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Sommerfrische, Meeresfrüchte, Funny
Games
Entspannung, Auszeit, die "Seele baumeln lassen",
aber auch "der ultimative Test für die Beziehung",
und "endlich mal zum Reden kommen", oder im Gegenteil
"endlich mal seine Ruhe haben" und "einfach
viel lesen", oder doch "wieder mal was gemeinsam
machen." - die Erwartungen der Menschen an ihre Ferien
sind so zahlreich und so widersprüchlich, dass der Urlaub,
hat er dann endlich begonnen, nur im Desaster enden kann.
Auch das Kino macht da keine Ausnahme. Die Ferien, die einem
auf der Leinwand auffällig oft begegnen, sind Spiegel
der bürgerlichen Gesellschaft, der sie entstammen. Sie
bergen, wie das Kino selbst, ihre Utopien, Träume, heimlichen
und verheimlichten Phantasien, ihre Hoffnungen und Ängste,
Schuld und Unschuld. In den Ferien, ob im Kino oder im Leben,
begegnen die Menschen also sich selbst, sodass die erste Erwartung,
die in den Ferien zerstört wird, jene allernaivste ist:
Die Erwartung, dass nun alles anders werden könnte.
Ferien sind mehr, als eine bloße Reise; und Reisefilme
sind darum nicht dasselbe wie Ferienfilme. Eine Reise kann
vieles sein: Die letzte Fahrt von THELMA & LOUISE genauso
wie Frodos langer Marsch durch drei HERR DER RINGE-Folgen,
wie die Ritte eines Westernhelden von Stadt zu Stadt, wie
die jahrelangen Fahrten des Odysseus. Die Reise, auch wenn
es sich um die mythische Heldenreise handelt, führt jedenfalls
von A nach B, selbst wenn sie im Kreis verläuft, und
auch wenn sie die Reisenden nicht verwandelt, schwingt im
Hintergrund doch immer die alte Idee der "Grand Tour"
der europäischen Oberklasse - die etwa in A PASSAGE TO
INDIA oder ZIMMER MIT AUSSICHT (1985), fast ein Ferienfilm,
und eines der ganz wenigen historischen Reiseportraits im
Kino, noch einmal nostalgisch aufscheint - mit, die Vorstellung,
dass "reisen bildet." Auch kolonialer Eroberungsdrang
liegt hier nicht völlig fern.
Im kollektiven Unbewußten
Ferien dagegen sind zeitlich wie räumlich viel zweckfreier.
Sie erziehen vielleicht die Herzen, aber kaum die Köpfe,
und der Ort, an den sie führen - ob ein Strand, ein Ferienhaus,
oder ein Hotel - bekommt seinen Wert weniger aus sich selbst,
als weil er für die Feriengäste eine Benutzeroberfläche
darstellt, die sie nach ihren Bedürfnissen ausfüllen
können. Weil die große Ferienzeit der Sommer ist,
und die exemplarischen Ferien die Sommerferien, erzählt
auch das Kino, wenn es von Ferien handelt, fast immer vom
Sommer. Das Wetter muss gut sein, sonst sind es keine Ferien,
oder wenn schon, dann gerade so richtig unnatürlich schlecht,
damit der Kontrast zwischen der Welt wie sie ist, und der
Welt wie sie sein sollte, auch nachdrücklich zur Geltung
kommt.
Dieser universale Widerspruch wird noch nicht einmal im ultimativen
Ferienfilm des Kinos aufgehoben, in Jacques Tatis Klassiker
DIE FERIEN DES MONSIEUR HULOT. In der ersten Einstellung sieht
man zwar nichts als das einsame Meer und den Wind, doch sofort
danach wird dieses neorealistische Szenario zeitloser Entspannung
im Nu und ein für allemal zerschlagen. Anspannung und
Hektik herrschen vor, man sieht einen überfüllten
Bahnhof und begreift, dass auch vor einem halben Jahrhundert
die Ferien vom Ferienstress nicht zu trennen waren. Im Folgenden
spielt Tati alle möglichen archetypischen, längst
im kollektiven Unterbewussten verankerten Urlaubs-Situationen
durch: Ankunft, die Besichtigung des Hotelzimmers, der erste
Abend, der erste Morgen, die Begegnung mit dem Meer, mit der
Sonne, mit anderen Feriengästen, diverse sportliche und
gesellschaftliche Aktivitäten, die einem die Zeit, nach
der man sich doch das ganze Jahr über gesehnt hat, nun
"vertreiben" sollen. Dazu anderes, was man nur im
Urlaub tut: Muschelsammeln am Strand etwa, oder das Aufstellen
von Liegestühlen. Alles dies ist begleitet von ständigen
Missgeschicken der von Tati selbst gespielten tollpatschigen
Hauptfigur, ein Panorama hysterischer Absurdität, das
natürlich in seinem milden, letztlich sehr konservativen
Spott die bürgerliche Gesellschaft als ganze meint. Nur
im Rückblick nach 50 Jahren überwiegt die Nostalgie,
erkennt man hierin das zärtlich-gelassene Selbstportrait
einer Zeit, die ihre Unschuld noch nicht verloren hat.
Die Rückkehr der Kindheit
Wirklich gelassen geht es in späteren Filmen zu - auch
wenn Unrast und Katastrophe vom Urlaubsfilm in keinem Fall
zu trennen sind. Zum Beispiel in MEERESFRÜCHTE (2004)
von Olivier Ducastel und Jacques Martineau, der gerade im
deutschen Kino angelaufen ist. Hier reist eine vierköpfige,
recht typische Pariser Familie wie Millionen ihrer Landsleute
im August an die Mittelmeerküste. Im Ferienhaus, unter
den satten Farben der strahlenden Sonne und bei Grillengezirpe
döst man im Liegestuhl, werkelt an alten Fahrrädern,
verzehrt Unmengen Muscheln und Krebse, und probiert auch sexuell
die verschiedensten Speisen. Alles ist möglich und alles
ist erlaubt: Der Versuchungen und Gelegenheiten sind im Kinourlaub
so viele, wie der moralischen Grenzen wenige - Ferienentspannung
bedeutet auch das Alltäglichwerden der Anarchie, jedenfalls
für vier Wochen im Jahr.
In solchen Geschichten kehrt das Kino zu einer kindlichen
Haltung zurück, zu einer Perspektive auf die Welt, die
diese erst entdeckt, als sähe sie sie zum ersten Mal,
die ausprobiert, austestet, mit sich selbst experimentiert.
Nicht zufällig stehen in vielen Ferienfilmen Kinder und
Jugendliche im Zentrum, ob in echten Kinderfilmen wie der
Astrid-Lindgren Verfilmung FERIEN AUF SALTKROKAN, oder in
feuchten Pubertätsträumen wie David Hamiltons ZÄRTLICHE
COUSINEN. Dieser Film enthält neben seinen speziellen
Zutaten - ein einsamer Junge mit großen Augen, und zarte,
ziemlich schweigsame und hübsche Cousinen, die dummerweise
etwas älter sind und sich nur für "große"
Jungs interessieren - viele allgemeine Elemente anderer Ferienfilme:
Wohlhabende Verhältnisse, ein schönes großes
Ferienhaus, Abenteuer in der freien Natur, inklusive Eis,
Lagerfeuer und Knutschen im Gras. Vor allem aber ist er geprägt
vom anarchischen "Alles ist möglich", dem Bewusstsein,
dass die Ferien die Gelegenheit zu ultimativer Überschreitung
bieten, dazu, Dinge zu tun, die man sonst nicht tut. Auch
in den Ferienfilmen anderer Kinokulturen lebt sich diese Anarchie
aus: BALLERMANN 6, EIS AM STIL oder auch die Filme mit Louis
de Funès als Strandgendarm auf Touristenjagd in St.Tropez
sind ohne Frage weniger zart, aber auch sie suchen den freien
Geist der Kinoferien und das Zwanghafte, das mit ihm einhergeht,
auf ihre Art zu erfassen. Gerhart Polts MAN SPRICHT DEUTSH
geht noch einen Schritt weiter, und wendet ihn gegen die Gesellschaft,
der er entstammt.
Heiligtum und Katastrophe: Ferien im französischen
Kino
Eine andere, ernsthaftere und weitaus moralischere Variante
dieser Anarchie erlebt man in den Filmen Eric Rohmers. Für
Arbeit interessiert er sich ebenso wenig, wie für soziale
Verhältnisse. Darum zeigen sehr viele seiner Filme Menschen
in den Ferien: zeit und statuslos, seltsam herausgehoben aus
allen Zusammenhängen. Ob DIE SAMMLERIN, CLAIRES KNIE,
PAULINE AM STRAND oder SOMMER - immer wieder wirkt es, als
ob hier die Ferien ewig dauern würden, immer wieder feiert
Rohmers Kino der Blicke neben diversen, fast paradiesisch
unschuldigen Versuchungen auch die utopische Entrücktheit
und das Immergleiche der Tage der Ferien. Und wenn ihr Glück
zerstört wird, ist es die eigene Schuld der Figuren.
Es muss seinen tieferen Grund haben, dass fast alle, dass
die wirklichen Ferienfilme des Kinos aus Frankreich kommen.
Vielleicht, weil hier wie sonst nirgends die Sommerferien
einen quasi heiligen Status genießen, weil sie nur hier
mit einer Fülle von Ritualen verbunden sind, wie sie
das Kino liebt. Auch die abgründigeren Seiten des Urlaubs
werden im französischen Kino genüsslich ausgebreitet:
Ob der Sex, der in Ozons SWIMMING POOL zur Obsession wird,
oder die Katastrophe der Familie, die Michel Blanc in EMBRASSEZ
QUI VOUS VOUDREZ komödiantisch ausschlachtet, die Louis
Malle in EIN SONNTAG IM MAI seziert, und politisch grundiert,
und die Catherine Breillat in A MA SOEUR genüsslich in
ihr Extrem treibt. Dies ist einer der treffendsten, besten
Ferienfilme, weil er unangestrengt das Gleichgewicht hält
zwischen Abgrund und Verheißung. Kalt und analytisch
gegenüber dem Wahnsinn, der allen Ferien innewohnt, bleibt
der Puritaner Jean Luc Godard in WEEKEND. Eine letzte Facette,
die Geschichte vom französischen Urlauber in der Fremde,
erzählte Truffaut in seiner wunderbaren Liebesfarce LES
DEUX ANGLAISES ET LE CONTINENT: Ein ganz anderer Strand, eine
ganz andere Küste, mit Gras und Felsen statt Sand, und
andere Gewohnheiten - und doch das Immergleiche: Die Zeit,
die vergeht, und das Leben, das vorbeigeht, Ferien, die sich
im Rückblick nach Jahren als Höhepunkt des Daseins
entpuppen.
Gesteigerte Heimat
So relaxed am Strand sitzen, wie bei den Franzosen, das kann
man sonst nur im asiatischen Kino. Aber sind SONATINE und
THE ISLE, um nur diese beiden zu nehmen, wirklich Ferienfilme?
Sie sind es zumindest in einer Hinsicht: Für ihre Hauptfiguren,
ist das Meer bzw. der See, an dem sie irgendwann landen, ein
Fluchtpunkt, das Gegenteil zu ihrem Alltag, in dem sie gescheitert
sind - das letzte Refugium. Ferien nicht als Höhepunkt,
sondern als letzter Rest eines Lebens, das man schon verloren
hat.
Auch im deutschen Kino ist das Ferienthema besonders virulent.
Und gerade in den letzten Jahren sind Ferien in deutschen
Filmen nicht mehr die einstige Flucht aus der Heimat: In Dominik
Grafs DER FELSEN und Romuald Karmarkars MANILA, zwei der besten
Ferienfilme der letzten Jahre, wird die Fremde nur zum Katalysator,
zur gesteigerten Heimat, in der alles Verdrängte zum
Ausbruch kommt. Ferien als Höllentrip. Dies ereignet
sich, gedämpfter, auch noch in SIE HABEN KNUT von Stefan
Krohmer, einem der wenigen Filme, die von einem Winterurlaub
erzählen. Aber die Hütte, in der sich eine Gruppe
von Freunden bis zur Selbstzerfleischung auseinander nimmt,
könnte im Prinzip auch an einem Meeresstrand stehen -
entscheidend ist, dass auch hier die Glücksverheißung
der Ferien in ihr Gegenteil gekehrt wird.
Von Außen geschieht dies in anderen Fällen: Bei
FUNNY GAMES von Michael Haneke ist eine Urlauberfamilie einfach
nur unschuldiges Opfer einer Schicksalslaune, und es ist nicht
der besondere Zustand der Ferien, der dieses Schicksal herbeiführt.
Anders liegen die Dinge in THE BEACH von Danny Boyle. Der
lässt den Traum von den ewigen Ferien den man sonst nur
aus Filmen kennt, die zu vernachlässigen sind - DIE BLAUE
LAGUNE & al. - zunächst einmal zu und wahr werden.
Doch dann wenden sich Leichtfertigkeit, Abenteuerlust und
Sorglosigkeit der Protagonisten gegen sich selbst, die Ferien
münden in einen selbstzerstörerischen Alptraum.
Rituale und Überlebenskampf
Es gibt überraschenderweise nicht viele Ferienfilme
aus den USA, aber doch - neben ein paar "unreinen"
wie DER WEIßE HAI oder THE SHINING - zwei der besten,
die, zusammengenommen, fast schon die Quintessenz alles dessen
enthalten, was über das Thema Ferien zu sagen ist: MR.HOBBS
MACHT FERIEN ist der eine. James Stewart in der Titelrolle
erlebt das immer wieder scheiternde und doch im Scheitern
sich herstellende Familienglück beim nervtötenden
Urlaub von drei Generationen. Betont wird das Groteske, das
in jedem Urlaub liegt, seine grundlegende Absurdität,
die auch bei Tati nur anklingt. Die Ferien münden in
die fatalistische Akzeptanz menschlicher Schwächen. Am
Ende muss Hobbs das kleine Glück akzeptieren, das im
Käfig der Rituale liegt, aus denen kein Ausbruch möglich
scheint.
Der zweite große US-Ferienfilm ist DELIVERANCE (dt.
BEIM STERBEN IST JEDER DER ERSTE) von John Boorman. Für
vier Städter wird der Kanuurlaub auf einem Fluß
in den US-Südstaaten zum Alptraum, die Ferien zum grausamen
Überlebenskampf. Lustvoll und mit einem gewissen sadistischem
Vergnügen, zugleich voller Trauer lässt der Film
Alpträume wahr werden und zerstört das zivilisatorische
Gerüst der Hauptfiguren, macht sie im Drang, nicht zu
sterben, zu Barbaren.
Dass man dazu nicht in die Wildnis gehen muss, dass Freud
ein Bewohner der bürgerlichen Gesellschaft ist, das belegt
einer der allerbesten Ferienfilme des Kinos, Otto Premingers
BONJOUR TRISTESSE. Der Film, entstanden nach dem Roman von
Francoise Sagan, angesiedelt in einem Ferienhaus an der französischen
Riviera, stammt zwar formal betrachtet aus Hollywood, ist
aber mehr französisch, als amerikanisch. Hier wird die
Sommerhitze zum Katalysator ernster Spiele, aufgestauter Konflikte
und zur Kulisse des Aufeinanderprallens von Oberflächlichkeit
und Ernst. Bei aller Melancholie, die diese traurig-hitzige
Sommergeschichte grundiert, badet der Film doch zugleich lustvoll
in den gleißend-bunten Farben seines Schauplatzes -
die mit dem Schwarzweiß der Paris-Szenen kontrastiert
werden. Doch alle Pracht und Herrlichkeit der Sonne, des blauen
Himmels, des satten Grüns der Pflanzen, alle Schönheit
der Menschen kann hier nie darüber hinwegtäuschen,
dass man aus der Auszeit der Ferien und ihren Träumen
irgendwann erwachen wird, darüber, dass jeder Mensch
am Ende allein ist. "Bonjour Tristesse
"
Rüdiger Suchsland |