemen Entscheidungen der unabhängigen Jurys, die bis dahin den ältesten und höchstdotierten staatlichen Kulturpreis vergeben hatte zu vermeiden. Jetzt entscheiden die Mitglieder der vor allem zu diesem Zweck gegründeten Akademie. Immerhin 640 wichtige und weniger wichtige Filmschaffende gehören dazu - umgekehrt schrieben allerdings etwa 1000 Filmemacher Protestresolutionen gegen die Akademie, in der sie mit guten Argumenten vor allem einen Selbstbedienungsladen einiger weniger sehen. Renommierte Ex-Filmpreisträger wie Peter Lilienthal, Christian Petzold und Fred Keleman gehören zu dieser Ablehnungsfront, ebenso, wie fast alle ostdeutschen Filmemacher, die in der Akademie kaum vertreten sind.
Tatsächlich bot der diesjährige Filmpreis damit ein recht treffendes Bild des deutschen Films: Auf der einen Seite die Glamourfraktion, die sich vor allem selbst feiert, sich aber auch dabei höchst geschmacksunsicher zeigt: Krampfhafte Fröhlichkeit - "Lola, du bist eine geile Sau!" brüllte zum Beispiel Daniel Brühl -, Bully im unsäglichen Biene Maja-Kostüm als Verhöhnung jeden Kunstanspruchs, ein Bernd Eichinger, der zuerst mit dem Auftritt beim CDU-Empfang schon mal Beziehungspflege bei den erwarteten Wahlsiegern betreibt, und dann seine Laudatio eher stammelt - ausgerechnet für Reinhard Hauff, mit dem er so viel gemeinsam hat wie Merkel mit Schröder. Und die sämtlich stotternd vorgetragenen Laudatios - etwa von Marie Bäumer oder Alexandra Maria Lara - belegten nur die Unsicherheit im Unterbewusstsein: Viele spürten am letzten Freitag offenbar selbst nur zu genau, dass sie sich hier nur ein Oscar-Gehabe anschminkten, hinter dem kein bisschen Substanz steckte.
Auf der anderen Seite stehen vor allem junge, filmisch innovative Regisseure, die in der deutschen Szene keine Lobbys haben, und mit der Akademie nichts am Hut. Dafür laufen ihre Filme in Cannes, bekommen im Ausland Preise und Verleiher, oder sie unterzeichnen wie gerade am Sonntag in Ludwigshafen geschehen, ein Manifest, in dem sie - "Der deutsche Film wird Kunst sein, oder er wird nicht sein!" - genau den kompromisslosen Kunstwillen einfordern, der aus dem deutschen Filmpreis verschwunden ist. Der deutsche Film sei doch auch Kommerz, jaulen da schon wieder die Berliner Sekundanten. Aber dass Filme, die nur Kommerz wollen, ganz grundsätzlich gar nicht satisfaktionsfähig sind, und schon gar nicht, wenn es um einen Filmkunstpreis geht, das genau ist ja der Punkt. Nur hat offenbar Joe Hembus' über 40 Jahre alte Einsicht "Der deutsche Film kann gar nicht besser sein. Der deutsche Film, er ist schlecht. Er will auch weiterhin schlecht bleiben." weiterhin Gültigkeit.
Es hätte schlimmer kommen können, sagten manche nach der Preisvergabe. Besser aber auch.
Rüdiger Suchsland |