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Das Mittelmeer ist größer als man denkt - Zu
den 5. Mittelmeer-Filmtagen in München
Mittelmeer-Filmtage, das klingt nach Sonne, Sommer, Strand,
Cannes und Saint Tropez. Das Mittelmeer aber, das ist bekannt,
ist jenes riesige Gewässer, das sich von Spanien über
Frankreich, den Balkan bis hin zu Israel und Palästina
erstreckt, also durchaus Länder als Anrainerstaaten enthält,
die etwas anderes bereithalten als das Urlaubsgefühl.
Die 5. Mittelmeer-Filmtage, die vom 13.-29. Januar 2006 in München
im Gasteig abgehalten werden, haben dieses Jahr erstmals ihren
Horizont um die Gebiete der Adria erweitert. Und dass das
alles nicht unbedingt mit einem sommerlichen Gefühl zu
tun hat, verrät schon der Titel des preisgekrönten,
serbisch-montenegrischen Eröffnungsfilms, A MIDWINTER
NIGHT'S DREAM von Goran Paskaljevic (Fr., 20:00, Carl-Orff-Saal,
Gasteig). Mit Krieg, Nachkriegszeit, Zeit der Heimkehr sind
die Balkanländer in einem emotionalen Winter angekommen,
der nichts mehr mit der geographischen, im südlichen
Europa, gelegenen Situation zu tun hat, sondern in denen sich
das Leben vor allem durch Politik und Geschichte bestimmt.
A MIDWINTER NIGHT'S DREAM ist der Traum, der inmitten der
Nachkriegswehen in Serbien geträumt wird von einem Neuanfang,
von einem Aufbruch in einen Zustand der Besserung, der Gesundung
vom Trauma des Krieges, der auseinanderfallenden Strukturen,
gesellschaftlichen, familiären, auch psychischen. Lazar
ist Kriegsheimkehrer. Zehn Jahre, nachdem er sein Dorf verlassen
hat, kehrt er in seine Heimat zurück und findet in seinem
Haus eine Frau vor, die dort allein mit ihrer autistischen
Tochter lebt. Lazar will für die bosnischen Flüchtlinge
eine neue Heimat suchen, anfangs mehr, um sie loszuwerden,
dann, um auch für sich ein neues Zuhause zu finden. Der
Zustand des Autismus von Jovana führt ihn zurück
an sein eigenes in sich gekehrtes Dasein und - metaphorisch
- an den Zustand seines Landes. A MIDWINTER NIGHT'S DREAM
ist ein Film, der seine Bilder dokumentarisch verankert, der
zu einem Sprechen über den Balkan führt, das fernab
der klischeehaften Landesverbrämungen eines Kusturica
stattfinden darf. Ein stiller Film, poetisch und dennoch sehr
real, konkret in den Bildern, die er findet. Vielleicht auch
der Aufbruch zu einem neuen Balkan-Kino.
GRAVEHOPPING von dem Slowenen Jan Cvitkovic steht dem entgegen,
verspricht vergnügliches Balkankino, mehr im Sinne Kusturicas,
aber nicht ohne die morbiden Momente der Existenz auszulassen.
Pero ist professioneller Begräbnisredner, dem sein eigener
Vater mit einer Vielzahl von Selbstmordversuchen zusetzt.
Er liebt Renata, die sich in anderweitigen, unschönen
Verwicklungen befindet. Tragisch und komisch, mit einer Prise
schwarzen Humors, stellt sich der Film dem Tod und dem Leben,
der Existenz.
Dokumentarische Formen spielen immer mehr in die Welt des
fiktionalen Films hinein, wo sich die Wirklichkeit nicht mehr
als endgültig fiktionalisierbar erweist, wo, wenn Geschichten
erzählt werden wollen, immer auch ein "wahrer"
Zustand des Landes miterzählt wird. Der israelisch-palästinensische
ATASH (dt. Durst) von Tawfik Abu Wael ist ein Beispiel, wo
über die Geschichte einer palästinensischen Familie
ganz viel von dem Zustand des Landes erzählt wird, ohne
aber vordergründig den israelisch-palästinensischen
Konflikt in den Fokus zu nehmen. Was potentielle westliche
Geldgeber irritierte, die dem Film ihre finanzielle Unterstützung
versagten. Die Geschichte von den Kohleflözern, die in
einem verlassenen Truppenübungsplatz ihr Dasein fristen,
geht aber weit über den familiär-politischen Plot
hinaus.
Die älteste Tochter der Familie wurde vergewaltigt und
hat nach palästinensischen Werten damit die Ehre der
Familie verletzt. Die Tradition gebietet eigentlich ihren
Tod, der Vater aber hat entschieden, mit seiner Familie ins
Exil zu gehen, fernab einer sozialen Gemeinschaft. Brisant
wird der Kampf ums Wasser an diesem verlassenen Ort. Weit
von der Pipeline entfernt, wird die Frage nach dem Durst zum
alltäglichen Kampf ums Dasein. Ein Existenzkampf, der
zeigt, wie sehr die Frage nach dem Wasser zur eigentlichen
Problematik geworden ist in den Ländern, in denen die
Sonne immer scheint. Das Öl, das wird angesichts der
wichtigen Wasser-Pipeline klar, ist mehr eine Frage der internationalen
Verflechtungen als alltäglicher Garant für das Leben.
Worum es in den östlichen mediterranen Ländern geht,
ist der Durst. Und auch der Durst nach einem selbstbestimmten
und freien Leben, jenseits der patriachalischen Werteordnung.
Wie unterschiedlich das Leben und die Fragestellungen der
Existenz sein können, das zeigen die Mittelmeertage in
ihrer eindrucksvollen Rundschau über Griechenland, Kroatien,
Slowenien, Serbien und Montenegro, Türkei, und natürlich
auch in dem Blick auf die heilere Welt von Frankreich. UN
HOMME, UN VRAI von Arnaud und Jean-Marie Larrieu zeigt im
Vergleich zu den östlichen Produktionen Leichtigkeit
und Müßiggang, darüber die Neuerfindung von
Wirklichkeit, die Selbstkreation. Boris und Marilyne waren
schon einmal ein Paar, als sie fünf Jahre später
zufällig wieder aufeinandertreffen. Sie beschließen,
ganz existentialistisch, ihrer Liebe eine neue Chance zu geben
und tun so, als würden sie sich eben erst kennenlernen.
Das Mittelmeer ist eben ein weiter Raum. Und schön
ist es, dass die diesjährigen Mittelmeer-Filmtage den
Blick weit halten. Übrigens wurde - zumindest in Deutschland
- zuerst 1984 auf der Berlinale der Blick auf die Mittelmeerländer
als Länder von Filmproduktionen gerichtet, die ganz eigene
Themen haben, auch ganz eigene Weisen, diese zu erzählen.
Damals wurde aus der "Info-Schau" das "Panorama",
abgeleitet vom damaligen "Mittelmeer-Panorama".
So sehen wir heute in München die "Mittelmeer-Filmtage"
als ein Stück Panorama, Berlins und der Welt, am Mittelmeer.
Dunja Bialas
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